Gruppentherapie: THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA - "Give Us The Moon"

01.02.2025 | 20:51

Erste Klasse nach L.A. oder Rumpelflug nach Balkonien? Guten Flug.

"Give Us The Moon"? Nee, nee, wir wollen hier keinen weiteren Krypto-Meme-Coin zum Mond schicken, obwohl das etwas ist, das ganz dringend therapiert werden sollte. Hier geht es um das neue Album von THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA, einer Band, die sich über die Jahre bei uns Metallern etabliert hat und genau das Gegenteil eines Meme-Hypes ist! Jhonny ist auch von der Neuen voll begeistert, was man in seiner Hauptrezension nachlesen kann. Im Soundcheck reicht es diesmal aber nicht ganz aufs Stockerl. "Nur" Platz 5? Nun gut, manchem Soundchecker ist das dann doch zu poppig oder gar kitschig, und den Verfasser dieser Zeilen wundert es auch, warum ausgerechnet Metal-Fans hier so steil gehen. Vielleicht geben ja unsere Therapeuten darauf Antworten?

Auch wenn ich ein großer Liebhaber der Stimme von Gesangsmonster Björn "Speed" Strid und insbesondere seiner Arbeit bei SOILWORK bin, habe ich mich mit dem Nebenprojekt THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA immer schwer getan. Klar, die Schweden haben auf den bisherigen Alben immer ein paar tolle Songs und sogar kleine Hymnen im Gepäck gehabt, trotzdem rollen sich mir angesichts der Art und Weise, wie sich die Band fast schon pflichtbewusst in jedem Klischee des AOR und Rocks der Achtziger suhlt, immer wieder die Zehennägel auf.

Und auch anno 2025 hat sich an dieser Herangehensweise nichts geändert, was schon der Opener 'Stratus' beweist, der einerseits unheimlich eingängig und mit einem tollen Hook daherkommt, bei den Keyboards aber gleichzeitig wieder maßlos tief in die Kitsch-Kiste greift. Der "Genuss" der Scheibe wird für mich dann auch wieder einmal zu einem Wechselbad der Gefühle, bei dem ich zwischen anerkennendem Mitnicken für Björns fantastischen Gesang und Begeisterung angesichts von Hooks wie 'Paloma' oder 'Miraculous' auf der einen und grenzenloser Abscheu angesichts des viel zu dick aufgetragenen Vortrags auf der anderen Seite pendle.

Ja, ich muss hier wieder das Schreckgespenst von einem Wort namens "Authentizität" zücken, denn auch wenn ich glaube, dass alle Beteiligten die Achtziger lieben, ist das Aufkochen des damals typischen Sounds und auch das Auftragen der visuellen Komponente in den Kostümen der Band für mich nicht restlos glaubwürdig, sondern wirkt einfach wie ein eher billiges Theater. Eventuell kommt hier auch der Teenager durch, der mit NIRVANA und der Ablehnung von zu dick aufgetragenen Bühnenshows aufgewachsen ist. Für die handwerkliche Klasse, die natürlich auch auf "Give Us The Moon" unbestreitbar gezeigt wird, gibt's am Ende natürlich trotzdem sieben Punkte, Freunde werden das bei Nacht fliegende Orchester und ich aber auch im Jahr 2025 nicht.

Note: 7,0/10
[Tobias Dahs]

Wie gerne würde ich THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA lieben! Eine schillernde Truppe aus exzellenten Musikern, die mit beschwingter Leichtigkeit Sommer, Sonne, Eiscreme und Rock'n'Roll zelebrieren und mit schwindelerregender Präzision die Klippen des Kitsches umschiffen. Die Klangfarbe stammt irgendwo aus den frühen 1980ern, die Refrains atmen ABBA, und Classic Rock mag ich das gar nicht nennen, weil von der diesem Genre eigenen abgestandenen Bräsigkeit nichts zu erkennen ist. Hier klingt jeder Ton so frisch wie eine Bergquelle, so positiv naiv und herzlich wie man manchmal die ganze Welt gerne hätte.

