IN FLAMES: Interview mit Björn Gelotte

01.01.1970 | 01:00

Björn Galotte, seines Zeichens Gitarrist und (zusammen mit Klampfenkollege Jesper Strömblad) Songwriter der schwedischen Melody Death-Giganten IN FLAMES, meldete sich pünktlich wie die Feuerwehr zum vereinbarten Termin und lief am anderen Ende der Leitung zu wahrer Höchstform auf. Geschlagene 40 Minuten lang erging sich der bestens gelaunte Skandinavier trotz eines vorangegangenen Interviewmarathons in einen wahren Redeschwall, den ich beim besten Willen hie und da ein wenig kürzen musste. Sonst würde das world wide web vermutlich unter der Last des benötigten Speicherplatzes kollabieren ;-)

Rainer:
Laß uns gleich mal auf das neue Album zu sprechen kommen: wo liegen Deines Erachtens die hauptsächlichen Unterschiede zwischen "Clayman" und "Colony"; sowohl in Sachen Songwriting als auch soweit es den Sound betrifft?

Björn:
Nun, wir haben es zum ersten mal fertiggebracht, zwei Alben hintereinander in derselben Besetzung aufzunehmen. Und das ist auch maßgeblich dafür, wie das Album klingt. Denn jetzt sind wir mehr denn je eine echte Einheit.

Rainer:
Du meinst also, Ihr klingt jetzt wesentlich mehr tight?

Björn:
Ja, wir haben sehr viel getourt, in Europa und Nordamerika, das hat uns ziemlich zusammengeschweisst. Jeder von uns steht momentan 100% hinter IN FLAMES. Wir alle verbessen uns an unseren Instrumenten, nehmen neue Enflüsse auf. Gerade die Headlinertour in Europa hat uns sehr inspiriert, weil wir mit so großartigen Bands unterwegs waren, mit so exzellenten Musikern. CHILDREN OF BODOM, ARCH ENEMY, DARK TRANQUILLITY, das war wie eine Riesenparty für uns. Auf diese Weise haben wir alle, habe auch ich eine Menge Neues gelernt. Und gerade das hat uns stark inspiriert, was das neue Album betrifft. Und das kann man auch hören: wir sind jetzt eine bessere Einheit als je zuvor.

Rainer:
Du meinst also, daß man das spüren kann? Daß man der fertigen Platte anhört, daß Ihr jetzt mehr denn je eine richtige Band seid?

Björn:
Ja, das will ich doch hoffen.

Rainer:
Was den Sound, die Produktion betrifft. Bist Du jetzt, da die Fertigstellung der Aufnahmen einige Zeit zurückliegt, wirklich hundertprozentig mit jedem Aspekt davon zufrieden?

Björn:
Ja, natürlich. Ich bin so zufrieden wie ich es noch bei keiner anderen Platte war. Und doch, keine Platte kann perfekt sein; sonst hätte man ja auch gar keinen Antrieb, eine weitere zu machen.

Rainer:
Du meinst mit Ausnahme von "Operation:Mindcrime"? (Konzeptalbum von QUEENSRYCHE - d.Verf.)

Björn:
(lacht) Ja, in gewisser Weise ist das perfekt; zumindest hab ich eine Menge Leute das sagen hören. Ich persönlich finde, daß diese Platte ("Operation: Mindcrime" - d.Verf.) so nahe an der Perfektion ist, wie es nur irgendwie möglich ist. Aber ich weiss, wenn Du eines Tages das perfekte Album gemacht hast, dann liegt ja eigentlich kein Sinn mehr darin, weiter Musik zu machen. Jedenfalls, soweit es die Produktion unseres neuen Albums betrifft, sind wir dieses mal sehr viel zufriedener als bei der letzten Platte; wir hatten da schon ein paar Probleme mit den Master Tapes. Ich weiss nicht wie, aber irgendwie sind die Bässe verloren gegangen.

Rainer:
Ja, das hat man gehört.

