In der Gruppentherapie: AVANTASIA - The Wicked Symphony/Angel Of Babylon

13.04.2010 | 23:45

Tobias Sammets Zwillinge treten an, um auf unsere Couch zu bestehen. Der letzte Patient konnte unsere Therapeuten nicht ganz überzeugen. Doch nun ist das Jahr 2010 - wird nun alles gut?

Tobi ist ein Qualitätsgarant, keine Frage. Ob EDGUY oder AVANTASIA, der Junge versteht sein Handwerk und ist ein waschechter Songwriter, wie es sie nur noch wenige gibt. Dabei schafft er immer wieder den schmalen Grad zwischen luftigem Mainstream und anspruchsvoll vertracktem Heavy Rock. Hier liegt leider bei den neuen Megaepen "Angel Of Babylon" und "The Wicked Symphony" der Hund begraben, denn wo es Tobi auf "The Scarecrow" noch spielend schaffte Hits en masse zu schreiben, zünden auf den beiden neuen Langrillen zusammen nur reichlich wenige. Oder besser gesagt: Jeder Song hat geile Riffs, geile Vocals, selbstredend. Nur kann man nur von den wenigsten Tracks behaupten, dass sie entgegen der Gewohnheit sofort ins Ohr huschen und dort auch nicht mehr rauswollen. Vieles ist zu verschachtelt, manches sogar erschreckend langweilig (am ehesten enttäuschen die schnelleren Tracks), manches gar auf Lückenfüllerniveau ('Crestfallen'), straight forward gehen nur wenige. Natürlich strahlen die zahlreichen Sangesgötter auch auf AVANTASIA Part IV und V aus allen Ritzen. Das alleine ist schon verdammt gut, aber leider auch nicht mehr.
Um die Sache abzukürzen: "Angel Of Babylon" und "The Wicked Symphony" sind handwerklich top. Vor allem Sascha Paeth macht einen ultrageilen Job. Die Mucke hat ihre Highlights, aber auch viele Hänger. Den Ballast über Bord, die Stärken auf eine Scheibe komprimiert, dann wäre es mindestens eine 9,0 mit Tendenz nach oben. So spuckt mir die Summe nur eine 7,5 aus, mit Tendenz nach unten...

Note: 7,5/10
[Alex Straka]



Ich gebe es zu: Ich habe eine Schwäche für solche Projekte. Egal, ob es AYREON, ONCE AND FUTURE KING oder AINA sind, die Idee, mit verschiedenen Sängern und Musikern ein Konzeptwerk zu schaffen, finde ich jedesmal aufs Neue reizvoll. So hat Tobias Sammet mit seinem neuen Doppelschlag natürlich schon mal einen Stein im Brett, und dass ich die vorherigen Alben alle mochte, auch "The Scarecrow", ist ebenfalls ein Plus. Was mir aber die beiden Scheibchen richtig schmackhaft macht, ist dann nicht nur die Musik, sondern das Gesamtwerk inklusive Texte und hübschem Booklet, was für mich zu einem solchen Projekt einfach dazugehört. Dadurch werden zwei sehr ordentliche und spannende Alben ohne spektakuläre, herausragende Songs – homogen nennt man das wohl – zu sehr guten Alben, die mir durchgehend Spaß machen. Denn auch wenn ich keinen überdimensionalen Hit höre, so finde ich auch keinen einzigen Ausfall, selbst nicht nach über einem Dutzend Durchgängen. Tobi hat sich behutsam weiterentwickelt und spielt seine ganze Klasse aus und zeigt mit diesen beiden sehr abwechslungsreichen, unterhaltsamen und trotz aller großen Ambitionen rundum gelungenen Alben, dass er zu den ganz großen Songwritern in Deutschland gehört.

Note: 8,5/10
[Frank Jaeger]



