Gruppentherapie: QUEENSRŸCHE - "Queensrÿche"
05.07.2013 | 16:09QUEENSRŸCHE, die Version mit Todd La Torre, erobert das Treppchen des Juni-Soundchecks. Hier die Gruppentherapie dazu.
Die Schlammschlacht zwischen den übrig gebliebenen Mitgliedern von QUEENSRŸCHE und Geoff Tate hat im Endeffekt nur einen Sieger: Todd La Torre. Der ehemalige CRIMSON GLORY-Frontsänger passt perfekt zu der Instrumentalmannschaft der Seattle-Legende, davon konnte ich mich persönlich auf dem Rock Hard Festival überzeugen. Bei besagtem Auftritt gab es überdies die eine oder andere Kostprobe des neuen, selbstbetitelten Albums. Und das frische Material schließt bestens an die Frühwerke der Jungs an und dank La Torre kriegen sie jene Kurve, die man mit Tate niemals genommen hätte. Das Gegenteil konnte in den vergangenen 20 Jahren bekanntlich nicht bewiesen werden. Doch 2013 ist es nun soweit. Endlich erreicht QUEENSRŸCHE wieder jene emotionale Tiefe, die seit knapp zwei Dekaden vermisst wird. Namentlich wären da 'A World Without' und vor allem 'In This Light', die bei nostalgischen QUEENSRŸCHE-Fans Begeisterungsstürme entfachen dürften. Aber auch die forscheren Parts in Form von beispielsweise 'Vindication’ überzeugen auf ganzer Linie und lassen das beinah zeitgleich erschienende "Frequency Unknown" ziemlich alt aussehen. Auch wenn ich Geoff Tate aufgrund der ersten fünf Alben für immer anhimmeln werde, so muss man der Tatsache ins Auge sehen, dass ihm 2013 der Rang angelaufen wird. Es können einfach keine zwei lebenden Legenden in friedlicher Koexistenz leben, sodass man kein Prophet sein muss, um zu erahnen, welche Bandvariante zumindest unmittelbar nach dem Split das Zepter in der Hand hält. Einen direkten Klassikerstatus erreicht dieses Album bisweilen noch nicht, aber wer weiß, welche langfristigen Wirkungen sich in dieser Platte verbergen. Und Todd? Willkommen in der QUEENSRŸCHE-Familie
Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]
Tja, Marcel, damit hast du schon einige wesentliche Punkte erwähnt, würde ich sagen. Was mich an dieser Scheibe außerdem bewegt und berührt, ist die Tatsache, dass sich die Band nun wieder mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in metallisches Fahrwasser begibt, die ich seit "Hear In The Now Frontier" nicht mehr für möglich gehalten hätte. Ganz egal, ob man dies nun auf Geoff Tate schieben oder es doch der ganzen Band anlasten möchte, in den letzten fünfzehn Jahren war einfach nicht mehr damit zu rechnen, dass QUEENSRŸCHE nochmals als lupenreine Progressive-Metal-Band durchgehen könnte. Mit der neuen Scheibe steht die Band wieder in der Tradition von Alben wie "Rage For Order" und "Empire", und sie steht in der Tradition des unverfälschten Prog Metals, der keine Alternative-, Country- oder Indie-Einflüsse braucht, um spannend und innovativ zu sein. Man hat endlich nicht mehr das Gefühl, als hätte man es mit einer Band zu tun, die aus irgendwelchen nicht nachvollziehbaren Gründen nicht mehr unter Metal gefasst werden will. In einem Forenbeitrag las ich außerdem die Aussage, dass dieses selbstbetitelte Album wie eine moderne Version des Frühwerks der Band klinge, und zwar nicht aus heutiger Sicht modern, sondern so, wie man sich in den Achtzigern vielleicht eine zukünftige Entwicklung gewünscht und erhofft hätte. Damit halte ich das Gefühl, welches die Scheibe vermittelt, für sehr treffend eingefangen. Für mich bleibt somit ein großartiges Statement und eine sehr willkommene Rückkehr zu bestechender Form.
Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]
Zugegeben: Ich bin mit dem Schaffen QUEENSRŸCHEs nicht vertraut. Ja, ich besitze sogar kein einziges Album der Amerikaner. Ich weiß wohl, dass die frühen Werke zu wichtigen Momenten der Metalgeschichte zählen, bisher wurde ich aber mit keiner QUEENSRŸCHE-Version richtig überzeugt. Ich höre "Queensrÿche" also gänzlich unvoreingenommen und ohne Erwartungen. Und so richtig begeistert bin ich auch diesmal nicht.
Lupenreinen, innovativen und interessanten Progressive Metal, wie es Kollege Rüdiger beschreibt, höre ich nicht. QUEENSRŸCHE spielt hier soliden melodischen Metal, der mit eingängigen Refrains ('Spore'!), gefühlvollen Leads und abwechslungsreichen Arrangements daher kommt. Progressiv ist das aber nicht, etwas verspielt allenfalls, okay. Auf Albumlänge verliert "Queensrÿche" zudem an Spannung, die erste Hälfte lässt mich deutlich länger hinhören. Mitreißen kann mich QUEENSRŸCHE also immer noch nicht wirklich, ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben.