Björn:
Und das ist sehr schade, denn das ist ja sehr wichtig für uns, denn wir wünschen uns ja die entsprechende Heaviness.

Rainer:
Wieviel Zeit habt Ihr denn eigentlich insgesamt für das Songwriting, das Rehearsing und die eigentliche Produktion gebraucht, so pi mal Daumen?

Björn:
Wie gesagt, wir waren so voller Inspiration. Also, nachdem wir von der letzten Tour (Nordamerika, Mexiko - d. Verf.) zurückkehrten, waren wir zwar zunächst ziemlich müde nach den beiden anstrengenden Tourneen. Aber wir hatten soviele Ideen, daß wir gleich wieder anfingen zu schreiben. Meine Wenigkeit und Jesper (Strömblad, der andere Gitarrist - d. Verf.) hatten nur ein paar Ideen, die wir zusammengeschmissen haben und aus denen wir einge wenige Songs gebastelt haben. Wir sagten uns, daß wir nicht unvorbereitet ins Studio gehen wollten. Also haben wir sogar nachts gearbeitet, als wir bei den Prerecordings angelangt waren. Wohlgemerkt, wir alle haben unsere Ideen zusammengeworfen und Songs daraus gemacht.

Rainer:
Ihr habt also keine Pause eingelegt und seid erst dann ins Songwriting eingestiegen?

Björn:
Das hätte keinen Sinn gemacht. Wir alle waren so aufgedreht, so voller Energie. Es wäre sinnlos gewesen, ausgerechnet dann etwas langsamer zu tun. Insgesamt haben wir das komplette Album in gerade mal einem Monat geschrieben und sind sofort ins Studio gegangen. Hätten wir weitergemacht, wir hätten auch 200 Songs schreiben können. Du weisst, was ich meine: wenn Du mal so richtig ins Rollen kommst, kannst Du kaum noch aufhören.

Rainer:
Hattet Ihr denn eine grössere Anzahl an Songs vorbereitet?

Björn:
Nein, wir wollten nicht eine Auswahl von 20 Songs oder so haben, um daraus dann die besten zu nehmen. Das wäre langweilig gewesen.

Rainer:
Ihr wollt also auch keine der Ideen, die Ihr diesmal nicht verwendet habt, auf dem nächsten Album verbraten?

Björn:
Vielleicht ein paar davon. Das Problem war ja nicht, daß diese Ideen schlecht gewesen wären; sie haben nur einfach nicht dazugepaßt. Wir sind eben pedantisch, was die Arrangements betrifft; aber das ist eine Sache der gesamten Band. Ich und Jesper, wir kommen nur mit den Riffs, Melodien und so weiter daher. Aber die Songs basteln wir alle zusammen daraus. Ist auch viel einfacher so, denn auf diese Weise hat Jeder ein Mitspracherecht und wir brauchen auch den Einfluß jedes Bandmitglieds. Alles ist absolut glatt verlaufen und jeder weiss ganz genau, in welche Richtung wir uns jetzt bewegen. Das ist ein verdammt gutes Gefühl, so war es noch nie zuvor.

Rainer:
Das hört sich vielversprechend an!

Björn:
Ja! Wenn man mich fragt, wir haben momentan DAS lineup... das wird auch die nächsten 25 Jahre oder so bleiben.

Rainer:
Eure Musik hat sich ja in den letzten 5, 6 Jahren kontinuierlich entwickelt, ohne dabei jemals die vielzitierten roots zu vernachlässigen. Glaubst Du, daß die ganze Weiterentwicklung nur das natürliche Resultat höheren Alters und grösserer Erfahrung ist?

Björn:
Ich glaube, daß es sehr viel damit zu tun hat, welche Art von Mensch man ist. Wenn Du Dir immer nur eine bestimmte Musikrichtung anhörst, ist es verdammt schwer, sich weiterzuentwickeln und ein Gespür für neue Dinge zu bekommen. Wir sind alle ziemlich open minded.

