Gruppentherapie: THE FLOWER KINGS - "Look At You Now"

28.09.2023 | 23:16

Wohlfühloase oder Schlaftablette?

Eine Gruppentherapie zu THE FLOWER KINGS? Wie kommen wir denn dazu? Im September-Soundcheck ist "Look At You Now" nur auf Platz 18. Heavy Metal hören wir auf der Scheibe auch nicht. Dann also wegen des schönen Covers? Oder wegen besonders provozierender Musik? Schließlich reicht die Notenspanne von 5 bis 8 Punkten. Nun, manchmal genügt auch nur, wie Kollege Scheurer erzählt, "schlichte und schöne" Musik. Doch Moment, THE FLOWER KINGS ist doch Prog, oder?

Es gibt sie doch noch, diese Alben, die mich trotz musikalischer Klasse, instrumentaler Erhabenheit und beachtenswerter Songarrangements nahezu kalt lassen. Solch ein Fall ist die neue THE FLOWER KINGS-Scheibe, bei der ich unheimlich lange brauchte, um mich an den analogen 70's-Vibe zu gewöhnen. Man entdeckt sie an jeder Straßenecke, diese Bands, die im Hier und Jetzt musikalisch in der Zeit reisen und die Uhr 50 Jahre zurückdrehen.

Zugegeben, das Artwork ist schlichtweg fantastisch und prädestiniert für eine Vinyl-Auflage. Doch musikalisch wollen meine Ohren partout nicht auf den Vintage-Zug der schwedischen Blumenkönige aufspringen, so sehr sich Stücke wie 'The Dream', 'Seasons End' und 'The Queen' auch bemühen mir zu gefallen. Doch mir fehlt letztendlich der gewisse Kick, dieses Türöffner-Feeling, das einer Platte hilft, sich mir zu erschließen. "Look At You Now" sperrt sich mir vehement und langatmig in diesem Versuch, so sehr ich in der Vergangenheit auch "Islands" und auch "Banks Of Eden" einiges abgewinnen konnte.

Wie schon gesagt, geübte Progressive-Rock-Ohren mit Vintage-Hang und Faible für Flower-Power machen Freudensprünge, doch bei mir will sich diese Euphorie partout nicht einstellen, so häufig ich "Look At You Now" auch zuhöre.

Note: 6,0/10
[Marcel Rapp]

Und wieder eine Runde "Morse Of The Same"? Ups, falsche Band. Aber im Endeffekt geht es mir mit NEAL MORSE und THE FLOWER KINGS ähnlich. Nach 16 Studioalben, welche alle in einem musikalischen Dunstkreis wuseln, erwarte ich von Roine Stolt & Co. auch keine spürbare Kurskorrektur. Somit bekommt er von mir zwar keine Innovationspreise mehr, aber für eine gepflegte Unterhaltung an einem Sonntagnachmittag kriegt er mich definitiv. Sonntagnachmittagsprog – ja, das passt.

Die Scheiben der Blumenkönige sind wie ein guter Film und unterliegen damit der Prämisse, dass ich sie zwar ab und zu mal aus dem Schrank hole, aber nicht wirklich regelmäßig höre. Aber wenn es dann mal läuft, bin ich glücklich, kuschle mich unter die Decke und genieße diese Form von Eskapismus. Genau das wird auch mit "Look At You Now" passieren. Das ist immer lebensbejahender, selbst in nachdenklichen Momenten positiv gestimmter Retro-Prog, der anno 2023 noch etwas mehr als sonst an YES erinnert, dem ungewöhnlich kurze Tracks jeweils immer andere musikalische Schwerpunkte gibt (mal Klassik, mal Jazz, mal Blues usw.) und passend zum cineastischen Aufbau der Platte zum Ende mit dem Titelsong im obligatorischen Longtrack kulminiert.

Wer mit dieser chilligen Wohlfühloase nichts anfangen kann, muss sich aber auch nicht grämen. Ich habe gehört, SHINING hat auch eine neue, starke Platte am Start.

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]

Ich mag 70s Prog prinzipiell sehr gerne, egal, ob es sich um das Original oder die moderne Variante handelt, die sich von den Klassikern inspirieren lässt. Rein klanglich liegt THE FLOWER KINGS bei mir daher auch goldrichtig. Die Arrangements, die glasklare Produktion und vor allem die formidablen Keyboards, all das gefällt mir wirklich gut.