Note: 6,5/10
[Jakob Ehmke]
Ach Jakobus, anscheinend müssen wir hier mal ein Stück Geschichte nachholen. Das, was die ganzen "neuen" Bands unter Progressive Metal verstehen, muss ja irgendwo seine Wurzeln haben. Und die liegen nunmal im technisch versierten US Metal, wie man ihn aus QUEENSRŸCHEs Anfangszeiten kennt. Das funktionierte ein paar Jahre lang hervorragend, zuletzt versank die Band leider etwas im Mittelmaß. Doch was es mit dem selbst betitelten Langdreher zu hören gibt, schließt nahtlos an die frühen Tage an. Wäre die Produktion nicht so zeitgemäß, könnte man einige Passagen auch als verlorene Studio-Takes oder unveröffentlichte B-Seiten der Meisterwerke deklarieren. Witzigerweise beschreibst du in deinem Beitrag genau die Trademarks, für die "echter" Progressive Metal steht. Und im Gegensatz zu vielen modernen Kapellen singt hier auch noch jemand, der die Berufsbezeichnung "Sänger" zu recht tragen darf. Nach dem genialen Gig auf dem Rock Hard Festival war es schon eine überaus positive Überraschung, dass Todd LaTorre auf der Konserve genau so gut zu diesem back-to-the-roots-Sound des einzig wahren QUEENSRŸCHE-Albums in diesem Jahr passt. Besser kann man sich mit seinen Fans nicht versöhnen, die das große Affentheater durchstehen und eine ziemlich schnöde Platte des einstigen Sangesgottes im Prog Metal ertragen mussten. Vielleicht hörst du mal in "Empire" oder "The Warning" hinein, dann wird es schon noch was mit dir und QUEENSRŸCHE. Die anderen Redaktionsmitglieder haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Note: 8,5/10
[Nils Macher]
Nein, Nils, ich kann nachvollziehen, dass ihr euch so sehr wünscht, dass die Scheibe an alte Großtaten anschließt, aber das tut sie nicht. Dabei stimme ich euch zu, dass sie ein Schritt in die richtige Richtung ist, aber wir wollen die Kirche mal im Dorf lassen. Konsens ist, dass La Torre seinen Job gut macht. Aber musikalisch fehlt der 80er-Jahre-Esprit fast durchgängig, man muss schon ziemlich dicke rosarote Brillengläser haben, um nicht zu merken, dass die lahmarschige Kompositionsweise der letzten zwei Dekaden immer noch viel zu häufig durchscheint. Auf dem Album gibt es weder ein 'Best I Can' noch ein 'Dream In Infrared', von 'Suite Sister Mary' oder 'Roads To Madness' ganz zu schweigen. Ich würde mal sagen, die Highlights könnten entfernt an 'London', 'Jet City Woman' und ' Child Of Fire' heranreichen. Kann also keine wirkliche Großtat sein, und deshalb hat Jakob vollkommen recht, wenn er "Queensrÿche" als solide bezeichnet. Mehr vermag ich auch nicht zu hören, daher ordnen wir es doch mal passend ein: Das sechstbeste QUEENSRŸCHE-Album, eine Haaresbreite vor "Tribe". Einige starke Lieder und eine gehörige Portion Sättigungsbelage. Kann man kaufen. Und das wiederum ist mehr, als ich fünf anderen Scheiben der selbstdemontierten Legende attestieren würde. An dieser Stelle bin ich dann wieder bei euch Euphorikern, nur muss ich dringend die Erwartungshaltung an die Scheibe reduzieren.
Note: 7,0/10
[Frank Jaeger]
Lieber Frank, wir zwei Pastorentöchter sind ja ziemlich oft einer Meinung, aber hier verstehe ich Dich gerade nicht. Es ist doch gleich das Eröffnungsduo aus 'Where Dreams Go To Die' und 'Spore', das so fantastisch an die grandiosesten Momente von QUEENSRŸCHE anknüpft, dass Fans der ersten Stunde Pipi inne Augen kriegen. 'A World Without' hätte aus meiner Sicht auch auf "Empire" stehen können. Und was ist mit einer Nummer wie 'Redemption', die mich daran erinnert, wie sehr ich mir auch neue Platten von LETHAL und HEIR APPARENT wünsche? Immerhin einig sind wir uns ja wohl alle darin, dass diese Band erstens die bestmögliche Sängerwahl getroffen und zweitens das Rumgegurke ihres Ex-Fronters gleich mit dem ersten Riff zerschmettert hat. Der Name QUEENSRŸCHE stand schon immer für eine leisere, subtilere und elegantere Form der Progressivität als man sie heute überwiegend findet. Das kann man wie Jakob auch als solide bezeichnen. Ich alter Sack dagegen finde es ganz wunderbar, mal wieder ein Metal-Album zu hören, das diese charismatische melodische Ästhetik aufweist, die im Seattle der Neunzehnhundertachtziger geprägt wurde, bevor der Grunge die Stadt eroberte. Leider Gottes gibt es auf "Queensrÿche" aber auch ein paar Songs, die qualitativ etwas abfallen, so dass sich das aktuelle Werk nicht zu 100% mit den Klassikern der frühen Bandgeschichte messen kann. Ich freue mich dennoch wie ein Schneekönig über diese Platte, denn sie lebt, sie atmet, sie versprüht zugleich Charme und Funken, und stellt damit trotz vereinzelter kompositorischer Schwächen eine beeindruckende Wiederauferstehung da.
Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]
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- Redakteur:
- Thomas Becker