Rainer:
Ja, man sieht es auf Eurer homepage, bei den Vorstellungen der einzelnen Musiker.

Björn:
(lacht) Soso, Du kennst das. Ich glaube nicht, daß wir, was unseren Musikgeschmack betrifft- extrem sind (in Sachen Abwechslungsreichtum - d.Verf.). Nur gehören wir zu den offensichtlich wenigen Leuten, die sich zuzugeben trauen, welche Musik ihnen gefällt. Wir sind keine Metalheads. Wir alle lieben zwar diese Musik, aber wir alle lieben auch viele andere Arten von Musik. Das ist auch sehr wichtig, weil es einem sehr viel mehr Variationsmöglichkeiten gibt, wenn man selber Lieder schreibt. Man hat dann keine Scheu, auch andere Stilelemente in seine eigenene Musik einzubauen. Wenn Du Dir andersartige Musik anhörst, inspiriert es Dich auch. Du mußt solche Musik ja deswegen nicht spielen.

Rainer:
Es langweilt Euch also auch, ständig dieselbe Musik zu hören. Geht mir genauso.

Björn:
Ja. Wie gesagt, es ist sehr wichtig, mal was anderes zu hören. Man gewinnt andere Eindrücke, kann eine Menge dabei lernen, kann dann selber auch viel mehr erreichen. Die Entwicklung, die wir durchgemacht haben, hat auch viel damit zu tun. In unseren Anfangstagen waren wir eben noch eher auf bestimmte Bands limitiert. Aber irgendwann hörst Du auch andere Sachen und hast trotzdem noch den Grundstock an Sachen, die Du früher gehört hast. Du lernst immer neue Sachen; und das gilt für uns alle. Jetzt, mit dem aktuellen lineup, das hoffentlich auch so bestehen bleiben wird.

Rainer:
Mit Peter (Iwers, Bassist - d.verf.) und Daniel (Svensson, Schlagzeuger - d.Verf.).

Björn:
Die beiden sind das Rückgrat von IN FLAMES. Sie sind zwar relativ neu an Bord, aber ausgezeichnete Musiker.

Rainer:
Ja, das hat man letztes Jahr auf dem Wacken Open Air gemerkt. Da habt Ihr ja ziemlich aufgedreht; und daß, obwohl Death Metal ja nun wirklich keine ausgesprochene Open Air-Mucke ist.

Björn:
Ja, die beiden sind ausgesprochen wichtig. Nichts würde jetzt mehr ohne irgendein Mitglied der Band funktionieren. Die beiden jedenfalls sind unser Rückgrat, sie erschaffen das Gerüst, auf dem wir uns austoben können. Sie machen es mir und Jesper sehr leicht, unsere Riffs und Melodieen vom Stapel zu lassen und dabei trotzdem noch wie IN FLAMES zu klingen. Und all das in Kombination mit den Vocals von Anders; jetzt, wo er wirklich neue Sachen ausprobiert, wo er herumexperimentiert und dabei stets den spezifischen IN FLAMES-Touch beibehält.

Rainer:
Ja, gerade das mit Anders ist bemerkenswert: er hat jetzt verstärkt cleane Parts, klingt aber gleichzeitig aggressiver wie je zuvor.

Björn:
Ja, das ist der Weg, den wir gehen wollen. Gleichzeitig versuchen wir immer noch, eine Heavy Metal Band zu sein und auch zu bleiben. Es ist immer noch unverkennbar IN FLAMES, aber wir wollen unseren Gesamtsound dynamischer machen. Auf den letzten beiden Tourneen haben wir eine Menge darüber gelernt, was funktionieren kann und was nicht.

Rainer:
Du meinst den Wechsel zwischen laut und leise, schnell und langsam?

Björn:
Ja! Die Lautstärke und das Tempo zu variieren, das macht die Musik insgesamt aggressiver und ist deshalb sehr wichtig für das Gesamtbild.

