Gruppentherapie: SAVAGE GRACE - "Sign Of The Cross"

18.05.2023 | 15:13

Wiederauferstehung oder Kreuzigung?

Für manche ist es ein Wiederhören nach langer Zeit, für manche der Erstkontakt. Lest hier die Meinungen zum neuen Album alter Helden aus den Achtzigern.

Hatte ich Marcel im Rahmen der ANGUS MCSIX-GT noch bescheinigt, dass er vollkommen Recht hat, so kann ich jetzt seine Alterisierung der neuen SAVAGE GRACE kaum nachvollziehen [zum Review].

Ich befürchte, hier braucht man zum einen ein US-Speed-Metal-Diplom um die zeit- und produktionsbereinigten Unterschiede zwischen "Sign Of The Cross" und "Master Of Disguise" zu hören und zum anderen eine Wagenladung Nerdistan um an den genannten 80er-Jahre-"Klassikern" seinen Spaß zu haben. Ich kannte diese Band bis jetzt noch gar nicht und ein ganz emotionsloser Hördurchlauf der aktuellen Scheibe, sowie den auf den Streamingplattformen verfügbaren Frühwerken, lässt mich nur mit den Achseln zucken. Das war und ist durch die Bank purer Durchschnitt mit einer damals unterirdischen Produktion und einem Klangbild, das mich fast schon aggressiv werden lässt. Ist das die Intention? Ich hab das Gefühl, als ob mich dieser US-Cop aufgrund der Tatsache, dass ich Unsummen in meine Hifi-Ausstattung investiert habe, auslacht. Mieser Typ! Wenigstens diesen Vorwurf muss sich "Sign Of The Cross" nicht mehr gefallen lassen. Der Sound klingt für diese Art der Musik angemessen und zeitgemäß ohne zu begeistern. Die Songs sind allerdings immer noch auf einem ähnlich ausbaufähigen Niveau wie vor über 37 Jahren. Für mich reicht 'Barbarians At The Gates' vollkommen aus (der macht aber tatsächlich Spaß) und mein Hunger nach solchen Songs ist gesättigt, zumal auch sonst nicht mehr soviel passiert, dass es 7 Punkte rechtfertigen würde. SAVAGE GRACE bestätigt wieder einmal, warum eine solche Ausprägung von Metal in meiner Musiksammlung keine Rolle spielt. Nur für US-Metal-Nerds - aber auch dort scheint ja irgendwas nicht zu passen, siehe Marcel.

Note: 6,5/10
[Stefan Rosenthal]

Da kommt nach 36 Jahren eine neue SAVAGE GRACE über den Teich gepaddelt, und hätten nicht alle Beteiligten einen Stein im Brett, dann müsste man sich über alle miteinander ärgern. Über die Band, über den Designer des Artworks, und über die Kollegen, deren schneidige Worte wüste Wunden reißen könnten. Wo Marcel in der Hauptrezension trotz solider Wertung ausführt, dass das neue Werk den Klassikern nicht gerecht würde und daher besser unter anderem Namen erschienen wäre, da kommt der gute Stefan gar mit der äußerst steilen These um die Ecke, dass schon das Frühwerk von Chris Logue & Co. nicht wirklich der Rede wert gewesen sei. Ja, da sitze ich nun, umgeben von Kritikastern und Häretikern, und höre zum einen "Master Of Disguise" und "After The Fall From Grace", und zum anderen "Sign Of The Cross", hin und her, rauf und runter, und am Ende haben sowohl Marcel als auch Stefan gleichermaßen recht und unrecht.

