In der Gruppentherapie: VENOM - "Hell"

20.06.2008 | 13:10

VENOM - Institution oder Satire? Kaum eine Band im harten Metal-Sektor wird von so vielen Musikern und Fans verehrt und als Haupteinfluss genannt, und dabei gleichzeitig von einer kaum geringeren Zahl an Kritikern für eine Lachnummer gehalten und nicht ernst genommen. Dennoch: Bei allen Lästereien, welche die Band und ihre Fans so über sich ergehen lassen müssen, kann kaum eines der Schandmäuler die musikhistorische Relevanz und den gigantischen Einfluss des Chaostrios aus Newcastle Upon Tyne wegdiskutieren. Da jedoch die unbestreitbaren historischen Verdienste nicht unbedingt etwas über die Qualität der aktuellen Werke aussagen müssen, haben wir den neuen Silberling der Herren Cronos, Antton und Rage für euch gruppentherapiert.

Die Geister schieden sich schon immer an der chaotischen Rumpeltruppe aus Nordengland, und das wird sich auch mit dem nunmehr zwölften Studioalbum "Hell" nicht ändern. Die sicherlich erheblich gestiegenen spielerischen Fähigkeiten können Cronos & Co. in ihrem derben und wuchtigen Sound ganz gut verbergen, denn bei VENOM sind noch immer räudiges Riffing, ein pumpender und dröhnender Bass, Cronos' brutales, aber stets gut verständliches Shouten sowie simple und stets eingängige Songstrukturen Trumpf. Der Holzhammer regiert, und auch wenn der ursprüngliche Charme der frühen Achtziger verflogen sein mag, so hat die Band doch immer noch einen unverkennbaren Charakter und ein meines Erachtens sehr gutes Gespür für eingängige Songs. Dementsprechend sind die ersten vier Stücke allesamt bärenstarke Brutalo-Rocker mit sehr hohem Wiedererkennungswert. Zeitgeistbedingt werden sie zwar leider keine Klassiker mehr werden, aber für altgediente VENOM-Fans sind sie fraglos starke Hymnen, die sich nahtlos an die lange und meines Erachtens vollumfänglich großartige Diskographie anschließen. Der fetzige Opener 'Straight To Hell', das von Cronos ungewöhnlich gesungene 'The Power And The Glory' und das sehr rhythmische und sauber in der 'Manitou'-Tradition stehende 'Hand Of God' bieten einfach alles, was der Legionär so erwarten darf. Im weiteren Verlauf findet sich leider auch ein bisschen eher unspektakuläres, aber keineswegs schlechtes Füllmaterial, welches verhindert, dass wir "Hell" zum Überflieger-Album ausrufen können. Doch da sich immer wieder eine weitere Hymne (zum Beispiel 'Kill The Music' oder 'Armageddon') in das Gesamtwerk einreiht, kann ich VENOM problemlos attestieren, sich mit "Hell" in ungetrübt guter Form zu präsentieren. Die Scheibe ist nicht schlechter oder besser als die drei Vorgänger und sollte somit die Zielgruppe gut bedienen. Neue Märkte werden sich die Black-Metal-Urväter aber kaum erschließen. Trotzdem oder gerade deswegen: Daumen hoch!
[Rüdiger Stehle]

Mit der letzten VENOM-Studioscheiblette "Metal Black" hat das Trio bei mir hohe Erwartungen geweckt. Werden Cronos und seine Mannschaft an diese rundum überzeugende Veröffentlichung anknüpfen können? Nun, der Anfang mit dem knackigen 'Straight To Hell', das phasenweise schön rotzig tönt, und 'The Power And The Glory', das besonders in Sachen Schlagzeugarbeit recht deutlich an "At War With Satan"- und "Possessed"-Zeiten erinnert, hat man krachige Tracks am Anfang dieser Scheibe platziert, die vielversprechend klingen. Ungewöhnlich sind allerdings die Beinahe-Grunts von Cronos bei 'The Power And The Glory', die es in dieser Form noch nicht bei VENOM gab. Der Titeltrack 'Hell' überzeugt mit massiven Riffs, Groove und VENOM-typischer Aggression. Auch das starke 'Armageddon' knattert massiv und wirkt kompositorisch dicht. Der am traditionellsten klingende Thrasher dieser Scheibe, das schnelle 'Evil Perfection', sorgt in der Mitte dieser Scheibe für entfesseltes Bangen und gute Laune. Hier zeigt sich, dass VENOM auch im Jahre 2008 noch imstande sind, das dreckige, punkige Feeling, das ihre ersten drei Studioalben umgibt, in die Neuzeit zu transportieren. In der zweiten Hälfte kränkelt "Hell" jedoch merklich. Ein Paradebeispiel für gepflegte Langeweile liefern Cronos und seine beiden Mitstreiter mit 'Evilution Devilution' ab. Derart lahm hat man VENOM schon eine Weile nicht mehr erlebt. Ein wuchtiges Riff macht eben noch keinen guten Song. 'USA For Satan' versinkt ebenso in der Belanglosigkeit und gibt mir persönlich gar nichts. 'Stab You In The Back' wird von einem völlig belanglosen Refrain "geschmückt", der das Stück in seiner Wirkung weiter nach unten zieht. Die übrigen Titel dieser Scheibe gehen in Ordnung, aber ich muss anmerken, dass ich schon deutlich spannenderes Material von VENOM gehört habe. Insofern halte ich für mich persönlich fest, dass "Hell" im Vergleich zur Vorgängerscheibe eher enttäuschend ausfällt und qualitativ nicht mit "Metal Black" mithalten kann. "Hell" ist somit als mittelprächtige Scheibe zu werten, die VENOM-Fans trotz der erwähnten Schwächen und dank überzeugender Tracks wie 'The Power And The Glory' , 'Armageddon', 'Evil Perfection' und 'Straight To Hell' dennoch nicht enttäuschen wird.
[Martin Loga]

