MIRROR OF DECEPTION: Interview mit Jochen Fopp

01.01.1970 | 01:00

Jochen Fopp ist ein Urgestein in der Doom-Metal-Szene. Da seine Kapelle MIRROR OF DECEPTION eben mit einem neuen Album namens "Foregone" um die Ecke geschlurft gekommen ist und sie außerdem auf Tour geht, nahm ich die Möglichkeit, ein paar Infos aus dem guten Mann herauszukitzeln, natürlich gerne wahr. Wer aufgrund der Tatsache, dass Doom Metal eher melancholischer Natur ist, glaubt, im weiteren Verlauf ein eher nachdenkliches Gespräch zu lesen, wird sich allerdings leider getäuscht sehen.

Holger:
Warum hat es so lange gedauert, bis "Foregone" erscheinen konnte?

Jochen:
So vorgesehen war das nicht, aber wir sind wohl keine Band, die im Jahrestakt neue Scheiben auf den Markt werfen kann. Wir bessern uns jedoch, es sind jetzt gerade mal 19 Monate seit dem Release unserer "Conversion"-MCD vergangen. Als wir soweit waren und uns voll auf das Schreiben neuer Songs konzentrieren konnten, ging alles recht schnell vonstatten. Innerhalb von sechs bis sieben Monaten wurden alle Stücke geschrieben und die Platte aufgenommen.

Holger:
Kann man sagen, dass Fopp/Siffermann MIRROR OF DECEPTION sind? Wie groß ist der Einfluss der anderen Musiker?

Jochen:
Wir beide haben MIRROR zwar aus der Taufe gehoben, die Richtung vorgegeben und wohl am meisten Zeit und Arbeit investiert, aber das funktioniert nur im Bandkontext und nicht als Solo- oder Zweimannprojekt. Wir hatten immer eine Vision vor Augen, aber wir brauchen den Input der Kollegen und den Dialog. Daher hat jedes bisherige Mitglied seinen Teil zum Gesamtbild beigetragen, die Band geprägt und zu dem gemacht, was sie heute ist. Mit unserem neuen Basser Andreas haben wir jetzt einen dritten Songschreiber an Bord, er hat eine Menge zur neuen Scheibe beigesteuert und das hat frischen Wind reingebracht. Gleiches gilt auch für unseren Drummer. Zudem schreiben erstmals alle vier Bandmitglieder Texte.

Holger:
Wie waren die Resonanzen auf den 'neuen' Sänger?

Jochen:
Größtenteils positiv. Klar gab es Leute, die unseren vorigen Sänger Markus oder eben bei Konzerten die mehrstimmigen Gesangsteile vermisst haben, aber insgesamt war das Credo, dass es auch so sehr gut funktioniert. Und mittlerweile haben wir ja wieder zwei Stimmen.

Holger:
Ist es nicht merkwürdig, plötzlich die Welt aus den Augen des Frontmanns zu betrachten? Was verändert sich zum Beispiel bei Konzerten? Als Klampfer hat man ja immer die Chance, sich hinter seinem Instrument zu verstecken, während der Sänger den Kontakt zum Publikum suchen muss. Wie groß war die Umstellung?

Jochen:
Der Abschied von Markus war ein längerer Prozess. Wir hatten schon Monate vor seinem offiziellen Ausstieg mehr und mehr Proben sowie Konzerte ohne ihn. Anfangs war es aus der Not geboren, aber Siffi hat sehr schnell in die Rolle hineingefunden. Zudem kennt er die Kombination Sänger/Gitarrist auch schon von seiner Coverband GRAND FINAL STAND, wo er sich den Gesang mit einem anderen Kollegen teilt. Er ist durch den Wechsel ans Mikro allerdings nichts zum Frontkasper mutiert, der große Reden schwingt, pausenlos das Publikum anfeuert oder zu Mitsingspielchen animiert. Das liegt nicht in seiner Natur und würde auch nicht zu uns passen.

Holger:
Gab es überhaupt Überlegungen, einen Fremden in die Band zu holen?

Jochen:
Die gab es anfangs schon. Wir hatten einige Interessenten und auch einige Proben mit einem potenziellen Kandidaten, aber letzten Endes hat es nicht so recht gepasst und wir haben beschlossen, dass wir auch gut ohne neuen Frontmann auskommen.

Holger:
Wie kam es zu den anderen Umbesetzungen? Woher kommen die neuen Leute?

