KAMELOT: Interview mit Roy Khan
01.03.2005 | 16:49Das neue Album "The Black Halo" ist wohl das Genialste, was der Power Metal im Jahre 2005 zu bieten hat. In meinem Review habe ich die Platte sogar mit QUEENSRYCHEs Meilenstein "Operation Mindcrime" verglichen, und wer sich einmal mit der neuen Platte von KAMELOT beschäftigt hat, der wird wissen, warum dieser Vergleich durchaus angebracht ist. Nie klang die Band so ausgereift, nie hat Roy Khan so gut gesungen und selten war ein Konzeptalbum als Ganzes so stark wie diese Scheibe. Glücklicherweise hatte ich die CD noch nicht gehört, als Frontmann Khan mich an einem verschneiten Donnerstagabend anrief, sonst hätte ich ihn wohl mit meiner Euphorie gedrückt. Aber andererseits, der Sänger war auch ziemlich begeistert von der neuen Platte...
Björn:
Lass uns mal direkt zu eurem neuen Album kommen. Ich habe mein Exemplar erst vor einigen Minuten in die Hand bekommen, hatte also noch keine Chance mal hineinzuhören. Könntest du mir daher schon mal beschreiben, wie die neue Scheibe klingt?
Khan:
Wo soll ich anfangen, haha? Es war zunächst einmal eine sehr lange Produktion und der Nachfolger zu "Epica" und dem Konzept, das wir schon vor drei oder vier Jahren ausgearbeitet haben, welches auf dem Buch "Faust" von Goethe basiert. Das Ganze hat sieben Monate gedauert, von der Vorproduktion über die eigentliche Aufnahme bis hin zum Mastering im November, und dieses Mal hatten wir meiner Meinung nach zum ersten Mal alle Ressourcen zur Verfügung, um uns Zeit zu lassen, an Details zu arbeiten und all diejenigen Dinge zu tun, sie sonst schwer zu realisieren sind. Das ist im Endeffekt das perfekteste Album meiner gesamten Karriere. Sicherlich wird sich da noch etwas tun, aber diese Scheibe ist sehr nah an der 100%-Marke.
Wie ich bereits sagte, es ist der Nachfolger zu "Epica", sowohl musikalisch als auch lyrisch, aber wo "Epica" schon eine sehr freie Interpretation des Buches war, so bewegt sich "The Black Halo" noch weitaus unabhängiger von der lyrischen Vorlage hinweg. Der zweite Part des Buches ist sehr komplex und verwirrend, und ich muss mir selber eingestehen, dass ich noch immer versuche, das Ganze sinnhaftig zu erfassen. Es ist eine wirre Ansammlung von Symbolen und Metaphern, die sich auf Religionen und Mythologien zur Zeit von Goethe beziehen, aber es war keine richtige Erzählung da. Deswegen hat es diese zweite Hälfte auch nie auf die Bühne geschafft, weil es einfach keine schlüssige Handlung gibt. Wir benutzen aber dieselben Techniken, um diese beiden Teile zusammenzuführen, und in musikalischer Hinsicht gibt es da auch einige Ähnlichkeiten, aber es gibt auch eine Menge Unterschiede bezüglich der Arrangements. Wenn du ganz tief hineintauchen und es analysieren möchtest, wirst du eine Menge entdecken können, aber auch auf einige verwirrende Sachen stoßen, was den gesamten Prozess für mich und Thomas sehr amüsant gemacht hat.
Björn:
Ich wusste gar nicht, dass dies der zweite Teil von "Epica" ist, deswegen würde mich jetzt erst einmal interessieren, warum ihr die Platte "The Black Halo" und nicht "Epica II" genannt habt.
Khan:
Das hat in erster Linie damit zu tun, dass das Album als solches auch für sich selber stehen kann. Bei einem Film ist es ja schwer, einen zweiten Teil für sich alleine stehen zu lassen, da man dann unter Umständen wichtige Teile der Handlung nicht kennt. Bei der Musik ist das aber möglich, dass man den zweiten Teil hören kann, ohne dass man den ersten kennt. Ich denke nicht, dass die Leute gerade bei diesem Album ein Problem haben, wenn sie die erste Scheibe nicht kennen. Wenn du dich hingegen für das Konzept interessierst und den Plot und die Intrigen, die wir versuchen in die Story zu integrieren, dann wirst du jedoch auch beide kennen müssen, obwohl es auch hier separate Inhalte gibt, die für sich alleine stehen.
