I DEFY: Interview mit Raoul Festante

26.11.2006 | 22:11

Zu den Hardcore-Highlights des Jahres gehört zweifelsohne der zweite I DEFY-Longplayer. Nach dem 2003er "The Firing Line" ist es den Hannoveranern mit "On The Outside" ein weiteres Mal gelungen, den klassischen, von 7 SECONDS beeinflussten und völlig zeitlosen Posi-Hardcore ins (nicht mehr ganz so neue) Jahrtausend zu transportieren. Dabei offenbaren sie wiederum ein todsicheres Gespür für energetische, von unpoppigen Melodien mit Langzeitwirkung getragene Songs, die ganz nebenbei mit Texten versehen sind, die ohne den erhobenen Zeigefinger dazu animieren, seinen Kopf ruhig mal wieder zum Denken zu benutzen. Sänger Raoul Festante ließ durchblicken, dass das gar nicht wehtut.


Oliver:
Im Unterschied zu eurem Debüt ist "On The Outside" etwas melodischer ausgefallen. War die Tatsache, dass du deine hohe Stimme auf Dauer etwas anstrengend findest, der Grund für die leichte Kurskorrektur?

Raoul:
Ja, zum größten Teil lag es daran. Ich habe auch Reaktionen auf die früheren Scheiben bekommen, die in diese Richtung gingen. Von daher war es schon mein Wunsch, etwas mehr Melodie reinzubringen. Ein anderer Grund war aber, dass ich die Band insgesamt mehr in die melodische Hardcore-Richtung lenken wollte, da ich finde, dass es etwas anspruchsvoller ist, ein qualitativ gutes Album in diesem Stil einzuspielen, als nur voll loszubrettern. Ein weiteres Problem ist, dass meine Schreistimme nicht mehr die Kraft besitzt und es mich sehr anstrengt, nur zu schreien.

Oliver:
Durch die melodischere Ausrichtung klingt ihr noch mehr wie SHELTER – allerdings wie 'ne deutlich rauere und schnellere Version.

Raoul:
Kann ich so sehen, wobei es mich schon verwundert, wie oft wir mit SHELTER verglichen werden. In fast jedem Review ist davon die Rede. Interessant.

Oliver:
"Eternal", das aktuelle Album von Ray Cappos Mannschaft, stinkt im direkten Vergleich mit eurer Platte qualitativ mächtig ab. Hast du als SHELTER-Fan die Scheibe gehört?

Raoul:
Ja, ich habe sie gehört, und so sehr ich Ray Cappo und auch die Band mag, muss ich es leider genauso sehen; das ist nicht wirklich deren Niveau. Ich kenne die Band quasi seit der ersten Single auf Equal Vision ("In Defense Of Reality" von 1991 – Anm. d. Verf.) und finde, dass man den Abgang besser gestalten könnte. "The Purpose, The Passion" (2001 – Anm. d. Verf.) fand ich noch gut, aber die letzte: na ja...

Oliver:
Das Albumcover zeigt passend zum Titel einen Typen, der sich mit Kopfhörern von der Außenwelt abzuschotten versucht. Inwiefern kann Musik Schutz oder Ablenkung bieten, falls das die Aussage des Artworks ist?

Raoul:
Ja, genau, das war die Intention des Covers und auch des Titels. Musik transportiert nicht nur Sound, sondern auch Inhalte und nimmt dadurch auch Einfluss auf deine Sicht der Dinge. Ich bin davon überzeugt, dass Musik dich in deinem Weltbild beeinflussen, dass sie dich auch schützen kann, indem sie dich innerlich stärkt und dir Hoffung gibt. Wenn du dich auf Dauer nur einseitig von negativen Messages bombardieren lässt, wird das irgendwann Teil deines Denkens über die Welt und dann wird es schwer, andere Sichtweisen zu erkennen. Musik ist halt der Kanal, durch den du direkt auf emotionaler Ebene angesprochen wirst. Und damit sollte man verantwortungsvoll umgehen, finde ich. Ich versuche, die Leser mit meinen Texten zu motivieren, anstatt von meiner Exfreundin zu singen oder davon, wie beschissen das Leben sein kann. Aber ich höre nicht nur Happy-Hippie-Musik. Zurzeit läuft die neue SICK OF IT ALL rauf und runter, einfach weil es gut tut, mal Dampf abzulassen. Und um bei SICK OF IT ALL zu bleiben: Durch all ihre Scheiben zieht sich ein durchweg kämpferischer, optimistischer Ton, zwar immer angepisst, aber doch sehr motivierend. In dem Licht wollte ich die neue I DEFY-Scheibe auch gerne sehen; das war eigentlich mein Hauptziel.

