LISERSTILLE: Interview mit der Band

16.06.2013 | 08:23

Ungewöhnliche Musik, ungewöhnliche Menschen, ungewöhnliches Interview: Wir reden über griechische Philosophie, Versagen bei der Namenswahl und Swumpa, die Orgel.



Vor dem Konzert in München treffe ich alle vier Mitglieder der dänischen Avantgarde-Progger von LISERSTILLE (Martin Byrialsen - Gesang/Keys, Tue Schmidt Rasmussen - Gitarre, Asbjørn Helboe - Bass, Jon Gotlev - Drums) im Nebenraum, in dem sie nach dem Gig auch auf ihren mitgebrachten Matratzen schlafen werden.

Das Kunstprojekt LISERSTILLE startete 2004 und versucht, die Emotionen surrealistischer Bilder in die Sprache der Musik zu übersetzen. Dabei muss ich immer daran denken, wie ein Gemälde Salvador Dalis von DREDG (auf "El Cielo") vertont wurde. Wie hat man sich sowas vorzustellen? Hab ihr Bilder im Proberaum stehen und spielt dann dazu?


Ja, so in der Art. Das war ursprünglich Martins Idee. Wir versuchten, die Bilder eines Freundes von uns, Vindril sein Künstlername, zu vertonen. Es war tatsächlich so, dass wir uns die Bilder angeschaut und an Martins Piano versucht haben, diese musikalisch umzusetzen. Heute machen wir das nicht mehr so spezifisch nur mit Bildern, sondern wir lassen uns auch von Videoclips, Filmen oder auch ganz einfach von dem, was wir täglich so alles sehen, inspirieren. Wir sind eine Band, die sehr viel miteinander redet. Wir diskutieren ständig über Kunst. Wir wollen herausarbeiten, was die Emotionen und Gefühle hinter der Kunst, die wir betrachten, sind. Das visuelle Element ist uns aber nach wie vor sehr wichtig.

Auch live?

Live haben wir das gemacht und wir waren mit die ersten. Anfangs waren die Leute begeistert. Aber dann hat auf einmal jeder Visuals verwendet und wir konnten es uns einfach nicht leisten, so aufwändige Produktionen wie TOOL oder PORCUPINE TREE aufzufahren. Wir versuchen deshalb, mit unserer Musik Filme in den Köpfen unserer Zuhörer entstehen zu lassen. Für unsere letztes Album "Nous" hatten wir sogar eine Art Drehbuch bevor wir an die Musik herangingen.





In der Bandinfo steht, LISERSTILLE macht "keine Kompromisse an die kulturellen Regeln zur Erschaffung von Musik". Könnt ihr das mal bitte erklären?


Was wir damit meinen ist, dass wir beim Musik machen keinem Dogma folgen. Wir sagen nicht 'Nein' zu etwas von dem 'man' denken könnte, dass so etwas nicht passen würde. Wir setzen uns einfach keine Grenzen bezüglich in welche Richtung sich Akkorde oder Rhythmus in einem Song entwickeln könnten. Das macht auch die große Freude aus, die wir haben, wenn mir zusammen musizieren. Wir wissen nie genau, wo wir enden, wir lassen den Song entscheiden. Und wenn wir komponieren, versuchen wir, nicht zu halsstarrig zu sein. Das ist so in etwa das, was wir mit "keine Kompromisse" meinen. Wir wollen versuchen, dem starren Körper einer gewissen Grundidee Leben einzuhauchen.  Wenn wir meinen, dass es beispielsweise notwendig ist, zu dieser Verwirklichung Jazz spielen zu müssen, spielen wir eben Jazz.

Das muss man aber auch erstmal können! Übt ihr denn bewusst den Rock erweiternde Stile ein?

Hmm, nicht bewusst. Es würde dann sicher auch nicht nach "richtigem" Jazz klingen, es wäre LISERSTILLE-Jazz. Wir sagen uns, wenn Du ein Saxophon spielen WILLST, dann fackel nicht lange, mach' es einfach. Hier sind wir völlig frei! Und wir vertrauen uns da auch gegenseitig. Wir ermutigen und unterstützen uns, ohne jedoch dabei zu vergessen, uns auch zu kritisieren.