In einem Interview sagte AVANTASIA-Kopf Tobias Sammet kürzlich, dass er nicht mit all dem in einen Topf geworfen werden möchte, was "heutzutage als Metal-Oper verkauft wird", weil er eben genau das nicht mache. "Konzeptalben, auf denen Heavy Metal drauf ist", nennt das lieber. Und angesichts seiner Omipräsenz - auch auf dem neuen Doppelschlag "The Wicked Symphony"/"Angel Of Babylon" ist der EDGUY-Sänger in fast allen Tracks persönlich zu vernehmen - würde ich sogar soweit gehen, das Ganze einfach als ein großes "Tobi and friends"-Happening zu bezeichnen. Der rühriger Musiker lädt sich halt gerne diverse Gaststars in sein Studio und lässt sie ein bisschen mitspielen - neben alten Bekannten wie Michael Kiske, Jørn Lande oder Bob Catley sind dieses Mal u. a. Tim "Ripper" Owens, Klaus Meine, Russell Allen und Jon Oliva als Debütanten mit dabei. Unter diesem Aspekt muss ich zugeben, liefert Sammet Qualitätsarbeit. Die Eröffnungshymne (Sammet, Lande und Allen mit einem raffiniert trommelnden Felix Bohnke von EDGUY) macht Laune. Das bissige 'Crestfallen' präsentiert die beiden Hauptakteure Sammet/Lande von einer eher ungewohnten Seite. Auf der zweiten Scheibe ist vor allem das düstere Coudy Yang-Solo 'Symphony Of Life' hervorzuheben, von der ich trotz leicht opernhaftem Timbre gerne mehr gehört hätte. Und großen Stimmen werden die Beiträge selbstredend auf den Leib geschmiedet (Owens in 'Scales Of Justice', Meine in 'Dying For An Angel' oder Oliva in 'Death Is Just A Feeling'). Doch obwohl sich keine wirklichen Ausfälle ausmachen lassen (außer vielleicht die etwas zu arg in Richtung "Deutschlands Beitrag für den Eurovision Song Contest" tendierende Ballade 'Journey To Arcadia'), weiß die Musik, gerade wegen der Allgegenwärtigkeit von Sammet und Lande, nicht über volle zwei Stunden bei der Stange zu halten. Zu vorhersehbar fallen viele Kompositionen vor allem auf der zweiten Scheibe aus, zu wenig echte Abwechslung oder gar Überraschungsmomente bietet das musikalische Gesamtwerk. Vielleicht ergibt das Alles mit dem Konzeptheft vor der Nase noch etwas mehr Sinn, aber unterm Strich ist das Doppelalbum für mich die in die Länge gezogenste und daher schwächste AVANTASIA-Veröffentlichung bisher.

Note: 6/10
[Elke Huber]


Frontsau Tobi hat wieder zugeschlagen und nach dem großartigen "The Scarecrow" diesmal gleich zwei Alben auf den Tisch gelegt. Da weiß man gar nicht, wo man mit der Therapie beginnen soll. Im Vorfeld wurde Großes versprochen und nach einigen Wochen der Behandlung sieht man, dass man es nicht mit einem unverbesserlichen Lügenbold zu tun hat. Angefangen bei der grandiosen Hymne 'The Wicked Symphony', dem starken Duett 'Dying For An Angel' (mit SCORPIONS Legende Klaus Meine) oder der lockeren Cabrio-Nummer 'Forever Is A Long Time' kann Patient Nummer 1 als überaus gesund und gesundheitsförderlich in die heimische Anlage gedrückt werden. Doch "Angel Of Babylon" setzt da noch einen obendrauf. Noch eingängiger und noch raffinierter präsentiert sich der Zwillingsbruder. Hat man den eher durchschnittlichen Opener erst mal hinter sich, krachen mit 'Angel Of Babylon', 'Your Love Is Evil' und dem leckeren 'Death Is Just A Feeling' (lang lebe der Mountain King) gleich drei Bomben in das Eis. Und wenn man ganz am Schluss nach der einfühlsamen Hymne 'Journey To Arcadia' immer noch an diesen zwei Alben zweifelt, dann ist man reif für die Couch.

Note: 9,5/10
[Enrico Ahlig]


Typisch Musical – beide Scheiben beginnen mit einem sich langsam aufbauenden Epos mit knapp zehn Minuten Länge. Auch die nötigen Balladen 'Blowing Out The Flame', 'Journey To Arcadia' (beide "Angel Of Babylon") und 'Runaway Train' ("The Wicked Symphony") fehlen nicht. Leider brechen beide Alben selten  bis gar nicht aus dem Midtempo aus – Überraschungen Fehlanzeige. Zu monoton klingen sowohl "Angel Of Babylon", als auch "The Wicked Symphony" aus den Boxen. Aufgelockert wird immerhin letzteres durch das Electro-angehauchte 'Crestfallen', ansonsten bietet kein Song wirklich Abwechslung. Tobias Sammet hält sich leider zu sehr an den Spruch: "Schuster, bleib bei deinen Leisten". Was er hier macht, macht er wirklich gut. Die Lieder sind stimmig, gut verständlich und fügen sich in den Kontext der jeweiligen Geschichte ein. Aber: In gängigen Musicals setzen die Komponisten auch unterschiedliche Stile ein. Wenn hier wenigstens ein zweiminütiger Sprechteil eingebaut worden wäre (ansatzweise in 'Death Is Just A Feeling' geschehen), hätte das zumindest schon mal für einen angenehmen Break im Klangbild gesorgt. So sind die beiden Opern zwar ganz ordentlich, aber nicht überragend und schon gar nicht besonders. Da hilft auch die beste Starbesetzung nicht.

