Gruppentherapie: THEM - "Psychedelic Enigma"

05.11.2025 | 21:38

Nicht viele Alben passen so gut zu dieser Jahreszeit wie "Psychedelic Enigma".

Dass der zweite Platz im Oktober-Soundcheck an die Jungs von THEM geht, dürfte bei all den weiteren Kandidaten um die Treppchen-Plätze doch überraschen. Doch bei genauerer Betrachtung bietet "Psychedelic Enigma" hervorragendes Ohrenfutter, um sich in eine entsprechende Stimmung rund um Halloween zu versetzen. Wer mehr über vertonte Horrorstory lesen möchte, dem empfehle ich das Interview des Kollegen Maik mit Markus Ullrich. Musikalisch attestiert Kollege Björn der Band hierbei ein "vollständig gereiftes" sowie "mitreißendes und unterhaltsames" Album. Nun lassen wir noch die Redaktionshorde auf die neue THEM-Scheibe losstürmen...

Der Bandname sorgt natürlich wieder für Verwirrung, schließlich gibt es haufenweise Bands unter diesem Banner. Die berühmteste Gruppe mit diesem Namen wurde 1964 in Belfast gegründet und öffnete die Türen für die Karriere von Van Morrison. Aber genug abgeschweift. Hier haben wir es mit einer multinationalen Thrash-Combo zu tun, die mit ihrem Horror-Ambiente natürlich perfekt zur Kürbissaison passt.

Nach dem Intro geht es mit 'Catatonia' sehr stark los. Der Track fesselt mich auch nach diversen Durchläufen noch wie zu Beginn. Ein sehr geniales Eingangsriff läutet eine vielseitige Abrissbirne ein, die ich nicht so schnell aus dem Kreuz bekomme. Das Album schwingt sich insgesamt auf einem starken Niveau durch.

Und auch wenn es im Mittelteil ein paar weniger spektakuläre Tracks gibt, bleibt die Erkenntnis, dass sich THEM aktuell jedenfalls nicht hinter dem Thrash-Giganten aus der Bay Area (ebenfalls mit einem T als Anfangsbuchstaben) zu verstecken braucht. Ganz im Gegenteil, für mich ist "Psychedelic Enigma" das beste Thrashalbum des Oktober-Soundchecks. Festmachen möchte ich das an dem über acht Minuten langen Epos 'Troubled Minds', welches das typische Bandmerkmal toll hervorhebt, nämlich diese geschickte Verknüpfung von powervollem Thrash und harmonischen Prog-Metal-Einschüben.

Note: 8,0/10
[Frank Wilkens]

 

Album Nummer Fünf dieser international agierenden Techno-Thrasher. Wie Björn in seinem famosen Hauptreview schon völlig richtig feststellt, ist man aus den Haus-Schlappen von KING DIAMOND herausgeschlüpft und musiziert nun völlig frei von der Leber mit hektischen Takttsunamis, ähnlich den gleichgesinnten Vertretern wie zum Beispiel MEKONG DELTA. Dabei wirft man dem Zuhörer aber in jeder Nummer riesengroße Ankerhaken zu, die sich unwillkürlich und nachhaltig im Ohr festkrallen. Das Ergebnis sind wundervolle Hooklines, die von wieselflinken Rhythmen umgarnt werden. Der manchmal an Richard W. Elliott IV erinnernde Gesang sahnehaubiert diese Himbeerschnittchen mit Eigenständigkeit und einem grandiosen Gespür für die notwendigen Leitfäden innerhalb dieser hornissenartigen Riffattacken. Wer jetzt einen Widerspruch in der Nennung eines Vergleichssängers und dem Begriff Eigenständigkeit sieht, den frage ich, ob er überhaupt weiß, wen ich da herangezogen habe? Danke!

Wissende haben natürlich "Ignorance Of Man" der Florida-Helden BLACKKOUT im Regal stehen, alle anderen holen dies jetzt bitte schnell nach. Gern geschehen. Aber zurück zu THEM. Vor allem die wundervoll melodischen Gitarren-Soli verankern, neben den bereits erwähnten Gesangspassagen, die Songs im Bewusstsein des Hörers, sodass ich 'Reverie' zum Beispiel beim ersten Durchlauf gleich mehrfach in Folge hören musste. Aber das ist nur der erste von etlichen Ohrwürmern. 'Psychonautic State' wäre dann chronologisch der nächste Ohrenflauscher bis dann am Ende die epische Plüschkeule ausgepackt wird und man in 22 Minuten drei lange Überflieger raushaut, die mich immer wieder erneut fesseln. Ganz großes Ohrenkino!