Björn:
Ich bin halt nur ein bisschen überrascht, denn als ich vor zwei Jahren ein Interview mit Thomas machte, erzählte er mir, dass zunächst ein ganz anderes Album und dann erst dieser Nachfolger kommen soll.
Khan:
Wir waren echt von diesem ganzen Prozess und von dem Konzept ermüdet. Es hat alles sehr lange gedauert, und wir wussten, dass das neue Album darunter leiden würde, wenn wir den Prozess nicht erst abschließen würden. Wenn du so lange und so hart zusammen an etwas arbeitest, dann lassen sich einzelne Kontroversen nicht vermeiden, und das hat schon seine Auswirkungen auf deine Arbeitsweise. Wir waren beim letzten Mal ziemlich ausgelaugt, und daher fühlten wir, dass es besser wäre, erst dieses Thema zu beenden, bevor wir uns einem neuen Album widmen können. Diese beiden Alben sind sehr eng miteinander verbunden, deswegen macht es auch einfach Sinn, sie beide hintereinander zu veröffentlichen.
Björn:
Es hat auch eine ganze Weile gedauert bis die neue Scheibe fertig gestellt wurde, ich glaube "Epica" ist 2002 erschienen. Was ist zwischendurch so alles passiert, abgesehen von der Zeit im Studio?
Khan:
Oh, die letzte Platte wurde eigentlich 2003 veröffentlicht, es sind also nur zwei Jahre. Vielleicht hast du deine Kopie ja schon 2002 bekommen. Nun, inzwischen haben wir die ganz normale Promotion bewältigt und eine kurze Tour gespielt, aber sonst nichts Besonderes. Wir hatten eine kurze Pause und spielten hier und da einige Festivals hier in Amerika, so zum Beispiel das Progpower Festival in Atlanta im September. Aber seit dem Sommer 2003 haben wir an neuen Songs für "The Black Halo" gearbeitet. Das Songwriting hat dieses Mal eine lange Zeit gedauert, aber es ist sonst nichts Spezielles passiert.
Björn:
Wie habt ihr dieses Mal zusammengearbeitet?
Khan:
Genauso so wie wir es beim letzten Mal auch gemacht haben. Ich bin einige Male in Amerika gewesen, Thomas ist dreimal zu mir nach Norwegen gekommen, und wir haben wirklich einen guten Weg für die gemeinsame Arbeit gefunden, ohne dass wir uns wegen der Distanz Gedanken machen müssten. Wir telefonieren fast jeden zweiten Tag, aber nicht nur über Musik, denn wir sind mittlerweile sehr gute Freunde und reden über Politik und alle möglichen Sachen. Manche Ideen entstehen am Telefon, manche auf Tour und außerdem haben wir die Möglichkeit uns auch noch per Email auszutauschen, und diese Arbeitsweise hat sich die letzten Jahre über bewährt.
Björn:
Momentan gibt es eine ganze Menge Alben, auf denen haufenweise Gaststars aus der Power-Metal-Szene teilnehmen, wie zum Beispiel die Sachen von AYREON oder das AVANTASIA-Projekt. Soweit ich weiß, hast du an solchen Sachen noch nie teilgenommen, warum eigentlich?
Khan:
Ich weiß nicht, haha! Viele Bands haben mich gefragt, ob ich nicht mitmachen möchte. Möglicherweise fragen mich die Leute von den genannten Projekten deswegen nicht, weil sie gut wissen, das ich unter Umständen nicht zusagen werde, haha! Ich mag es nicht so besonders, an Sachen zu arbeiten, über die ich nicht 110% Kontrolle habe. Um ehrlich zu sein, kümmere ich mich um solche Sachen nicht, sondern bevorzuge es, an eigenen Songs zu arbeiten. Ich mag die Sachen von Tobias wirklich sehr, und auch AYREON haben sehr gute Sachen, aber als Künstler finde ich es eher uninteressant, an solchen Projekten teilzuhaben.
Björn:
Jedes Mal, wenn eine Band eine neue Platte auf den Markt bringt, sagt sie natürlich, dass dies die bisher beste ist, und das hast du ja eben auch schon getan. Warum genau ist "The Black Halo" euer bisher bestes Album?
