NAPALM DEATH: Die Re-Releases von Supreme Chaos Records

26.09.2024 | 10:32

Ende September wird es nochmal richtig laut. Über Supreme Chaos Records werden gleich fünf Alben des Grindcore-Aushängeschilds NAPALM DEATH wiederveröffentlicht. Die komplett überarbeiteten Scheibchen werden allesamt – bis auf "Time Waits For No Slave", das als Kassette re-released wird – als Vinyl erhältlich sein und wurden von Patrick W. Engel klanglich in eine Frischzellenkur geschickt. Das Ergebnis kann sich mehr als sehen und vor allem hören lassen, ballern doch alle fünf Wiederveröffentlichungen wie Sau und schubsen NAPALM DEATH einmal mehr ins Rampenlicht. So auch in jenes von POWERMETAL.de, weshalb wir es uns in diesem Zuge einmal zur Aufgabe machten, genauer auf und in die Alben zu schauen. Auf dem Prüfstand sind "Leaders Not Followers Part 2" (2004), "The Code Is Red... Long Live The Code" (2005), "Smear Campaign" (2006), "Apex Predator – Easy Meat" (2015) jeweils als Vinyl - und besagtes "Time Waits For No Slave"-Album von 2009 als MC-Edition. Viel Spaß mit unserer lautstarken Rückschau auf die jüngere NAPALM DEATH-Geschichte.

Wer den ersten "Leaders Not Followers"-Teil schon mochte, hat sich fünf Jahre später unsterblich in den zweiten Teil der NAPALM DEATH-Hommage an den bandeigenen, musikalischen Vorbildern verliebt. Cover-Alben sind zwar stets eine zwiespältige Angelegenheit, aber im Falle der Birmingham'schen Grindcore-Abrissbirne ist es eher als gewaltiger, lautstarker Tribut zu verstehen. Eine Huldigung an ohnehin großen Bands wie HELLHAMMER, KREATOR, SEPULTURA, DISCHARGE und MASTER, die allesamt den hiesigen und weiträumigen Einfluss verdeutlichen, den NAPALM DEATH mit der Muttermilch aufsog und zu einem hasserfüllten, schonungslosen und so herrlich brutalen Grindcore-Stilmix veredelte. Da darf beispielsweise natürlich auch der Punk von AGNOSTIC FRONT genauso wenig fehlen wie der Kult um HIRAX oder WEHRMACHT. Hört man "Leaders Not Followers" von A, wie CRYPTIC SLAUGHTER, bis Z, wie eben HIRAX, komplett durch, weiß man, warum NAPALM DEATH so klingt wie NAPALM DEATH eben klingt.
Es sind nicht nur mächtige Songs wie 'Troops Of Doom', 'Night Of Pain', 'Messiah' oder Riot Of Violence', die im NAPALM DEATH-Stil gecovert wurden.

Dafür steckt einfach zu viel Herzblut und Ehrfurcht vor der Geschichte der großen Namen. Ein Hammeralbum, das einerseits meinen inneren Schweinehund komplett von der Leine lässt und das heimische Wohnzimmer in ein Tollhaus verwandelt, mich andererseits aber so häufig schmunzeln und ob dieser Bedeutungsschwere der zum Besten gegebenen Klassiker in wohligen Erinnerungen baden lässt. "Ach, das war von DEVASTATION?", "Cool, kannte ich noch nicht... INSANITY? Stark!" oder "Gott, wie lange ich keine MASSACRE-Songs mehr gehört habe" waren nur drei der vielen, vor Gefallen nur so strotzenden Sätze, die ich im Zuge der "Leaders Not Followers: Part 2"-Dampframme vor mich hingemurmelt habe.

Auch die Tatsache, dass der Großteil der Songs aus der Mitte der 1980er Jahre stammt, sollte nicht unerwähnt bleiben und erhöht vor allem bei Punk- und Extreme-Metal-Romantikern den Stellenwert NAPALM DEATHs. Und was macht besagtes Abrisskommando? Das zockt sich quietschfidel, mit Schaum vorm Mund und sehr viel Respekt durch das knapp 43-minütige Klassiker-Schlaraffenland, knüpft effektiv genau dort an, wo der erste Teil 1999 aufhörte. Vor allem 'War's Not A Fairy Tale', 'Lowlife' und ein so bemerkenswerten Kniefall vor CRYPTIC SLAUGHTER als Wegbegleiter des Crossovers, sowie 'I'm Tired', kommt unheimlich kraft- und druckvoll zur Geltung. Auf nur 200 Stück limitiert macht also diese zweite Cover-Scheibe – und hier meine ich wirklich Scheibe im Sinne von Schallplatte – unheimlich viel her. Sie hat ein tolles, stimmungsvolles Artwork, das ohnehin die düstere Atmosphäre NAPALM DEATHs sehr gut zum Vorschein bringt, und zeigt die Band gemeinsam mit ihrem langjährigen Gitarristen Jesse Pintado, der im viel zu frühen Alter von 27 Jahren 2006 an Leberversagen starb. Ruhe in Frieden, Jesse, durch die Musik wirst du auf ewig leben.