Note: 9,0/10
[Holger Andrae]

Ja, Franky, da hast du nicht ganz unrecht. Wie kommt man im Zeitalter des Internets auf die Idee, seine Band einfach nur THEM zu nennen? Besonders dann, wenn man musikalisch so viel Wert auf ausgefeiltes Storytelling legt, wirkt diese Namenswahl erstaunlich inspirationsarm. Aber gut – Schwamm drüber. Denn was die Jungs auf "Psychedelic Enigma" veranstalten, liest sich zunächst einmal äußerst spannend. Ich habe ohnehin ein Herz für Konzeptalben, und als bekennender Horrorfilm-Fan war mein Interesse sofort geweckt. Vor allem, weil die Band zwar deutlich eine KING DIAMOND–Atmosphäre heraufbeschwört, diese aber um viele eigene, spannende Elemente erweitert. Ich höre dabei sogar eine gute Portion WITHERFALL heraus. Geht es noch jemandem so? Gleichzeitig verzichtet THEM auf das oftmals nervige Falsett-Gekreische und schafft damit eine angenehm düstere, aber ernsthafte Grundstimmung.

Der Albumfluss folgt zwar einem klaren Schema, gewinnt aber durch einen cleveren dramaturgischen Aufbau. Zunächst wird der Hörer mit eingängigen, leichter verdaulichen Headbangern in die Story hineingezogen, bevor es auf der Reise zunehmend verspielt, verwinkelt und technisch anspruchsvoller wird. Das sorgt für Bindung und Spannung und so kann ich völlig ohne schlechtes Gewissen sagen, dass der erste Durchlauf mir richtig Spaß gemacht hat.

Aber ein Album sollte anders funktionieren als ein Horrorfilm. Einen Film kann ich einmal sehen, abheften und vielleicht in zehn Jahren wieder hervorholen. Musik dagegen sollte mich länger binden. Leider ergeht es mir mit "Psychedelic Enigma" genau wie mit vielen Genrefilmen. Die Begeisterung ist zunächst groß – doch mit jedem weiteren Durchlauf verliere ich das Interesse. Und dieses Album hat es eigentlich nicht verdient, dass man irgendwann nebenbei aufs Handy schaut oder seine Steuererklärung macht.

Während Holger "erneut gefesselt" wird, bleibt es bei mir bei einer einmaligen Faszination. Das ärgert mich, denn Potenzial hat die Platte mehr als genug. Erschwerend kommt hinzu, dass mich das Albumende komplett rausreißt. Das Outro 'Delirium' ist – man muss es so deutlich sagen – völlig überflüssig. Es klingt nicht nur wie eine mäßige John-Sinclair-Hörspielfolge, sondern liefert auch noch einen peinlich überflüssigen Erklärbär-Dialog, als hätte ich das ganze Album bis dahin geistig verpennt. Warum zur Hölle? Zu viel Exposition tötet jede Imagination, und hier ist sie einfach fehl am Platz. Um in der Film-Analogie zu bleiben: Das Outro wirkt wie eine Post-Credit-Szene, die niemand gebraucht hat. Während Streaming-Hörer den Track einfach aus der Playlist werfen können, müssen Vinyl- und CD-Hörer nun halt rechtzeitig aufspringen und das nervt.

Note: 7,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

So begeistert ich THEM als beinharter KING DIAMOND-Fan zu Beginn der Karriere begrüßt hatte, so sehr glaubte ich zuletzt auf "Fear City" doch einige Abnutzungserscheinungen im Sound dieser internationalen Arbeitsgemeinschaft festzustellen. Irgendwie funktionierte das bewährte Rezept, das "Manor Of The Se7en Gables" und "Return To Hemmersmoor" zu feinen metallischen Delikatessen gemacht hatte, nicht mehr so richtig.

