Gruppentherapie: PROCESSION- "To Reap Heavens Apart"
30.04.2013 | 10:05PROCESSION sind ein Schmankerl für traditionelle Doomer. Hier die Gruppentherapie zum April-Soundcheck-Zweiten.
Chiles (bzw. mittlerweile Schwedens) Vorzeige-Doomer liefern hier nicht weniger als das Doom-Album des Jahres ab! Es würde mich wirklich wundern, wenn es noch eine andere Band schaffen würde, eine Platte mit so ergreifenden, schweren und wahnsinnig guten Songs zu füllen. Den Fortschritt spürt man hier auf der ganzen Linie: die Vocals von Felipe werden von Release zu Release besser, das Songwriting ist trotz epischer Songlängen kompakter und raffinierter, das Album haut mich einfach um. Dass man dieses Mal auch genug Geld für ein ordentliches Studio hatte, ist ebenfalls deutlich zu hören. Die Produktion ist absolut standesgemäß, auch wenn sie etwas von der Brutalität der letzten LP verloren hat. Es knallt aber trotzdem. Was will der Doom-Fan mehr? Man kann nur hoffen, dass die Band bei High Roller Records bleibt und weiter ihren Weg geht. Auch wenn "To Reap Heavens Apart" nur vom Underground abgefeiert wird, tut er es doch umso mehr. PROCESSION haben es sich verdient. Den Soundcheck-Sieg konnte nur das übermächtige Album der NWoBHM-Reccken SATAN verhindern. Sei's drum. Pflichtkauf für jeden, der sich als Doom-Fan bezeichnet.
Note: 9,5/10
[Nils Macher]
PROCESSION lotet auf "To Reap Heavens Apart" die Schnittmenge zwischen kraftvollem Heavy Metal und klassischem Doom aus, einerseits ohne jemals ein explizites Powermetalbanner zu erheben oder Musik als Sport zu betreiben und andererseits auch ohne ins gegenläufige Extrem zu gehen und einen Soundtrack für düster-sakrale Sargträgerkurzfilme zu erschaffen, wie man aufgrund des Bandnamens vorschnell annehmen könnte. Ein epischer Unterton schwingt desöfteren mit, wird allerdings nie aufdringlich mit pathosschwerem Pinsel allzu dick aufgetragen. Die angenehm rustikale Note des Albumsounds scheint mir indes mitnichten einem Mangel an technischer Finesse zuzuschreiben zu sein, sondern wirkt durchaus gewollt und steht mitunter eleganten Wendungen auch nicht im Wege. Alle Songs wirken flüssig und schlüssig. Dem Titel zum Trotz ist 'Damnatio Memoriae' sicherlich nicht geeignet, den Namen PROCESSION aus der Erinnerung der Hörerschaft zu tilgen, sondern bietet im Gegenteil einen angenehm zähflüssigen Einstieg ins zweite Studioalbum der Band, der im Ohr auch kleben bleibt. Gitarrist und Sänger Felipe Plaza sieht nach der aus seiner Sicht etwas rebellischeren Attitüde des Debutalbums im Zweitwerk eher ein Erwachen der Möglichkeiten und ein Erkennen möglichen Wachstums, obschon beide Alben aus einem ähnlichen Geist geschöpft seien. Er vergleicht das Album mit dem Beginn einer säkular humanistischen Pilgerreise, und mit diesem Gedanken im Hinterkopf lässt sich die Songstruktur von 'Death & Judgement' tatsächlich mit einer Wanderung vergleichen und ein Gefühl von Aufbruchsstimmung darin ausmachen. Der mächtige, nichtsdestotrotz dynamische Titelsong eignet sich gut, dazu das Haupt kreisen zu lassen, und ist auf jeden Fall mein Anspieltipp für alle Traditionalisten des Heavy/Doom Metal. Mir gefällt 'The Death Minstrel' besser, denn hier wird Doom wirklich in schreitendem Ton zelebriert. Das Album als solches dürfte jedoch auch Hörern gefallen, die für so etwas auf Dauer keine Geduld aufbringen.