Wo Marcel zwar den hohen Status des Frühwerks goldrichtig bewertet, da kann ich ihm bei der Forderung nach einer Umbenennung nicht so recht folgen, denn SAVAGE GRACE war am Ende immer schon Chris Logues Baby und hat eben das gemacht, was er für richtig hält. Den Trademark-Sound für diese Band gab es daher nie, beziehungsweise nie lange, und daher klingt das von Mike Smyth eingesungene Debütalbum auch anders als die voran gegangene "Dominatress"-EP, bei der noch OMENs Kenny Powell mitwirkte und John Birk das Mikro schwang. Der von Chris Logue selbst eingesungene Zweitling klingt wiederum anders als das Debüt, und schon auf den Demos aus den späten Achtzigern und frühen Neunzigern wurde klar, dass Chris Logue sich vom klassischen US-Power-Metal mit Speed-Schlagseite rasch hin in Richtung einer glamouröseren und poppigeren Sunset-Strip-Hardrock-Note entwickelte. Da nimmt es einen kaum Wunder, dass das Comeback, wenn auch mit epochaler Verzögerung, nach etlichen Wirrungen zwischendurch und mehrfacher Einfuhr von "Painkiller" dort wieder aufnimmt, wo Chris dereinst den Ball hat fallen lassen.

Stefan indes hat damit recht, dass die Primärzielgruppe dieses Werkes im Wesentlichen aus US-Metal-Nerds bestehen dürfte, die dann ob der Veränderungen zu früher und des Geweses des Bandleaders auch wieder Haare in der Suppe zu Hauf finden mögen. Das ist aber noch lange kein Grund, den Klassikerstatus der Achtziger-Werke zu negieren. Brechen wir das Ganze am Ende auf die Musik des aktuellen Rundlings herunter, dann finde ich persönlich auf "Sign Of The Cross" durchaus etliche Spuren speziell von "After The Fall From Grace", aber auch von den "New York Tapes", und weitere Einflüsse wie etwa JUDAS PRIEST Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger ("Turbo", "Ram It Down" und "Painkiller"), sowie ein wenig Melodic Metal und 80er-Hair-Metal ('Rendezvous', 'Stealin' My Heart Away'). Qualität schuldig bleibt die Band vor allem im Bereich der doch recht ballerigen, zu lauten und hier und da übersteuerten Produktion und vor allem bezüglich des in jeglicher Hinsicht quatschigen Artworks. Die Songs jedoch bleiben weitestgehend recht flott im Öhrchen, und haben ihren Charme, so dass ich am Ende von einem doch noch recht guten Album sprechen mag, das sicherlich den Weg in meine Sammlung finden wird. Das ist deutlich mehr als ich von Exzentriker Chris Logue & Co. erwartet hatte.

Note: 8,0/10
[Rüdiger Stehle]