Jochen:
Zu den Besetzungswechseln kam es, da unser voriger Drummer Gunnar und Basser Klaus aufgrund beruflicher und familiärer Verpflichtungen nur noch sehr wenig Zeit für MIRROR übrig hatten. Wie es das Leben bei fortschreitendem Alter eben so mit sich bringt und es bei unzähligen anderen Bands auch der Fall ist. Wir haben lange Zeit versucht, das Beste aus der Situation zu machen, aber letzten Endes war es sehr unbefriedigend, unproduktiv und Planungen waren nahezu unmöglich geworden. Unser neuer Schlagzeuger und Sänger Jochen (Müller) spielt schon seit einigen Jahren bei den oben erwähnten GRAND FINAL STAND, daher kannte und schätzte man sich. Andreas war bei diversen MIRROR-Konzerten zugegen, ein Fan und Freund, hatte zuvor allerdings noch keine eigene Band. Die beiden waren die einzigen Leute, die wir nach dem Split gefragt hatten und es hat auf Anhieb gepasst.

Holger:
Warum gibt es auf "Foregone" keinen deutschen Song? Oder anders herum: Wie seid ihr darauf gekommen, überhaupt auf Deutsch zu arbeiten?

Jochen:
Ein deutscher Text hat sich dieses Mal einfach nicht ergeben. Wir sehen das nicht als Pflichtübung an, sondern handeln nach dem Bauchgefühl. Mit den deutschen Texten fing das an, nachdem ich einige Zeit lang zu viel BETHLEHEM gehört hatte. Ich schrieb dann ein deutschsprachiges Intro/Outro für unsere 97er Mini-CD "Veil Of Lead" und danach gab es immer mal wieder einen Text in der Muttersprache. Ich dachte einfach, was die Skandinavier, Franzosen, Spanier, Italiener machen, können wir auch.

Holger:
Wie sind da die Resonanzen aus dem Ausland gewesen?

Jochen:
Die Resonanzen auf die deutschsprachigen Songs waren ziemlich positiv. Vermutlich waren das vor allem Leute, die unsere englischen Texte mies fanden oder den deutschen Akzent nicht ertragen konnten.

Holger:
Wie wäre es mit einem ganzen Album auf Deutsch?

Jochen:
Wurden wir schon häufiger gefragt, aber Pläne in die Richtung haben wir keine.

Holger:
Neues Album – neuer Deal. Wie kam es dazu, da Miskatonik doch zu euch passte wie ein Schlumpf in einen blauen Farbeimer?

Jochen:
Wir haben uns einige Zeit nach "Conversion" einvernehmlich von Miskatonic Foundation getrennt, da sie sich mehr auf Re-Releases konzentrieren und insgesamt weniger veröffentlichen wollten. Wir lernten dann Fred Caure (ex-PANTHEIST, jetzt THEE PLAGUE OF GENTLEMEN) aus Belgien kennen. Er war gerade daran, ein eigenes Label (Final Chapter) zu starten, mochte MIRROR und so ergab sich das.

Holger:
Ich finde das Cover faszinierend. Würde ich mir glatt gerahmt aufhängen. Die Farbgebung erzeugt eine erhabene Atmosphäre. Und das Gesicht scheint einen anzustarren ...

Jochen:
Wir haben mit Morti Uhlig einen Grafiker und Fotografen an der Hand, der sich voll in unsere Musik und Texte hineinversetzen kann und eben auch das nötige Fachwissen für die Umsetzung hat. Als er erste Rohversionen der Songs gehört und wir ihm die Texte und das Konzept erläutert hatten, kam er mit dem Frontcover an. Es hat uns sofort sehr gut gefallen, da es nicht auf die üblichen Klischees zurückgreift, aber dennoch eine ziemlich morbide und eigenartige Ausstrahlung besitzt. Morti arbeitet ausschließlich mit eigenem Bildmaterial, was auch die Gefahr eindämmt, das selbe Motiv irgendwann auf dem Cover einer anderen Band zu erblicken. Wir werden sicherlich auch in Zukunft wieder mit ihm zusammenarbeiten.

Holger:
Wasser scheint eine mächtige Ausstrahlung auf euch zu haben. Immer wieder tauchen Strudel (lecker übrigens), Wellen und Schiffe in euren Texten auf. Wie kümmts?

Jochen:
Ohne Wasser kann man nicht leben, man kann andererseits aber auch darin ertrinken. Also eine recht passende Metapher für verschiedene Situationen.

Holger:
Was ist ein Melodienüberschuss?

