Interview mit CRYPTA: Manchmal denken sie, wir wären Groupies!
02.01.2025 | 20:54Das Jahr ist zu Ende gegangen und es ist Zeit für einen kleinen Rückblick auf 2024 aus der Sicht einer der wenigen Death-Metal-Bands, die ausschließlich aus weiblichen Künstlerinnen besteht. Wir trafen Bandleaderin Fernanda Lira, die sich als äußerst sympathische und angenehme Gesprächspartnerin entpuppte, die viel zu erzählen hatte.
Die Bandgeschichte möchte ich in einem Kurzabriss vorwegschicken, damit jeder weiß, worüber geredet wird. Fernanda war früher Frontfrau der ebenfalls brasilianischen Damen-Formation NERVOSA, hat dann aber mit CRYPTA eine eigene Band gegründet, mit der sie bereits die Alben "Echoes Of The Soul" (2021) und "Shades Of Sorrow" (2023) veröffentlicht hat. 2023 und 2024 standen ganz im Zeichen des zweiten Albums und insbesondere eines intensiven Tourens.
Fernanda berichtet: "Dieses Jahr war unser aktivstes Jahr bisher. Wir haben unsere europäische Sommerfestival-Tour beendet, nach einer kurzen Pause daheim spielten wir einige Shows in Brasilien, danach kam eine US-Tour mit HATEBREED und CARCASS, zum Abschluss wieder Brasilien, insgesamt 138 Shows in 24 Staaten. Nächstes Jahr werden wir ein bisschen langsamer machen mit dem Touren, um mit dem Schreiben unseres nächsten Albums zu beginnen."
Also bist du jetzt professionelle Musikerin? Du hast keinen Nebenjob mehr?
Fernanda: "Nein. Alles, was wir tun, hat mit Musik zu tun. Wenn ich zu Hause bin, halte ich auch Vorträge und Workshops zur Musikproduktion, es ist mehr ein Vortrag als ein Workshop, in dem ich über meine Erfahrungen in der Musik spreche, alles zur Produktion und wie man die Band am Laufen hält, es ist ein lustiger kleiner Vortrag. Ich mache das überall in Brasilien. Vor dieser Tour war ich in vier verschiedenen Bundesstaaten. Brasilien ist verrückt. Wir in der Band leben in vier verschiedenen Städten. Wir leben alle im Süden und Südosten. Von meinem Wohnort zum Wohnort meiner Gitarristin sind es etwa 12 Stunden Fahrt. Und sie ist aus einem Nachbarstaat. Zu meiner Schlagzeugerin sind es... ich weiß es nicht einmal. Man kann wirklich nirgendwo hinfahren."
Du hast gesagt, dass du über deine Erfahrungen in der Musikbranche sprichst. Das ist wahrscheinlich aus einer weiblichen Perspektive, denn eine weibliche Death-Metal-Band zu haben, ist ziemlich einzigartig.
Fernanda: "Relativ einzigartig in der Welt, aber besonders in Brasilien. Lateinamerika kann immer noch sehr misogynistisch sein. Und ich hatte den Eindruck, dass ich, wenn ich in die USA und nach Europa gehe, mehr Mädchenbands sehen würde. Ich lag falsch. In Lateinamerika gibt es viele All-Girl-Bands und Mädchen in Bands gibt es viel mehr als in Europa und den USA.
Dann begann ich darüber nachzudenken. Warum haben wir so viele Mädchen, die spielen? Die Schlussfolgerung, die ich gezogen habe, ist, dass wir in Lateinamerika immer noch sehr sexistisch sind. Ich denke, das ist unsere Art zu sagen: 'Hey, wir werden dagegen kämpfen. Ihr wollt nicht, dass wir spielen? Dann werden wir spielen.' Ich finde, das ist eine schöne Art, das auszudrücken."
Der Sexismus ist nicht aus Europa verschwunden. Und auch nicht aus der Metalszene.
