HELLOWEEN - Die Glorreichen Sieben?

02.04.2021 | 19:50

Nuclear Blast lädt zur Listening Session und Pressekonferenz, denn etwas Großes bahnt sich an: "Vergesst HELLOWEEN, hier kommt HELLOWEEN!" ist das Motto.

HELLOWEEN war eine meiner allerersten großen Lieblingsbands, und die "Keeper"-Ära hat mich als damals zwölfjährigen Buben ganz entscheidend geprägt. Da ein paar Jahre später für mich dann die Phase begann, in der mein Metal nicht hart und extrem genug sein konnte, und damit im Idealfall vornehmlich aus Norwegen kommen sollte, hat mich die Entwicklung der Band spätestens mit "Chameleon" indes so befremdet, dass ich mir überlegen musste, ob HELLOWEEN noch immer meine Lieblingsband ist. Mit den Umgestaltungen im Line-up und mit "Master Of The Rings" erfand sich die Band jedoch neu, und ich war wieder voll mit dabei, und die Hingabe ging so weit, dass ich irgendwann Moderator im offiziellen Bandforum war. Dort habe ich die Sorgen und Nöte der vielen unterschiedlichen Fanlager täglich hautnah mitbekommen, und ja, es gab viele Grabenkämpfe unter den Fans, es gab Enttäuschte, die sich die alten Zeiten oder alten Sänger zurück wünschten, und es gab eiserne Verteidiger, die genau das auf keinen Fall haben wollten. Manchmal hatte man das Gefühl, dass die Mehrheit, die an allen Inkarnationen der Band ihre Freude hatte, kaum gehört wurde. Und dass diese Fans immer in der Mehrheit waren, ist offensichtlich, denn sonst hätte sich die Band nicht über all die Jahre ganz vorne an der Spitze des Heavy Metals aus Deutschland halten und weltweite Erfolge feiern können.

Doch irgendwo haben sich natürlich immer viele - ganz gleich aus welchem Fanlager - gefragt, wie es denn wäre, wenn Kai Hansen und Michael Kiske noch einmal zu HELLOWEEN stießen. War dies erst nahezu undenkbar, so gab es im Laufe der Zeit immer mehr zaghafte Annäherungen unter den Musikern, Gastauftritte, gemeinsame Touren mit Kai Hansen und GAMMA RAY, schließlich auch die lange ersehnte neuerliche Annäherung von Michael Kiske an die Metalszene mit AVANTASIA und UNISONIC. Und dann war es irgendwann soweit: Unter dem Banner "Pumpkins United" platzte die Bombe, die Reunion wurde wahr, und sehr zur Freude der langjährigen Getreuen unter den Fans eben nicht als Umbruch, sondern als Erweiterung, als Wachsen zu etwas noch Größerem. Die sich anschließende Welttournee war unfassbar erfolgreich, und unfassbar gut, und so zeichnete sich bald ab, dass es eben nicht bei einer Reunion-Tour bleiben würde, sondern dass HELLOWEEN als Septett auch ein neues Studioalbum plante.

Was erwartet man nach 33 Jahren im Bandgefolge nun von einem solchen in der Szene doch ziemlich einzigartigen Unterfangen? Nun, zunächst einmal stellt man sich natürlich die Frage, ob das gut gehen kann. Drei charismatische und sehr unterschiedliche Leadsänger, die es gewohnt sind, im Rampenlicht zu stehen; drei großartige Gitarristen, von denen man ähnliches sagen kann, und fünf passionierte Songwriter? Kann das gelingen? Wird das Werk einen roten Faden haben? Wird sich jeder ausreichend einbringen können und hinreichend beteiligt fühlen? Nun, das sind alles berechtigte Fragen, doch ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich spätestens seit den beiden Gigs der "Pumpkins United"-Tour, die ich in Stuttgart und in Wacken miterleben durfte, nicht eine Sekunde lang daran gezweifelt habe, dass diese neue Inkarnation von HELLOWEEN ein Werk erschaffen würde, das in Midgard einschlagen wird, wie Thors Hammer. Die ganzen Klassiker, gleich aus welcher Ära, wurden von der Band für die Tour so gefühlvoll und gelungen für das größere Ensemble arrangiert, auf der Bühne perfekt umgesetzt, und die Stimmung zwischen allen Beteiligten war auf der Tour so harmonisch und gut gelaunt, die Reaktionen der Fans so euphorisch, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass es den Sieben nicht gelingen würde, diesen Schub ins Studio mitzunehmen.