Rainer:
Würdest Du sagen, daß Euer Songwriting mehr von rationellem Denken oder mehr von Gefühlen geleitet ist? Daß es also eher aus dem Kopf oder eher von Herzen kommt?

Björn:
(schnippt mit den Fingern) Tja, also.

Rainer:
Je nachdem, was der Moment Euch bringt?

Björn:
Hängt immer vom Augenblick ab, ja. Manchmal hat Jesper etwas am köcheln und ich komme aus dem Stegreif mit dem Riff daher, das gut dazu passt. Aber es gibt auch Momente, wo wir alle sagen: das hat das richtige feeling, aber lasst es uns trotzdem anders machen. Ist immer schwierig.

Rainer:
Hängt also von der jeweiligen Situation ab.

Björn:
Ja, erstens von der Situation. Zweitens ist auch das feeling des jeweiligen Songs wichtig. Wenn es zum Beispiel zu fröhlich klingt...

Rainer:
Wie Helloween?

Björn:
(lacht) Ja, Du verstehst mich. Ist halt immer schwierig; wir wissen, wie wir klingen wollen, das ist kopfgesteuert. Aber die eigentliche Musik kommt ausschließlich aus dem Herzen. Ist also sozusagen eine Mischung.

Rainer:
Glaubst Du, daß IN FLAMES eine der wenigen Bands ist, die so nahe an wahrer Kunst ist, wie man es in einer so extremen Musikrichtung wie Death Metal überhaupt sein kann?

Björn:
Holla, das ist... öhmmm...

Rainer:
Gut gestellte Frage, was?

Björn:
Ja. Und eine schwer zu beantwortende Frage obendrein. Ich denke, daß Musik grundsätzlich immer Kunst ist.

Rainer:
Natürlich, jede Art von Musik ist Kunst. Ich meine damit nur, daß die meisten Death Metal Bands fast ausschließlich relativ simpel, brutal etc. zu Werke gehen.

Björn:
Ich glaube, unsere Annäherung an Kunst liegt darin, daß wir nicht nur traditionellen Death Metal oder Heavy Metal machen, sondern auch all diese Melodieen einbauen und dadurch versuchen, die Musik schöner zu machen. Auch wenn das vielleicht nicht ganz das richtige Wort dafür ist.

Rainer:
Also eine Kombination aus Aggressivität und Harmonie?

Björn:
Dazu noch die Vocals, die Texte, alles zusammen. Das sind schon eine ganze Menge Aspekte. Trotzdem weiss ich nicht, ob wir eine der ganz speziellen Bands sind. Da gibt es viele Bands, auf die das meines Erachtens zutrifft.

Rainer:
Glaubst Du, daß Ihre Eure Art von Death Metal, vielleicht auch das ganze Genre selbst, immer noch weiterentwickeln könnt? Daß Ihr noch weiter gehen könnt, ohne Eure Wurzeln zu verlieren?

Björn:
Wenn wir nur darauf bedacht wären, uns unsere roots zu bewahren, dann würden wir nicht so klingen, wir wir es momentan tun. Wir haben uns sehr verändert, sind aber immer noch IN FLAMES.

Rainer:
Aber wenn man jemandem "Lunar Strain" und "Clayman" in die Hand drückt, wird er sie immer noch als zwei Platten derselben Band identifizieren, meinst Du nicht?

Björn:
Ich glaube nicht, daß wir uns so sehr verändert haben, daß man uns nicht mehr erkennen könnte. Das wären nicht mehr IN FLAMES. Es ist enorm wichtig, seine eigene Identität zu haben, einen eigenen Sound. Wenn wir zuviel experimentieren würden, würden wir uns selbst nicht mehr erkennen und würden das dann auch folgerichtig nicht spielen. Du weisst, was ich meine.

Rainer:
Stell Dir vor, Ihr würdet jetzt ganz neu anfangen. Welche Art von Musik glaubst Du, daß Ihr spielen würdet? Genau das, was Ihr momentan auch macht?