Jochen:
Wenn ein neuer Song entsteht, experimentiere ich immer viel mit diversen Gitarrenharmonien und Melodien herum. Das ist den Kollegen oft zu viel Gedudel und wird dann nach dem kollektiven Aufschrei "Melodienüberschuss!" auf das Notwendige reduziert.

Holger:
Wie perfektioniert man seine Qualitäten als Beifahrer?

Jochen:
Das erfordert jahrelanges, intensives Training und gewisse psychologische Kenntnisse. Man muss es schaffen, den Fahrer bei Laune zu halten, im richtigen Moment das richtige Getränk zu reichen, die richtige Musikauswahl zu treffen, die richtigen Gesprächsthemen anzuschneiden, den zur Landschaft passenden Snack auszuwählen, Landkarten richtig deuten können, etc. Ein sehr anspruchsvoller Job, sofern man ihn ernst nimmt und gut machen möchte.

Holger:
Was gibt es für ungeschriebene Gesetze beim Komponieren?

Jochen:
Unzählige! Ein MIRROR-Stück darf eine Höchstgeschwindigkeit von 60 BPM nur in seltenen Ausnahmefällen überschreiten, Funkanleihen sowie der Einsatz von Blasorchestern sind vollkommen tabu und wir haben in einer eisigen, sternenklaren Vollmondnacht den heiligen Eid geschworen, niemals einen Song zu schreiben, der es erfordern würde, über Drachen zu singen.

Holger:
Völlig begeistert war ich über zwei Bands unter euren Faves: GARMARNA und die göttlichen HUMAN DRAMA. Gerade HD scheint hier keiner zu kennen, obwohl die so viele ausgezeichnete Alben gemacht haben. Und jetzt lösen sie sich auf ...

Jochen:
Keine Ahnung, warum gerade HUMAN DRAMA so unbekannt geblieben sind. Vielleicht, weil sie immer zwischen den Stühlen saßen und hierzulande fälschlicherweise in der Gothic-Szene vermarktet wurden. Wir versuchen seit Jahren, unser Umfeld von der Gruppe, insbesondere von ihrem Meisterwerk "The World Inside", zu überzeugen. Teils mit, teils ohne Erfolg. Dass sie sich auflösen, ist sehr schade, wusste ich noch gar nicht. Hätte sie gerne mal live gesehen, aber Mexiko oder L. A. (wo sie zumeist ihre Konzerte gaben) waren mir immer ein wenig zu weit entfernt. Und GARMARNA sind (neben HEDNINGARNA) einfach die Referenz, wenn es um lebendigen, zeitgemäßen Folk aus Schweden geht. Zudem haben sie den Jimi Hendrix der Drehleier in ihren Reihen. Wird mal wieder Zeit für eine neue Platte. Das letzte, eher elektronische Werk hat mir persönlich nicht so gefallen.

Holger:
Was erwartet ihr von der Tour mit COUNT RAVEN / SLOUGH FEG?

Jochen:
THE LORD WEIRD SLOUGH FEG sind nur bei der Hamburg-Show dabei. Sie wollten am selben Tag in Itzehoe spielen, woraufhin wir beide Gigs zusammengelegt haben. Mit ihnen haben wir in der Vergangenheit auch schon einige Male live gespielt, sehr gute Band! Bei genauem Hinhören wird man auf unserer neuen Platte übrigens auch einen kleinen Tribut an SLOUGH FEG entdecken können. COUNT RAVEN sind etwas Besonderes für uns. Sie waren in unserer Frühphase ein großer Einfluss und unser erstes größeres Konzert haben wir Ende 1993 als ihre lokale Vorband gespielt. Es ist schön, dass sie es nochmal wissen wollen. Bei der Reunion-Show beim "Doom Shall Rise II"-Festival hatte ich eine Gänsehaut nach der anderen. Es ist eine große Ehre, dass wir mit ihnen zusammen auf Tour gehen können, und mit Sicherheit ein Höhepunkt unserer "Karriere". Wir hoffen, dass alles gut läuft und wir mit diesem Package einige Leute in die Clubs locken können. (Leider mussten COUNT RAVEN aufgrund gesundheitlicher Probleme die Tour canceln. Von hier aus gute Besserung – der Verf.)

Holger:
Gerade Jochen geistert ja seit Ewigkeiten in der Doom-Szene herum. Was ist das Besondere an dieser Szene im Gegensatz zur Metalszene?

