Gruppentherapie: SODOM - "Genesis XIX"
20.12.2020 | 21:08Das SODOM-Herz und wie es schlägt.
Diese Füchse. Nein, "Genesis XIX" ist nicht SODOMs neunzehntes Studioalbum, es ist das sechzehnte. Und Tom Angelripper spricht über all diese Musik in unserer vierten Podcast-Folge. SODOM ist allerdings nicht jedermanns Ding und so wird "Genesis XIX" auch nur Zehnter im November-Soundcheck mit einer Notenstreuung von sechs bis neun Punkten. Wie immer versuchen wir dies auch in unserer Gruppentherapie abzubilden. Viel Spaß!
Ich hatte ja schon damals als Schüler, als viele meiner Kameraden auf den Metalzug aufgesprungen sind, eine große Chance, SODOM-Fan zu werden. Da war nämlich ein sehr guter Freud, zu dem ich immer respektvoll aufgeblickt habe. Er konnte einfach alles was damals wichtig war besser als ich, sei es in den interessanten Fächern, sei es bei den Hobbys, sei es bei den Frauen, vor allem aber beim Gitarre spielen. Seine Musiktipps hatten somit natürlich immer meine Aufmerksamkeit. Doch das mit diesen komischen SODOM hat für mich einfach nicht funktioniert. Mir wurde nicht klar, warum SODOM das Geilste, Beste, Tollste sein sollte, was er je auf die Ohren bekommen hat. Bis heute nicht.
Doch an genau diese Situation muss ich nun denken, denn jetzt, mindestens 30 Jahre später habe ich beim SODOM-Hören genau dasselbe Gefühl. Es läuft 'Sodom & Gomorrah' und das ist genau dieselbe Art, die damals auch spielte. Uptempo, Schraddel, Schredder, dazu atonaler, kehliger Gesang, so gut wie keine Melodien, und keine Änderung in Sicht, außer vielleicht im Tempo. Gut, es klingt heute natürlich professioneller, produzierter, ein wenig geschliffener, aber im Grunde ist es derselbe Schmäh. Krass irgendwie. Die haben sich in dreißig Jahren nicht von der Stelle bewegt. Klar, dann macht es Sinn, wenn Marcel fragt, ob das SODOM-Herz mehr wollen könne. Tja, wohl nicht, oder? Ich frage mich nur, ob ich das nicht sogar ein wenig traurig finden sollte. Sowohl für die Fans als auch für die Band. Vielleicht hat ja ein Mittherapeut darauf eine Antwort?
Note: 5,5/10
[Thomas Becker]
Thrash Metal hat mich, trotz durchaus vorhandener Grundsympathie, nie wirklich gepackt. Beim Hören klingt das meist alles gut, aber kaum ist ein Lied zu Ende, ist es auch schon aus dem Kopf. Auf Konzerten mag das unproblematisch sein, aber auf Konserve verhindert dieser Umstand ein tieferes Eintauchen in diese Musikrichtung. Das gilt insbesondere auch für SODOM, hier kann ich mich dem Kollegen Thomas anschließen. Die Faszination für diese Band konnte auch ich nie ganz nachvollziehen. Trotzdem mag ich "Genesis XIX" irgendwie: den fetten Sound, die schneidenden Riffs, den tollen Gesang, den walzenden Groove (bei 'Sodom & Gomorrah' etwa) und tatsächlich finde ich das Album auch einigermaßen abwechslungsreich. Klar, es gibt gewisse Längen, aber für ein Thrashalbum halten die sich doch arg in Grenzen.
Einzig 'Nicht mehr mein Land' funktioniert für mich nicht, weil ich dabei unweigerlich an Bands aus Frankfurt und Brixen denken muss [Anm.: Es sind die BÖHSEN ONKELZ und FREIWILD gemeint - T.B.]. Ich vermute stark, dass Tom so platt nicht drauf ist, aber es klingt in meinen Ohren halt einfach nicht gut. Alle anderen Kompositionen machen hingegen Spaß und stecken die letzten Alben von KREATOR oder gar TANKARD mit Leichtigkeit in die Tasche. Es bleibt am Ende jedoch die alte Erkenntnis: Nach dem Hören, bei dem ich gut unterhalten wurde, bleibt wenig im Sinn.
Note: 7,5/10
[Jakob Schnapp]
Back to the SODOM-Roots soll es also gehen mit "Genesis XIX". Tom hat die ganze Mannschaft ausgetauscht, es gab ernsthafte Diskussionen, die Ex-Musiker sind bereits mit neuem Material am Start. Ich fragte mich schon was kommt, denn ich muss ehrlich sein: So stark wie auf "Decision Day" fand ich SODOM eigentlich noch nie. Die Rumpeltage sind lange vorbei, aber technisch und melodisch blieb die Band DESTRUCTION und KREATOR quasi immer unterlegen - aber mit dem letzten Album hatte sie auch die perfekte Mischung aus Härte und Ohrwürmern gefunden. Wie das jetzt mit der neuen Mannschaft aussieht?