Björn:
Auch eine sehr schwere Frage. Wir sind von so vielen verschiedenen Dingen beeinflußt. Mir gefallen Pop Musik und Easy Listening. Aber auch RAMMSTEIN mit ihren Drum Loops oder DREAM THEATER mit ihren technischen Fähigkeiten.

Rainer:
Ist allerdings kein Pop...

Björn:
(lacht) Nein, das natürlich nicht. Ich hör mir auch gerne Oldies an, auch das sind meine roots. Genauso eben wie Metal. Ich glaube, mit IN FLAMES komme ich persönlich der Sache am nächsten, all meine musikalischen Einflüsse zu verarbeiten. Viel Melodie, aber noch immer alle metaltypischen Eigenschaften.

Rainer:
Was ist das für ein Gefühl, zusammen mit einigen anderen Bands wie zum Beispiel HYPOCRISY zu den wichtigsten und auch von den Verkaufszahlen her erfolgreichsten schwedischen Death Metal Bands zu gehören? Erfüllt Euch das mit Stolz?

Björn:
Eigentlich fühlen wir überhaupt nichts dabei. Natürlich, ein bischen stolz ist man schon; ist ein wunderbares Gefühl zu wissen, daß so viele Menschen Deine Musik mögen. Aber in Schweden merkt man sowieso nichts davon; ist ja nicht so, daß uns die Leute auf der Straße erkennen würden. Der Punkt ist der, daß wir so lange an diesem Projekt gearbeitet haben; es ist wie unser Kind. Wir haben uns immer mit ganz kleinen Schritten Stück für Stück nach vorne gearbeitet. Wir sind in das, was wir mittlerweile erreicht haben, hineingewachsen. Das ist ja nicht über Nacht passiert.

Rainer:
Ihr lehnt Euch also nicht zurück, um den Erfolg ein bischen auszukosten?

Björn:
Ist ja nicht so wie bei anderen Bands, die mit ihrer ersten Platte schon Goldstatus erreichen. Wir haben alle Phasen durchlaufen, mit ganz kleinen Verkaufszahlen angefangen und uns langsam nach oben gearbeitet. Genauso, wie es auch bei der Entwicklung unserer Musik war: immer nur einen Schritt auf einmal machen.

Rainer:
Wenn wir schon beim Thema sind, wieviele Scheiben habt Ihr denn von "Colony" weltweit absetzen können?

Björn:
Ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung.

Rainer:
Na, so ungefähr?

Björn:
Hoffentlich sag ich jetzt da nichts Falsches. Wirklich schwer zu sagen... so um die 80.000. Auf der ganzen Welt, inklusive Japan und so weiter. Aber das ist wirklich nur grob geschätzt.

Rainer:
Ich nehme an, Deutschland ist immer noch einer Eurer grössten, wenn nicht sogar der grösste Markt überhaupt?

Björn:
Keine Frage, unser wichtigster Markt. Zusammen mit Japan.

Rainer:
Gibt es denn überhaupt noch so etwas wie eine Death Metal Szene in Schweden, insbesondere in Göteborg?

Björn:
Eigentlich hat es die für ein paar Jahre nicht mehr gegeben, aber momentan kehrt das langsam wieder zurück. Wenn Du mich das vor einem Jahr gefragt hättest, dann hätte ich die Frage verneint. Aber momentan gibt es eine Menge neuer Bands und einige davon packen es sogar, das ist echt cool.

Rainer:
Hängt Ihr denn noch ab und zu mit befreundeten Musikern rum?

Björn:
Ja, klar. Du triffst sie in der Kneipe oder in einem Restaurant. Ist immer nett, andere Musiker zu treffen. Zumal wir Musiker uns in Göteborg alle gegenseitig kennen. Das läuft immer sehr freundschaftlich ab.

Rainer:
Das heisst, andere Musiker respektieren Euch, aber sie schauen nicht unbedingt zu Euch auf, weil Ihr ja doch eine sehr erfolgreiche Band seid?

