Gruppentherapie: URIAH HEEP - "Chaos & Colour"

28.01.2023 | 21:47

Was für eine Meisterleistung der alten Herren! Für ihr neuestes Album "Chaos & Colour" haben die Rocker von URIAH HEEP nicht nur eines der spektakulärsten Artworks der letzten Jahre, sondern auch nicht minder knackige und bärenstarke Songs entworfen. Das nahmen wir zum Anlass, diesem Januar-Highlight eine Gruppentherapie zu schenken. Here we go...

Natürlich gibt es auch eine Voll-Review - diesmal von Hanne, die hier nachzulesen ist.

 

Schon jetzt hat "Chaos & Colour" für mich das beste Artwork des Jahres. Als Freund des optischen Genusses zieht mich jenes von URIAH HEEP vollends in den Bann und hätte die chaotischen Zeiten, in denen wir uns seit März 2020 befinden, kaum besser inszenieren können. Atemberaubend, dramatisch und fantastisch. Und auch musikalisch lässt das Flaggschiff des Hammondorgel-Hardrocks nahezu nichts anbrennen, hat ein vom ersten bis zum letzten Ton großartiges und in sich stimmiges Album am Start und lässt auch 54 (!) lange Jahre nach der Gründung nahezu nichts anbrennen. Die klassischen Rock-Gitarren, die schon erwähnten Klimperklänge, diese Harmonien und Melodien sowie Bernie Shaws unnachahmlicher Gesang - all diese kleinen Mosaiksteinchen sorgen für die Klasse von "Chaos & Colour". Selbst "Living The Dream" und "Outsiders" lässt das neue, insgesamt 25. HEEP-Werk alt aussehen. Ob 'Save Me Tonight' und das 'Closer To Your Dreams'-Statement mir wochenlang in den Ohren rumflattern, 'One Nation, One Sun' auch ohne Kitsch zu einer schönen Ballade wird, 'Hail The Sunrise' und 'Golden Light' das lebensbejahende Gefühl des 1970er Rocks ins Jahr 2023 transferieren oder 'You'll Never Be Alone' und 'Silver Sunlight' auch in tristen Momenten für Sonnenschein sorgen, "Chaos & Colour" setzt für den klassischen Hardrock die Messlatte schon verdammt hoch an, das Album läuft rauf und runter und rauf und runter.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Ich kann Marcel weitestgehend nur beipflichten - "Chaos & Colour" legt die Messlatte für klassischen Hard Rock extrem hoch. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist die Scheibe wirklich großartig produziert. Der Sound ist warm wie eine Siebziger-Produktion, gleichzeitig aber so druckvoll, dass er auch ins Jahr 2023 passt. Zum anderen ist die instrumentale Leistung bemerkenswert. Die Senioren rocken wie manche Retro-Youngster das vielleicht gerne könnten, mit Tempo und Technik. Die wunderbaren Hammond-Klänge können mich zudem besser mitnehmen als auf manchen der (nie schwachen) Vorgänger-Werke der Band. Seit Jahren zeigt die Formkurve deutlich nach oben, neben DEEP PURPLE kann wahrscheinlich keine Siebziger-Band so überzeugen in den letzten Jahren. Einzig der Ohrwurm-Faktor ist für mich noch nicht so hoch anzusiedeln, wie das für Marcel der Fall zu sein scheint, daher komme ich bei einem halben Punkt weniger an.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]

Seit ihrem wundervollen Comeback "Wake The Sleeper", das seinerzeit quasi aus dem Nichts mein Album des Jahres 2008 wurde, ist die Band in einem mutmaßlich fünften Frühling, und hierbei eilt sie von einem wundervollen Album zum nächsten, spielt eine grandiose Tour nach der anderen, so dass ich seit Langem ganz ohne jeden Zweifel sagen kann, dass mir von den großen, alten, britischen Rock-Dinosauriern URIAH HEEP der liebste ist. Es ist einfach ein wundersames Ding um Mick Box und seine Männer, wie es ihnen immer wieder gelingt, all die Magie und all das Märchenhafte ihrer Musik greifbar und spürbar zu machen. Dabei spielen neben der Gitarrenhexerei des Wizards höchstselbst, natürlich auch die tollen, sich mit ihm gerne mal duellierenden, völlig authentisch nach den Siebzigern klingenden Keyboardarrangements von Phil Lanzon ihre Rolle und ebenso auch Bernie Shaws noch immer tadellose Gesangsleistung mit all ihren feinen Phrasierungen, zarten wie kraftvollen Tönen und diesem durch und durch positiven, lebensbejahenden Charme, der den Kanadier auszeichnet. Was indes dafür sorgt, dass URIAH HEEP anno 2023 keine angestaubte Retroveranstaltung ist, das ist neben der zeitgemäßen Produktion auch der wirklich harte Punch, den die im Verhältnis zur übrigen Band noch recht junge Rhythmusgruppe mit Bassist Davey Rimmer und Drummer Russell Gilbrook mitbringt. Hier kann man auch als härteverwöhnter Metaller gut mitgehen, ohne dass die Produktion ihre Transparenz und ihre Dynamik verlöre, denn URIAH HEEP wären keine klassischen Hardrock-Meister, ließen sie ihre Musik nicht atmen und schüfen sie nicht auf diese Weise Raum für die kleinen Kabinettstückchen, die sich in jedem Song zu Hauf finden. Unterm Strich ist "Chaos & Colour" erneut eine Bank, die jeden HEEP-Fan glücklich machen sollte. Sie hat vielleicht nicht ganz den Punch der eingangs erwähnten Platte, und etwa 'One Nation, One Sun' fadet am Ende ein wenig lange aus, doch der Großteil der Songs - allen voran mein persönlicher Favorit 'Golden Light' - könnte jederzeit einen feinen Platz in einer grandiosen Live-Setlist finden, und mehr muss man eigentlich nicht wissen. Zusammen mit der neuen OBITUARY ist damit "Chaos & Colour" mein Album des Monats.

