IOTUNN: Jesper Gräs über "Kinship"

30.09.2024 | 11:14

"Ich habe im Laufe der Jahre einige Male im Traum Musik komponiert. Dieses Mal war die Musik danach nicht weg."

IOTUNN gehört zu den spannendsten jungen Bands der letzten Jahre. "Kinship" ist in vielerlei Hinsicht eine Steigerung des großartigen Debüts "Access All Worlds". Klar, dass wir einige Fragen haben, die uns wieder Gitarrist und Komponist Jesper beantwortet.

Euer erstes Album entstand mitten in der Pandemie, wie liefen die letzten zweieinhalb Jahre für die Band?
Wir haben es trotz dieser Herausforderung geschafft, "Access All Worlds" vielen Leuten zugänglich zu machen. Auch, weil wir so viele Rezensionen aus der ganzen Welt bekommen haben, die sehr positiv waren. Und ich denke, die ganze Pandemie hat unseren Prozess beim Schreiben unseres nächsten Albums, "Kinship", einfach beschleunigt. Als wir die Gelegenheit dazu hatten, etwas zu unternehmen, haben wir sie meiner Meinung nach genutzt. Wir haben zum Beispiel auf einigen sehr schönen Festivals gespielt: Summer Breeze, Midgardsblot, Kopenhagen, ProgPower Europe, und dieses Jahr haben wir 70.000 Tons Of Metal gespielt. Ich denke, alles in allem lief es gut. Natürlich wäre es noch besser gelaufen, wenn wir die Touren hätten machen können, die wir geplant hatten. Aber wir laufen nicht herum und weinen. Wir ergreifen einfach die besten Gelegenheiten, die wir haben, und freuen uns immer in gewisser Weise auf die Zukunft. Insgesamt war es schon eine tolle Zeit für die Band. Wir haben zusammen einige tolle Erfahrungen auf der Bühne gemacht, einige schöne Reisen unternommen. Und natürlich hat das Schreiben dieses Albums einen großen Teil der letzten drei, vier, vielleicht viereinhalb, fünf Jahre ausgemacht.

Wie war das Schreiben des Albums im Vergleich zum ersten? Da ihr dieselbe Besetzung hattet, kanntet ihr euch, nicht nur du und dein Bruder, sondern Jón (Aldará, Sänger - NM) war auch schon seit ein paar Jahren dabei.
Während des Schreibens von "Access All Worlds" kamen Jón und Eskil (Bass - NM) dazu, als wir mit dem gesamten Prozess schon ziemlich weit fortgeschritten waren. Das war also eine andere Dynamik. Ich denke, der Prozess dieses Mal war tiefer und zusammenhängender. Ich glaube, dieses Album vermittelt das Gefühl, dass wir schon länger eine Band sind und ich glaube, man kann hören, wie wir als Musiker in gewisser Weise stärker zusammenwachsen. Außerdem macht es einfach richtig Spaß, mit all den anderen Jungs in Jotunheim Musik zu machen.

Was du erzählst, kann ich nachvollziehen, denn ich finde, das Album klingt sehr emotional. Den Einstieg habt ihr bewusst so gewählt: Es beginnt mit einem Intro auf der Konzertgitarre.
Wir wollten ein Album machen, das emotionaler ist. Und wir wollten unseren Zuhörern näher kommen und sie noch mehr bewegen. Das erforderte, dass wir selbst zerbrechlicher wurden, glaube ich. Oder vielleicht in gewisser Weise sogar noch ehrlicher. Das ist Teil dieses Albums, denke ich. Ich denke, die Stimmung, die wir von Anfang an geschaffen haben, ist auch ein Hinweis auf diese Herangehensweise an dieses Album.

War das auch eine Folge davon, dass die neuen Jungs damals beim Songwriting Ideen einbrachten? Oder seid ihr immer noch die Hauptsongwriter und die anderen tragen am Ende bei? Wie funktioniert das?
Von Anfang an sind es mein Bruder und ich, die alle Gitarrenarrangements schreiben. Mit allen Ebenen und so weiter. Wenn wir die Demos fertig haben, werfen wir es Bjørn, Eskil und Jón zu. Oft ist es dann Bjørn, der mit seinen Drums etwas beisteuert. So entsteht ein kreativer Prozess, bei dem alle fünf miteinander verschmelzen. Auch wenn mein Bruder und ich immer den Anfang machen, steuern Bjørn und Eskil auch Riffs und Ideen bei, die dann in den Ideenpool kommen. Beide spielen auch sehr gut Gitarre, musst du wissen. Es beginnt immer mit den Gitarren.

Seid ihr mutiger geworden?
Ja, das würde ich auf jeden Fall sagen. Als "Access All Worlds" herauskam, begannen mein Bruder und ich darüber zu sprechen, was wir eigentlich für das nächste Album tun könnten. Wie können wir unseren Sound weiterentwickeln? Eines der wichtigsten Dinge war, noch stärker zu versuchen, neue Gebiete unseres Sounds zu erkunden, wir wollten eine Platte machen, die noch mehr Dynamik hat. Wir wollten mehr Instrumentierung, quasi vom Tiefpunkt über das Tal bis zum höchsten Gipfel. So haben wir es dann auch gemacht, wir haben vor keiner Entwicklung Angst. Ich glaube, eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Wir fühlen uns beim Schreiben und Kreieren von Musik sehr wohl. Das ist, was wir tun wollen, und wir lieben es wirklich.