Björn:
Nein, nein. Ich glaube, daß jeder, der uns kennt, uns für ganz normale Typen hält. Wie gesagt, wir sind in unseren jetzigen Status hineingewachsen.

Rainer:
Ja, das sieht man Euch auf der Bühne an. Ihr wirkt überhaupt nicht abgehoben oder arrogant, wie es bei anderen Bands teilweise der Fall ist.

Björn:
Dazu besteht auch überhaupt keine Veranlassung. Wir lieben das, was wir machen. Und wir haben wirklich dafür gekämpft, um dort hin zu kommen, wo wir jetzt sind.

Rainer:
Laß uns über die Texte reden: Anders (Fridén, Sänger - d.Verf.) schreibt alle Lyrics und verwendet dabei glücklicherweise keine Klischees. Schreibt er seine Texte denn mehr für sich selbst, oder will er dem Hörer bzw. Leser damit etwas sagen? Wenn ja, welche message will er denn damit vermitteln?

Björn:
Er macht folgendes: er malt ein Bild für Dich. Er sagt Dir nicht, was Du darüber zu denken hast, oder was es zu bedeuten hat. Er malt einfach nur ein Bild. Das kann irgendeine bestimmte Situation sein, von der er vielleicht selber nicht mal weiss, wie sie entstanden ist, oder wie sie sich entwickeln wird. Er malt das Bild, wie eine Momentaufnahme, und überlässt es dem Leser, dies dann für sich selber zu interpretieren. Er glaubt -wie ich- daß eigenständiges Denken sehr wichtig ist, auch bei der Lektüre von Texten. Man soll sich nicht von anderen sagen lassen, was sie zu bedeuten haben. Ich schätze, daß seine Lyrics quasi Selbstbildnisse sind, die zu betrachten er Dir erlaubt. Wenn Anders den Mund aufmacht, dann hat er auch was zu sagen.

Rainer:
Gut, kommen wir zum Thema Liveauftritte. Ihr freut Euch ja sicherlich auf den Festivalsommer, zumal Ihr für einige grosse Open Airs gebucht seid. Ihr hattet ja letztes Jahr einen äusserst erfolgreichen Auftritt auf dem Wacken Open Air und seid heuer unter anderem für ein Festival in Italien und für das Wave Gotik Treffen verpflichtet worden.

Björn:
Offen gestanden hat das WOA per se ziemlich gesaugt. Ich meine das Drumherum: wir sind ziemlich mies behandelt worden und waren entsprechend schlecht drauf. Wir durften nicht mal backstage, haben nicht mal duschen können. Nicht mal abgeholt sind wir worden. Wir sind also erst 20 Minuten vor unserem geplanten Auftritt angekommen.

Rainer:
War das vielleicht nochmal ein Extra-Motivationsschub?

Björn:
Möglicherweise, ja. Das Publikum jedenfalls war fantastisch und wir haben uns auf der Bühne einfach grossartig gefühlt.

Rainer:
Ich vermute mal, daß Ihr zuvor nur sehr selten vor einem derart grossen Publikum gespielt hattet?

Björn:
Ich weiss nicht recht. Naja, ein paar mal schon.

Rainer:
Aber zumindest passiert Euch das nicht allzu oft, oder?

Björn:
Nein, nein. Wir hatten so eine Reaktion auch nicht erwartet. Das hat uns nochmal zusätzliche Energie verliehen, die Leute waren einfach cool. Das hat uns einen richtig satten kick gegeben.

Rainer:
Gibt es denn schon konkrete Tourpläne für die Zeit nach dem Festivalsommer?

Björn:
Ja, wir haben schon so einige Pläne. Erst mal die Vereinigten Staaten, voraussichtlich im August. Wohlgemerkt, bis jetzt sind das nur Pläne, aber wir haben den festen Entschluß dazu.

Rainer:
Und Ihr werdet mit hundertprozentiger Sicherheit wieder eine Headlinertour in Deutschland absolvieren?

Björn:
Nun ja, vielleicht keine 100 Prozent.

Rainer:
99?

