Gruppentherapie: PRIMORDIAL - "Where Greater Men Have Fallen"
23.11.2014 | 23:55Vereinigt PRIMORDIAL die Metalszene? Die Gruppentherapie zum November-Soundcheck-Sieger.
Im wettermäßig meist wenig angenehmen November gibt es in der Metalszene eine selten gewordene Einigkeit: Alle vier deutschen großen Metalmagazine wählen "Where Greater Men Have Fallen" auf ihren Soundcheck-Thron! Und auch bei Powermetal.de behält die Band um Szene-Sprachrohr AA Nemtheanga die Oberhand - allerdings denkbar knapp vor SOEN (zum Soundcheck November 2014). Doch nanu, Kollege Stephan berichtet in seinem Review "nur" von Bewährtem in gewohnter Form und diagnostiziert einen Rückschritt. Komische Ohren? Klarer Fall, hier muss therapiert werden!
"Where Greater Men Have Fallen" ist ein Album, das nicht polarisiert, sondern in allen gängigen Metal-Magazinen den Soundcheck abräumt. Auch mir weiß das Werk dieser Iren zu gefallen, wenn auch mit Einschränkung. Beachtlich ist die dicke Klangmauer aus Schlagzeug, Gitarren und Gesang, die mit 'Where Greater Men Have Fallen' hochgezogen und erst mit 'Wield Lightning To Split The Sun' niedergerissen wird. Bombast irgendwo zwischen Doom-/Post-und Black Metal ohne Pauken und Trompeten. Und wenn dann noch eine feine Leadgitarre zu dem kräftigen, klaren Gesang erklingt, ist das schon ziemlich toll. Die zu Anfang erwähnte Einschränkung bezieht sich auf das Gesamtbild, welches mir auf Albumlänge zu homogen geraten ist. Hineinhören ist aber sehr geraten!
Note: 7.0/10
[Jakob Ehmke]
Wird das noch was mit mir und PRIMORDIAL? Eine Band, die ich seit dem '07er Werk "To The Nameless Dead" kenne und schon damals interessant fand, die dann aber trotzdem nicht so recht hängen geblieben ist? An sich ist die Band ja unübersehbar und daher auch immer im Hinterstübchen geblieben, allein, es hat nicht sollen sein. Und heute sind die Probleme im Wesentlichen die gleichen. Fast. Der Gesang ist gewöhnungsbedürftig, weiß man ja. Wobei ich mich schon gut dran gewöhnt habe. Mein Problem ist weniger die Stimme selber, als die limitierte Ausdrucksweise, die Stephan auch in seiner Rezi bemängelt. Mittlerweile kennt man halt die Gesangsmelodien und weiß spätestens nach ein, zwei Takten, wie sie enden werden. Das macht der pathetischen Tonfall, der mir verbunden mit der "Preacher Man"-Ausstrahlung Alans gerne mal gut auf die Nerven geht, nicht gerade besser. Immerhin gibt es an der Front etwas Auflockerung in 'The Alchemist’s Head', und 'Wield Lightning To Split The Sun' fährt jetzt schon einen Treppchenplatz für einen der geilsten Titel des Jahres ein. Im Übrigen gerät mir die Dynamik des Albums in der zweiten Hälfte, wie von Jakob schon angedeutet, zu sehr ins Stocken. Ein zwiespältiges Album, welches aber noch Luft zum Wachsen hat.