Bei dir sah das im Vorfeld ein bisschen anders aus, Frank?

[Rüdiger Stehle]


Nun, meine ersten Berührungspunkte mit der Band HELLOWEEN ergaben sich irgendwie von selbst, zumal einige der Bandmitglieder sozusagen mit mir denselben Geburtsjahrgang teilen. Zudem bin ich mit "Hummel Hummel" groß geworden, sprich ein Hamburger Jung (eigentlich aus dem Hamburger Umland, aber da lassen wir mal eine kleine Toleranz zu). Wenn man Mitte der achtziger Jahre in der Hamburger Metalszene unterwegs war, kam man an Bands wie RUNNING WILD, MANIA, NOT FRAGILE oder eben HELLOWEEN nicht vorbei. Vor allem die Kürbisse waren oft und gern im Hamburger Metal-Club "Sounds" zugegen, wo unsereins so ziemlich jedes Wochenende verbrachte.

Nachdem HELLOWEEN sich mit "Walls Of Jericho" einen gewissen Ruf (auch über die Grenzen der Hansestadt hinaus) erarbeitet hatte, spürte man im Umfeld der Band irgendwie die Vorfreude auf das, was einige Zeit später unter dem Titel "Keeper Of The Seven Keys" die Metal-Welt beeindrucken und die Band zu internationalem Ruhm führen sollte. Doch eben dieser Ruhm hielt nicht ewig, ganz im Gegenteil. Bereits einige Zeit nach dem Welterfolg von "Keeper Of The Seven Keys Part 2" lief es nicht mehr rund. Sowohl innerhalb der Band als auch in Bezug auf weitere Vermarktungsangelegenheiten wurde es unruhig, das Nachfolgealbum "Pink Bubbles Go Ape" entwickelte sich aufgrund von rechtlichen Problemen zu einem Misserfolg auf ganzer Linie. Zudem verließ Kai Hansen 1988 die Band, um fortan mit seiner neuen Combo GAMMA RAY einen Neuanfang zu starten.

Nicht nur beim Kollegen Rüdiger stellte sich Skepsis ein, ob diese eben noch hoch am Himmel stehende Band aus dem tiefen Tal wieder empor kommen würde. Nach dem ebenfalls wenig überzeugenden "Chameleon" kündigte sich auch ein Wechsel am Mikrofon an. Andi Deris, den ich bereits 1989 mit seiner ehemaligen Band PINK CREAM 69 (als Vorband von WHITE LION) in sehr guter Erinnerung behalten durfte, schien die richtige Wahl. Zwar kam HELLOWEEN wieder langsam auf den Weg zurück und die Fans schienen sich damit abgefunden zu haben, dass HELLOWEEN ohne Kiske und Hansen sehr wohl eine Klasse für sich ist. Ich persönlich aber würde mich in die Kategorie "Nörgler der Neunziger" einsortieren, für den der klassische Heavy Metal schlicht und einfach aufhörte zu existieren. Ja, auch ich wechselte zaghaft zur dunklen Seite der Macht, vor allem PARADISE LOST und später CRADLE OF FILTH haben mich seinerzeit mehr beeindruckt als die hanseatischen Kürbisse.

Einer, der vermutlich immer an eine Reunion mit den "alten" Recken Kiske und Hansen geglaubt hat, ist wohl Nuclear Blast-Chef Markus Staiger. Denn unter dem Banner des Labels erschien 2019 ein Live-Doppelalbum. Selbiges wurde im Zuge der Tour aufgenommen, bei der die ehemaligen Mitglieder wieder am Start waren. Ein neues Album war nur eine Frage der Zeit und nun ist es also endlich soweit.