Fernanda: "Es ist dort in Lateinamerika immer noch viel ungleicher. Wir sind immer noch eine sehr patriarchalische Gesellschaft, also wirst du das überall finden. Auch in der Metalszene, denn unsere Szene ist ein Produkt dieser Gesellschaft, aber es ist viel besser geworden. Als ich vor über einem Jahrzehnt mit meiner vorherigen Band NERVOSA anfing, war es viel schwieriger. Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne ging, hatte ich das Gefühl, ich müsste beweisen, dass ich das auch kann. Heute gibt es immer mehr Mädchen, die spielen, interviewen, in der Presse arbeiten, Produktionen machen und Fotos schießen. Je mehr wir sehen, dass Mädchen tun, was sie wollen, desto mehr fühlen sich andere inspiriert, dem zu folgen.
Es gibt immer noch einige Dinge, die wir anpassen müssen. Manchmal werden wir immer noch aus unseren eigenen Umkleidekabinen ausgeschlossen, weil sie denken, wir sind Groupies. Manchmal macht jemand ein Foto und berührt deine Brust. Ja, es ist immer noch hart, deshalb stört es mich nicht, wenn Leute sagen, oh, CRYPTA ist eine All-Girl-Band. All-Girl-Bands durchlaufen sehr spezifische Kämpfe. Und ich bin stolz darauf, ein Mädchen in der Metalszene zu sein. Denn es ist nicht einfach. Aber es wird besser. Wir sind weit vorne dabei, liebe Metalfans!"
Was sind deine größten musikalischen Einflüsse?
Fernanda: "Als Bassistin sind meine Haupteinflüsse Steve Harris von IRON MAIDEN und Geddy Lee von RUSH, natürlich kann ich nicht wie sie spielen, aber sie inspirierten mich sehr. Auf der extremen Seite würde ich Steve DiGiorgio sagen, er spielt heute bei TESTAMENT und er hat einige meiner Lieblingsalben im Death Metal aufgenommen. Und Alex Webster von CANNIBAL CORPSE ist auch ein großer Einfluss. Bei den Vocals würde ich aktuell auf der extremsten Seite definitiv Chuck Schuldiner von DEATH sagen. Er ist mein Haupteinfluss, dazu John Tardy von OBITUARY und heutzutage Tatiana von JINJER. Sie ist eine erstaunliche Sängerin und eine großartige Person. Sie inspiriert mich auf so viele verschiedene Arten, beim Lernen neuer Dinge über meine Stimme und auch bei der Art, wie sie Texte schreibt."
Lyrisch gesehen, würdest du dich selbst auch als politisch aktiv betrachten? Denn auf dem ersten Album war 'Starvation' sehr direkt. Und auf dem zweiten Album sehe ich das nicht mehr so.
Fernanda: "Ja, ich denke, "Echoes Of The Soul" war für mich ein Übergang. Ich habe nämlich zehn Jahre lang Protestlieder in NERVOSA geschrieben. Ich habe von Natur aus einen sehr aktivistischen Ansatz. Wenn du meine Social-Media-Profile ansiehst, poste ich hier und da Dinge in dieser Richtung. Aber mit CRYPTA dachte ich mir, okay, es ist Death Metal, worüber soll ich schreiben? Also habe ich noch herausgefunden, worüber ich schreiben möchte, und ich musste einfach ein paar Protestlieder einbauen. Ich bin wirklich stolz auf das, was ich mit "Echoes Of The Soul" und 'Starvation' gemacht habe, auch 'Bloodstained Heritage' und 'I Resign' sind sehr politische Lieder. Aber auf "Shades Of Sorrow" wollte ich eine andere Seite erkunden.
Ich habe das Gefühl, dass ich diese Art von Protestmusik schon lange mache. Ich habe es geliebt, all die Zeit damit zu verbringen. Aber ich spüre, dass es gerade andere Dinge gibt, die ich erforschen möchte. Ich bin immer noch politisch sehr aktiv, aber ich sehe so viele Menschen, die mit so vielen persönlichen Problemen kämpfen. Ich habe das auch getan und habe mich mit vielen schwierigen Dingen auseinandergesetzt. Ich dachte, da mich Psychologie sehr interessiert und da ich ein wenig davon in unserem ersten Album "Echoes Of The Soul" eingebaut habe und die Leute es sehr mochten wie bei 'From The Ashes', einem sehr spirituellen Lied, dass ich vielleicht mehr davon machen möchte.
