LEVIATHAN: Ein Leben für die Musik

25.03.2014 | 16:50

Die Prog-Götter aus Colorado haben ein neues Album am Start, das für viel Furore sorgt. Bandleader John Lutzow stand uns Rede und Antwort.

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Skandalöserweise ist "Beholden To Nothing, Braver Since Then" in unserem Soundcheck auf dem letzten Platz gelandet. Das kann ich als LEVIATHAN-Fan der ersten Stunde natürlich unmöglich so stehen lassen. Seht selbst, was  John Lutzow zur neuen Scheibe, zum aktuellen Lineup und zu seinen alten Weggefährten bei ARTIZAN zu sagen hat.

 

Hallo John! Das neue LEVIATHAN-Album "Beholden To Nothing, Braver Since Then" bekommt weltweit hervorragende Kritiken (Außer bei uns!). Wie fühlt sich das an?

Die positiven Rezensionen sind großartig! Ich habe alles versucht, um den Namen LEVIATHAN wieder dort zu etablieren, wo er früher einmal stand. Von Beginn an bin ich so an dieses Projekt herangegangen als wäre es mein Letztes und dadurch auch möglichst mein Bestes. Ich kann nicht beeinflussen, ob andere Leute es mögen oder es sich gut verkauft, aber ich hoffe, dass sich die guten Pressereaktionen auch positiv auf die Verkaufszahlen auswirken werden, was uns wiederum befähigen würde, die Marke LEVIATHAN weiter bekannt zu machen. Als Songwriter muss ich mir im Klaren darüber sein, was in meiner Macht steht und was nicht. Ich kann lediglich meine Ehrlichkeit, Kreativität und Intelligenz in die Waagschale werfen, um den Leuten musikalisch und lyrisch meine Sicht des Lebens zu offenbaren.

 

Ich weiß, dass du ein Perfektionist bist. Bist zu vollends zufrieden mit dem Album oder gibt es im Nachhinein ein paar Dinge, die du gerne ändern würdest?

Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit dem Album. Ich habe wirklich alles gegeben, was ich zu bieten habe. Natürlich hätte ich mehr Geld in jedes kleine Detail investieren können, doch am Ende des Tages muss man sich doch fragen, ob diese Dinge überhaupt vom Rezipienten wahrgenommen werden. Als unabhängiger Künstler und Produzent muss ich nun mal anders an die Dinge herangehen als die Leute von Plattenfirmen, wie z.B. Century Media. Als wir bei denen unter Vertrag standen, hörten wir den Besitzer einmal sagen, dass die Metal-Fans sowieso nicht den Unterschied zwischen einem 1000- und einem 25.000-Dollar-Budget hören würden. Ich finde das ziemlich beleidigend. Wir haben stets die nötige Integrität an den Tag gelegt und uns niemals auf weniger eingelassen als es unsere Musik verdient hätte. Daher haben wir auch schon viele Angebote von Plattenfirmen, die uns unterm Strich nicht weitergebracht hätten, abgelehnt. Ich gebe gerne zu, dass ich bei unserem vorherigen Album etwas zu ungeduldig war und es etwas zu früh veröffentlichte. Ich versuchte zu stark, die Aufnahmen zu forcieren, um möglichst schnell nach unserer Reunion ein neues Studioalbum präsentieren zu können. Meine Ungeduld ist mein ewiger Feind. Ich bin froh, dass mir beim neuen Album ein paar gute Freunde rieten, mich nicht mit zu wenig zufrieden zu geben.

 

Wo liegen deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen dem neuen Album und "At Long Last, Progress Stopped To Follow"?

Der Hauptunterschied liegt sicherlich in der Qualität der Produktion. Ein guter Gesamtsound ermöglicht es dem Hörer, sich von der Produktion fesseln zu lassen. Wenn die Soundqualität schlecht ist, ist es schwer, sich mit dem Songwriting zu identifizieren. Ich glaube, das Songwriting war auch beim letzten Album gut, aber wir hetzten einfach zu schnell durch den Produktionsprozess. LEVIATHAN habt schon immer positive Rezensionen bekommen, so dass wir uns vielleicht ein wenig zu sicher waren, dass die Leute es mögen würden. Es war arrogant von mir zu glauben, dass ich unter diesen Umständen ein Album im Alleingang veröffentlichen könnte. Aber das ist jetzt Vergangenheit. Ich kenne meinen Platz im Leben und die Realität. Ich bin jedem dankbar, der zu mir gehalten hat und mir geholfen hat als Musiker und Songwriter weiter zu wachsen.

