LAUDARE: Relikt aus einer Kindheit voller Kirchenmusik

11.10.2024 | 09:58

LAUDARE stammt aus Leipzig und entzieht sich jeder Eingrenzung. "Requiem" beeindruckt durch Vielseitigkeit und Tiefe. Im Interview sprechen die Bandmitglieder Daniel und Luise über ihre Inspirationen, den kreativen Prozess und die Herausforderungen bei der Entstehung des Albums.

Herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung von "Requiem" (zum Review, erscheint am 11. Oktober via Moment Of Collapse Records), einem unheimlich vielseitigen und zugleich tiefgründigen Album. Zunächst möchte ich auf das lyrische Konzept eingehen: Was fasziniert euch am Requiem und welchen Bezug habt ihr dazu?

Daniel: Die Idee zum Schreiben eines Requiems war im Grunde eine sehr plötzliche Wendung. Ich erinnere mich an einen Abend in meiner Wohnung, als ich auf der Couch saß und einfach nur Musik hörte – eine Sache, für die ich nur sehr selten die nötige Geduld oder, nennen wir es, innere Ruhe mitbringe. Es lief Mozarts "Requiem" und ich war, wie eh und je beim Hören dieses Werks, direkt von einem Gefühl der Ehrfurcht ergriffen. Etwas jedoch war anders: Zum ersten Mal dachte ich, "Ich will auch!".

Gerade der teils sakrale Charakter des Albums hat mich sehr fasziniert. Welchen Bezug habt ihr zur (römisch-katholischen) Kirche und zum Sakrament? Ist das eine gewisse Nostalgie oder arbeitet ihr euch an der Säkularisierung ab?

Daniel: Drei von uns kommen aus einem protestantischen Elternhaus. Wir bringen daher eine gewisse kirchenmusikalische Prägung mit. Natürlich führt diese ähnliche Art des Aufwachsens dazu, dass wir uns innerhalb der Band häufig darüber austauschen. Aber niemand von uns ist zu diesem Zeitpunkt seines Lebens in irgendeiner Form gläubig. Für mich persönlich ist es der "sakrale Charakter", der mich, wie oben erwähnt, Ehrfurcht ergriffen macht. Ich denke, es ist gewissermaßen ein Relikt aus einer Kindheit voller Kirchenmusik.

 

Tradition und Moderne

Mozart, Bach, Händel – ihr stellt euch mit dem Album in eine gewisse Tradition der Requiem-Kompositionen. Aber vor allem sind es moderne Komponisten wie Britten oder Zimmermann, die das Requiem auch als Ausdruck politischer Musik im weiteren Sinne nutzten. Wo ordnet ihr euch ein und mit welcher Tradition brecht ihr vielleicht auch bewusst?

Daniel: Das Besondere für uns während des Schreibens war das Wissen, dass man sich mit einem Stoff beschäftigt, der bereits vielfach und zum Teil über alle Maßen großartig vertont worden ist. An ein bewusstes Brechen von Traditionen kann ich mich nicht erinnern. Jeder von uns hat sich vor allem zu Beginn mit unterschiedlichen Requiem-Interpretationen intensiv beschäftigt. Als wir an unserem Album arbeiteten, hatten wir uns jedoch schnell auf unsere eigenen musikalischen Stärken und Instinkte verlassen. Eine politische Mission verfolgen wir als Band nicht.

In der Metalszene gibt es immer mehr Diskussionen über gesellschaftliche Themen. Habt ihr mit "Requiem" auch eine bestimmte Botschaft, die ihr an eure Fans oder die Welt senden möchtet?

Daniel: Nein.

Luise: Musik ist uns Botschaft genug.

 

Kreativer Prozess und Herausforderungen

Mit einem Blick auf die Musik ist schnell festzustellen, dass ihr hier vielfältig agiert. Wie entstehen eure Songs? Ist das durchkomponiert oder schreibt ihr Musik im Proberaum?