Khan:
Zum ersten Mal hatten wir genügend Zeit und Geld, um an allen Feinheiten zu arbeiten. Zudem war die Sache sehr gut geplant. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass wir sehr gute Songs haben, die in jeglicher Hinsicht extrem sind. Weißt du, was ich meine? Wir sind noch härter geworden, aber gleichzeitig auch abgefahrener und auch schöner. Darum geht es auch bei KAMELOT, Extreme auszuloten. Wir sind ja dazu bestimmt, episch und melodisch zu sein, doch ich bin sehr glücklich mit dem finalen Resultat. Ich bin sehr glücklich über das Cover. Wir haben zwei echte Killer-Videos aufgezeichnet. Wir sind noch immer progressiv, und obwohl wir eingängige Songs haben sind wir nicht cheesy. Ja, was soll ich noch sagen, ich bin echt überzeugt von dieser Scheibe, und ich denke, das ist ein sehr gutes Gefühl. Aber trotzdem hoffe ich natürlich, dass ich beim nächsten Mal wieder sagen kann, "The Black Halo" war zu dieser Zeit das beste Album, aber das neue ist wiederum besser.
Björn:
Hast du denn von den anderen Alben irgendeinen Favoriten?
Khan:
Ja, ich mag alle KAMELOT-Alben. Jedes Mal, wenn wir eine neue Platte aufgenommen haben, hatte ich das Gefühl, dass es zu dieser Zeit das Bestmögliche war. Das galt ja auch schon für "Karma" und "Epica", die sich ja ansonsten schon voneinander unterschieden haben. Wir waren jedoch damals nicht so mit dem zufrieden, die Gitarren waren nicht so gut abgemischt, und wir hätten das auch besser hinbekommen, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten. Aber das ist jetzt Geschichte, und von nun an müssen wir wieder in die Zukunft blicken.
Björn:
Es gibt nicht viele Bands, die das Glück haben, in Japan erfolgreich zu sein, und ihr seid ja eine dieser Ausnahmen. Warum denkst du, sind KAMELOT in dieser Gegend so beliebt?
Khan:
Ich weiß nicht, wir haben nicht wirklich viele Alben verkauft bis "Epica" dann erschienen ist. Dieses Album hat uns dann einige Türen geöffnet, jetzt sind wir sogar Album des Monats im Burrn-Magazin, was uns eine echte Ehre ist. Wir kommen ja nicht aus Europa, und das Magazin ist aus Japan, aber das ist schon etwas sehr Starkes, weil es die größte Publikation für Metal im asiatischen Raum ist.
Björn:
Ihr seid auch schon für Konzerte drüben gewesen, nicht wahr?
Khan:
Ja, wir haben in Osaka und der Gegend um die Stadt herum gespielt, was eine sehr besondere Erfahrung war. Von diesen drei Gigs haben wir auch sehr gute Reviews bekommen.
Björn:
Die Bands erzählen immer sehr euphorisch von Konzerten in Japan. Was passiert denn da so speziell?
Khan:
Wir haben nichts Besonderes gemacht. Ich habe einige Leute getroffen, die uns noch nicht gesehen haben, dies aber gerne nachholen würden. Nun, unsere Musik ist eher bombastisch und fast schon an einen Soundtrack angelehnt, und vielleicht fahren die Leute dort darauf ab. Die Menschen sehen, dass wir unsere Qualitäten haben und diese auch live zeigen, aber ich weiß nicht, ob wir ansonsten etwas anders gemacht haben.
Björn:
Ich war auch mehr auf die Reaktionen der Fans aus. Da gibt es doch Unterschiede zu Europa und Amerika, oder nicht?
Khan:
Oh ja, auf jeden Fall! Diese Fans sind so extrem freundlich. Wir haben nur 25000 Alben dort verkauft, aber trotzdem behandeln sie dich wie die BEATLES, kommen zu deinen Konzerten und heißen dich überall herzlich willkommen. Manchmal stehen sie nur da und klatschen, aber das hat sich schon sehr geändert, seit ich dort das letzte Mal mit einer alten Band gespielt habe.
Björn:
Mit CONCEPTION?
Khan:
Ja, ja.