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Der Albumtitel klingt wieder ziemlich bedeutungsschwanger. Was bedeutet dieser für dich persönlich und warum benutzt du den Namen deiner zweiten Band BRAVER SINCE THEN darin?

Das sind großartige Fragen. Selbst wenn ich mit diesem Album sonst nichts erreiche, bin ich so dankbar, dass wenigstens ein paar Leute wahrnehmen, was ich mit meiner Kunst auszudrücken versuche. Zu deiner Frage: "Beholden to Nothing, Braver Since Then" ist der Höhepunkt meines gesamten musikalischen Lebens. Als Fatalist liegt es mir nicht, weit in die Zukunft zu blicken. Wie ich schon vorher erwähnte, rechne ich nie unbedingt damit, je wieder ein Album aufzunehmen. Also ist dieses hier quasi mein Vermächtnis an die Nachwelt. Falls jemand also später einmal etwas über mich erfahren möchte, kann er einfach das Album auflegen und einen Einblick gewinnen, wofür ich im Leben stand. Ich habe BRAVER SINCE THEN in den Albumtitel integriert, um meine beiden musikalischen Entitäten künftig in eine einzige zu überführen. Der Unterschied zwischen BST und LEVIATHAN war eigentlich immer nur Jeff Ward.

 

Du musst nur so vor Kreativität überschäumen, da du die CD bis zum Anschlag gefüllt hast. Und diesmal hat es dich nicht einmal soviel Zeit gekostet . Was gab dir diesen enormen Anschub?

Es dauerte über zwei Jahre. Für mich ist das eine lange Zeit.  Ich bin allerdings froh, dass es so lange gedauert hat. Es ist schon witzig, dass ich für dieses Album viel mehr Zeit investiert habe als für jedes andere Projekt in meinem Leben. Ich fing damit an, bevor wir 2011 nach Europa kamen. In den vergangenen zwei Jahren war es ein Vollzeitjob für mich. Es war Obsession und Passion zugleich und in gewisser Weise sogar meine einzige Rettung. Während der Aufnahmen entdeckte ich einen neuen Lebenssinn und eine ganz neue Kreativität. Ich fühle mich, als hätte ich endlich eine lange Durststrecke hinter mich gebracht. Schon erstaunlich, dass die Zusammenarbeit zweier Menschen die Liebe zur Musik zurückbringen kann. Das geschah bei Chris Lasque und mir. Er sagte mir, dass es ihm schlecht ginge und er aufgehört habe Musik zu machen. Seine Mitwirkung an einem Song inspirierte ihn und riss ihn aus seinem Loch. Mich hat er dadurch inspiriert und mir neue Hoffnung gegeben.

 

Wieder bildet eine Suite den Kern des Albums. Diesmal geht es nicht um THC, sondern um Religion. Zwei Themen, die nicht unbedingt zusammen gehören, aber die Eckpfeiler deines Lebens darzustellen scheinen...

Mit den Eckpfeilern bin ich mir nicht sicher, aber ich glaube, dass THC und Religion ein und dasselbe sein können. Wer weiß, vielleicht wäre das Konzept eines Schöpfers niemals ohne die Hilfe von bewusstseinserweiternden Substanzen wie THC entstanden. Ich möchte jetzt nicht zu viel über meine eigenen Ansichten sprechen, aber eines der beiden Themen ist real und das andere nicht. Ich bin ein hartnäckiger Verfechter von Cannabis. Viele Leute würden nicht glauben, welche Opfer ich schon wegen meines Einsatzes für die Entkriminalisierung von Cannabis gebracht habe. Diese Pflanze hat nicht nur eine heilende Wirkung, sondern das Potenzial, unserem Planten durch seine industrielle Anwendung auf vielen Gebieten, z.B. Treibstoff und Lebensmittel, zu helfen.

 

Dein Einsatz scheint sich ausgezahlt zu haben, denn in deiner Heimat Colorado ist der Konsum von Cannabis vor Kurzem ja legalisiert worden. Das gesamte Album basiert jedoch mehr auf dem Leitmotiv Religion. Würdest du es als Konzeptalbum bezeichnen?