Daniel: Wir haben das Album während der Corona-Lockdowns und somit zu 100% "Remote" geschrieben. In der Regel sah das dann so aus, dass ich die Songs auf der Gitarre geschrieben und im Anschluss mit Luise gemeinsam das Vocal-Arrangement erarbeit hatte, um die Songstrukturen in Stein zu meißeln. Im Anschluss schickten wir das mehr schlecht als recht zu Hause aufgenommene Material mitsamt einiger Anmerkungen zu Olli, unserem Schlagzeuger, der sich dann des "Groovedesigns" annahm. Danach war Almut an der Reihe, sich Gedanken zu ihrem Cello-Arrangement zu machen. Am Ende hatten wir ganz eine passable Vorproduktionen und somit eine solide Idee, was es später im Studio aufzunehmen galt.

Luise: Und sobald es die COVID-Verordnungen zuließen, haben wir uns wieder im Proberaum getroffen und alles zusammen gespielt. Meiner Erinnerung nach galt der Prozess, wie Daniel ihn beschrieben hat, vor allem für die lauteren Songs. 'Introitus', 'Agnus Dei', 'Rex Tremendae' und 'Hostias' haben Daniel, Almut und ich gemeinsam geschrieben.

Was habt ihr beim Schreiben und Aufnehmen von "Requiem" anders gemacht als bei den Vorgängern?

Luise: Die ersten beiden Releases sind ganz anders entstanden. Damals haben Daniel und ich einfach super viel zusammengehockt und Musik gemacht. Meist hatte Daniel schon ein Grundgerüst der Songs auf der Gitarre fertig. Ich habe mir dann den Bass dazu überlegt, sofern es seinerseits dazu noch keine genaueren Ideen gab, und wir haben dem Ganzen gemeinsam einen Feinschliff verpasst. Was die Drums angeht, haben wir Jussi bzw. Olli ziemlich freie Hand gelassen, das kam dann im Proberaum dazu. Und zu den Gesangsarrangements haben wir uns auch eher wenig Gedanken gemacht. Ich habe darauf gesungen, wie ich es gefühlt habe, bzw. wie es auch im Zusammenspiel mit dem Bass möglich war. Ich würde sagen, 'Exodus The Wayward' ist der Song, in dem man die ersten vorsichtigen Gehversuche von wirklich "arrangiertem" Gesang hören kann. Von da ausgehend ist es im Laufe der Zeit komplexer geworden. Dadurch, dass "Requiem" viel über Vorproduktionen entstanden ist, konnten wir hier noch mehr ins Detail gehen.

 

Herausforderungen und Details

Wie seid ihr an das Arrangieren des Gesangs rangegangen? Welche Herausforderungen hattet ihr dabei?

Luise: Viel davon ist einfach durch Improvisation entstanden. Wenn man auf eine Passage immer wieder in unterschiedlichen Variationen singt, bleibt man irgendwann auf einer Melodie hängen, die dann immer klarer wird und sich festigt. Und wenn die erste Stimme klar ist, entstehen die nächsten meist ganz von selbst. Herausfordernd war an den Satzgesängen zwischen Almut, Daniel und mir, dass man sich selbst schlecht zuhören kann, wenn man gleichzeitig singt. Daher fielen uns einige Unklarheiten bzw. Stellen, die so nicht funktionieren, erst später beim Aufnehmen der Vorproduktion auf, wenn man quasi in die Position der Hörerin wechselt. Die Intonation ist natürlich auch eine Sache, die vor allem dann auf schmerzhafte Weise in den Fokus rückt, wenn man mehrstimmig singen möchte und eine Person leicht zu hoch und die andere leicht zu tief singt.

Eure Musik ist bekannt für ihre emotionale Tiefe und die intensive Atmosphäre. Was wollt ihr mit "Requiem" auslösen oder vermitteln? Was müssen Hörerinnen und Hörer mitbringen, damit sie eure Musik gut finden?

