Gruppentherapie: THE SLEEPER - "Veil"
24.10.2024 | 10:01Zu viel oder doch zu wenig Gebrüll für den Metal-Opa?
Oktober ist schon fast rum, also wird's allerhöchste Eisenbahn, den September-Soundcheck abzuschließen. Die letzte Gruppentherapie ist ja oft einer Musik gewidmet, die außerhalb der metallischen Komfortzone liegt. Hier gibt es im Soundcheck "Veil" von der Leipziger Prog/Djent/Metalcore-Band THE SLEEPER. Unsere Pia ist ja ein großer Fan dieser Gruppe, was unsere Podcast-Folge mit THE SLEEPER bestätigt. Auch Tobi zeigt sich von dem Album stark begeistert, findet keine Schwachpunkte und meint sogar, viel besser könne man modernen Metal gar nicht mehr machen. Gleich drei Soundchecknoten unter der Sechsergrenze sagen uns aber: Hier ist Therapiebedarf! Sind es mal wieder die alten Männer mit ihren antiquierten Hörgewohnheiten, die diese Musik einfach nicht verstehen? Oder sind es doch andere Gründe, die die Begeisterung schmälern?
Das Album sperrt sich mir, ich bekomme es beim besten Willen und auf Teufel komm raus nicht entschlüsselt. Richtig, der größte Prog-Metalcore- bzw. Djent-Freund war ich nie, doch ausgiebige Gespräche mit unserer Pia haben mir zumindest den Mund etwas wässrig gemacht. THE SLEEPER und ich werden zumindest musikalisch aktuell keine Freunde, doch ich muss das hohe Talent der Band sowie ihre zurecht aufkeimende Größe innerhalb ihres Sound-Spektrums anerkennen. Für Fans dieses Genres scheint "Veil" wohl definitiv eine lohnenswerte Angelegenheit zu sein.
Viele Breakdowns, viele Irrwege, die nach Rom führen, ein hochmoderner Anstrich, der mit allerlei Core-Elementen aufgemotzt wird - da stellen sich mir schon beim Niederschreiben die Nackenhaare auf. Moderneres Gemüse dürfte sich danach jedoch eher die Finger lecken. Die Jungs werden es mir verzeihen, sind Geschmäcker doch so herrlich vertrackt wie auch unterschiedlich. Mein zarteres Old-School-Gemüt wird partout nicht warm mit "Veil" und dem THE SLEEPER-Universum, doch was weiß ich denn schon, vor allem wenn ich mir unter anderem das Hauptreview unseres lieben Tobias' anschaue?
Note: 5,5/10
[Marcel Rapp]
Als ob es Metalcore in unserem Soundcheck nicht eh schon schwer genug hätte, erweist sich THE SLEEPER einen Bärendienst und wählt mit 'Pale Ivy' einen der sperrigsten Tracks des Albums als Opener. Ich bin da vollkommen bei unseren Podcastern Pia und Tobias und glaube auch, dass es hier deutlich besser funktionierende Kandidaten gegeben hätte. Dabei ist der Song beileibe nicht schlecht, nur halt als potenzieller Dosenöffner ziemlich ungeeignet. Überhaupt ist THE SLEEPER auf "Veil" insgesamt deutlich schwerer verdaulich als noch zu "Radiant"-Zeiten. Selbst nach unzähligen Durchläufen gibt es von potenziellen Hits wie 'Dull Knife' oder wirklich zwingenden Refrains, wie bei 'Haven' oder 'Tempest', keine Spur.
Das ist schade, aber starke Songs gibt es trotzdem noch zuhauf – nur eben mehr in der Tradition von 'The Sword Logic'. Also alles deutlich erwachsener, komplexer und progressiver als noch vor über zwei Jahren. Ich finde somit zwar genug Punkte (besonders die Texte sind auch echt wieder sehr schön ausgearbeitet), die mich begeistern, aber gleichzeitig vermisse ich auch diese poppig-catchigen Momente, welche "Radiant" für mich zu einem der besten Alben 2022 gemacht haben. Trotz eines starken Albums verliert "Veil" aufgrund dessen nicht nur das direkte Duell mit dem Vorgänger, sondern zieht auch im September-Vergleich gegen CHAOSBAY den Kürzeren.
Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]
Eines gleich vorweg: Das ist hier kein traditionalistisches Gejammer eines alten weißen Mannes mit weichgespülten Melodic-Opa-Metal-Ohren. Auch wenn es mich immer einiges an Energie und Konzentration kostet, bin ich insbesondere bei der progressiven Spielart des Metalcore gerne mal mit dabei und weiß Bands wie CHAOSBAY, ARCHITECTS oder bisweilen auch B.T.B.A.M. durchaus zu schätzen und zu würdigen. Daher bin ich eben auch enttäuscht von THE SLEEPER und "Veil". Die korrekten Zutaten sind vorhanden, aber für meine kompositionsaffinen Ohren bleibt auf diesem Album viel zu vieles halbherzig und fragmentarisch.
Ich stelle mir vor, wie sich da ein paar Metalcore-Liebhaber zusammengesetzt und alles auf einen Zettel geschrieben haben, was sie so cool finden. Dann haben sie von allem ein paar Schäufelchen genommen und kräftig geschüttelt. Ich gebe zu, dass meine Ohren nicht so geschult sind in Sachen Metalcore, aber auf mich wirken manche Djent-Elemente doch arg bemüht, die stereotypen Klargesang-Schnipsel K.I.-generiert und die brutalen Breakdowns eher als Karikatur ihrer selbst. Für mich machen diese Elemente im Kontext der jeweiligen Songs oft keinen rechten Sinn. Ich verweise da einfach mal auf meine geliebten Berliner CHAOSBAY, wo ich in die Songs hineingerissen und durchs Weltall gewirbelt werde mit eben den Attributen, die einige meiner werten Kollegen und Kolleginnen hier THE SLEEPER zusprechen.
Es tut mir leid, auch nach zwei, drei weiteren Durchläufen für diese Gruppentherapie bin ich aus "Veil" nicht schlauer geworden. Aber Kontroversen sind ja schließlich das Salz in der journalistischen Suppe. Somit muss sich jeder und jede dann doch selbst ein Bild machen.
Note: 5,5/10
[Martin van der Laan]
THE SLEEPER legt auf "Veil" ziemlich gut los: Die Band ackert sich technisch und finster durch 'Pale Ivy'. Hier passiert etwas, das uns auf den folgenden Songs (leider) selten begegnet: Der Vocalist setzt komplett auf Growls, was die Death-Metal-Schlagseite betont. Zudem hat der Track trotz der Kürze Atmosphäre, zimmert uns die Tonsur vom Schädelchen. Doch es wäre nun mal kein Metalcore, wenn im Liedgut danach nicht immer wieder sehr softe, poppige Sphärenklänge mein Hörvergnügen schmälerten. Die harten Parts gefallen mir, die sind verschachtelt, die Drums spielen seltsame Figuren, das Riffing liefert Spiralen zum Bangen, doch dann kommt immer der Moment, wenn Mami zum Essen ruft, die Freundin ihre neueste Barbie zeigt oder Mathenachhilfe beim Nerd des Collages ansteht.
Und die klargesungenen Zeilen übernehmen mehr und mehr die Führung. Ob 'Voices In Walls', 'Cycles' oder 'Nauseum', diese und die folgenden Tracks klingen dann doch arg schematisch, sehr nach Baukasten. Zumal sie auch alle kaum über drei Minuten kommen, was der Atmosphäre und dem Flow nicht zuträglich ist. Manchmal tönt es nach modernen IN FLAMES ('Quicksand') oder SOILWORK, soll heißen nach herzschmerzartigem, zuckrigem Romantic Metal, der hin und wieder das Gebrüll des Offiziers einblendet, denn die Zeit beim Heer wartet und jene von Zahnspange, Kaugummi und Autokino neigt sich dem Ende zu.
Die Songstruktur wird nie aufgebrochen, immer ist die Strophenphase gezeichnet von Gebrülle, der Chorus voller lieblicher Blüten. Okay, bei 'Paper Skin' ist auch der Strophenteil soft geraten, doch am Ende giftet unser Vorgesetzter wieder, er hat uns beim Rauchen vor dem Frauenklo erwischt. Eine Linie findet sich nicht, das Programm zieht vorbei ohne hängenzubleiben. Der erste Song und der letzte sind meine Highlights: Auch das Finale 'The Fear That Keeps You Breathin' überzeugt mit des Shouters harter, ausdrucksstarker Death-Voice. Darauf sollte man aufbauen und das Geträller einfach weglassen oder mit düsterer Note gestalten. Und weg mit Schema, das gilt nicht nur für IN FLAMES. Ich bin aber einfach auch zu hart für Romantik, bei mir müssen Muskeln echt sein, also auch etwas tragen können und sich nicht durch aufgepumpte Definiertheit in Szene setzen, so!
Note: 6,0/10
[Matthias Ehlert]
Fotocredits: Frank Jäger (POWERMETAL.de)
Foto vom Summer Breeze Festival 2018
- Redakteur:
- Thomas Becker