Note: 7,0/10
[Eike Schmitz]
Dass Tradition nicht gleich retro ist, zeigt PROCESSION, die nach einer fantastischen EP und einem sehr starken Album erneut ausziehen, um den Freunden wahren Dooms zwischen all den BLACK-SABBATH-Epigonen und psychedelischen Stoner Okkultisten einen Hoffnungsschimmer zu schenken.
Hochmelodisch und episch wie CANDLEMASS zu ihren besten Zeiten, aber oft auch etwas harscher, stampfend und im Titelsong etwas an die mächtigen PRIMORDIAL erinnernd, liefern die chilenischen Schweden genau das ab, was man sich von ihnen erhofft hat: ein bärenstarkes Doom-Album mit eigener Identität und fünf tollen Songs. Was der Albumtitel bedeutet, muss mir aber nochmal jemand mit besseren Englischkenntnissen erläutern.
Note: 9,0/10
[Raphael Päbst]
PROCESSION will dieser Tage den Himmel auseinander mähen. In meinen Augen gelingt das leider nicht so ganz, man kann sagen: Statt Bäume werden hier eher Grashalme umgenietet. Vielleicht sehe ich das zu verbissen, wenn ich sage, die Band bleibt hörbar hinter ihren Möglichkeiten. Dabei hatte man auf der Demo-Sammlung "The Cult of Disease" doch alles goldrichtig gemacht: dynamische Songs, ergreifender, charismatischer, abwechslungsreicher Gesang und Songwriting auf Niveau der Großen Alten; ein Platz unter Göttern schien vorprogrammiert. Warum man aber auf Albumlänge bereits zum zweiten Mal vieles davon scheinbar vergessen hat?
Wenn Holger, Eike und Nils den Sound und noch mehr den Gesang loben, habe ich wohl Korken in den Lauschern. Gerade die ersten drei Songs sind kompositorisch von geradezu lächerlich hoher Qualität, leiden aber an dröger Gleichförmigkeit. Felipe singt sicher gut, aber eigentlich immer gleich. Bei 'Death & Judgement' etwa: Schmackes und Wucht für zwei, aber jedes Wort laaaaanggeeezooogen, ohne aus dem Schema auszubrechen. Die Gitarren sind toll, aber immer gleichlaut, man merkt stellenweise erst nach vielem Hinhören, dass da zwei Gitarren sind, die auch nicht immer zusammen spielen - hört sich ja auch gleich an. Dass man durchaus noch weiß, was Gesangsmelodien sind und wie vor allem Dynamik funktioniert zeigt man, da bin ich ganz bei Eike, etwa beim intensiven Titeltrack, oder 'The Death Minstrel'. Wo Nils fragt, was man mehr will verweise ich daher auf den Monatssieger, der all das inhaliert hat.
Sicher hat Peter Recht, wenn er über mich sagt, ich würde auf olympischen Niveau meckern. Aber am Ende schenkt uns PROCESSION ihr bislang bestes Album, den traditionellen Doomthron erobert man meiner Meinung nach aber anders.
Note: 8,5/10
[Simon Volz]
Huch, hab ich mich da mit dem Album vertan, 'Damnatio Memorae', das klingt ja mal total nach PRIMORDIAL!? Im Marschtempo mit den für die Iren so typischen Melodien, startet man so ein Doom-Metal-Album? Doch nach zweieinhalb Minuten passiert dann das Erwartete: 'Conjurer': Es wird langsam. Ausklingende Powerchords, darüber eine einsame Leadgitarre und dazu langgezogener, leicht schräger, weinerlicher und zu laut abgemischter Gesang. Alle meine Doom-Metal-Vorurteile sind erfüllt. 'Death And Judgement' huldigt dann BLACK SABBATH: Die Stimme aus den Gräbern kann nicht glauben, dass sie tot ist, aber Ozzy, der lebt noch und er würde sicherlich ein wenig schmunzeln über diese jungen Chilenen und ihre Version des Songs 'Black Sabbath', der später aber noch zu einer CANDLEMASS-Nummer mutiert. Holger empfiehlt in seiner euphorischen Rezi den Titelsong 'To Reap Heavens Apart': Juhu, es wird wieder etwas schneller, man könnte sogar headbangen dazu. Doch ich bräuchte jetzt bald mal einen Stimmungswechsel, das Klangbild ist zu statisch, die Musik zu unbeweglich, aber nein, es wird wieder laaaaaangsam, wir holen uns nun einen Kaffee zwischen den Snareschlägen. Komisch, bei so getragenen Sachen wie der neuen NOCTE OBDUCTA liebe ich die stoische Langsamkeit, hier jedoch wirkt sie gezwungen und wenn der Track gegen Ende wieder schneller wird, ist das wie eine Befreiung. Dann finde ich die Mucke tatsächlich cool! Danach ziehen sich PROCESSION musikalisch jedoch wieder in die Kabine zurück, die Partie endet 0:0, war von Taktik geprägt und nutzt am Ende keinem was, weder mir noch PROCESSION.