[Marcel Rapp]

Man kann die Karriere von NAPALM DEATH in so viele unterschiedliche Sinneinheiten einteilen, dass es vor allem mit etwas Weitblick kaum möglich erscheint, die tatsächlichen Perlen bzw. diejenigen Platten hervorzuheben, die man als Fan des britischen Crust- und Grindcore-Ensembles auf jeden Fall gehört haben sollte. Natürlich schwört der größte Teil der hartgesottenen Fangemeinde auf Klassiker wie "Harmony Corruption" und "Utopia Banished", aber auch auf die erweiterten Fassungen zu "Scum" und "From Enslavement To Obliteration". Andere wiederum haben Barney und Co. erst zur Jahrtausendwende kennengelernt und sind mit ebenfalls vorzüglichen Trümmergeschichten wie "Enemy Of The Music Business" groß geworden. Dann gibt es noch diejenigen Anhänger, die in den eigentlich nicht ganz so namhaften Releases ihre größte Freude finden - zur letzten Kategorie würde ich selbst mich auch zählen. Mein bisheriger und nach wie vor unübertroffener Höhepunkt im Katalog ist nämlich immer noch das 2005 herausgegebene "The Code Is Red... Long Live The Code", eine Platte, die hier und dort auch stilistische Umbrüche wagte, in Sachen Dynamik vielleicht das ND-Vorzeigewerk überhaupt ist und vor allem in den etwas langsameren Stücken so viel Energie freisetzt, dass der Wunsch, wieder mehr Material dieses Albums im Live-Set zu finden, nach wie relativ groß bleibt. Gerade das Abschlussdoppel 'Morale' und 'Our Pain Is Their Power' stehen sinnbildlich für eine grundsätzliche Entschleunigung, die bei NAPALM DEATH jedoch gewohntermaßen mit äußerster Brutalität betrieben wurde.

Derweil ist gerade der mittlere Teil mit einigen grindigen Granaten gesegnet, der auch zwei Dekaden später immer noch als eine der geilsten Knüppelorgien ever durchgeht. Egal ob man nun eher punkigen Stoff wie 'Pledge Yourself To You' oder Todesblei-Bretter wie 'Sold Short' und 'The Great And The Good' als Beispiel nimmt - so wütend hat man das Urgestein um Kultbasser Shane Embury selten erlebt. Dass die Scheibe nun im Rahmen der Re-Release-Serie auch eine schicke Vinyl-Ausgabe bekommt, lässt das Sammlerherz natürlich richtig hoch schlagen, auch wenn die goldene Farbwahl sicherlich Geschmackssache bleibt. Aber klangtechnisch ist die Neuauflage ein noch intensiveres Brett und gerade zwischen den zahlreichen Zeilen, die NAPALM DEATH in den letzten 43(!) Jahren verfasst hat, ein bitterböses und dazu erstaunlich abwechslungsreiches Statement. Natürlich gehen die Meinungen beim umfassenden Gesamtwerk dieser Band immer noch weit auseinander, was die jeweiligen Favoriten sind. Bei mir persönlich ist es jedoch bis heute "The Code Is Red... Long Live The Code", weshalb ich unglaublich dankbar bin, dass sich hier auch in LP-Sammlerkreisen ein weiterer Kreis schließt!

[Björn Backes]

Mein Einstiegsalbum in die Welt NAPALM DEATHs war "Smear Campaign" von 2006. Mensch, unvorstellbar, dass dieses Ungetüm in diesem Jahr volljährig wird. Da es aber auch zu den besten Alben der Birmingham-Legende (nicht BLACK SABBATH, sondern eben Barney und Co.) zählt, liegt eine erneute Veröffentlichung nahezu auf der Hand. Vor allem kommt dieses verstörende Artwork noch viel besser zur Geltung, starrt mich im wahrsten Sinne des Wortes mit seiner angsteinflößenden Visage an, bis ich die Platte auflege und mich automatisch viele Jahre zurückversetzt fühle. Auf CD lag mir "Smear Campaign" damals vor und ich erinnere mich, wie mich Furcht und Faszination zugleich packten und ich mich dem Album nicht entgegensetzen konnte. Es zog mich von Beginn an in den Bann, ich wollte es ausmachen, doch es ging einfach nicht. Nun stehe ich diesem einschneidenden Erlebnis erneut gegenüber. Auge um Auge, Zahn um Zahn. So sieht man sich wieder, alter Freund. Auch diese Wiederveröffentlichung haut mich aus den Sandalen, denn über all die Jahre hat dieses Album nichts an Durchschlagskraft und Vehemenz verloren, noch immer peitschen sich Brutalität und Frische gegenseitig zu Höchstleistungen.