Jochen:
Es ist alles etwas kleiner, überschaubarer, gemütlicher, familiärer als in der rauen Metalwelt da draußen und es gibt keinen so ausgeprägten Futterneid. Uns gefällt das und wir fühlen uns als Fans und auch als Band gut aufgehoben.

Holger:
Ich erwarte indiskrete Kommentare über andere Bands, Musiker etc. ... hehehe.

Jochen:
Hmmm, wir haben eigentlich nur mit zutiefst seriösen Bands zu tun, deren Mitglieder stets durch ausgesprochene Höflichkeit, vorbildliches Benehmen und makellose Lebensläufe zu gefallen wissen. Rock'n'Roll-Exzesse sind uns völlig fremd geblieben.

Holger:
Zurück zu den Texten: Kann es sein, dass ihr sehr viel E. A. Poe und Lovecraft lest? Die Wortwahl eurer Texte ist sehr poetisch und erzeugt an sich schon eine sehr düstere Stimmung. Absicht?

Jochen:
Klar, mancher von uns hat diverse Wälzer von H. P. Lovecraft oder E. A. Poe im Regal stehen, was sicherlich mitunter beim Texten abfärbt. Aber das sind letztlich nur zwei Inspirationsquellen von vielen. Auf die Wortwahl legen wir insgesamt schon Wert, da wir abgedroschene Phrasen möglichst vermeiden wollen, sofern sich das selbe auch mit anderen Worten ausdrücken lässt.

Holger:
Gerade wenn ihr keine wirkliche Story erzählt, sondern mehr eine Stimmung erfassen wollt, fühlt man sich teilweise echt erdrückt. Dabei scheint ihr doch gar keine Trauerklöße zu sein, oder täuscht das?

Jochen:
Seltsame Frage. Denkst du, wir geben nur ein billiges Image vor? Doomer sind selbstverständlich rund um die Uhr am Weinen, schlurfen gramgebeugt durchs Leben, meiden das Tageslicht, hadern mit ihrer eigenen Existenz, dem Schicksal der Menschheit und sehnen den Weltuntergang herbei. Und genau dieses konsequente Ausleben der eigenen Texte sollte man von den Kollegen aus anderen Genres eigentlich auch erwarten können. Aber nennen wir das Kind beim Namen: Das sind zum großen Teil eben doch alles Poser, die sich irgendwelche an den Haaren herbeigezogenen Phantasiestorys zusammenspinnen.

Holger:
Jochen, hast du noch Kontakt zu Till Teichgräber?

Jochen:
Leider nein, haben schon lange nichts mehr voneinander gehört.

Holger:
Zum Abschluss jetzt mal die zehn unterbewertetsten Doom-Scheiben.

Jochen:
CANDLEMASS – "Tales of Creation" (weil meistens nur "Epicus Doomicus Metallicus" & "Nightfall" genannt werden)

CANDLEMASS – "From the 13th Sun" (ultrafette Scheibe, aber oft übersehen, da sie mit der "Messiah"-Phase wenig gemein hatte und eigentlich unter dem falschen Bandnamen veröffentlicht wurde)

SOLITUDE AETURNUS – "Downfall" (Produktion nicht optimal, aber meiner Meinung nach gibt es hier einige der stärksten SOLITUDE-Songs)

SERPENT – "Autumn Ride" (klasse Platte, aber kleines Label, schlechter Vertrieb, wenig Promotion – das Schicksal so mancher Doomperle)

DREAMING – "Tý Volœý" (zu Unrecht übersehene deutsche Doomband, die auch schon über zehn Jahre aktiv ist)

PENTAGRAM – "First Daze Here" (Vintage Collection) (Wenn die Welt gerecht wäre, wären PENTAGRAM heute größer als BLACK SABBATH, diese Aufnahmen aus den frühen 70ern beweisen es.)

BOHREN & DER CLUB OF GORE – "Black Earth" (kein Metal, aber mehr Doom und Gloom als vieles, was unter dem Banner angepriesen wird)

SEVENCHURCH – "Bleak Insight" (obskure UK-Band, die aus dem Nichts auftauchte, von einem großen Label gesignt wurde und sich nach nur einem Album wieder aufgelöst hat)

REVELATION – "Yet So Far" (das dritte Album von Maryland`s finest, hätte mehr Beachtung verdient)

WARNING – "The Strength To Dream" (das Meisterwerk unserer ehemaligen Labelkollegen)

Holger:
Vielen Dank für diese exquisite Auswahl. Da muss ich ja auch noch ein bisschen was nachholen.

Redakteur:
Holger Andrae

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