Oliver:
Für das Artwork der Platte zeichnetest du im Unterschied zum Vorgänger diesmal nicht selbst verantwortlich. Woran lag's?

Raoul:
Die Idee stammt teilweise von mir und von der Band und wurde von einem Bekannten umgesetzt, der schon sehr viele Artworks gezeichnet hat (Rafal Wechterowicz; entwarf bereits Sachen für u. a. RINGWORM, INTEGRITY oder DRAGONFORCE – Anm. d. Verf.) Wir hatten diesmal einfach keine Zeit dafür; das war im Wesentlichen der Grund. Und wir wollten mal etwas Neues ausprobieren.

Oliver:
Ihr seht euch nicht als politische Band. Aber du hast bereits die Inhalte erwähnt, und abgesehen von ein paar persönlichen Texten triffst du auch einige gesellschaftspolitische Aussagen. Wie würdest du euch diesbezüglich einordnen?

Raoul:
Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zur Politik, oder besser gesagt, zu der Politisierung von Musik. Das ist schwer zu erklären, aber ich glaube beispielsweise nicht an den Satz aus den 68ern, dass alles politisch ist. Das ist mir zu plakativ, und außerdem kommt der Satz oft von Leuten, die dafür zwischenmenschlich total am Ende sind. BUT ALIVE haben dazu mal einen guten Song geschrieben ('Korrekt' vom 1993er "Für uns nicht"-Album – Anm. d. Verf.). Deswegen habe ich damit ein Problem, uns spontan als politische Band einzuordnen. Ich stehe jeder Ideologie grundsätzlich skeptisch gegenüber, und daher könnte ich mich niemals einer politischen Idee eindeutig unterordnen. Es gibt ein paar Texte auf der Platte, die in die Richtung gehen, aber das ist eher eine allgemeine Kritik an der Heuchelei. Es gibt in jedem Lager Heuchler. Eine politische Einstellung zu haben, sagt überhaupt nichts über deine zwischenmenschlichen Qualitäten aus. Und wie gesagt, meine Erfahrung ist, dass gerade angeblich politisch korrekte Gutmenschen oft die Schlimmsten sind, die größten Heuchler. Da werden pausenlos irgendwelche Phrasen gedroschen und Slogans aufgehängt, aber wenn du genau hinsiehst, erkennst du die Falschheit und zudem das, was mich vor allem erschreckt, den Zynismus, mit dem diese Leute dann auf dich herabsehen und über dich urteilen. Daher würde ich in jedem Fall sagen, dass ich Menschen grundsätzlich nach deren Charakter und Verhalten beurteile. Natürlich gibt es für mich Grenzen. Jemanden, der eine menschenfeindliche Meinung vertritt, kann ich nicht um mich herum akzeptieren. Aber Menschen, die zynisch auf andere herabschauen, genauso wenig.

Oliver:
Die Lyrics von 'Punk Rock Soap' richten sich an die Fashion-Punks, die sich zu Promo-Zwecken die Haare färben, einen Nietengürtel umschnallen und dann komplett die Rockstar-Schiene fahren. Noch weniger Punk geht nicht.

Raoul:
Ja, leider ist es so. Irgendwann mal war ich so angepisst davon, dass in Hannover jeder über jeden gelästert hat, dass es mir gereicht hat. Punkrock wird immer mehr zum Trend. Irgendwie nervt es, wenn Tussis und Typen sich wie Barbie und Ken aufführen und nur einen anderen Soundtrack verwenden. In die Richtung geht der Text.

Oliver:
Emo ist mittlerweile auch fast komplett den Bach runtergegangen. Mit DAG NASTY hat der heutige Kram überhaupt nichts mehr zu tun. Was ist da passiert?

Raoul:
Du müsstest noch RITES OF SPRING und EMBRACE dazu zählen; das waren für mich auch noch wichtige Emo-Bands. Der Begriff ist einfach ein Vermarktungsding geworden. Emo heißt, dass sich das Zeug auch Wochenend-Punkrock-Barbies bedenkenlos reinziehen können. Es ist relativ weichgespült, und die Bandmembers sehen in ihren neuen Skater-Klamotten total süß aus; das ist Emo.

Oliver:
Den negativen Einflüssen der heutigen Hardcore-Szene stehst du ebenfalls eher skeptisch gegenüber, was du in 'To The Haters' zum Ausdruck bringst. Was würdest du sagen, wie weit ist die aktuelle Hardcore-Szene von dem entfernt, was du dir unter Hardcore vorstellst?