Note: 7,5/ 10
[Christian Schwarzer]
Eure persönliche Einschätzung in allen Ehren, aber warum "Where Greater Men Have Fallen" nun zu homogen und undynamisch geraten sein soll, das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Für mich ist dieses Album das abwechslungsreichste PRIMORDIAL-Werk, seitdem ich die Gruppe mit "The Gathering Wilderness" (2005) verfolge. An vorderster Front steht mit dem Titelsong natürlich ein Paradebeispiel für den Bandsound und -pathos, aber danach wird mit 'Babel's Tower' das Tempo eindeutig zurückgenommen, bevor an vierter Stelle ein nahezu durchgeblastetes 'The Seed Of Tyrants' folgt (welches die Verbindung zu den schwarzen Wurzeln vollkommen natürlich offenbart). Die von Christian angeführten Songs sind nicht minder gute Beispiele für die Variationen innerhalb dieses einmaligen Klangstromes, der mich immer wieder packt, mitnimmt und aufwühlt. Über all diesem thront Alan mit seinem so erhabenen, majestätischen Gesang, der sich mehr von etwas Urwüchsigem aus der Brust als etwas Luftigem aus dem Bauch oder etwas Kompliziertem aus dem Kopf zusammenbraut. Eben diese Attitüde merkt man jeder Zeile, jeder Note an. Denke ich dann noch an den Titel der Platte, ist es um mich geschehen und ich möchte Klippen mit bloßen Händen zertrümmern. Während es regnet.
Note: 9,0/10
[Oliver Paßgang]
Auch wenn ich die Alben von Alan Averills Nebenprojekten TWILIGHT OF THE GODS und DREAD SOVEREIGN gerne mag, freut es mich doch sehr, dass der meinungsstarke Ire nun erstmals seit dem 2011er-Werk "Redemption At The Puritan's Hand" wieder mit PRIMORDIAL zugange ist. Ist es mit "Where Greater Men Have Fallen" gelungen, das hohe Niveau der Vorgängerwerke, die der Band eine eigene kleine Nische geschaffen haben, in der sie selbst die Könige sind, zu halten? Um die Antwort auf die dringliche Frage vorweg zu nehmen: Es hat geklappt! Doch der Reihe nach: der eröffnende Titelsong ist vom Fleck weg als kommender Liveklassiker zu bezeichnen. Ergreifender und authentischer Pathos, eindringlicher Stampfrhythmus und ein mitreißender Refrain bilden das Holz aus dem diese große Hymne geschnitzt ist. 'Babel's Tower' und 'Come The Flood' kehren die melancholische Soundfacette von PRIMORDIAL in den Vordergrund bevor 'The Seed Of Tyrants' den Bogen zurück zu den im Black Metal liegenden Wurzeln spannt. Die Nähe zum klassischen Heavy Metal des TWILIGHT OF THE GODS-Projekts hat sich anscheinend ins Songwriting von 'Ghost Of The Charnel's House' übertragen, denn auf "Fire On The Mountain" wäre das Stück ebenfalls positiv aufgefallen. 'The Alchemist's Head' und 'Born To Night' sind wiederum eher experimentell ausgelegt, bevor das Album mit 'Wield Lightning To Split The Sun' seinen groß angelegten erhabenen Abschluss findet. Zum Ende hin hauen die Iren dann nochmals richtig einen raus, denn diese epische, zwischen Folk und Doom pendelnde Nummer begleitet mich nach jedem Durchlauf noch eine Weile als groß ausgewalzter Ohrwurm. Was für ein Fazit ist nun zu ziehen? Wer die lange stilistische Entwicklung von PRIMORDIAL bislang ohne Murren mitgehen konnte, der wird sich auch bei "Where Greater Men Have Fallen" nicht genötigt sehen sich abzuwenden. Warum auch? Es ist PRIMORDIAL gelungen den Stillstand zu vermeiden ohne Stilbruch zu begehen. Bemerkenswert!
Note: 9,0/ 10
[Arne Boewig]
Lang ist's her. Mindestens zehn Jahre sind vergangen, als ich PRIMORDIAL bei einem Livekonzert kennen gelernt habe. 'Fallen To Ruin' hieß der Track, der mir damals Nackenschmerzen bereitet hat. Ich habe danach sogar noch eine paar Worte mit Sänger Alan wechseln können, nachdem ich mir die rote "Storm Before Calm"-CD eingesackt hatte. Ich erinnere mich an MANOWAR. Wir mögen beide sehr gerne MANOWAR.
Diese Erinnerungen tauchen nun wieder auf, und kurz darauf komme ich zur Erkenntnis, dass PRIMORDIAL nach diesem Konzert ein wichtiger musikalischer Weggefährte geworden ist. Mit "To The Nameless Dead" wurde 2007 ein für mich musikalisch perfektes Metalalbum veröffentlicht, vielleicht das Beste seiner Zunft in diesem Millennium. Man sollte also meinen, dass ich bereit sei, für jede weitere PRIMORDIAL-Veröffentlichung zu töten.