Der Knackpunkt ist folgender: Längst nicht alle Songs besitzen die Brillanz und Geschmeidigkeit von 'Shooting Velvet' oder 'Cosmic Tide', um hier Beispiele vom aktuellen Album "Give Us The Moon" zu nennen. Dazwischen stehen halt Nummern wie 'Like The Beating Of A Heart' oder eben 'Give Us The Moon', die eher wie "Flipper"- oder "Eis am Stiel"-Soundtracks klingen und mir schlichtweg die Füße einschlafen lassen bei aller Fröhlichkeit. Somit bleibt zumindest für mich - wie bisher bei jedem THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA-Album - ein zwiespältiger Eindruck zurück. Die Note ergibt sich daraus, dass es hier aus meiner Sicht 9er- und 6er-Kompositionen gibt. Trotz all des Gemeckers haben wir es mit einer guten Platte zu tun, die ein bisschen bessere Laune in den grauen Januar bringt. Außerdem kann die Band den Preis für den Songtitel des Monats abräumen: 'Stewardess, Empress, Hot Mess (And The Captain Of Pain)'.

Note: 7,5/10
[Martin van der Laan]

 


Als THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA 2012 mit dem Debütalbum "Internal Affairs" die komplette Metalwelt durcheinanderbrachte, schüttelte ich nur den Kopf. Ich hatte diese zwar hochklassige, aber doch zu offensichtliche TOTO-Kopie nicht begriffen oder auch nicht begreifen wollen. Das änderte sich mit dem "Aeromantic"-Album schlagartig. Richtig erwischt haben mich die Schweden dann aber live beim Rock Hard Festival 2022. Das war einfach Spitzenunterhaltung, die per se eigentlich jeden Metaller in die Flucht treiben sollte, ARCH ENEMY- und SOILWORK-Mitglieder hin oder her.

Entsprechend gespannt war ich auf "Give Us The Moon". Das Album läuft durch und es scheint zunächst, als wolle mir gar kein Titel so richtig ins Ohr gehen. Doch der Schein trügt. Beim näheren Hinhören sind es die Gassenhauer 'Like The Beating Of A Heart', 'Miraculous' oder der Titeltrack, die selbst einem militanten Nichttänzer mal die Kniescheiben zittern lassen. Das Ganze ist Unterhaltung pur, nicht mehr und schon gar nicht weniger. Stellt euch vor: Mann (ja, mit Doppel-n) möchte die potentielle neue Herzensdame mit angenehmer Musik überraschen und nicht gleich die sich anbahnende Beziehung mit brachialer Düstermusik gefährden? Dann gern mal dieses Album auflegen. Schicker Anzug statt abgewetzte Kutte hat ja auch mal was – glaube ich. Oder?

Note: 8,5/10
[Frank Wilkens]

 

Als ich mir im Zuge des neuen THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA-Albums meine eigenen Gruppentherapie-Beiträge zu vergangenen Alben der Band zu Gemüte geführt habe, musste ich schmunzeln: War ich bei "Amber Galatic" (2017) noch total von mir selbst überrascht, dass ich solche "unmetallische", ja fast poppige Musik gut finden kann (zur Gruppentherapie), stellte sich bei "Sometimes The World Ain't Enough" (2018) und erst recht mit "Aeromantic II" (2021) bereits die totale Begeisterung ein. Diese Faszination und Nostalgie für die 80er findet mit "Give Us The Moon" kein Ende, man erkennt einfach sofort, wer hier musiziert. Deshalb muss ich meinen Vorrednern zustimmen, das neue Album der Schweden ist wie Urlaub fürs Gehirn: Album an und sich wohlfühlen, in den sanften Melodiewellen von 'Melbourne, May I', 'Paloma', 'A Paris Point Of View' und 'Runaways' wiegend.