Die Erwartungshaltungen diesbezüglich könnten wohl nicht unterschiedlicher sein. Da sind auf der einen Seite die Fans, die bereits nach dem Weggang von Kai Hansen abgewunken haben und die sich vermutlich eher zaghaft an die Wiedervereinigung gewöhnen werden. Und da sind auf der anderen Seite die Fans, die den Weg der Band stetig mitgegangen sind und die "neuen" Mitglieder, allen voran natürlich Sänger Andi Deris, ins Herz geschlossen haben. Wie schon erwähnt, bin ich so etwas wie ein Fan von Andi und das letzte Album "My God-Given Right" war für mich persönlich ein Indiz dafür, dass die Band sich wieder auf einem richtig guten Level befand. Kurz danach machte die Meldung die Runde, dass Kiske und Hansen zusammen mit der Band auf Tour gehen. Ob das gutgeht? Anscheinend ging es gut, denn man machte sich daran, ein neues Album mit den angesprochenen Protagonisten zusammen zu schrauben. Zugegeben, die Skepsis überwog, würden die vielen Köche den Brei verderben? Würde HELLOWEEN noch einmal nach dem Desaster Anfang der Neunziger Schiffbruch erleiden? Wurden alle Kriegsbeile, die in der Band und um die Band herum geschwungen wurden, wirklich so tief begraben, dass Zwietracht zu einem Fremdwort mutierte? Konnte aus der neu entstandenen Konstellation wirklich etwas Nachhaltiges entstehen?

Die Antworten auf diese Fragen wird die Musikwelt im Juni erfahren, wenn das Album veröffentlicht wird. Im Gegensatz zu Rüdiger habe ich die Band nicht mit dem neu formierten Line-up, sondern zuletzt live auf der 70.000 Tons Of Metal Cruise 2013 gesehen. Macht aber nichts, denn die Vergangenheit ist eine Sache, die Zukunft der Hamburger Band eine andere. Fakt ist, dass das neue Album "Helloween" genau das ist, was der Kollege oben prophezeit hat: Thors Hammer zerfetzt Midgard!

[Frank Wilkens]


Doch damit nun genug der Vorrede: HELLOWEENs Label Nuclear Blast Tonträger lädt uns zur Listening Session ein, pandemiebedingt natürlich per Online-Konferenz, und nach einer kurzen Einführung von einem sichtlich euphorischen und von dem Werk absolut überzeugten Labelchef Markus Staiger und Chef-Promoter Markus Wosgien, werden die Mikros der Konferenz stumm geschaltet und die versammelten Journalisten - darunter wir beide für POWERMETAL.de - für eine gute Stunde in die Welt der metallischen Klänge entlassen, zur Erstverlauschung des Albums "Helloween" von HELLOWEEN. Ja, der Titel ist ein Statement, und wie sich an den Gesichtern der Konferenzteilnehmer leicht ablesen lässt, hat die Band mit diesem Statement den Mund nicht zu voll genommen, und auch das eindrucksvolle Ölgemälde von Eliran Kantor, das die Scheibe ziert, verspricht nicht zu viel.

Doch alles der Reihe nach, hier sind in geraffter Form unsere jeweiligen Eindrücke von den einzelnen Songs:

[Rüdiger Stehle]


1. Out Of The Glory (Weikath - 7:19):

Vereint in sieben Minuten alles, was man von HELLOWEEN erwartet. Der Song erinnert stilistisch stark an die "Walls Of Jericho"-Ära. Für mich nach dem ersten Hördurchlauf eines der absoluten Highlights. [Frank]

Die Scheibe startet mit einem epischen Melodic-Speed-Kracher vom Feinsten, der Rückkehrer Michael Kiske eine sehr prominente Rolle einräumt, aber auch Andi Deris und Kai Hansen am Mikro präsentiert. Rifforientiert, melodisch, positiv, energetisch; er hat alles wofür HELLOWEEN steht im Überfluss. Time has come! [Rüdiger]

2. Fear Of The Fallen (Deris - 5:39):

Balladesker Einstieg mit Cello-Begleitung. Vielschichtiger Song, der mal progressiv, mal dezent poppig daher kommt. [Frank]

Ja, eine typische Nummer für Andi Deris; ein Hauch Melancholie, eine dezente Poppigkeit, doch der balladeske Anfang täuscht ein wenig, denn im weiteren Verlauf zieht das Stück ordentlich an, allerdings nicht ohne hier und da noch einen leichten Bowie-Schlenker zu nehmen. [Rüdiger]