Luise: Traurigkeit! Ha! Spaß beiseite. Ich finde, "Requiem" ist ein ziemlich herausforderndes Album geworden, was die stilistische Bandbreite angeht. Als Hörer*in muss man sicherlich ein wenig Geduld mitbringen und den Willen, sich darauf einzulassen. Es macht wenig Sinn, einzelne Songs aus ihrem Zusammenhang zu reißen, dieses Album will als Gesamtwerk verstanden sein. Die lateinische Sprache ist sicherlich auch nicht jedermanns Sache und verlangt eine gewisse Offenheit und vielleicht auch ein Verständnis dafür, in welche Tradition wir uns hier stellen. Letzten Endes ist das Album eine Einladung. Es möchte Hörer*innen mit auf eine Reise nehmen, und wir sind ebenso gespannt, wohin diese Reise führen wird.

Wie funktioniert eure Musik live? Wie reagiert das Publikum auf euch?

Luise: Das Publikum ist oft sehr bewegt, was uns natürlich auch freut und berührt. Es kam schon ein paarmal vor, dass Menschen nach einem Konzert zu uns gekommen sind und uns erzählten, dass sie während der Show weinen mussten. Was mehr könnte man als Live-Band erreichen wollen?

Wie steht das Coverartwork im Zusammenhang zu Thema und Musik? Zeigt es eine Motte?

Luise: Haha, spannend, dass du darauf eine Motte siehst. Klar, würde aber in der Symbolik sicherlich auch passen. Das ist ein Seraph, eine biblische Engelsgestalt. Tatsächlich hat das Cover im Laufe der Entstehungsgeschichte des Albums einige Runden gedreht. Ich entwerfe unsere Artworks immer selbst, was natürlich auch dazu führt, dass ich relativ früh während der Entstehung schon erste Versionen anfertige und je länger der Prozess mit dem Album dauert, umso mehr Gelegenheit habe ich, zu verwerfen und neu zu beginnen. Ich glaube, dieses Cover war das dritte Grundthema, an dem ich mich abgearbeitet habe. Den Seraph hatte ich eigentlich als Zeichnung für den "Inktober" letztes Jahr zum Prompt "Engel" angefertigt. Ich mochte es sehr und fand den Bezug zum Sakralen schön, so dass ich einfach ein Cover-Artwork daraus machen musste.


Songwriting und visuelle Gestaltung

Stichwort Inktober (wer mehr zum Inktober erfahren möchte, klickt hier): Tätowierst du auch? Könnte man das Cover bei dir als Körperkunstwerk in Auftrag geben?

Luise: Das könnte man! Ich tätowiere in Leipzig im wunderschönen Unkraut. @thurm.ttt bei Instagram, wenn dich meine Kunst interessiert!

Gibt es einen bestimmten Song auf dem Album, der euch besonders am Herzen liegt? Könnt ihr uns etwas über den Entstehungsprozess und die Bedeutung dieses Songs erzählen?

Mein persönliches Herzstück des Albums ist 'Lacrimosa'. Ich liebe einfach den Pathos, den der Chor da reinbringt und die Mischung aus Schwere und Verspieltheit, die den Song ausmacht. Soweit ich mich erinnere, war uns von Anfang an klar, dass die 'Lacrimosa' ein Chorarrangement braucht. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Daniel und ich mit dem fertigen Song und Musescore [Anm.: ein Notensetzprogramm] dasaßen und die Noten gesetzt haben. Ich habe eine Freundin, welche zu dem Zeitpunkt im Unichor Leipzig aktiv war. Lise und ich haben viele Überschneidungen im Musikgeschmack und eigentlich wollten wir immer mal zusammen Musik machen. Das hat so zu zweit nie wirklich geklappt, aber als die Idee mit dem Chor geboren war, wusste ich gleich, wer uns den zusammenstellen kann. So wurde es dann auch und die lieben Menschen vom Unichor haben wirklich beste Arbeit geleistet!

Welche musikalischen Einflüsse aus eurer persönlichen Geschichte hören wir auf dem Album?