Der Flug gleitet ruhig durch die Nacht, es ist alles wunderbar, der Alltag weit weg. Doch wie Marcel bereits in seinem Track-By-Track-Artikel oder Rüdiger im Soundcheck-Kommentar zum Album bemerkte, mangelt es dieses Mal an "Turbulenzen" während des Überflugs: Es rockt einfach zu wenig! Genau diese Prise Rock'n'Roll war es jedoch, die die bisherigen Werke dieser Supergroup für mich auszeichnete, zusätzlich zu aller Urlaubs-, Nostalgie- und Partystimmung. Ich muss zugeben, dass mich das bei den ersten Spins ganz schön gewurmt hat und ich plötzlich wieder im Jahr 2017 war mit der Frage: "Kann ich das gut finden?"

Und ob! Es ist nämlich ganz einfach: Das Album macht von vorne bis hinten Laune, auch mit reduzierten Gitarren oder gerade deswegen? Es ist nämlich eine beachtliche Leistung, über sieben Alben hinweg ein so hohes Maß an Qualität zu halten, da kann man auch mal an einer Schraube drehen, um so nicht immer das gleiche Album zu veröffentlichen.

"Give Us The Moon" ist vielleicht kein weiterer Überflieger, aber mindestens einen Testflug wert!

Note: 7,5/10
[Jakob Ehmke]

Was ist denn da los, Kollegen? Da fliegt das erste Highlight 2025 ins Haus und ihr reagiert, als ob es diesen Winter wieder nur die Pauschalreise nach Balkonien geben würde. Das ist selbstverständlich Mumpitz – es geht weiterhin erste Klasse nach Los Angeles, zumindest wie wir unwissenden Europäer uns die romantisierte 1980er-Version der amerikanischen Westküste vorstellen.

Ich bin sofort drin in dieser urtypischen Coming-of-Age-Story mit jeder Menge Fernweh und Eskapismus. Von den Texten bis zu den omnipräsenten Keyboards ist das natürlich alles "over the top" und kann schon für ein gewisses Stirnrunzeln sorgen, wenn man sonst nur Reisen nach Bergen bucht. Mich jedenfalls begeistert diese ganz besondere, jugendliche Herangehensweise an AOR erneut und auch wenn die Mischung mit Softrock und Disco-Spirit sich langsam abnutzen könnte, sind die songschreiberischen Qualitäten und die wunderbare Performance immer noch durchgängig fantastisch genug, um die rosa Brille in Position zu halten. Das ist genauso mitsingkompatibel, ultraeingängig und tanzbar, wie ich diese Art von Musik möchte. Macht bitte weiter Jungs, dann bin ich auch beim nächsten Album wieder "ready for boarding".

Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

2015 ist "Skyline Whispers" bei mir mit einer Wucht eingeschlagen, die bis heute nachhallt. THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA ist seitdem Dauergast in meiner Playliste, wenn draußen der Lorenz unbarmherzig vom Himmel brüllt. Es spielt keine Rolle, welches Album man sich schnappt, alle sind so derartig lässig und so authentisch, als hätten die 80er nie geendet. Songs wie 'Something Mysterious', 'Paralyzed', 'White Jeans' oder natürlich 'Living For The Nighttime' rauben mir bis heute komplett den Verstand und werden fast schon unverhältnismäßig abgefeiert. Nur mit dem ersten Teil der beiden "Aeromantic"-Alben wurde ich nur in Teilen warm. Lag es am Veröffentlichungsdatum, am Ende eines kalten Februars, kurz vor dieser unsäglichen C-Zeit? Vielleicht. Eventuell war es mir ein Tick zu viel Drama. "Aeromantic II" hat dann allerdings alle meine miesepetrigen Synapsen auf halb fünf gedreht und ich halte das Scheibchen immer noch für grandios. Doch wie sieht es mit "Give Us The Moon" aus?

Hauptsongwriter David Anderson (R.I.P.) ist leider von Bord gegangen und das spürt man. Der erste Durchgang hat mich ein wenig unterwältigt zurückgelassen. Was ich konstatieren muss: "Give Us The Moon" ist insgesamt gleichförmiger als alle bisherigen Tanzflächenzerstörer geworden. Fehlen die Hits? Nicht mal im Ansatz. Egal, ob der Titelsong, das famose 'Pamela', das absurd sehnsüchtige 'Like The Beating Of A Heart' oder das spaßige 'Way To Spend The Night', dieses Orchestra hat kaum was von seinem Süchtigkeitsfaktor eingebüßt. Vor Björn "Speed" Strid kann ich ob seiner unglaublichen Gesangsperformance nur den Hut ziehen. Mir ist da auch völlig wurscht, wie käsig das alles ist. Es ist Eskapismus der besten und notwendigsten Sorte. Nur der Veröffentlichungszeitraum ist einfach der falsche. Im Sommer werde ich zu dieser Platte zurückkehren und dann könnt ihr locker noch mal einen Punkt obendrauf packen. Dann vielleicht mit einer "Rückfalltherapie"?