Dennoch lässt mich "Look At You Now" trotz aller musikalischen Qualitäten weitgehend kalt. An Ideen mangelt es der Band eigentlich nicht, aber es fehlen einfach die Widerhaken. Das Hauptproblem ist aber der extrem blasse Gesang, der jegliches Interesse an den Kompositionen abwürgt. Bei 'Hollow Man' höre ich gar eine gewisse Überforderung heraus. So kann es dann auch nicht verwundern, dass der Song, der mir mit Abstand am besten gefällt, das Instrumental 'The Queen' ist.

Note: 7,0/10
[Jens Wilkens]

Ja, ich verstehe meine Vorredner. Die FLOWER KINGS haben die besondere Gabe, ihre eigene Qualität unter viel Puderzucker zu verstecken. Hier zwirbelt die Gitarre, da tanzt das Keyboard, dort knödelt der Bass, und über allem schwebt der in 2023 manchmal erstaunlich atemlose Roine Stolt. Das ist teilweise harter Tobak und wenn Kollege Stefan das als Sonntagnachmittags-Prog bezeichnet, kann ich nur den Hut vor der treffenden Wortwahl ziehen. "Look At You Now" hat mir auf gewisse Art einiges abverlangt, denn bei den ersten Durchläufen war ich eher im Team Marcel.

Aber je mehr ich mich darauf einlassen konnte, keinen Dreck und keine HAKEN zu erwarten, desto mehr eröffnete sich mir ein fast schon adliges Prog-Album. Natürlich geht THE FLOWER KINGS, wie den meisten Epigonen, die naive Spielfreude und das Entdecken der Musik während des Spielens der Musik der 1970er-Jahre ab. Aber das macht die Band wett durch Ruhe in der Darbietung und eine grundsätzliche Wärme, die einen umfängt, wenn man sich auf den Sound einlassen kann - und mag.

Note: 8,0/10
[Julian Rohrer]



Ich habe es letztens erst in meinem Review zur neuen BLACKBRIAR beschrieben: Manchmal "verliere" ich Lieblingsbands, vor allem, wenn sie ein für mich perfektes Album aufgenommen haben und danach nichts mehr kommt, das dieses toppen kann. Ein Beispiel ist THE FLOWER KINGS. Damals entdeckt im Zuge des von TRANSATLANTIC hervorgerufenen Progbooms in Dr. Beckers Wohnzimmer, bin ich auf "Unfold The Future" gestoßen. Das hat bei mir einen riesigen Euphorie-Schub und Fanboytum für die Blumenkönige ausgelöst. Auch die Alben davor, vor allem "Stardust We Are", wurden heftig konsumiert. Allerdings dauert es immer sehr lange, um ein neues THE FLOWER KINGS-Album zu verstehen und die Band liefert in schöner Regelmäßigkeit opulente Doppelalben mit Mammutsongs ab, die - wie bereits von Stefan angedeutet -  nach einer Weile immer irgendwie gleich klingen. Irgendwann war ich dann raus. Neue FLOWER KINGS? Gäääähn...

Jetzt schafft es die Band mit ihrer wenig (eigentlich gar nicht) metallischen Musik in unseren Soundcheck, in die Gruppenverarztung gar. Und Menschen mögen das Gedudel auch noch! Na dann ab damit!

Ja, das klingt nach THE FLOWER KINGS, und ich kann Befürworter und Gegner beide gut verstehen. Ich begrüße die insgesamt positive Stimmung, die Wärme. Das prägnante Bassspiel von Jonas Reingold fasziniert mich immer aufs Neue. Und auffällig ist, dass auf diesem Album fast alle Songs vergleichsweise kurz sind und sehr homogen ineinanderfließen. "Look At You Now" ist phasenweise relativ ruhig und atmosphärisch, mit wabernden Mellotron-Passagen. Klar, dass unser Marcel, der es hart und deftig mag, hier manchmal ein wenig den Kick vermisst. Mir geht's aber ähnlich. Jazzige Passagen, wie auf "Unfold The Future", die manche schreiend davonlaufen lassen, gibt es nicht mehr; Songs, die durch einen spannenden, unkonventionellen Aufbau glänzen oder irgendwie anders verblüffen, finde ich auch nicht.

Dennoch würde ich das Album nicht in die Tonne kloppen. Julian sagt es: Man muss sich damit beschäftigen, sich darauf einlassen, dem Sound frönen, dann wird das auch. Und wenn nicht, ist auch nicht schlimm.

Note:
7,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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