Björn:
Ich habe gesehen, dass ihr auch wieder plant, in Europa zu touren. Werdet ihr dieses Mal länger unterwegs sein oder ist es doch wieder eher eine kurze Tournee?
Khan:
Es wird eine mittellange Tour, und wir haben EPICA und KOTIPELTO als Support dabei. Ich denke, das ist ein sehr gutes Package für die Fans. Ich freue mich auch schon richtig auf diese beiden Bands. EPICA kenne ich bereits von den Aufnahmen im Gate Studio, wir haben mit ihnen gearbeitet. Timo habe ich in Atlanta getroffen, und er ist ein sehr netter Kerl, weshalb ich auch schon sehr sehnsüchtig auf diese Tour vorausblicke.
Björn:
Ihr spielt sehr selten auf europäischen Festivals. Wird sich das in diesem Jahr ändern?
Khan:
Diese ganze Festival-Geschichte ist nicht so interessant. Diesen Sommer werden wir aber wahrscheinlich sowieso zu der Zeit eine Auszeit nehmen. Wir sind keine großen Festival-Fans, zumindest wenn wir nicht nach Einbruch der Dunkelheit spielen dürfen. Die Show ist nur halb so gut, die Lichteffekte, welche ja auch die Melancholie der Musik untermalen, kommen nicht richtig zum Tragen und die Fans bekommen nicht das volle Programm. Das ist vielleicht eine egoistische Einstellung, aber es hat auch mit der Tatsache zu tun, dass es sich einfach nicht rechnet. Manchmal spielt man dann nur einen Gig, aber man muss alles vorbereiten, ungefähr zehn Tage vorher mit den Proben anfangen, die Band herüberfliegen, usw. Es ist so ein großer Aufwand, nur um ein paar Gigs zu spielen, und sollten wir das nicht mitten während der Tour realisieren können oder sollte das Angebot nicht besonders gut sein, dann wird man uns da wohl eher nicht sehen. Aber wir werden sehen. Eigentlich planen wir, im Sommer einen langen Urlaub mit unseren Familien zu machen, aber ich habe da so ein beunruhigendes Gefühl, dass der Sommer weitaus hektischer werden wird, als uns das lieb ist.
Björn:
Was genau wird denn nach der Sommerpause passieren?
Khan:
Wir haben dann den ersten Teil der Tour abgeschlossen, also einen Monat in Europa und eine Woche in Japan. Aber wir waren dann noch nicht in Skandinavien und Amerika, und auch noch nicht in Südamerika. Weißt du, es gibt so viele Gebiete, wo wir gerne spielen würde, weswegen wir wahrscheinlich von September an wieder für ungewisse Zeit auf Tour sein werden. In manchen dieser Länder müssen wir einfach spielen, besonders in Skandinavien und Amerika.
Björn:
Meine letzte Frage: Es gibt seit einiger Zeit Gerüchte bezüglich einer CONCEPTION-Reunion, aber es hat sich noch immer nichts in dieser Richtung getan. Wie sieht's aus?
Khan:
Wir reden darüber, ein paar Gigs zu spielen, aber ein neues Album zu veröffentlichen würde in meinen Augen keinen Sinn machen. Ich denke, dass CONCEPTION eine Kultband bleiben soll. Wir wollen zwar im Underground noch einige Konzerte geben. Die Live-Situation des Schlagzeugers und des Bassisten ist aber gar nicht mal so einfach, weshalb es eh gar nicht drin wäre, das Ding wieder neu aufzuziehen. Ich möchte aber nicht zu viel Energie in irgendetwas stecken, hinter dem ich nicht mehr zu 100% stehe. Wir sind weiterhin gute Freunde, wollen auch Konzerte spielen, vielleicht sogar dieses Jahr schon, aber es wird auf keinen Fall KAMELOT im Wege stehen, das würde keinen Sinn ergeben.
Björn:
Hast du noch etwas für unsere Leser über?
Khan:
Da KAMELOT eine Band ist, die versucht, sich von Album zu Album weiterzuentwickeln, neue Standards zu etablieren und die Grenzen zu versetzen, hoffe ich, dass unsere Fans uns auf dieser musikalischen Reise folgen werden und sich mit uns entwickeln. Und natürlich hoffe ich, dass die Fans zu unseren Shows kommen und sehen, wie wir das neue Material live darbieten werden.
- Redakteur:
- Björn Backes