Luise: Die Kirchenmusik unserer Kindheit. Haha! Nein, also tatsächlich habe ich in meiner Jugend viel gecovert, vor allem Klassiker wie TOTO, QUEEN, KANSAS, PINK FLOYD und ich bilde mir ein, dass man diese Einflüsse schon auch immer noch deutlich heraushört in der Art und Weise, wie die Bass-Läufe funktionieren. Olli hat in seinem Elternhaus eine ähnliche musikalische Prägung erfahren. Sicherlich einer der Gründe, warum wir an Schlagzeug und Bass so gut zusammen funktionieren. Im Grunde steckt in LAUDARE doch auch eine Portion "Alt-Herren-Rock".

Daniel: Wenn ich mich recht erinnere, habe ich in der Zeit, bevor wir "Requiem" geschrieben haben, hauptsächlich Klassik gehört. Viel, viel Beethoven. Vor allem Klavier-Sonaten. Als zeitgenössische Künstler haben damals Nick Cave und David Tibet (CURRENT 93) eine große Rolle gespielt, aber auch LEPROUS, die ich unbekannterweise auf einem Festival live gesehen hatte und die meine Idee von einem Konzert und dem Zusammenspiel einer Band für immer verändert haben.

 

Veröffentlichung und Zukunftspläne

Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus? Können wir auf eine Tour oder weitere Projekte hoffen?

Luise: Wir sind dran! Anlässlich Ollis Ausstieg aus der Band haben wir es uns nicht nehmen lassen, ihn für ein letztes Mal im Studio zu verpflichten und Drums für zwei neue Songs aufzunehmen. Gerade nehmen wir im Homestudio alles Weitere auf und planen, die beiden im kommenden Jahr als digitale Singles zu releasen. Außerdem lernen wir uns gerade zwei neue Drummer für den Live-Einsatz an und planen für dieses Jahr noch ein paar Weekender und Anfang kommenden Jahres eine längere Tour. Man darf also gespannt sein!

Oha, gerade Ollis Schlagzeug-Spiel gibt dem Album eine besondere Rhythmik. Warum der Ausstieg?

Luise: Wie alle guten Drummer ist auch Olli musikalisch sehr gefragt und dementsprechend umtriebig. In seinen anderen Bands DESTILLAT und WISENT ist er viel grundlegender für das Songwriting verantwortlich und gerade WISENT hat seit vergangenem Jahr dank Label-Deal alle Hände voll zu tun. Aktuell sind sie in Kanada auf Tour! Es ist also nur nachvollziehbar, dass Olli irgendwann eine Entscheidung treffen musste.

Wie leicht/schwer ist es im Jahr 2024, Musik zu veröffentlichen? Ist es eine Option (oder gar Realität), das hauptberuflich zu machen?

Daniel: Wir sind ungemein dankbar für die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Moment of Collapse-Records. Ich denke, man kann sagen, dass die Veröffentlichung des Albums an manchem Punkt der Finanzierung wegen, selbst mit den gemixten Aufnahmen in Händen, auf der Kippe stand. Wir haben sehr viel Geld und noch mehr Zeit investiert, Förderanträge geschrieben, Musikvideos geplant, aber nur das Wenigste davon durfte Wirklichkeit werden. Hauptberuflich selbst geschriebene Musik zu veröffentlichen ist ein Privileg, was wohl nur 0,1% (reine Schätzung) aller Künstler*innen zusteht. Um im Jahr 2024 eine Band zu haben, Musik zu veröffentlichen und Konzerte zu spielen, braucht man eine gigantische Frustrationstoleranz (Dickköpfigkeit gar) und ordentlich Haare auf den Zähnen. Und von einer Aufwand-Nutzen-Abrechnung sieht man besser auch ab.

 

Wenn ihr euch nun selbst von der Band überzeugen möchtet: Hier kommt ihr zur Bandcamp-Seite der Band, hier zur Homepage.

 

Fotocredits: LAUDARE

Redakteur:
Julian Rohrer
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