Björn:
(lacht) Im September werden wir eine Europatour starten. Ob nun als Headliner oder Co-Headliner, das ist noch nicht so ganz raus. Aber Ihr könnt auf jeden Fall auf uns zählen!

Rainer:
Aber über beteiligte Bands kannst Du jetzt vermutlich noch nichts sagen?

Björn:
Nein. Wird auf jeden Fall im September/Oktober sein.

Rainer:
Du hast ja schon gesagt, daß Ihr auf jeden Fall wieder in den USA touren werdet. Glaubst Du, daß melodischer Death Metal dort eine gewisse Aufmerksamkeit erwecken kann?

Björn:
Ich glaube, daß wir beim letzten mal die Samen eingepflanzt haben. Und das nächste mal, wenn wir dort sind, werden wir sie giessen und sie ein bischen zum Wachsen bringen.

Rainer:
Du meinst also, daß die Sache nur mal erst ins Rollen kommen muß?

Björn:
Ja! Vielleicht wenn wir ein paar andere europäische Bands mitnehmen würden...

Rainer:
Zum Beispiel HYPOCRISY?

Björn:
Ja, das wär doch eine großartige US-Tour!

Rainer:
Immerhin sind sie auf dem selben Label (Nuclear Blast - d.Verf.)...

Björn:
Ja, das sollte eigentlich kein Prolem sein. Allerdings ist Peter (Tägtren, HYPOCRISY-Chef -d. Verf.) ziemlich beschäftigt, zum Beispiel mit PAIN (Tägtrens Soloprojekt - d.Verf.).

Rainer:
Gibt es denn irgendwelche ganz bestimmten Bands, mit denen Du einmal gerne auf Tour gehen würdest? Nicht zwangsläufig Death Metal...

Björn:
Das ist jetzt eine sehr egoistische, sehr persönliche Antwort: meine Traumtour -ich kenn jetzt nicht die Wünsche der anderen Bandmitglieder- wäre mit DREAM THEATER und DIO. Ronnie James Dio ist mein alltime fave! Das ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Ich weiss, daß die anderen Jungs alle etwas komplett anderes sagen würden.

Rainer:
Hast Du noch ein bischen Zeit?

Björn:
Na logo. Ist mein letztes Interview heute, hab also noch jede Menge Zeit (DAS nenn ich mal eine professionelle Einstellung! - d.Verf.).

Rainer:
Laß uns mal über das Death Metal Genre per se reden: in welche Richtung glaubst Du, daß es sich in den nächsten Jahren entwickeln wird?

Björn:
Ich glaube -und das ist nur meine persönliche Meinung- nachdem viele junge, aber auch einige etablierte Bands jetzt Drum Loops und Industrial-Elemente verwenden, daß die Sache jetzt mehr und mehr... hmmm... nicht unbedingt komplex...

Rainer:
Technisch?

Björn:
Nein, auch nicht unbedingt technisch. Aber die Musik wird mehr sein als nur Gitarren, Schlagzeug, Bass und Gesang. Man wird zunehmend mehr andere Stilelemente verwenden. Es wird auch immer wichtiger werden, sein eigenes Image zu haben, um sich von den anderen Bands abzuheben. Ein gutes Beispiel sind CRADLE OF FILTH. Sie machen nicht nur ziemlich extreme Musik, sondern haben auch ein sehr extremes Image. Ich finde es ziemlich cool, was sie da veranstalten.

Rainer:
Glaubst Du, daß Death Metal Bands an und für sich und Ihr im speziellen weiterhin irgendwie ihren Lebensunterhalt mit der Musik bestreiten können werden? Oder werden eines Tages die verbliebenen Bands des ehemaligen Death Metal Booms unausweichlich wieder im Underground verschwinden?

Björn:
Momentan kannst Du über die Runden kommen, wenn Du fleissig tourst und genügend Platten veröffentlichst, etwa eine pro Jahr. Ich glaube, daß ein paar Bands noch ein bischen grösser werden können. Aber der wirklich große Markt ist einfach noch nicht bereit für diese Musik. Aber ich glaube, ein paar Bands mit ihrem eigenen Sound, ihrem eigenen Stil, dem gewissen Extra...