Also habe ich mich entschieden, mehr über unsere menschliche Seite zu schreiben, über all die Emotionen, die wir ausdrücken möchten, und all die Gefühle, die wir erleben, wenn wir schwierige Zeiten durchleben. Ich habe das Gefühl, auf diese Weise eine besondere Bindung zu den Fans zu schaffen. Und das Feedback, das ich erhalte, zeigt mir, dass das der richtige Weg ist. Für eine Weile werde ich dabei bleiben."
Ich denke, es kommt auf die richtige Mischung an. Denn wenn du dieses Aktivismus-Gen in dir hast, hast du mit CRYPTA ein größeres Publikum, eine größere Plattform, um deine Meinung zu äußern. Ich persönlich finde, dass Bands das tun sollten.
Fernanda: "Absolut. Du kannst nicht einfach nur sagen, ach, das ist alles hart. Für mich ist es unmöglich, das eine vom anderen zu trennen. Ich weiß, es gibt viele Leute, die sagen, du solltest nicht über Politik sprechen. Aber ich denke, Leute, alles ist Politik. Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich eine Stimme habe, sie für das Gute einsetzen möchte. Ich möchte versuchen, diese Themen zur Diskussion zu bringen. Vielleicht mache ich das nicht in meinen Texten, aber ich bin sehr aktiv in meinen sozialen Medien und viele folgen mir dort."
Was mich bei eurem letzten Auftritt auf dem "Summer Breeze" 2024 sehr beeindruckt hat, war, wie technisch versiert eure Gitarristen sind.
Fernanda: "Sie sind großartige Gitarristen. Wirklich sehr technisch. Ich bin die mittelmäßigste in der Band und liebe es. Die Songs auf "Shades Of Sorrow", unserem neuesten Album, habe ich mit Tainá geschrieben. Ich erstelle viele Gitarrenriffs, obwohl ich nicht spielen kann, ich mache Mundriffs und sage dann, Tainá, bitte übersetze das für mich. Tainá ist auch eine sehr gute Texterin, eine großartige Songwriterin. Sie hat einen sehr guten Geschmack für Melodien. Ich dachte, es wäre eine gute Kombination mit Luanas Drums."
Ich war so beeindruckt von dieser kleinen Frau, die die Drums so energisch gespielt hat, dass ich wahrscheinlich vor Erschöpfung gestorben wäre.
Fernanda: "Und sie fühlt das nicht einmal! Sie ist unglaublich. Sie ist eine großartige Person und eine großartige Schlagzeugerin. Eine der besten da draußen, meiner bescheidenen Meinung nach."
Aber da ihr so weit voneinander entfernt lebt, ist es eigentlich schwierig, sich für Proben oder zum Schreiben von Musik zu treffen.
Fernanda: "Ja, wir proben selten. Genau genommen fast nie, eben wegen der Entfernung. Was wir machen, ist natürlich, dass wir viel zu Hause üben. Und manchmal, bevor wir auf Tour gehen oder einen neuen Albumzyklus beginnen, treffen wir uns in São Paulo, wo ich herkomme, und proben ein bis drei Mal, bevor die Tour startet. Aber da wir so viele Shows spielen, haben wir nicht das Gefühl, dass wir ständig proben müssen, weil das Touren an sich wie eine Probe ist. Musik zu schreiben ist allerdings wirklich schwierig, weil uns das organische Jam-Feeling fehlt. Es muss immer über WhatsApp und Google Drive gemacht werden."
2025 sollte dann wohl wieder im Zeichen eines neuen Albums stehen, wahrscheinlich planen die Vier bereits die nächste Langrille und Fernanda singt Tainá schon neue Gitarrenriffs vor. Aber im Frühjahr 2025 wird man bereits wieder mit ABORTED in Europa unterwegs sein und den einen oder anderen Club zum Beben bringen.
- Redakteur:
- Frank Jaeger