Note: 6.5/10
[Pia-Kim Schaper]

 

Ach Gott, was war "Scarecrow" doch für eine Enttäuschung. Weichspüler nach Weichspüler, kein Biss, kaum geniale Momente und überhaupt: Was für eine stringenter Weg in die Hölle der Einheitsmusik nach den genialen Vorgängern. Lediglich das Lied, das für den Schockrocker Nr. 1 geschrieben wurde, kam genial aus den Boxen, gerade so, wie man sich einen Sammet wünscht. 'The Toy Master' war jener Song, der das Album wenigstens hörbar machte und den Punkt schuf, der AVANTASIA von BON JOVI abhob. Nun, man kann sich vorstellen, mit welchen Erwartungen ich an die neuen Alben des ehemaligen Meisters herangegangen bin. Der erste Eindruck, 'Dying For An Angel', war dementsprechend vor allem eins: schrecklich. Der Weg schien der gleiche wie 2008 zu sein, meterdicke Keyboardwände über zentnerschweren Luftschlössern nichtssagender Melodien. So sei es und weg damit war die Devise – und es hätte alles so leicht sein können. Für unseren Soundcheck war ich gezwungen, die Alben-Dublette einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, und los gings: Die ersten Songs plätscherten aus den Boxen und ich staunte, das wollte so gar nicht in mein Vorurteilskorsett passen: Rockige, symphonische Melodien, tolle Sänger, eine glasklare Produktion, leichte MEAT-LOAF-Anklänge und eine noch stärkere Einbindung grandioser Gastmusiker zerstampften meine vorgefertigte Meinung zu kleinen, quäkenden Staubkörnern. "The Wicked Symphony" und "Angel Of Babylon" sind für mich das, was Sammet auch schon mit "Scarecrow" schaffen wollte: Die Verbindung aus einem Fantasy-Konzept mit melodischen, fetten Arrangements in einem eher radiotauglichen Rockgewand – ohne die Tiefe und Epik der ersten zwei Alben vermissen zu lassen. Genau das stellen die neuen Alben dar. Der Mut, gleich zwei Stunden Material zu veröffentlichen, verdient meinen größten Respekt, zeigt aber auch, wie sehr der Songwriter von seinem Material überzeugt ist. Die musikalische Bandbreite ist dadurch phänomenal, die Chance, für sich persönlich die ein oder andere Talfahrt zu entdecken, allerdings auch. Meine Note ist eine Note der Versöhnung, und, falls das irgendwen interessiert: Ich freue mich seit heute wieder, dass es AVANTASIA gibt. Ja, ich bin versöhnt. Mit einem dicken, fetten Grinsen im Gesicht, denn die Haare haben wohl doch nichts mit der musikalischen Güte eines gewissen Mannes zu tun.

Note: 8,0/10,0
[Julian Rohrer]


Ich muss gestehen, dass ich von "Scarecrow" nicht gerade begeistert war. Die Sänger kamen vornehmlich aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen und die Songs waren zu oft zu plüschig. Da half auch der überragende Titelsong nicht mehr. Anyway, Tobias Sammet macht auf "Angel Of Babylon" und "The Wicked Symphony" sehr vieles besser als auf seinem letzten Werk. Mit Jon Oliva, Klaus Meine und Ripper Owens hört man Stimmen, die kein Abo in den Metal-Opern dieser Welt haben. Und diese dazu allesamt Hits vortragen dürfen. Vor allem 'Death Is Just A Feeling' ist absolut grandios. Da wünscht man sich, dass Jon Oliva mehr Raum auf dem Doppeldecker bekommen hätte. Doch auch so weiß der Zwilling die meiste Zeit zu überzeugen. Die Kompositionen sind auf angenehme Art & Weise bombastisch, ohne dabei die Härte außen vor zu lassen, wie vor allem die beiden eröffnenden 'The Wicked Symphony' und 'Stargazers' beweisen. Und ein Stadionrocker wie 'Your Love Is Evil' passt ebenfalls gut ins Gesamtwerk. Natürlich ist ein ambitionierter 22-Tracker nicht davor gefeit, auch die eine oder andere schwächere Nummer zu präsentieren. Aber 'Blizzard Of A Broken Mirror' (zu lang) oder 'Crestfallen' (leicht gruselige Keys zu Beginn) sind immer noch gute Nummern, sie fallen lediglich im Albumkontext etwas zurück. Von diesem kleinen Makel abgesehen, sind "The Wicked Symphony" und "Angel Of Babylon" absolute Pflicht für alle Freunde des bombastischen Melodic Metals. Dass die Fans das schon längst wissen, beweist der Einstieg auf Rang zwei der deutschen Charts. Herzlichen Glückwunsch dazu.

Note: 8,0/10
[Peter Kubaschk]

Redakteur:
Enrico Ahlig
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