Rainer:
Was hältst Du eigentlich von der Napster-Scheisse, die METALLICA abziehen? Glaubst Du als Musiker, daß MP3s eine Gefahr für Bands darstellen können?

Björn:
Laß es mich so sagen... da gibt es zwei Seiten: zum einen ist es für eine Band in unserer Position, in unserer Grössenordnung eine ausgezeichnete Sache, weil es sehr gute Promotion ist. Zum anderen verliert eine grosse Band wie METALLICA eine Menge Geld dadurch. Ich halte es zwar nicht richtig, Napster wegen so etwas mit einer Klage zu bedrohen; und doch gibt es eben Gesetze dagegen (gegen "Raubkopien" - d.Verf.)... und Gesetze sind nicht dazu da, um gebrochen zu werden. Allerdings ist es auch für uns manchmal lästig. Es hat keine zwei Tage bis nach Verteilung der Promos an Journalisten gedauert, bis die ersten MP3s von unserem neuen Album im Internet erhältlich waren. Von einer Platte, die erst Anfang Juli veröffentlich wird! Insgesamt hat die Sache (MP3s - d.Verf.) also sowohl gute als auch schlechte Seiten an sich.

Rainer:
Aber Du würdest schon sagen, daß die Vorteile insgesamt überwiegen?

Björn:
Ja, natürlich! Wir können durch das Internet ein um ein Vielfaches grösseres Publikum erreichen.

Rainer:
So, wie es zum Beispiel HYPOCRISY machen, die auf ihrer homepage (www.hypocrisy.com) sämtliche Tracks aller ihrer regulären Alben in voll ausgespielten MP3s anbieten?

Björn:
Ja, für eine Band unserer Grössenordnung ist das auf jeden Fall eine sehr, sehr gute Sache.

Rainer:
Um nochmal darauf zurück zu kommen, Du kannst also Deinen Lebensunterhalt mit der Musik bestreiten? Bist sozusagen Profimusiker?

Björn:
Wenn wir genug touren, ja. Dann verdienen wir genug Kohle, daß wir die Miete bezahlen und uns was zu essen kaufen können. Aber wir kaufen uns nicht jede Woche neue Autos (lacht)

Rainer:
Letzte Frage: gibt es irgendwas, daß Du persönlich unseren Lesern sagen willst?

Björn:
Puh.

Rainer:
Überleg es Dir nur in Ruhe. Darfst jetzt ruhig ein bischen persönlich werden.

Björn:
(längere Pause) Ich möchte allen Menschen -besonders in Europa- danken, die all die Zeit zu uns gestanden haben. Sie haben uns von Anfang an unterstützt und jeder einzelne davon war eine grosse Hilfe für uns. Das ist ungeheuer wichtig und das fühlen wir auch jetzt, wo wir einen gewissen Erfolg erreicht haben. Alles immer schön Schritt für Schritt; nicht so, daß jeder Dein erstes Album mag und sich danach keiner mehr für Dich interessiert. Wir sind ganz langsam gewachsen und das nur wegen all dieser Leute. Und ich möchte mich bei allen sehr herzlich bedanken! Dafür, daß sie da waren und die Geduld bewiesen haben. Das ist so wichtig für eine Band; denn wenn sich von Anfang an Niemand für uns interessiert hätte, würden wir zwar wohl immer noch Musik machen, aber nicht mit dieser Freude. All die Leute da draussen haben uns die Möglichkeit gegeben, so Musik zu machen, wie wir es jetzt tun. Nur dank Euch sind wir erfolgreich in Japan und haben auch in den USA Fuß gefasst. Ein großes Dankeschön also an Alle!

Rainer:
Ein Dankeschön auch an Dich für das ausführliche Interview.

Redakteur:
Rainer Raithel

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