Gruppentherapie: VICIOUS RUMORS - "Celebration Decay"
12.10.2020 | 22:44Dauerbrenner oder Schnäppchen für Zwischendurch?
Bevor schon bald der Oktober-Soundcheck erscheint, blicken wir noch mal kurz in den Sommer. Hier haben die alten Hasen von VICIOUS RUMORS "Celebration Decay" aufgenommen, ein Album das trotz Rang 5 (zum August-Soundcheck) nicht nur wohlwollend aufgenommen wurde. Großer Name, kontroverse Noten, wenn das nicht nach einer Therapie verlangt!
Ich bin mir bewusst, dass VICIOUS RUMORS für einige meiner Kollegen eine hohe Bedeutung hat. Und dass vor allem die Alben mit Carl Albert mit breiter Brust das verkörpern, was mit dem Begriff Power Metal in Bezug gebracht wird, sollte eh klar sein. So richtig großer VICIOUS RUMORS-Fans bin und war ich aber trotzdem nie. Manchmal kann man so etwas eben nicht erklären. Aber METAL CHURCH fand ich immer weitaus toller. Schön ist, dass es beide noch gibt und beide so in etwa das machen, was man von ihnen erwarten kann. Somit klingt "Celebration Decay" eben nach VICIOUS RUMORS wie es nur geht. Auch der Gesang von Nick Courtney ist jetzt nicht so dramatisch anders als früher. Woran es bei dem Album für mich hakt, hat eigentlich schon Marcel in seiner Hauptrezension gesagt. Der Musik fehlt es aus schwer zu erklärenden Gründen am Charisma, das die hochangesehenen früheren Werke Ende der 80er und Anfang der 90er hatten. Die Band spielt sich kompetent und souverän durch leider am Ende doch zu langweilige und zu leicht vorhersehbare Power-Metal-Stücke, bei denen einfach nichts hängen bleibt. Hier einen sich dann aktuelle VICIOUS RUMORS- und aktuelle METAL CHURCH-Scheiben. Ähnlich wie bei "Damned If You Do" (dem aktuellen METAL CHURCH-Album) kann ich mir nur schwer vorstellen, dass "Celebration Decay" eine Langzeit-Duftmarke setzen kann. Oder sieht das hier jemand anders?
Note: 6,5/10
[Thomas Becker]
Wenn du schon so fragst, Thomas, dann will ich dir die Antwort geben: Ja, ich sehe das tatsächlich ein bisschen anders als du. Für mich ist VICIOUS RUMORS' Dreizehnte eines jener Alben, welches die "Früher war alles besser!"-Fraktion zwar nicht direkt Lügen straft, das aber schon sehr berechtigt die Frage aufwirft, was zum Teufel die Leute denn von einer Band erwarten, die gerade ihr vierzigstes Wiegenfest hinter sich gebracht hat. Marcel stellt in der Hauptrezension fest, dass die Gewöhnung an Nick Courtneys Stimme und das Zünden der neuen Songs zu lange dauert, und für ihn daran das Erreichen einstiger Größe scheitert. Da mag was dran sein, denn auch bei mir hat es eine ganze Weile gedauert, bis "Celebration Decay" mich knacken konnte. Aber seither rotiert das Ding in Dauerschleife, und jedenfalls mir ist es eine wahre Freude mich von Nick Courtney mit königlichen Hooks wie etwa bei 'Asylum Of Blood' oder 'Long Way Home' ordentlich föhnen zu lassen. Der Mann glänzt in den hohen Bereichen wirklich ganz besonders, doch auch die groovende Gritty Voice beherrscht er aus dem Effeff. Dazu ist das neue Album von Juan Urteaga zusammen mit Geoff Thorpe blitzsauber produziert, klingt sehr transparent und lässt auch Robin Utbults Bass viel Raum zum Atmen, während es die Klippen des Loudness Wars und der ballernden Drums gekonnt umschifft. So klingt Altmeister Larry Howe in meinen Ohren wirklich wie ein leibhaftiges Trommelgenie, denn sein Spiel kennt eine Dynamik, wie man sie anno 2020 leider in diesem Genre nurmehr viel zu selten hört. Lauscht einfach mal dem getragenen 'Darkness Divine' und sagt mir, dass diese Produktion nicht perfekt passt! Ja, kommen wir zum Ende: Keineswegs will ich nun sagen, dass VICIOUS RUMORS mit diesem Album am Thron des eigenen Frühwerks sägt, und natürlich will ich es niemandem vorwerfen, wenn er Schwierigkeiten damit haben sollte, die erneuten Besetzungswechsel zu verdauen, aber ich bin ganz entschieden der Meinung, dass Thorpe, Howe & ihre jüngeren Mitstreiter mit "Celebration Decay" echt was zu sagen haben, das es wert ist, ihm die Zeit zu geben, es wachsen zu lassen, denn dann offenbart sich dem geneigten Hörer eine US-Power-Metal-Scheibe, die für ein modernes Exponat des Stils aus dem dritten Jahrtausend irre vielseitig, gefühlvoll und differenziert ist, und der man zu jeder Sekunde anhört, dass die Band eben keine lieblose Stangenware abgeliefert hat, sondern sich alle Mühe gegeben hat, sich gute Hooks und spannende Songs einfallen zu lassen, die sie mit Liebe zum Detail eingespielt und aufgenommen hat. Dafür beide Daumen nach oben!
Note: 8,5/10
[Rüdiger Stehle]
Normalerweise finde ich Alben, die Rüdiger mit einer gewissen Euphorie umschreibt, auch immer ganz gut. In diesem Fall aber bin ich deutlich bei Thomas. Auch nach mehrmaligem Hören bleibt da einfach zu wenig hängen. Das Material ist zu komplex, um sofort zu zünden (anders als etwa bei MANOWAR), und zu belanglos, um auf Dauer zu funktionieren (FATES WARNING hier als Gegenbeispiel). Die Produktion empfinde ich als zu matschig, zu "modern" und zu wenig kantig, was aber natürlich Geschmacksache ist. Auch der beileibe nicht grottige Gesang spricht mich irgendwie nicht an. Insgesamt ist mir das wohl etwas arg zahm für Power Metal, echte Ausbrüche sind selten oder wirken - wie bei 'Pulse Of The Dead' - gewollt. Trotzdem zählt das noch zu den Höhepunkten. Lieder wie 'Long Way Home' finde ich dann geradezu langweilig. Selbstverständlich - wie könnte es anders sein - hat Rüdiger aber mit vielem Recht: Die Drums sind klasse, das Album ist tatsächlich vielseitig und dass hier Mühe und Herzblut im Spiel waren, steht auch außer Frage. Nur leider schwappt es nicht recht über zu mir.
Note: 6/10
[Jakob Schnapp]
- Redakteur:
- Thomas Becker