Lehnt ihr denn auch bewusst gewisse Regeln in Hinsicht auf Komposition oder aber auch auf die Lehre, wie man ein Instrument zu spielen hat, ab? Habt ihr solche Dinge überhaupt gelernt oder denkt ihr vielleicht sogar, dass sie eurer Kreativität hinderlich sind?

Nun, wir sind alle keine studierten Musiker wie beispielsweise DREAM THEATER. Ich (Martin Byrialsen) habe zwei Schwestern, die auf der Royal Conservatory Of Music studieren, doch ich habe mich mit Absicht dagegen entschieden, weil ich die Furcht hatte, dass dies meine Kreativität zerstören und meiner Musik die Spiritualität rauben und zu technisch geraten lassen würde. Musik hat nämlich etwas mit Spiritualität zu tun. Jeder Ton muss seine Bestimmung haben und einen Sinn ergeben. Und anstatt uns hinzusetzen und Skalen zu üben, nutzen wir lieber die Zeit und reden, reden, reden...

Über was?

Aktuell stellen wir immer mehr die Frage in den Vordergrund, was unser Menschsein ausmacht. Das ist eine der zentralsten Fragen, die man sich stellen kann. Doch wir diskutieren auch über weltlichere Dinge, sogar über die Neuigkeiten aus dem Mainstream. Alles fließt in unsere Musik ein und uns ist wichtig, dass jeder von uns seine Meinung, seine Interpretation der Dinge mit einfließen lässt. Wenn einer von uns eine Idee vorbringt, dann ist es an uns allen, diese Idee voranzubringen. Deswegen diskutieren wir so viel, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Es gibt keinen Diktator bei uns und daher werden die Ideen von jedem getragen und von jedem repräsentiert.

Bezüglich der Ideen geht Martin noch etwas mehr in die Tiefe:

Kennst Du die Theorie, dass jedes Bild oder Gemälde eine Art musikalischen Abdruck hat? Forscher versuchen nämlich, aus der Art und Weise der Führung von Pinselstrichen nachzuvollziehen, was für eine Musik diesen Werken zugrunde liegen könnte. Oder, bildlich gesprochen, welche Musik beim Malen die Leinwand zum Vibrieren gebracht hat.

In der Tat. Wenn man im Netz danach sucht, findet man jede Menge Beiträge und Links zu Büchern, die sich mit dem Thema "Verknüpfung zwischen (moderner) Kunst und Musik" beschäftigen. Beispielsweise "The Music Of Painting" von Peter Vergo.

Wir verfolgen auch das Ziel einer Idee - sei es durch ewiges Diskutieren, sei es durch Meditation - solang auf den Grund zu gehen, dass sich der Imprint dieser Idee, sozusagen ihr Gepräge, ihr Kern, in unserer Musik manifestiert.

Das klingt für mich nach einer platonischen Aufgabe der '"Idee an sich" auf den Grund zu gehen und das dann auch noch in Musik zu übersetzen. Doch es ist sogar noch mehr:


Wir hoffen, dass die Leute beim Hören unserer Musik genau diesen Imprint, diesen Kerninhalt der Idee, der dieser zugrunde liegt, aufspüren und absorbieren können. Wir hoffen, dass uns gelingt, den Hörern über unsere Musik das Wesen der Dinge, mit denen wir uns beschäftigen, näherzubringen.

Wow. Das muss man erstmal verdauen. Ich habe immer das Gefühl, bei der Musik von LISERSTILLE etwas Besonderes zu hören. Es schwebt eine Magie in ihr, ein Feuer, das aus sich selbst heraus glüht. Das aktuelle Album heisst "Nous". Das ist altgriechisch und steht für die menschliche Fähigkeit, etwas geistig zu erfassen und ist sozusagen die Instanz im Menschen, die für das Erkennen und Denken zuständig ist. So langsam wird mir, beim Abtippen des Interviews, klar, was die Jungs mir versuchen zu erklären. Ich liege mit meinem platonischen Gedanken gar nicht mal so falsch. Die Musik soll unser Nous anregen, um besser zu erfassen,  was hinter den Dingen steht.