Was habe ich "Welcome To Hell" und "Black Metal" samt ihrer Singles in den Achtzigern rauf und runter gehört. Das war eingängig und gleichzeitig böse. Das war KISS auf evil. Ein okkulter Rock-'n'-Roll-Zirkus, der sich selbst nie wirklich sonderlich ernst genommen hat. Später verlor das Ganze für mich aufgrund der endlosen Besetzungswechsel den kultigen Charakter, und ich beließ es dabei, ab und an eben jene Frühwerke zu zelebrieren. Das ist nach wie vor ein Riesenspaß. Daher war ich gespannt, ob mich Conrad samt Bruder Antton, der ja seit Jahren anstatt Abaddon die Drums die Treppe hinunterwirft, im Jahr 2008 erneut gut unterhalten kann. Neu an Bord ist dieses Mal Rage an der Gitarre. Der Titel programmatisch wie immer: "Hell". Und die ersten Nummern bollern dann auch ordentlich aus den Speakern. Cronos röchelt sich wie gewohnt urig durch die straighten Midtempo-Bolladen und versprüht dabei goldigen Eighties-Charme. 'Hand Of God' verfügt dann sogar über einen Mitklatsch-Rhythmus. Natürlich alles inklusive des dröhnenden Bass. Versteht sich. Im Titelsong habe ich dann den Eindruck, irgendwer hat beim Abmischen die Gitarren vergessen und dafür den Gesang zu weit aufgedreht. Ein Umstand der im nachfolgenden, schnellen 'Evil Perfection' zum Glück wieder behoben ist. Danach begibt sich das Trio allerdings auf eine qualitative Berg- und Talfahrt, da man sich mit 'Evilution Devilution', 'USA For Satan' (gähn) und dem völlig überflüssigen 'The Awakening' auch drei sehr faule Eier eingetütet hat. Obwohl mich Teile dieser Scheibe durchaus gut unterhalten haben, frage ich mich, ob anno 2008 derartige Soundschwankungen auf einem Major-Album notwendig sind. Kultig sind sie jedenfalls nicht.
[Holger Andrae]