Note: 6,0/10
[Thomas Becker]
Dem Gefühl, dass hier theoretisch noch ein wenig mehr drin gewesen wäre, kann auch ich mich nach dem x-ten Durchlauf nicht verwehren. Wenn man jedoch die Meinungen der Herren Becker und Volz (letzterer immerhin mit 8,5/10 Punkten!) so liest, dann könnte man, trotz aller berechtigter Kritik, den Eindruck bekommen, man hätte es hier mit etwas lediglich Solidem zu tun. Und dem möchte ich dann doch eindringlich widersprechen. "To Reap Heavens Apart" ist für mich vom Titel her absolut passend, denn das den Sänger zumindest innerlich irgendetwas zerreißt, ist an jeder Stelle spürbar. Und nur so, aber auch wirklich genau so funktioniert Doom, der mich begeistert: Die stoische Langsamkeit oder ein eventuell vorhandener Headbangfaktor verkommen zur (gerne mitgenommenen) Randnotiz, wenn Musik so eindringlich komponiert sowie insbesondere interpretiert wird und dadurch einfach mitreißt. Das bereitet in geselliger Runde oder live eine Menge Freude. Und alleine lehnt man seinen Kopf, je nach Aufenthaltsort, an die nächstbeste Wand oder Scheibe, lässt seinen Blick in die Ferne schweifen und verliert sich in sich selbst. Da PROCESSION bei mir eben so wirken, können sie gar nicht allzu viel falsch gemacht haben.
Note: 8,5/10
[Oliver Paßgang]
Irgendeiner muss ja den Spielverderber spielen und auf die doomige Euphoriebremse treten. Und glaubt mir, selten habe ich mir das Leben zwecks Benotung schwerer gemacht. Objektiv ist das, was die Chilenen hier auf "To Reap Heavens Apart" über weite Strecken tun, überaus erhaben, und dürfte so manchem Doom-Fanatiker die Freudentränen in die Augen treiben. Mit überschwänglicher Qualität, unerschöpflichen Kreativität und einem tollen Gespür für passende Arrangements stürmen PROCESSION sicherlich zurecht fast an den Gipfel. Doch subjektiv berühren die Stücke mich nur stellenweise und geben mir bei dieser spektakulären Fahrt eher selten das gewisse "Aha-Feeling". Sicherlich bin ich kein großer Freund des geneigten Doom und wurde in der Vergangenheit durch die Klasse von CANDLEMASS oder SOLITUDE AETURNUS etwas zu stark verwöhnt, aber was nützt mir die objektiv vielleicht grandiose Platte, wenn sie es partout nicht schafft, meine von leichten Tönen verwöhnte Seele zu berühren. Vielleicht liegt es auch an der Tatsache, dass sich langsam aber sicher der Frühling zeigt und meine Ohren solch schwere Töne zu Zeit einfach hinten anstellen möchte, man weiß es nicht. Fakt ist, dass PROCESSION auch mit meiner eher durchschnittlichen Note die Lorbeeren einheimsen. Wer nun selbige Hörmuscheln für ungeeignet hält, dem sei gesagt, dass auch ich Stücke wie das Titelstück als überaus gelungen empfinde.
Note: 7,0/10
[Marcel Rapp]
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- Redakteur:
- Thomas Becker