3. Best Time (Gerstner / Deris - 3:36):

Die gemeinsame Komposition von Sascha Gerstner und Andi Deris ist vielleicht der eingängigste Song auf dem Album. [Frank]

Ja, die Hooklines sind hier ziemlich poppig und eingängig, sehr typisch für die beiden Komponisten, aber der Song rockt trotzdem sehr ordentlich und markant. Starke Nummer! [Rüdiger]

4. Mass Pollution (Deris - 4:15):

Eingängige Melodieführung mit 80er Jahre Touch. Klingt zum Teil eher nach ACCEPT als nach HELLOWEEN. [Frank]

Der Heavy-Rocker der Scheibe, für mich ist es ein starker KISS-Touch und ein Hauch von THE SWEET, fettes Riffing, rockiger Groove, starke Gitarrensoli und ein tolles Bassbreak sorgen für die bandtypische Verspieltheit. [Rüdiger]

5. Angels (Gerstner - 4:42):

Zunächst im Mitteltempo gehaltener Song, der mit an Kirchenorgel erinnernden Keyboards und mehrstimmigen Gesangspassagen garniert wird. [Frank]

Hier hat Sascha Gerstner ein paar Hooklines aus dem Ärmel geschüttelt, die Michael Kiske auf den Leib geschneidert sind, aber ja, es wird auch toll mehrstimmig arrangiert und mit spannenden Effekten gearbeitet. Toller Refrain mit Mitsingzwang beim ersten Hören! [Rüdiger]

6. Rise Without Chains (Deris - 4:56):

So würde "Keeper Of The Seven Keys" klingen, wenn es 2021 produziert werden würde. [Frank]

Nochmal eine ganze Ecke traditioneller und metallischer als die beiden rockigeren Stücke davor, entrückter Pathos von Deris, dann ein toller Einstieg von Kiske. Die Beiden funktionieren als Duo hier super! [Rüdiger]

7. Indestructible (Großkopf - 4:43):

Der einzige Song aus der Feder von Markus Großkopf. Besticht durch intensive Bassläufe und durch geniales Zusammenspiel der drei Gitarren. [Frank]

Die Songs von Markus gehören ja gerne mal zu meinen Highlights, und so ist es auch hier. Der Bass hat einen lockeren Groove und sehr dynamischen Drive, die mehrstimmigen Arrangements von Gesang und Gitarren treffen voll ins Schwarze. Stilistisch absolut Futter für Freunde der Keeper-Ära, wenn auch mit besonderem Twist. [Rüdiger]

8. Robot King (Weikath - 7:08):

Old-school HELLOWEEN. Vielseitige Uptempo-Hymne, die sich konsequent über die sieben Minuten zum epischen Finale aufbaut. [Frank]

Michael Weikath scheint sehr stolz auf diesen Song zu sein, und das zu Recht, denn hier zeigt die Band, wie hart sie auch anno 2021 noch zu Werke gehen kann. Ganz klassischer Kürbisgeist, mag man sagen: harter Melodic Speed Metal mit fröhlichen Leadmelodien, aber auch mit viel Biss und herrlichen Screams. [Rüdiger]

9. Cyanide (Deris - 3:29):

Kurzer Song von Andi Deris, der ebenfalls durch starke Gitarrenarbeit überzeugt. [Frank]

Das letzte Viertel eröffnet die letzte Deris-Komposition des Werkes, und die ist für Andi mal wieder sehr typisch, lässt dem Sleezy Tone am Mikro viel Raum, hat aber auch sehr hartes Riffing, einen starken groovenden Basspart und mehrstimmig Leadgitarren und Gesangspart. [Rüdiger]

10. Down In The Dumbs (Weikath - 6:01):

Obwohl typisch HELLOWEEN (mit dezenten Electronic-Einschüben), muss man diesen detailverliebten Song definitiv mehrfach hören. Mehr Riffs in einem Song gehen nicht! [Frank]

Durch die von Frank erwähnten exzellenten Riffs geht das Weiki-Stück wohl als die härteste Nummer des Albums durch, die insoweit durchaus "Walls"-Intensität erreicht und außerdem dadurch besticht, dass alle drei Sänger Leadvocals beisteuern, auch Kai Hansen, der sich insgesamt erwartungsgemäß gesanglich etwas mehr zurück hält als die beiden Kollegen. [Rüdiger]