Das Album ist eine hochintensive Reise in die Abgründe menschlicher Psyche, nach Kompromissen oder nötigen Verschnaufpausen suche ich auch zwei Jahrzehnte später noch immer vergebens. Wie von der Tarantel gestochen brüllt und keift sich der gute Barney durch die 45 Minuten und verschiedene Tempospielchen erhöhen die Dynamik dieser Hetzkampagne. Da der geneigte Hörer weiß, dass es sich auch lohnt, auf die NAPALM DEATHschen Texte zu achten, liegt uns hier ein besonderes Juwel ihrer Geschichte als schnörkellose Wut-Offenbarung vor. Noch immer jagt mir die Intensivität von 'Eyes Right Out' eine Heidenangst ein, 'Freedom Is The Wage Of Sin' bohrt sich tief ins Gedächtnis, legt dort akustische Eier, deren Larven meine Gehörwände von innen langsam, aber penetrant auffressen, 'Warped Beyond Logic' ist tödlicher als die Pest, und und und. Ich könnte ewig so weitermachen, möchte aber noch 'Shattered Existence' mit tollem Punk-Image, Barneys kleinen Ausflügen in den Klargesang, sowie ANNEKE VAN GIERSBERGENs Auftritte im kurzen Türöffner 'Weltschmerz' und in 'In Deference' erwähnen. Diese Besonderheiten sind es, die das Album für mich so besonders und auch brutaler machen als die Alben, die davor und stellenweise auch danach von NAPALM DEATH eingeknüppelt wurden. Was ich früher nur als teils stark zerkratzte CD besaß, liegt nun endlich als Schallplatte in meinen Händen, in meinem Abspielgerät, in meinen Ohren.

[Henriette Tressin]

Uiii, was ist denn hier in der Post gelandet? Diese kleinen Dinger, auch Tapes oder auf Deutsch Kassetten genannt, hatte ich nun ewig nicht mehr im Player, das letzte Mal wohl Mitte der Neunziger. Zu einer Zeit also, in der ich das Interesse an NAPALM DEATH verloren und den Werdegang der Briten nicht wirklich weiter verfolgt hatte. Ich bin nach wie vor ein großer Fan der Frühwerke und der "deathmetallischen" Phase der Alben mit Barney Greenway. Also bis inklusive "Utopia Banished". Man kann nun natürlich nicht sagen, dass die Band danach besonders experimentell vorgegangen sei, aber irgendetwas, das mir nicht mehr ganz so gut ins Ohr ging, hatte Einzug gehalten, so dass ich mich eher anderen Grindcore-Bands (wenn auch nicht allzu vielen) zuwandte.
Natürlich haben auch die Spätwerke immer mal kurz die Innenseite meines Abspielgerätes gesehen, auch das nun als Re-Release verfügbare "Time Waits For No Slave" surrte schon einmal an meinen Ohren vorbei, aber nun bleibt mit wiederholtem Hören zumindest dieses Album im Ohr. Und, ei der Daus, die Platte... ähem... Kassette ist tatsächlich alles andere als schlecht, ganz im Gegenteil! Auch wenn ich Barneys früheres, brutales Gegrowle um einiges mehr mag als sein für diese Spielart typischeres Schreien, muss man dennoch feststellen, dass seine Stimme vor 15 Jahren (und auch heute) die sozialkritischen Texte mit viel Aggression an den Mann/die Frau brachte. Auch musikalisch passiert hier mehr, als man beim ersten Hördurchgang mitbekommt.