SAVAGE GRACE! Einst ein Bandname, bei dem mir das Wasser im Munde zusammenlief, da die ersten drei Veröffentlichungen alle fantastische, damals wegbereitende Musik bieten konnten und das Konzert zusammen mit den ebenso grandiosen HEIR APPARENT zählt ebenso zu den unvergessenen Liveglanzstunden der 80er. Daher grenzt es für mich schon beinahe an Ketzerei, wenn Stefan hier die Klasse eben jener Alben in Frage stellt. Muss man nicht mögen, aber "Master Of Disguise" und "After The Fall From Grace" sind zwei der wenigen Alben, die ich sehr eindeutig zum Speed Metal zähle, auch wenn Onkel Logue das damals schon selbst falsch verschubladet hat, da auf seinen Shirts immer "Thrash With Class" stand. Eine Band voller Miss Verständnisse, wie auch spätere Begebenheiten aus dem bizarren Leben des Sängers, Gitarristen und Bandleaders belegen. Somit hat die Band – neben AGENT STEEL – einen sehr eigenständigen Stil erschaffen, den sie später selbst mit der "Ride Into The Night"-EP zerstört hat. Nun schreibt Rüdiger zwar völlig berechtigt, dass schon immer Chris Logue die Marschrichtung der Band bestimmt hat und dass die Demos aus den 90ern bereits deutlich anders klangen als die beiden Klassiker. Das ist natürlich korrekt. Aber: Wer so vollmundig sein neues Album als "neue Dimension im Heavy Metal" ankündigt und es mit den grandiosen Spät-70er-JUDAS PRIEST-Klassikern auf eine Stufe stellt, der darf sich auch gefallen lassen, dass man das Material daran misst. Und wenn man diesen Vergleich anstellt, muss man gar nicht das bei mir leider automatisch angehende Kopfkino abspielen um zu festzustellen, dass neben einigen wirklich gelungenen Nummern auch ebenso viele Müffelnummern auf "Sign Of The Cross" zu finden sind. Startet man nämlich mit dem sehr flinken 'Barbarians At The Gate' noch mehr als vielversprechend, setzt man mit dem ebenso flinken, aber deutlich platteren 'Automoton' auch noch respektabel nach und toppt man dann mit dem wirklich erstklassigen Titelsong die Chose bis dahin sogar noch, beginnt danach der qualitative Sturzflug. Während 'Rendezvous' noch als mittelmäßiger Ausflug ins zuckersüße Melodic-Metal-Töpfchen durchgeht, ist das sleazige 'Stealin My Heart Away' einfach nur grauenvoll. Hier nervt mich der gepresste Schrillgesang, der bei den rasanten Albumstartern noch für zwei nach oben zeigende Daumen gesorgt hat, hier fällt das strunzlangweilige Riffing besonders deutlich auf und dieser Chorus ist einfach schlimm. Beim Songtitel 'Slave Of Desire' schaltet mein weiter oben erwähntes Kopfkino intuitiv weiter. Eigentlich ein ganz netter Uptempo-Banger, aber die Gleichförmigkeit ist schon erschreckend. Ohne den tollen Gesang wäre das schlimm. So stelle ich mir in meiner naiven Old-School-Welt einen komplett per Computer vorprogrammierten Song vor. Da hilft dann auch ein Mitsing-Part wenig, bei welchem zu jedem "Oh!" einmal auf Becken getippelt wird. Schreibmaschinen-Speed-Metal. 'Land Beyond These Walls' ist dann nochmal ziemlich gut, wobei ich beim gesprochenen Intro rein inhaltlich mehr als einmal mit den Augenbrauen zucke. Das bereits vorab erschienene 'Star Crossed Lovers' ist dann wieder so ein JUDAS PRIEST-Song, der ganz nett klingt. 'Branded' stampft dann stoisch vor sich hin und das nur als Bonus deklarierte 'Helsinki Nights' ist für mich dann komplett überflüssig.

Bleiben unterm Strich zwei sehr gute Nummern, zwei nette Stücke und sechs mehr oder weniger überflüssige Kompositionen. Ich lege jetzt "Killing Machine" auf, ein Album, auf welches sich Chris Logue ja bezieht. Da funktioniert die hier angestrebte Mischung nämlich ganz wunderbar. Obendrein klingt dieses über 40 Jahre alte Werk auch deutlich besser.

Note: 5,0/10
[Holger Andrae]

 

Herrje, wenn Holger schon vom neuen SAVAGE GRACE-Langdreher enttäuscht ist, wie soll ich mir den Silberling denn dann schönhören, wenn ich doch generell nur in sehr begrenztem Maße ein offenes Ohr für kauzigen US-Metal habe? Doch überraschenderweise finde ich "Sign Of The Cross" musikalisch gar nicht mal verkehrt. Klar, wirkliche Begeisterungsstürme kommen angesichts des doch etwas vorhersehbaren Songaufbaus nicht auf, doch wirklich viel zu meckern habe ich am generellen Songmaterial nicht. Im Gegenteil, 'Barbarians At The Gate' lässt mich sogar kurz wirklich aufhorchen und auf ein gutes Album hoffen. Diese Hoffnung hält aber nur so lange, bis das reichlich schiefe und verhackstückelte Gitarrensolo selbige im Keim erstickt. Und nicht nur die Lead-Gitarren lassen oftmals sehr zu wünschen übrig, auch der Gesang dürfte ab und an durchaus etwas näher am korrekten Ton sein. Zu allem Überfluss ist die Gitarre, die auch nach dem Solo munter weiter schief über alles hinweg soliert, auch noch so penetrant in den Vordergrund gemischt, dass man sie nicht einmal ignorieren kann. Schlimmer wird es sogar noch, wenn sich Gesang und Gitarre in 'Slave Of Desire' an einem MAIDEN-Lead versuchen und dabei kläglich scheitern. Ganz so schlimm ist zwar lange nicht jeder Track auf "Sign Of The Cross", wirkliche Höhepunkte suche ich aber auch vergebens. Im Gegenteil, wenn ich die Scheibe so für diese Gruppentherapie noch einmal höre, war ich im Soundcheck mit 6,5 Punkten sogar etwas zu gnädig. Mit etwas mehr Abstand würde ich die Wertung vielleicht sogar noch nach unten korrigieren, halte aber der Konsistenz zuliebe zähneknirschend an meiner Note fest.