11. Orbit (Hansen - 1:05):

Kurzes instrumentales Intermezzo von Kai Hansen. Könnte als Intro des Albums dienen, tut es aber nicht. [Frank]

Jo, ein spaciges Intro... hätte man auch zur Spielzeit des Finales hinzu nehmen können. Aber es setzt die passende Stimmung für das, was kommen mag. [Rüdiger]

12. Skyfall (Hansen - 12:11):

Vermutlich der spektakulärste Song, den HELLOWEEN in ihrer Karriere abliefern. Der zwölfminütige Titel greift dort an, wo man nach "Keepers..." aufgehört hatte. Nur besser eben. Hier kommen alle Protagonisten vollends zur Geltung. Klassiker! [Frank]

Den ultimativen Superlativ, den Frank zieht, möchte ich hier noch nicht ziehen, aber ja, auch für mich steht fest, dass 'Skyfall' zumindest keinen Vergleich in der Kürbiswelt scheuen muss. Kai Hansen ist hier ein Monster von einem Epic-Longtrack gelungen, der wirklich alles kann, was man von HELLOWEEN so erwarten könnte. Allein die Refrain-Zeile ist für die Ewigkeit geschrieben: "I fell from the sky, so don't ask me why, I'm feeling so down." - So in einen Vers verliebt, war ich lange nimmer. [Rüdiger]

 

Bei der virtuellen Pressekonferenz am Freitag sind die Bandmitglieder Andi Deris, Michael Weikath, Markus Großkopf und Sascha Gerstner anwesend. Auf Seiten des Labels Nuclear Blast gesellt sich neben den Promotern Markus Wosgien und Flori Milz auch Chef Markus Staiger hinzu, der sich außerordentlich begeistert zum neuen Werk äußert. Er selbst stellt dann in Journalistenmanier einige Fragen an die Band, die mit der einen oder anderen Portion Selbstironie ausgestattet sind. Auf seine Frage "Wer legte die Reihenfolge der Lieder auf dem Album fest?" antwortet Michael Weikath zunächst mit lautem Lachen, dann mit den Worten: "Das fragst ausgerechnet du?". Mehrfach an diesem Abend spielen sich Label und Band die Sätze zu, was dem Unterhaltungswert der Veranstaltung zu Gute kommt. Die meisten auf die momentane Entwicklung bei HELLOWEEN und das aktuelle Album bezogenen Fragen der Journalisten beantworten vor allem Sascha Gerstner und Andi Deris.

Als Einstieg in die Pressekonferenz werden die anwesenden Journalisten nach dem Highlight des Albums gefragt. Fast einhellig lautet die Antwort: 'Skyfall'. Der zwölfminütige Track wird auch der erste Song sein, welcher als Single mit dazu gehörigem opulentem Video veröffentlicht wird.

[Frank Wilkens]


Im zweiten Teil der Pressekonferenz sind dann die drei weiteren Protagonisten am Start. Die beiden Rückkehrer Kai Hansen und Michael Kiske, sowie Schlagwerker Dani Löble, und erstaunlicherweise ist es Dani Löble, der am meisten zu berichten hat. Nun, so überraschend vielleicht doch nicht, denn schließlich ist er auch ohne Songwriting-Credits seit vielen Jahren bei jeder Kürbisproduktion an vorderster Front mit dabei. Ansonsten ist zu sagen, dass die Atmosphäre zwischen den Bandmitgliedern, den Labelvertretern und der anwesenden internationalen Journaille hervorragend ist, ja, regelrecht fröhlich und ausgelassen. Die Musiker genießen sichtlich die durchweg positiven bis begeisterten Reaktionen der schreibenden Zunft, Labelboss Markus Staiger ist - glaubwürdig! - überzeugt, mit "Helloween" das beste Album seiner Labelkarriere in die Regale zu bringen, und speziell Kai Hansen und Michael Kiske nehmen sich immer wieder gegenseitig ein wenig freundschaftlich auf den Arm.