Raoul:
Ich denke, dass sich Schwarzmalen zu einem Trend entwickelt und es cool ist, wenn du darüber singst, wie beschissen es dir geht oder wie sehr du diese oder jene Leute hasst. Darauf werden dann die Klamotten passend abgestimmt usw. Und dann gibt es auf einmal eine ganze Horde von Bands, die in die gleiche Kerbe schlagen, und fertig ist das Bild von Hardcore im Jahr 2006 für die Medien. Bei dem Song ging es mir nicht darum, Leute anzupissen, sondern eher mal zu sagen: "Stopp mal, was singst du da überhaupt für Sachen? Sind das deine Erfahrungen, oder hast du das nur aufgenommen, weil alle gerade das gleiche Zeug labern? Ist das deine Meinung, oder übernimmst du nur irgendwas blind?" Das Blöde ist, dass viele Leute das vielleicht in den falschen Hals kriegen könnten, indem es so dargestellt wird, dass ich nur alles schönfärben will; darum geht's nicht. Ich bin selber sehr oft angepisst und muss manchmal auch nur noch Dampf ablassen, wenn es mir zu viel wird. Aber es ist nicht die Hauptaussage meines Lebens, dass ich den ganzen Tag nur damit beschäftigt sein will, meine Wut abzubauen; das kann nicht der einzige Inhalt sein, für den wir leben. Diese ganze Hass-Schiene ist eine Sackgasse. Ich habe das selbst erlebt und bei Freunden festgestellt, wie sie ihre Wut letztendlich innerlich für Veränderungen blockiert hat und wie sie deswegen sogar ständig Probleme mit dem Gesetz bekommen haben. Das hat ihr ganzes Leben negativ beeinflusst.
Wie gesagt, ich bin weit davon entfernt, ein total ausgeglichener Mensch zu sein, aber ich versuche, mich nicht zu sehr davon beeinflussen zu lassen. Ich denke, dass Hass ein sehr menschliches, aber auch zerstörerisches Gefühl ist, mit dem man irgendwie konstruktiv umgehen muss, indem die eigene Wut in etwas Konstruktives gelenkt wird, aber ohne wieder nur Hass zu produzieren.

Oliver:
Als Hidden Track habt ihr ein sehr feines Cover der POLICE-Nummer 'Next To You' auf die Platte gepackt – nach SLIMEs 'D.I.S.C.O.' auf "The Firing Line" wieder eine für 'ne Hardcore-Band eher untypische Wahl. Offensichtliche Sachen wie GORILLA BISCUITS- oder 7 SECONDS-Songs lasst ihr komplett außen vor.

Raoul:
Ja, das wäre zu abgedroschen. Wir hatten einfach Bock auf den Song, und daher haben wir uns da einfach mal rangetraut.

Oliver:
Was gefällt euch an dem Song oder THE POLICE generell?

Raoul:
Erst mal ist die Scheibe (gemeint ist "Outlandos D'Amour" aus dem Jahr 1978 – Anm. d. verf.) für damalige Verhältnisse sicherlich sehr punkig gewesen. Die späteren POLICE-Sachen wurden ja alle softer, aber die erste Platte hatte noch sehr viel Eier; daher kam die Idee, es mal damit zu versuchen.

Oliver:
Obwohl "On The Outside" erst euer zweiter Longplayer ist, könntet ihr meiner Meinung nach bereits bekannter sein, wenn ihr konsequenter an eurer Band gearbeitet hättet. Hattet ihr zwischendurch andere Prioritäten?

Raoul:
Ja, wir waren alle sehr viel mit anderen Dingen beschäftigt: Studium zu Ende bringen, Kinderkriegen, Heiraten – einfach normal das Leben managen. Wir sind halt keine Fulltime-Band bzw. können es uns nicht leisten, eine zu sein.

Oliver:
Ihr seid nach Reflections mittlerweile bei dem Ami-Label Thorp Records unter Vertrag. Was erwartet ihr von dem neuen Deal?

Raoul:
Mehr Möglichkeiten in den USA und Japan – einfach eine größere Verbreitung auf der Welt. Was uns der Deal bringt, kann man aber schwer sagen, da wir ja quasi auch wieder bei Null anfangen. Aber es geht schon.

Oliver:
"On The Outside" klingt auf jeden Fall sehr angriffslustig und frisch. Was kann man von I DEFY in Zukunft noch erwarten?

Raoul:
Na ja, auf jeden Fall mehr Shows nächstes Jahr, vielleicht eine Ami-Tour, wenn alles klappt, und das Übliche halt. Wir sind live mittlerweile sehr gut geworden, und komischerweise fühle ich mich zurzeit fitter als je zuvor, was daran liegt, dass ich bedingt durch meine Freundin so ein Naturheilprodukt einnehme, das mich total kickt. Scherz! Wir wollen auf jeden Fall zocken und besser werden, und ich hätte auch schon wieder Bock, an der nächsten Scheibe zu arbeiten.

Redakteur:
Oliver Schneider

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