Die ganze Religion-Suite war als vollständiges Album gedacht als ich sie 1987 erstmals schrieb. Ja, das stimmt! Der Song hieß ursprünglich "Incarnate Fear" und war über 49 Minuten lang. Die Texte waren anders, aber die Musik ist mehr oder weniger unverändert. Wir begannen damals den Song mit unserer High School Band TYRANT`S REIGN, in der auch Jason Boudreau war, zu spielen. Wir hatten die unrealistische Idee, das Stück in ganzer Länge live zu spielen, was allerdings niemals geschah. Ich wünschte, ich hätte damals ein Demo dieses Songs in seiner gesamten Länge aufgenommen! Wir nannten uns dann später in INCARNATE FEAR um, kurz bevor ich die Band endgültig in Richtung LEVIATHAN verließ. Der Sänger war damals übrigens John Aragon, der später zu LEVIATHAN stieß und mit uns "Deepest Secrets Beneath" aufnahm.

 

Deine Texte scheinen mir sehr persönlich zu sein. Trügt dieser Eindruck? Wie wichtig ist es dir, deine Gedanken und Gefühle durch deine Musik und deine Texte auszudrücken?

Die Texte sind sehr persönlich und kathartisch. Der Prozess, meine Gefühle niederzuschreiben, diese in Musik umzusetzen und aufzunehmen, ist wie ein Exorzismus meiner inneren Dämonen. Es ermöglicht mir, meine Probleme und Ansichten in einem anderen Licht zu sehen. Worte waren schon immer der wichtigste Aspekt meines Lebens. Ich bin sehr stolz darauf und hoffe, dass meine Worte eines Tages jemandem, dem es schlecht geht, helfen werden. Es wäre sehr belohnend zu wissen, dass ich jemandem geholfen habe, so wie meine Idole mich gerettet haben. Ich hätte ohne den Einfluss von Leuten wie Jim Matheos, Tori Amos, Shawn Colvin ,Kevin Moore und Natalie Merchant niemals überlebt. Ihre Worte gaben mir Hoffnung, wo sonst keine war.

 

Du benutzt viele Spachsamples aus Filmen. Das ist ein wichtiges Stilmittel von LEVIATHAN geworden. Bist du ein Filmfreak? Was sind deine Lieblingsfilme?

Ich hoffe, dass man sich einmal daran erinnert, dass ich einer der ersten war, der Filmdialoge benutzt hat, um Emotionen zu vermitteln. Ich mache das nicht, um im Trend zu liegen. Ich mache das, weil diese das sagen, was ich gerne ausdrücken würde, aber nicht so kann. Also habe ich bei meinem ersten BRAVER SINCE THEN-Album damit angefangen. Ich bin ein absoluter Filmnarr. Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis und die meisten Dialoge prägen sich mir nach dem ersten Anhören ein. Ich bewahre bedeutende Dialoge einfach in meinem Kopf auf, bis ich diese irgendwann einmal für ein Thema verwende, an dem ich gerade arbeite. Meine Lieblingsfilme sind diejenigen, mit denen ich aufgewachsen bin, wie z.B. "Skin Deep", "Grand Canyon", "Amadeus" und ""Big Chill, sowie neueres Zeug wie "Fight Club". Ich gucke mir pro Woche fünf Filme zuhause und zwei bis drei im Kino an. Filme sind mein Hobby und meine Zuflucht.

 

Deine Gitarrenarbeit ist wieder einmal sehr beeindruckend. Haben dir die beiden großartigen Gastgitarristen Jason Boudreau (THE QUIET ROOM/TYRANTS REIGN) und Chris Lasegue (JAG PANZER) noch eine zusätzlichen Motivationsschub verliehen?

Danke sehr. Um ehrlich zu sein, hatte ich Angst, dass mein Spiel diesmal nicht so beeindruckend wie auf meinen bisherigen Veröffentlichungen sei. Ich denke, dass ich auf "Scoring The Chapters" mein Meisterstück abgeliefert habe. Damals habe ich meinem Idol John Petrucci nachgeeifert und wollte so gut werden wie er. Danach habe ich ein paar Jahre lang gar keine Musik mehr gemacht. Ich schrieb zwar noch Texte, aber hatte kein Interesse mehr am Musizieren. Heute spiele ich nicht mehr so schnell und beeindruckend wie früher, aber ich lege sehr viel Wert auf Emotion und Leidenschaft in meinem Spiel. Ich hoffe, dies gleicht das andere wieder aus. Allerdings musste ich als Produzent zum musikalischen Allrounder werden, um gegebenenfalls alle Instrumente selbst einzuspielen und auch zu singen. Die Zusammenarbeit mit Chris und Jason hat mich in meiner neuen Rolle noch bestärkt. Ich bin damals als "Shredder" zu LEVIATHAN gestoßen. Das war meine Rolle und die hat sich im Laufe der Jahre verändert. Ich arbeite mit Chris und Jason gerade an einer Art Flamenco-Akustik-Jazz-Fusion-Gitarrenalbum, wobei ich nicht mehr der "Guitarhero" sein muss. Das fühlt sich sehr befreiend an. Ich muss lediglich gute Musik schreiben und damit die anderen beiden ins rechte Licht rücken. Ich freue mich schon sehr auf dieses bahnbrechende Album, denn ich denke es wird alle Prog Metal-Fans und -Musiker wegblasen.