Note: 8,5/10
[Rüdiger Stehle]

Ich kann es mir natürlich sehr einfach machen und einfach sagen: "Rüdiger hat Recht." Das ist gerade im Fall von URIAH HEEP selten eine Überraschung, aber darauf darf dennoch hingewiesen werden. Ich finde es immer wieder verblüffend, wie frisch die Herren anno 2023 noch klingen. Keine Sekunde wirkt altbacken oder angestaubt. Hier gibt es eine zeitlose, druckvolle Produktion gepaart mit zeitlosen, druckvollen Hardrock-Songs, die im hohem Maße auch noch mit feinen Melodien und ohrwürmelnden Refrains daherkommen. Vor allem 'Hail The Sunrise', das just als Single ausgekoppelte 'Hurricane' oder das vorzügliche 'Golden Light' sind hier zu nennen. Phil Lanzons Tastenklänge sind so wunderbar harmonisch in die Kompositionen eingebettet, dass zumindest ich mir wünsche, dass die ganzen Retrokapellen hier mal Anschauungsunterricht nehmen, Mick Box brilliert alle Nase lang mit Riffs und Soli, die immer noch aus dem Jungbrunnen zu quellen scheinen. Wenn dann auch noch die balladesken Töne wie in 'One Nation, One Sun' komplett ohne Kitsch auskommen, kann man den Dinos nur zu einem weiteren Höhepunkt in der langen, langen Diskographie gratulieren. Top!

Note: 8,5/10
[Peter Kubaschk]

Als mir Kollege Rüdiger vor ein paar Jahren "Into The Wild" im Auto vorspielte - übrigens laut mitsingend, was ein Ausdruck höchster Rabenbegeisterung ist - wurde meine Liebe zu URIAH HEEP neu entfacht. Das passte gut zu meiner Reise in die Rockmusik der 1970er Jahre. Diese Reise dauert bis heute an - so wie die Liebe zu HEEP auch im Jahr 2023 noch glüht. Auch wenn die urwüchsige Kraft von "Into The Wild" nicht ganz erreicht wird, schießt "Chaos & Colour" doch recht kraftvoll aus den Boxen. Gerade im Vergleich zu DEEP PURPLE, die zuletzt eher psychedelische Wege beschritten haben - was mir außerordentlich gut gefällt, aber auch nicht jedermanns Sache ist - liefert HEEP den deutlich straighteren Classic Rock von britischen Gestaden. Das Riffing lädt mal zum gemütlichen Mitnicken ein ('Hail The Sunrise'), mal zum bierüberschwappenden Aufstampfen ('Save Me Tonight'). Die Hammond knödelt ordentlich, ohne zu überfordern, und löst wohlige Nostalgieschübe aus. Bernie Shaw hat für mich zwar nicht die gleiche Identifikationskraft wie etwa Bob Catley, überträgt sich aber auch mit 67 Jahren noch kräftig ins Musikzimmer. Kurzum: Die Songs machen Spaß. Einzig die Pianoballade 'One Nation, One Sun', die anfangs nur vom Bass zerquetscht wird, tröpfelt etwas cheesy in die Gehörgänge, wird aber zum Glück in der Mitte etwas besser. Insgesamt liefert die Band aber ein sehr schönes Album ab.

Note: 8,0/10
[Julian Rohrer]

Eine neue URIAH HEEP-Scheibe ist immer wieder auch eine Reise in meine eigene Jugend bzw. Kindheit. Das mag bei einem Geburtsjahr von 1982 erstmal paradox klingen, erklärt sich aber, da die Compilation "Easy Livin' - Rock Of The Seventies" von 1991 im Hause Rosenthal seit dem Releasezeitpunkt hoch und runter lief und deren zweite CD mit dem unsterblichen Überhit 'Easy Livin'' eröffnet wurde. Seitdem bin ich den treibenden Orgelklängen um Mick Box und seinen Jungs verfallen. Und während viele Bands auf diesem Sampler über die Jahre leider bewiesen haben, dass sie ihren Zenit leicht und in manchen Fällen auch deutlich überschritten haben, liefert URIAH HEEP durchgängig erstklassiges Material ab. Jedes Album spielte eine relevante Rolle in meinen jeweiligen Jahrescharts. Und nach der brutal starken Single 'Save Me Tonight' war ich mir sicher, das wird auch 2023 so werden. Nach mehrmaligem Hören liegt "Chaos & Colour" zwar noch etwas hinter dem überragenden Vorgänger "Living The Dream" zurück, aber ich bin mir sicher, dass kann sich im Laufe des Jahres noch ändern – zu stark ist nämlich erneut die Verbindung zwischen Hammond-Klängen, wunderbaren Gitarrenmelodien und Bernie Shaws ungemein warmer Gesangsleistung. Ich freue mich jetzt schon, wenn der Frühling durchbricht und ich endlich 'Hail The Sunrise' voll aufreißen kann, mit 'Freedom To Be Free' durch die Dörfer cruise und meinen Camp-Ground in der Festival-Saison mit 'Age Of Changes' wecke. Da ich auch meinen Spaß mit der kritisch gesehenen Halbballade 'One Nation, One Sun' haben kann, bleiben die Briten das Role Model für alle Altherrenbands, die auch heutzutage noch authentisch aber nicht altbacken, modern aber nicht anbiedernd und musikalisch relevant klingen wollen. Nach RIVERSIDE das stärkste Album des Monats. Wir sehen uns auf der nächsten Tour.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

Redakteur:
Marcel Rapp
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