Note: 8,5/10
[Kevin Hunger]

 

Ich bin ein Fan. Das muss vorab gesagt werden. Nur um Missverständnisse von Anfang an aus dem Weg zu räumen und eventuell aufkommende Dissonanzen aufgrund meiner kritischen Anmerkungen direkt im Keim zu ersticken. Nach mehreren Durchläufen muss ich nämlich überraschend konstatieren, dass die musikalische Ausrichtung und handwerkliche Umsetzung zwar weiterhin faszinieren, ich jedoch die Qualität irgendwie vorauszusetzen scheine. Diese Art von Selbstverständlichkeit nervt mich selbst und bedeutet wohl im Umkehrschluss nur, dass meine Erwartungshaltung sehr hoch ist und es wahrscheinlich mehr braucht als das altbewährte Muster, um meine Glückshormone explodieren zu lassen.

Gerade in der ersten Hälfte des Albums gehen Strid und seine Flugbegleiter:innen ein wenig rauer, ruppiger und mit gehörig Dampf zu Werke. Das geht ein bisschen auf Kosten der Lässigkeit, ist nicht mehr ganz so fluffig wie sonst. Und obwohl sie wieder enorm viele schöne Melodien mit an Bord haben, bleibt im vorderen Bereich dieses Mal nicht allzu viel auf Anhieb hängen. Mir geht jedenfalls vor allem dann ein Herz auf, wenn sie den Disco-Sound der Siebziger mit dem Heavy Rock der Achtziger verbinden. Gegen Ende hin erreicht man dann doch eine entsprechende Flughöhe und man punktet beispielsweise mit 'A Paris Point Of View', 'Runaways', 'Miraculous' oder dem Titelsong.

Natürlich ist "Give Us The Moon" wieder ein tolles Album geworden, nur eben wirkt alles ein wenig sperriger, auf Anhieb nicht ganz so spritzig und zugänglich wie gewohnt. Vielleicht dauert es dieses Mal einfach ein bisschen länger bis der Knoten so richtig platzt. Trotz vieler schöner kleiner Songs fehlt mir aktuell noch vor allem der alles überstrahlende Ohrwurm und Hit, der das Gesamtwerk trägt. Das entwickelt sich vielleicht noch, ist definitiv Jammern auf sehr hohem Niveau und eventuell ja auch nur meiner latenten Flugangst geschuldet.

Note: 8,0/10
[Chris Staubach]

Das THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA hat mich - ähnlich wie den Frank mit dem W - vor allem live begeistert. Und bald ist es wieder soweit. Bis dahin ist es gute Unterhaltung, "Give Us The Moon" zu hören, das flutscht gut nebenher, hat aber auch seinen Charme, wenn man genauer hinhört. Und warum sollte man Sommermusik nicht auch im Winter hören, lieber Kevin?

Was ich nach wie vor toll finde, ist, dass das Orchestra zwar nach 80er-AOR klingt, sich aber zumindest für mich nicht auf bestimmte Bands festpinnen lässt. Es klingt nicht nach FOREIGNER, SURVIVOR, TOTO oder SAGA, sondern nach THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA. Denselben Eindruck hatte ich schon vor vielen Jahren, als ich da das erste Mal hineingelauscht habe. Ob und inwiefern dieses neue Album jetzt anders ist, mag ich nicht bewerten, dafür höre ich die Musik (und AOR generell) zu selten. Spaß macht THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA aber auch anno 2025 wieder.

Note: 8,0/10
[Thomas Becker]

Fotocredits: Linda Florin

Redakteur:
Thomas Becker

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