Fakt ist, dass ich seit 2007 bis vor wenigen Tagen keinen einzigen aktuelleren Ton dieser Band gehört habe. Ja, es ist wieder diese dämliche Psychologie, der Glaube, dass Perfektion nicht perfektioniert werden kann. Und ich habe Angst vor dem SANCTUARY-Effekt. Deren Neueste ist auch so ein Album, dem ich vor zehn Jahre zitternd entgegen gefiebert hätte, das mich aber auch nach mehreren Spins komplett kalt lässt. Und "Where Greater Men Have Fallen"? Just in diesem Moment lässt es meine Gedanken wehmütig in die Vergangenheit schweifen. Ja, die Musik kommt an. Keiner hat bislang geschrieben, was für ein untröstlich trauriger Song 'Babel's Tower' ist. Oder ist es nur die momentane Stimmung?
Ich gebe den Kollegen durchaus recht, die sagen, dass bei PRIMORDIAL nicht mehr viel Neues geschieht. Die Art und Weise der Komposition hat sich nur marginal verändert, die Band hat ihren Stil gefunden und breit konsensfähig gemacht. Nichtsdestoweniger kann diese Musik für viele junge Hörer wie meinen lieben Freund Arne, der den Metal liebt, die Welt bedeuten. Muss sie sogar. Ja, es ist eine gute Zeit, PRIMODRIAL zu entdecken oder zu vertiefen. Und die Band wird groß werden.
Und ich? Ich mag die Stimmung sehr, aber gleichzeitig mag ich sie auch nicht. Die zweite Lebenshälfte winkt. Zeit für Aufbruch, für Neues, Frisches und Aufregendes, für etwas, das PRIMORDIAL für mich vor zehn Jahren war, aber heute nicht mehr ist. Deswegen ist eine sehr hohe Note für diese immer noch grandiose Musik leider nicht drin.
Note: 8,0/10
[Thomas Becker]
PRIMORDIAL hat sich mit diesem Album selbst übertroffen. Unfassbar heavy, aber dabei stets die epische und schwarzmetallische Note beachtend, klopft "Where Greater Men Have Fallen" mit aller Macht an die Pforte der Höchstnote. Dabei packt mich dieses Album ab der ersten Sekunde, ach, was sage ich? Ab dem ersten Blick auf dieses anbetungswürdige Artwork. Diese keltischen Riffs, diese sich stets aufbauende, epische Macht, dieses unweigerliche Gefühl, ab dem eröffnenden Mammuttitelstück in einer völlig anderen, dank den grandiosen Vorgängeralben jedoch bekannten Welt zu sein... Meine Herrschaften, wir haben es hier mit dem wohlmöglich besten Album der ruhmreichen PRIMORDIAL-Geschichte zu tun. Die Frische Irlands legt sich auf den Sound, die Riffs bauen immense Sound-Türme auf, nur um sie danach in Schutt und Asche zu legen, und die schwarzepische Aura marschiert stampfend an der Front. Selten habe ich mich in einer Gruppentherapie schwerer mit den Worten getan, was jedoch daran liegt, dass ich die immensen Gefühle, die "Where Greater Men Have Fallen" in mir auslöst, nicht so einfach in Worte fassen kann. Um mich dennoch zu verstehen, solltet ihr Paradestücke wie die Ballade 'Come The Flood', den Wüterich 'The Seed Of Tyrants', 'Ghosts Of The Charnel House' mit all seiner Rebellion oder auch den glorreichen Abschluss 'Wield Lightning To Split The Sun' einfach antesten, eure Augen schließen und euch der ganzen Pracht hingeben. Musik-Liebhaber werden jedenfalls kaum an "Where Greater Men Have Fallen" vorbeikommen.
Note: 9,5/10
[Marcel Rapp]
Mehr zu diesem Album:
Soundcheck 11/2014
Review von Stephan Voigtländer
- Redakteur:
- Thomas Becker