Michi Kiske bekennt, dass er nur ganz kurz erwogen habe, auch eigene Kompositionen für das Album zu schreiben, sich aber schnell bewusst geworden zu sein, dass es - da es ja ein Metal-Album werden solle - wohl besser sei, wenn er die Anderen schreiben lässt, als wenn er für ihn typische Songs schreibe, die von den anderen dann aufgemetalt werden müssten. Mit ein wenig Bedauern stellt er indes fest, dass sein Lieblingssong aus der Session, eine von Andi Deris verfasste Ballade, es nicht auf das Album geschafft habe. Da sie aber viel zu schade für eine B-Seite sei, hofft er darauf, dass diese bis zum nächsten Album perfektioniert wird und dann jenes bereichern wird. Man merke auf: Herr Kiske plant für eine gemeinsame Zukunft!

Für Kai Hansen ist es derweil kein allzu großes Problem, dass er von den drei Sängern der Band doch mit einigem Abstand die wenigsten Gesangsparts beisteuerte. Zwar singe er sehr gerne und hätte natürlich gerne mehr gesungen, aber auf der anderen Seite freue er sich live ja auch, wenn die beiden Kollegen den Löwenanteil der anstrengenden Gesangsarbeit auf ihren Schultern trügen. Außerdem könne er ja einfach ein neues GAMMA RAY-Album machen, wenn er wieder mehr singen wolle. Für die Fans der Gammastrahlen gibt es zudem einen wichtigen Hinweis von Kai: Auch wenn HELLOWEEN aktuell Priorität habe, sei GAMMA RAY nicht tot. Alle drei Protagonisten sind sich derweil einig, dass es bei HELLOWEEN nicht darum gehe, wer denn nun der beste Sänger sei, da die Band nun den Luxus habe, dass sie - egal welche Stimmung und Stimmfarbe sie benötige - immer den richtigen Sänger dafür an Bord habe. Kai Hansen sieht sich insoweit in der Rolle des Zwerges auf Acid, und fühlt sich darin sichtlich wohl, und auch Michael Kiske drängt sich insoweit kein bisschen in den Mittelpunkt, sondern betont, dass es für ihn "den besten Sänger" nicht gebe. Insbesondere lobt er seinen Kollegen Andi Deris ausgiebig, und ebenso den Weg, den die Band in der Zeit eingeschlagen habe, als er nicht mehr dabei war. HELLOWEEN habe Kiske zufolge sehr viel richtig gemacht, so lange er und Kai nicht dabei gewesen seien. Vor allem sei es ein cleverer Schritt gewesen, einen Sänger zu holen, der einen gänzlich anderen Stil habe; und er gibt unumwunden zu: Wenn die anderen Jungs damals die HELLOWEEN-Flagge nicht hoch gehalten hätten, dann wären auch sie heute nicht hier.

Dani Löble erzählt im Detail wie es dazu kam, dass er das neue Album auf dem Original-Drumkit des 1995 verstorbenen Ingo Schwichtenberg einspielen konnte, und daneben bringt er immer wiede die schelmische Note der Band gut auf den Punkt, wenn er beispielsweise kurz anmerkt, dass die Songs ohne Gesang an sich besser wären, weil man dann mehr von den Instrumenten höre. Außerdem fasst er auch die aktuelle Attitüde der Band gut zusammen, indem er auf die Frage eines Kollegen nach dem Fehlen des "Pumpkins United"-Mottos, die Botschaft hinter dem Albumtitel wie folgt zusammenfasst: "We are not 'United' anymore, we are simply 'Helloween' now."

Die Bitte eines weiteren Kollegen, das Album doch in vier Worten zusammen zu fassen, überfordert die Beteiligten indes - verständlicherweise - völlig: Labelboss Markus Staiger bricht es auf ein euphorisches "Fucking Brilliant! Fucking Brilliant!" herunter, während Michael Kiske kurz sinniert und so nachdenklich wie feixend "Lots of Information. Yeah!" zu Protokoll gibt. Kai Hansen bleibt in der Rolle des Zwerges auf Acid und schwadroniert von "Conglomeration of Ballistic Insanity", während Dani Löble knochentrocken klarstellt: "4 Words are not enough!".

Recht hat er, oder Frank? Was nimmst du von diesem Wochenende mit?