Die Songs bersten vor Abwechslung, man variiert gekonnt das Tempo, schraubt mit brachialen Abrissbirnen wie 'On The Brink Of Extinction' oder 'Larceny Of The Heart' den Kopf ab, nur um mit dem experimentell angehauchten Titeltrack (der gar nicht mal so weit von Shane Emburys MEATHOOK SEED-Projekt entfernt ist) einen komplett anderen Weg zu beschreiten. Ebenso aus der Reihe tanzt ein Song wie 'Fallacy Dominion', der immer wieder zwischen wütenden Grind-Passagen, einem ungewöhnlichen, fast schon mitgrölkompatiblen Refrain, einem thrashigen Part und HYPOCRISY-mäßiger Atmosphäre hin und her pendelt. Auch sehr geil: das thrashige, fast sogar schon in Power Metal-Gefilden (!) wildernde 'Passive Tense'. Um mal alles etwas kürzer zusammenzufassen: "Time Waits For No Slave" ist das Grindcore-Album, das am liebsten unter dem Kopfhörer erkundet werden will und den Hörer auf eine Reise mitnimmt, bei der es viel zu entdecken gibt. Ich hätte es nicht gedacht, aber in der Bewertung dieses Werks bin ich ganz beim Verfasser des früheren Reviews (Martin Loga) und zücke ebenfalls 9 Punkte. Dass ich nun wohl den kompletten Backkatalog seit 1992 nacharbeiten muss, dürfte klar sein. Schade leider nur, dass bei dem Tape keine Texte beigelegt sind und man dafür dann doch auf die CD oder Google zurückgreifen muss.

[Michael Meyer]

Auf 300 Einheiten limitiert lässt das vor Wut schäumende und vor Gift und Galle nur so strotzende "Apex Predator – Easy Meat" nun so gar keine Wünsche offen. Das fängt schon beim so herrlich appetitlosen Artwork an, das nahtlos in die Bedeutung des Titels übergeht: So steht dem Raubtier ohne natürlichen Feinden als Symbol der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eliten das einfache Fleisch als Repräsentant der von ihnen ausgebeuteten Menschen gegenüber und zeigt, wie ungerecht es schon 2015 in vielen Teilen der Welt vor sich ging. Wenn man sich die Inspirationsquelle der Briten für Hassklumpen Nummer 15 vor Augen hält, kann es einem erneut den Magen umdrehen. So starben am 24. April 2013 beim Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch insgesamt 1135 Menschen, während weitere 2436 Menschen schwer verletzt wurden und die Tragödie bis heute nahezu unvorstellbar ist. Frontmann Greenway kritisierte schon damals den Zustand, dass in einigen Gegenden der Welt ein Menschenleben als weniger Wert angesehen wird, und so verwundert es auch nicht, weshalb NAPALM DEATH mit "Apex Predator – Easy Meat" uns so ein gewaltiges, lautes und hasserfülltes Grindcore-Festmahl servieren.

Es ist ein intonierter, hochintensiver und vor Schweiß nur so triefender Fiebertraum, der postapokalyptisch mit dem bitterbösen Titeltrack beginnt, bei dem der Vierer schon früh seine gesamte Grindcore-Klasse präsentiert. Es läuft einem eiskalt den Rücken herunter, dass einerseits vor dem tragischen Hintergrund des Themas dieser so grandiose Opener einen mehr als bleibenden Eindruck erhält, andererseits die Mixtur aus energischer Intensität und erbarmungsloser Kälte der Gesellschaft auch im weiteren Albumverlauf den Spiegel vorhält. Schonungslos geht es im gewohnt hochklassigen NAPALM DEATH-Niveau mit sämtlichem Grindcore-Geballere ('Smash A Single Digit', 'Metaphorically Screw Up'), einer fast schon verstörenden Offensive ('Dear Slum Landlord', 'Cesspits') sowie Gurgel- und Growl-Attacken nah am Rande des Wahnsinns ('Beyond The Pale', 'Bloodless Coup') weiter. Stets vor dem Hintergrund des lyrischen Konzepts, das seine hässliche Realitätsfratze dank eines so qualitativ hochwertigen Grindcore-Ergusses einfach offenbaren und die Rechnung dafür tragen muss.

Mal leicht im Industrial und Thrash daheim, immer vor Death-Metal-Einflüssen nur so strotzend und mit wahnsinnig raffinierten, progressiven Haken versehen, zeigt NAPALM DEATH einmal mehr, wo der Frosch die Locken hat und wo das Schicksal auf erbarmungslose und traurige Art und Weise zuschlagen kann. "Apex Predator – Easy Meat" ist ein so grandioses Highlight der jüngeren NAPALM DEATH-Historie, welches im Zuge der Re-Releases noch einmal ans Tageslicht kommt – einem sehr fadenscheinigen Licht, klafft die Schere der sozialen Ungleichheit doch von Tag zu Tag immer mehr auseinander. Wer sich vor diesem Hintergrund das bedeutungsschwangere Inlay bzw. Poster der Vinyl-Version anschaut und gemeinsam mit dem Gehörten auf sich wirken lässt, dürfte einen von menschlichem Ekel getriebenen, dicken Kloß im Hals bekommen. Genau das macht diese Wiederveröffentlichung doch so wertvoll!

[Marcel Rapp]


Silence Is Deafening



https://www.youtube.com/watch?v=bsNaALbbo7Q

Redakteur:
Marcel Rapp

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