Das Schlagzeug auf "Beholden..." wurde von vier verschiedenen Drummern eingespielt. Hast du mittlerweile einen festen Trommler gefunden? Und bleibt Jeff Ward auch künftig am Mikro?

Nein, wir haben derzeit keinen festen Schlagzeuger. Ein paar Leute springen immer mal wieder ein. Ich hätte Trevor Helfer gerne zurück in der Band, aber er möchte gerade lieber einfachere Musik spielen und sich am Wochenende amüsieren. Jeff hingegen ist wieder ein permanentes Bandmitglied. Er freut sich sehr darauf, mit uns in Europa zu spielen.

 

Nach der Kritik am Sound von "At Long Last, Progress Stopped To Follow" hast du keine Kosten und Mühen gescheut und das neue Album von Ty Tabor (KING`S X) mastern lassen. Hat sich dies aus deiner Sicht gelohnt und wirst du auch künftig mit ihm oder anderen Externen zusammenarbeiten?

Die Zusammenarbeit mit Ty war die Idee von Martin Schröder, der für unsere Coverartworks verantwortlich ist. Mit seinem permanenten Streben nach besseren Resultaten, hat er all dies erst möglich gemacht. Ich würde sehr gerne wieder mit Ty Tabor zusammenarbeiten.

 

Bist du noch mit deinen alten Bandkollegen Ty Tammeus und Tom Braden in Kontakt, die mit ihrer neuen Band ARTIZAN zwei tolle Alben veröffentlicht haben? Wie gefällt dir ihr Sound?

Ich habe keinerlei Kontakt mehr mit ihnen. Als Ty die Band zusammenstellte, schrieb er mir auf Facebook, aber wir sind nicht in Verbindung geblieben. Ich habe beide Alben gehört und freue mich über ihren Erfolg. Ich würde gerne mit den Jungs noch mal gemeinsam Musik machen.

 

Vor drei Jahren habt ihr beim HOA gespielt, zusammen mit deinen Idolen FATES WARNING. Wie war das für dich und wann kommt ihr wieder mal nach Europa?

Das hängt von euch allen ab. Bucht uns einfach ein paar Shows und wir werden da sein. Egal ob bei Festivals oder im Vorprogramm von lokalen Bands, wir sind dabei und kommen gerne über den großen Teich zu euch!

 

Ich weiß, dass du ein passionierter Motocross-Fahrer bist. Übst du dieses Hobby noch aus?

Motocross war meine erste große Leidenschaft. Ich bekam mein erstes Motorrad im Alter von neun Jahren. Ich wollte als Kind immer Profi-Motocross-Rennfahrer werden, aber ich fuhr nur für ein paar Jahre. Erst 2001, im Alter von 30, hatte ich die finanziellen Mittel, meinen Traum zu verwirklichen. Ich kaufte mir ein Motorrad und begann Rennen zu fahren. Die ersten Jahre waren grauenhaft. Ich endete entweder auf dem letzten Platz oder im Krankenhaus. Mit 40 veränderte sich mein Leben schlagartig als ich 35 Pfund abnahm und plötzlich zu gewinnen begann. Ich bin stolz darauf, Motocross-Meister 2012 in meinem Heimatstaat Colorado geworden zu sein. Ich hätte nie gedacht, überhaupt jemals ein Meister in irgendwas zu werden.

 

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen genommen hast. Würdest du unseren Lesern noch gerne irgendetwas sagen?

Danke, dass ihr mir die Chance gegeben habt, meine Musik weiterhin zu veröffentlichen. Ich schätze es wirklich, dass sich einige Leute die Zeit nehmen, sich meine Musik und meine Texte anzuhören. Solche Fragen in Interviews gestellt zu bekommen, zeigt mir, dass all die Arbeit nicht umsonst war. All diejenigen, die noch nichts von LEVIATHAN gehört haben, sollten unsere Webseite besuchen:  www.leviathanresurrected.com.

Redakteur:
Alexander Fähnrich

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