Was hat es eigentlich mit dem Namen auf sich? LISERSTILLE heisst übersetzt "Lis ist ruhig". Wer ist denn diese Lis und warum muss sie schweigen?

Haha, mit dem Namen haben wir komplett versagt. Der Name sollte eigentlich sagen, dass für uns nichts anderes zählt ausser die Musik. Als wir anfingen, gab es so viele extravagante Bands mit fancy Namen und fancy Pressefotos. Wir wollten da genau das Gegenteil machen. Wir wollten einen Namen, der komplett irrelevant ist, genauso wie Songtitel, die absolut nichts bedeuten. 'Lis er stille' ist im Dänischen ein Wortspiel und bedeutet auch so etwas wie "etwas mit Ruhe tun". Und wir dachten uns, cool, das passt, es ist nur ein Name und die Leute würden nicht weiter nachfragen, weil es eben nix weiter als ein Name ist. Doch genau das Gegenteil passierte. Wirklich jeder fragt danach. Erstaunlicherweise nicht nur im Ausland, sondern vor allem die Dänemark. Wir haben also komplett versagt. Es ist ein hässlicher Name und er ist Nonsense und er erregt dennoch große Aufmerksamkeit. In vielen Reviews ging es  fast zu einem Drittel nur über diesen dämlichen Namen.

Ich selber bin ja auch aufgrund des Namen auf die Band aufmerksam geworden. "The Collibro" war Album des Montas im ECLIPSED und das war die Band mit dem coolen skandinavischen Namen, dazu das blauegrüne Cover. Hat sich  eingeprägt.

Jetzt wollen wir natürlich das beste draus machen und LISERSTILLE zu einem Symbol machen. Wir wollen die Buchstaben zusammenziehen und ein Wort daraus machen, es wäre auch super, wenn Du das in Deinem Artikel so machen könntest.

Klar doch. Von jetzt an LISERSTILLE.

Später haben wir dann versucht zu antizipieren, ob es diese Lis denn wirklich gibt. Ob sie vielleicht eine Idee einer Person in einer bestimmten Situation war? Für uns beginnt sich auf einer philosophischen Ebene eine Art Existenz für sie herauszuschälen, vielleicht ist sie ja der Geist unserer Band, die Beobachterin, die stille Wächterin von LISERSTILLE und sogar ein Teil unserer Kreativität.

Klingt stark.







Dann lasst uns doch noch mit ein paar langweiligen Fragen abschliessen: Bald kommt eine neue EP, von der ein Song, 'Lyncher's Aim', schon online ist
(zu hören auf YouTube oder http://www.liserstille.dk/).
Wann gibt es neue Musik?

Wir wissen es noch nicht ganz sicher. Vermutlich Mitte August. Wir haben gerade unseren Traum verwirklicht und "Nous" auf Vinyl herausgebracht.

Ein Vinyl mit tollem Artwork übrigens, das jetzt auch mein Eigentum ist.

Und wer ist 'Swumpa, die Orgel'? Sie wurde beim Onlinerelease des neuen Songs erwähnt.

Haha, bei uns haben alle Dinge Namen. Martin besaß eine alte Heimorgel, die auch "The Organ Of Death" genannt wurde, doch sie ist vor kurzem verstorben. Jetzt hat er eine neue und das ist eben Swumpa. Du kannst sie heute Abend hören und ihr guten Tag sagen. Sie ist natürlich weiblich und ziemlich groß und übernimmt gern die Kontrolle…

Ab jetzt wird das Gespräch albern. Die Jungs von LISERSTILLE sind bei aller Ernsthaftigkeit immer noch sehr lustige, mitunter auch etwas schräge Vögel. Martin sieht zum Beispiel aus wie der junge David Bowie, der auch sein großes Idol ist. Wer sie kennen lernen will, geht zu ihren Konzerten und trinkt mit ihnen ein oder mehrere Bierchen, redet über griechische Philosophie oder streichelt Swumpa. Oder hört einfach nur die geniale Musik. Es ist einfach alles geboten bei LISERSTILLE.

Redakteur:
Thomas Becker
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