Ich finde es spannend, dass euer Songwriting nicht immer auf dem klassischen Rock- oder Metal-Gitarrenspiel aufbaut. Ich selbst bin auch mit klassischer Gitarre aufgewachsen, ich kann diese Beziehung zur Musik sehr gut nachvollziehen. In unserem damaligen Interview habe ich dich nach deinen Gitarren-Helden gefragt. Wie sieht es mit Einflüssen aus der klassischen Gitarrenliteratur aus?
Die meiste Inspiration stammt aus der Romantik. Es gibt ein berühmtes Stück über ein wunderschönes Schloss in Spanien namens 'Recuerdos de la Alhambra', das mich sehr inspiriert. Auch das Stück 'Asturias'und generell Symphonien haben mich stark inspiriert.

Ihr habt sogar ein akustisches Stück auf dem Album.
Ich habe es 'Iridescent Way' genannt, aus einem Gefühl heraus. Das Stück bedeutet mir sehr viel. Es erinnert mich daran, wie mein Bruder und ich als Kinder und junge Teenager klassische Gitarre in einem Orchester gespielt haben. Seit zehn Jahren wollte ich so einen akustischen Song machen, jetzt ist der Song einfach so entstanden. Ich habe im Lauf der Jahre einige Male im Traum Musik komponiert. Ich habe nach dem Aufwachen gleich die Gitarre in die Hand genommen, aber die Musik war stets weg. Das Intro und Outro von 'Iridescent Way' habe ich im Traum komponiert. Glücklicherweise war es nicht weg, als ich aufgewacht war. Das ist das einzige Mal in meinem Leben, dass mir das gelungen ist.

Wirst du das auch live spielen?
Wir reden darüber. Wir hoffen, irgendwann im nächsten Jahr ein paar Headliner-Gigs zu spielen. Und wir reden darüber, wie wir das angehen, denn mit dem Mikrofonieren einer klassischen Gitarre ist eine Menge langweilige Technik verbunden. Es gibt viele Resonanzen an der falschen Stelle. Entweder wir bekommen das hin oder wir machen eine sehr coole alternative Version mit E-Gitarren und vielen interessanten Effekten und so weiter. Aber das wissen wir noch nicht. Aber wir sind uns ziemlich sicher, dass wir dieses Lied bei bestimmten besonderen Anlässen spielen wollen. Ich glaube, es ist schwer, diesen Nylon-Sound hinzubekommen ...

...bei dem Klang einer Westerngitarre nimmt man einfach einen Piezo-Tonabnehmer für die E-Gitarre und schon klingt es fast wie eine Akustikgitarre, so wie John Petrucci es macht. Aber der Nylon-Sound ist schwer zu reproduzieren.
Und es gibt keine Einstellung in Helix oder sonst wo, die diesen Sound erzeugen kann. Wenn wir also einen anderen Weg gehen, wollen wir es auf eine kreative, originelle und coole Art tun. Mal sehen.

Normalerweise frage ich gerne, was sind die Pläne für die nächsten Jahre oder die Träume? Wo siehst du dich in 10 oder 15 Jahren? Bist du jetzt realistischer, als vielleicht damals, als du die Band gegründet hast? Oder sind deine Pläne jetzt größer? Wie haben sich die letzten Jahre auf deiner Reise als Musiker ausgewirkt?
Wir werden immer größer, während wir hier sprechen, und das spüren wir auch. Wir spüren, dass dieses Album großes Interesse weckt. Es ist also im Moment ziemlich aufregend. Und ich denke, wir haben unser eigenes, stetiges Tempo. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren etwas aufgebaut, auch auf der Live-Bühne. Und natürlich wollen wir sehen, wie weit uns das noch bringt. Wir möchten eine Tour machen. Wir möchten die USA besuchen, wir möchten Südamerika, Mexiko und Australien bereisen, wir würden wirklich gerne an all diesen Orten spielen. Ich denke, das wird im Laufe der Jahre passieren. Vielleicht nicht alles in einem Jahr, aber ich hoffe, dass wir in den nächsten drei, vier, fünf Jahren all diese Träume verwirklichen können. Wir schreiben auch ein neues Album. Wir fangen langsam an. Es geht immer weiter.

Gibt es eine Lieblingsband, für die ihr gerne mal eröffnen würdet?
Da gibt es viele. Der größte Traum für mich persönlich wäre METALLICA, denn das war die erste Band, die ich gehört habe. Eine meiner allerersten Erinnerungen an das Zuhören war, wie mein Bruder mir Anfang der 90er eine alte Kassette zeigte, auf der er einige Tracks vom "Black Album" hatte. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Band für meinen Bruder und mich in unserem Leben. Wir lieben auch IRON MAIDEN und JUDAS PRIEST, MERCYFUL FATE oder KING DIAMOND wäre auch großartig. Immerhin sind beide Bands auch bei Metal Blade.

Vielleicht, wenn ihr das neue Album fertigstellt habt ...
... ja. Eines Tages.

Dann hoffe ich, dass wir uns auf einer dieser großen Touren sehen werden. Danke für das Gespräch!
Danke dir!

Photo-Credit: Nikolaj Bransholm

I Feel the Night



https://www.youtube.com/watch?v=y7YvaFKKp3Q

Twilight



https://www.youtube.com/watch?v=F4XIB3G2ysI

Redakteur:
Nils Macher

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