Nach bisheriger auditiver Betrachtung würde ich sagen: "Genesis XIX" ist ein gutes, aber kein sehr gutes SODOM-Album geworden. Wirklich mies war die Truppe ja nie, aber ein paar durchschnittlichere Alben haben sich im Bandkontext schon gefunden. Die meisten davon kann "Genesis XIX" hinter sich lassen. An die großen Ohrwurm-Brecher wie "Sodom" oder vor allem "Decision Day" kommt das neue Werk aber nicht ganz heran, da die absolut zwingenden Hits fehlen. Trotzdem stimmt natürlich, was Jakob sagt - der Sound ist super, die Riffs sitzen, der Gesang ist wie immer in den letzten Jahren großartig (sogar beim unpeinlichen deutschsprachigen Song 'Nicht mehr mein Land'). Eine Wurzelrückkehr höre ich nicht, und das ist auch gut so. Die moderne Variante von SODOM steckt das Achtziger-Material locker in die Tasche. Aber das ganze hohe Niveau, das die Band nach KREATOR zur für mich wohl interessantesten deutschen Thrash-Band machte, wird halt nicht ganz erreicht.
Note: 8/10
[Jonathan Walzer]
Nachdem Kollege Marcel die neue SODOM in seiner Einzelrezension doch recht treffend verarztet hat, muss ich bei den Kollegen Therapeuten an dieser Stelle bei der einen oder anderen Anmerkung schon ein wenig zusammen zucken, speziell wenn der Band um Ruhrpott-Veteran Tom Angelripper wahlweise attestiert wird, seit 1985 auf der Stelle zu treten, keine markanten Hooks zu setzen oder quasi immer hinter den einheimischen Kollegen zu landen. Das ist schon deftig, die Herren, und aus meiner Sicht trifft das halt auch einfach nicht zu. Gerade in unserem kürzlich veröffentlichten Podcast, bei dem wir Tom Angelripper zu Gast hatten, wurde doch recht schön heraus gearbeitet, wie unterschiedlich die einzelnen Alben der SODOM-Geschichte sind, und da macht nach meinem Dafürhalten auch "Genesis XIX" keine Ausnahme, denn es nimmt einfach eine andere Ausfahrt als seine drei Vorgängeralben. Ob das wirklich die vielbeschworene Rückkehr zu den Wurzeln oder zur "Agent Orange"-Ära ist, die Marcel ausgemacht hat? Nun, den Eindruck habe ich gar nicht mal so sehr. Vielmehr finde ich, dass SODOM hier sicherlich immer mal wieder die eigene Frühphase bis in die späten Achtziger zitiert, speziell beim absolut markanten Opener 'Sodom & Gomorrah' - mit Sicherheit der Songtitel, auf den jeder gewartet hat - aber auch ganz andere Elemente aufbietet, die so weder erwartbar waren noch zwingend auf eine frühere Phase der Truppe aus Gelsenkirchen verweisen. So hat beispielsweise 'Glock'n'Roll' eine zünftige Black-Metal-Kante abbekommen, 'Euthanasia' ist ordentlich punkig geraten, und beim grandiosen 'The Harpooneer' ist die Band phasenweise so doomig unterwegs wie niemals zuvor. Überzeugend außerdem der zwar nicht perfekte, aber bei aller Härte zum Glück ohne die Sterilität manch artverwandter Thrash-Veteranen auskommende Sound, der naturgemäß auch Angelrippers Bass eine prägnante Rolle spielen lässt, zudem der im Vergleich zu einigen Alben der letzten fünfzehn Jahre deutlich weniger präsente SLAYER-Einfluss und das abwechslungsreiche Songwriting.
War noch was? Ach ja, der deutschsprachige Song. Wie man da den Bogen nach Frankfurt und Brixen schlagen kann, leuchtet mir nicht so recht ein. SODOM hat solche Songs schon seit 1987 im Programm und wie stets, so passt das Stück auch dieses Mal ins Konzept. Für mich lässt "Genesis XIX" also keinerlei Wünsche offen, es kommt erdig und geerdet herüber, es besinnt sich klar der Stärken der Band, es lässt sehr viel Individualität im Stil und Abwechslungsreichtum im Songwriting zu, und es hat durchaus den einen oder anderen Volltreffer im Gepäck, den ich gerne live hören würde.
Note: 9/10
[Rüdiger Stehle]
- Redakteur:
- Thomas Becker