[Rüdiger Stehle]


Als es seinerzeit die Runde machte, HELLOWEEN würde wieder mit Kiske und Hansen als zusätzlichen Bandmitgliedern auf Tour gehen, konnte ich nicht in den allgemeinen Jubel einstimmen. Zu sehr hatte sich die Band aus meinem Fokus entfernt, zudem schienen die Gräben zwischen der aktuellen Besetzung und den ehemaligen Mitgliedern unüberwindbar (zumindest hatte ich den Eindruck). Doch ich lasse mich nun gerne eines Besseren belehren: "Helloween" hat mich nach dem ersten Hördurchlauf schier vom Hocker gerissen. Bereits beim Opener 'Out For The Glory' war klar, dass hier nichts schiefgehen würde. Gerade bei diesem Album, bei dem alle Beteiligten ihre Kreativität in die Waagschale geworfen haben, kann man nicht nach dem ersten Hören ein Gesamturteil fällen. Aber eines steht bereits fest: Allen Skeptikern (inklusive meiner Wenigkeit) wird eindrucksvoll demonstriert, wie ein Haufen Kürbisse nach all den Jahren noch zulegen kann.

[Frank Wilkens]


Ja, dem möchte ich mich doch recht vorbehaltlos anschließen, auch wenn ich meinerseits bereits Großes erwartet hatte: Die Erwartungen werden nochmal ein ganzes Stückchen übertroffen, und die tollste Botschaft, die ich aus der Listening Session und der Pressekonferenz mitnehme ist, dass die Band als Septett zu harmonieren scheint. Die im Vorfeld durchaus verständliche Befürchtung mancher besorgter Fans der vielen tollen Jahre mit Andi Deris, dass ihr Lieblingsfrontmann sich an den Rand gedrängt fühlen oder gar tatsächlich gedrängt werden könnte, bewahrheitet sich zum Glück nicht. Er ist ganz klar nicht "die gehörnte Ehefrau, die gute Miene zum bösen Spiel macht, während ihr Göttergatte wieder seiner Ex nachhängt", wie ich es im Vorfeld in einem Forum lesen konnte. Von allen Songwritern der Band hat Andi Deris mit fünf Songwriting-Credits nämlich klar den größten Einfluss auf die kompositorischen Aspekte genommen, und auch gesanglich harmonieren Andi Deris und Michael Kiske großartig. Michael Weikath setzt mit seinen drei Stücken echte Ausrufezeichen und sorgt für einige absolut zwingende Trademark-Momente, Sascha Gerstner beweist, was für ein integraler Bestandteil des HELLOWEEN-Kosmos er inzwischen geworden ist, Markus Großkopf darf ebenfalls seinen kompositorischen Volltreffer landen, während er am Bass Eindrucksvolles zelebriert, und Kai Hansen gebührt die Ehre die lange Kette der großen HELLOWEEN-Epen um eine besonders schön glänzende Perle zu verlängern. Dani Löble und Michael Kiske indes haben zwar keine Songs für "Helloween" geschrieben, doch wenn ihr das Album zu hören bekommt, wird sicher keiner von euch auf die Idee kommen, dass die Beiden für das Gelingen dieses Projekts eine weniger bedeutende Rolle gespielt haben könnten. Wenn ich eben jeden Musiker einzeln erwähnt habe, dann nicht, um ihn zu exponieren, sondern um aufzuzeigen, wie viel Input jeder Beteiligte geliefert hat, und wie gut die Band ganz offensichtlich harmoniert hat, um dieses Album zum Erfolg werden zu lassen, und ich bin absolut überzeugt, dass es in der Szene richtig mächtig einschlagen wird. Das neue Album von HELLOWEEN ist eine eindrucksvolle Lehrstunde im Übertreffen unglaublich hoher Erwartungen. Es vereint alle Stärken einer großen Bandhistorie und sieben außergewöhnlicher Musiker zu einem in jeder Hinsicht kreativen, fein ausbalancierten, epischen und mitreißenden Werk. Holt es euch, wenn es zu haben ist. Am 18.06.2021 ist es soweit, vorher kommt noch die Single "Skyfall". Ich für meinen Teil kann es jedenfalls kaum erwarten.

[Rüdiger Stehle]

Redakteur:
Rüdiger Stehle
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