Nach einigen Durchläufen der aktuellen Scheibe "Psychedelic Enigma" kann ich dem Kollegen Backes jedoch nur zustimmen, der in der Überschrift seiner Rezension von einem Befreiungsschlag spricht. Und das gilt im wahrsten Sinne des Wortes. Die neuen Songs klingen, als hätte die Band Ballast abgeworfen, ein zu eng gewordenes Korsett gesprengt, sich gehäutet wie eine wachsende Schlange. Die Kompositionen haben eine fast schon fröhliche Frische und bleiben doch zu 100% saft- und kraftvoller Heavy Metal der Extraklasse.

Der Mut zu unkonventionellen Arrangements ist zurück, stellenweise hat das schon etwas von AVANTASIAs Musiktheater, allerdings ohne den Sammet'schen Pomp und Bombast. An manchen Stellen gibt es dann doch, vermutlich aus Überschwang und kreativer Verschwendungssucht, die eine oder andere nicht zu Ende gedachte Idee; Prog-Metal-Instrumentalpassagen liegen den Herren zum Beispiel nicht so. Aber das kann den positiven Gesamteindruck in keiner Weise trüben. THEM ist zurück im Geschäft und legt einige stichhaltige Argumente für den käuflichen Erwerb von "Psychedelic Enigma" vor. Well done, Dudes!

Note: 8,0/10
[Martin van der Laan]

Ich kann Martin sehr gut verstehen: Anfangs war dieser Aha-Moment bei THEM, doch auf "Fear City" verlor die Euphorie an Glanz, obwohl sie auch auf diesem Album zu Beginn vorhanden war. Anders ist das allerdings wieder auf Album Nummer fünf: Diesmal hat sich THEM ein Jährchen mehr Zeit gelassen, um die neueste Horrorshow auf die Menschheit loszulassen und tief in die Psyche derer einzutauchen.

"Psychedelic Enigma" hält - passend zu Halloween - alles bereit, was die ersten drei Alben so herausragend machte. Hier muss ich nicht unbedingt meine Vorredner zitieren, sondern nutze lieber die Zeit, um mit 'Catatonia', 'Remember To Die' und dem sagenhaften 'Troubled Minds' meine sternenklaren Highlights zu nennen sowie die theatralisch hervorragende Gesangsleitung Troy Norrs zu loben. Ich bin komplett im Bann dieses Albums gefangen, macht es doch vom Intro 'Ad Rem' bis zum Outro 'Delirium' etwas mit mir - und das eben zu einer Jahreszeit, die prädestinierter für diese Erfahrung kaum sein könnte. Gut gemacht, Jungs!

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Meine Erinnerung an THEM basiert auf "Sweet Hollow" aus dem Jahre 2016. 'Forever Burns' ist für mich einer der geilsten Metal-Songs der letzten Dekade. Danach habe ich aber den Anschluss verloren und von daher bin ich anfangs etwas verwirrt von den ersten Tönen des neuen Albums. Denn ich erwartete eine hochmelodische KING DIAMOND-Hommage. Doch, und das haben meine Kollegen schon dargelegt, sind die Reminiszenzen an den KING neun Jahre später deutlich reduziert worden, was ich erstmal schade finde.

Doch mit jedem Hören finde ich "Psychedelic Enigma" stärker und widerspreche damit dem Rosenthal'schen Stefan. Die Scheibe ist eben keine Eintagsfliege. Allerdings höre ich das Album auch anders als der Kollege, eher Stück für Stück und nicht im Sinne eines Films. Ich finde das Songwriting teilweise ziemlich komplex und man muss sich hineinfuchsen; ich kann auch gar nicht garantieren, dass mir dies bei jedem Song gelingen wird.

Doch die Band macht das mit den Angelhaken, wie Holg schon erwähnt hat, sehr geschickt. Man möchte gerne zu diesem Album zurückkehren und dieses Verlangen erwecken zu können, ist schon ein großer Schritt. Mehr kann ich bislang noch gar nicht sagen, vielleicht ja zum Jahresabschluss, wenn das Album unterm Weihnachtsbaum liegt.

Note: 8,0/10
[Thomas Becker]

Fotocredits: (c) Band

Redakteur:
Marcel Rapp

Login

Neu registrieren