Wenn sich die ungekrönten Könige der Schlichtheit mit einem neuen Album zurückmelden, ist das Grund genug, eine Gruppentherapie anzuberaumen. VENOM sind einfach kultig, daran führt kein Weg vorbei. Was bei "Hell" sofort auffällt, ist, dass der fast schon modern wirkende Druck und die Wucht, mit der einem "Metal Black" entgegenschlug, etwas zurückgefahren wurden. Allzu Verhaltenes oder gar Feinsinniges darf man freilich auch vom jüngsten Werk der lebenden Legende nicht erwarten. Wohl gibt es aber einige Überraschungen zu verzeichnen, wie etwa die groovigere Ausrichtung des Titelstücks und des Smashers 'The Power And The Glory' mit seinem entfernt an MOTÖRHEAD erinnernden Stil, die leicht doomige Note in Passagen von 'Straight To Hell' und 'The Awakening', das seltsam kantige und statische 'Hand Of God', die Hardcore-Einflüsse in 'Fall From Grace' oder die (abermals recht groovige) SLAYER-in-Zeitlupe-Tortur 'Blood Sky'. Die locker dreinbretternde Dynamik, welche die frühen VENOM auszeichnete, scheint jedoch erstmals beim sechsten Stück namens 'Evil Perfection' durch - und ist dort doch eher ein matter Abglanz vergangener Zeiten. Abgehackter, dichter gefügt und nicht zuletzt routinierter klingen die meisten Riffs und Rhythmen auf "Hell", die Melodien weniger zwingend und zum Mitgrölen einladend als bei früheren Stücken. Das Chaotische im Sound der Band ist nahezu vollständig verschwunden. Stattdessen haben wir es mit einem fast schon klassischen Midtempo-Thrash-Album mit einigen modernen Einflüssen zu tun. Abwechslungsarm ist das nicht, aber unvermeidbare Killertracks fehlen. Mit am nächsten kommt einem solchen noch 'Kill The Music', und bezeichnenderweise handelt es sich dabei um einen der schnellsten und den musikalisch altbackensten Titel der Scheibe. Aber das muss ja nicht schlecht sein. Doch was zur Hölle sich die Band beim Aufkochen plumper Anti-Amerikanismen in 'USA For Satan' dachte, das weiß der Teufel. Insgesamt ist "Hell" ein solides und anfangs etwas kantiges Metalalbum, bei dem man sich nach und nach noch ein wenig mehr Freude am Hören erschließen kann, aber letztlich dann doch kein Pflichtkauf aus dem VENOM-Katalog.
[Eike Schmitz]

Ach, Freude und Leid der Nostalgie. VENOM sind eine Institution und haben mir Mitte der Achtziger so viel Spaß gemacht, wie sie mir in den Neunzigern die Tränen in die Augen trieben. Umbesetzungen, musikalische Belanglosigkeiten und Querelen waren dieser Band einfach nicht würdig, speziell nicht nach einem genialen Werk wie "At War With Satan". Da man aber mit "Metal Black" auf den Pfad der Tugend zurückgefunden hatte, bin ich bereit, dem neuen Werk "Hell" auch eine Chance zu geben. Und siehe da, das einzige verbliebene VENOM-Originalmitglied, Cronos, schafft es tatsächlich, eine ordentliche Scheibe abzuliefern. Filigranes erwartet man ja nicht, aber ein paar nett bollernde Stücke mit guten Riffs finden sich auf "Hell" genauso wie die typischen Klischee-Kompositionen. Da man aber weiß, worauf man sich einlässt, vermag ich daran nichts Schlechtes zu finden. Mit einigen wirklich tollen Songs, die es auch mit VENOM-Klassikern aufnehmen können, steht das Album dem Vorgänger in nichts nach. Vielleicht hätten es ein paar Songs weniger auch getan, da doch manchmal das Mittelmaß regiert. Aber da der Rest den Geist der alten Zeit angemessen heraufbeschwört, zeigt der Daumen ganz klar nach oben. Zumindest für die alte Generation, denn ich kann mir beileibe nicht vorstellen, dass "Hell" auch nur einen Metalfan jüngeren Datums hinter dem vielzitierten Ofen hervorlocken kann. Da schließt sich der Kreis zu den Achzigern nämlich auch: Modern ist hier nix. Damit kann man sich selbst einordnen und entscheiden, ob man das Album mögen könnte. Die Frage ist nämlich: Jungspund oder alter Sack?

[Frank Jäger]

Wozu VENOM nicht alles fähig sind. Sie bringen den Sound einer Garagenband mit schöner Bassbetonung und ordentlich nach vorn geschobenen Vocals, knallen mit angenehm einfachen Songstrukturen und Refrains um sich und bemühen sich auch nicht sonderlich, auch nur irgendwie aus diesem Kasten auszubrechen. Und trotzdem bringt die neue Scheibe einen Spaß, eine Routine und eine Hitdichte mit, die erst mal nachgemacht werden muss. Klar, nichts kommt mehr an "At War With Satan" oder "Black Metal" ran, aber der herrlich abgedrehte Rundling aus dem Hause Cronos muss keine Heldentaten mehr vollbringen, um zu begeistern. 'Straight To Hell', 'Kill The Music' oder 'Evilution Devilution' reichen völlig aus, um sich in die Scheibe zu verlieben. So viel Gitarre, so viel Einfachheit und trotzdem so viel Genialität, um den CD-Player immer wieder anzuschmeißen. Dass die Band mit ihren Texten weiterhin auf dem Weg zur Selbstsatire ist, sollte Fans mit der Fähigkeit zu grinsen nicht verstören, denn auch in Sätzen wie "Evil comes of age, look at me" steckt immer ein kleines Fünkchen Weisheit.
[Lars Strutz]

Hinweis: Eine ausführlichere Einzelrezension von "Hell" ist hier zu lesen.

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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