Note: 6,5/10
[Tobias Dahs]

Nun, ich bin momentan etwas raus aus "neuer" Musik und nutze meine Hörzeit fast exklusiv für die (Wieder-)Entdeckung alter Musik aus den Siebzigern und Achtzigern. Gerade die alten, frühen Metalklassiker haben es mir momentan angetan. Zu SAVAGE GRACE bin ich aber bislang noch nicht gekommen. Klar, der Name ist schon irgendwie geläufig, bei der Musik war ich immer ein wenig skeptisch. Noch skeptischer bin ich, wenn solch alte Barden nach Jahrzehnten wieder auftauchen und den Metal - wie Holger schon erwähnt hat - aufdimensionieren wollen.

Na dann mal ran an den Speck. Wie einige meiner Vorhörer vergleiche ich auch Altes mit Neuem und versuche, mir ein Gesamtbild der Band zu machen. Tja, wie so oft mit alten Scheiben, die vor allem von einer kleineren Gruppe Undergroundler verehrt werden, wird mir nicht so ganz klar, warum diese das tun. Hier bin ich also nahe an unserem ersten Beitrag von Kollege Rosenthal. Ganz so verkehrt finde ich "Master Of Disguise" zwar nicht, aber ich bekomme auch nicht das Gefühl, vierzig Jahre lang etwas Essentielles im Heavy Metal verpasst zu haben, dafür klingen die Songs zu ähnlich und das Instrumentarium zu holprig. Ne heilige Kuh muss ich also schon mal nicht schlachten.

Das neuere Material klingt dann schon abwechslungsreicher, wobei ich im Gegensatz zu Marcel in seiner Hauptrezension schon höre, dass es sich um dieselbe Band handelt; oder um korrekter zu sein, die Musik aus dem selben Hirn stammt. Umbenennung abgelehnt. Ansonsten schließe ich mich dem Grundtenor dieser Therapie weitestgehend an. Was ich auf "Sign Of The Cross" höre, ist grundsolider Heavy Metal, gut hörbar, aber ohne großes Alleinstellungsmerkmal. Ausgerechnet bei 'Stealing My Heart Away' werde ich das erste Mal hellhörig, weil mal was hängen bleibt. Lustig, dass genau dieser Song unserem Holger das Grauen lehrt. Einig sind wir uns aber bei 'Slave Of Desire': Hey Holger, die AI ist heutzutage deutlich weiter in Kompositionskunst als deine alte Schreibmaschine. Wenn man dann bedenkt, dass man gegen Ende hin nachschauen muss, wie lang das Album denn noch läuft, wird schnell klar: "Sign Of The Cross" ist ziemlicher Durchschnitt. Somit ist mein Fazit vom Hörgefühl her nahe an Tobias' und Stefans Einschätzung, und weniger bei Holger, der um eine alte Legende trauert, oder Rüdiger, der auch bei neuen Taten seiner alten Helden meist immer noch viel Positives rausziehen kann. Für mich bleibt SAVAGE GRACE - alt wie neu - eine Randnotiz.

Note: 6,0/10
[Thomas Becker]

Promofotos von Arianna La Rocca

Redakteur:
Thomas Becker

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