NEAERA: Interview mit Tobias Buck
23.02.2020 | 20:53"Es hätte ja auch sein können, dass man gesagt hätte: Das braucht kein Mensch mehr." - NEAERAs Gitarrist Tobias Buck im Gespräch über die Death-Metal-Rückkehr des Jahres.
Die sympathischsten Vertreter einer betont unsympathischen musikalischen Nische sind zurück! Die Rede ist natürlich von der Münsteraner Modern-Death-Institution NEAERA, die sich Ende 2015 eigentlich in den Frühruhestand verabschiedet hatte. Schwer zu ertragen für den gemeinen Death-Metal-Fan, waren NEAERA-Konzerte doch stets Garanten für mächtig gute Laune und unwiderstehliche Moshpit-Action. Laut Gitarrist Tobias Buck war seinerzeit aber aus mehreren Gründen die Zeit gekommen, das Kapitel NEAERA ad acta zu legen: "Ja, da kamen viele Sachen zusammen. Ein Grund war sicherlich, dass wir die Prioritäten im Leben anders gesetzt haben: Es wurden Familien gegründet, geheiratet, man musste sich jobtechnisch umorientieren, weil wir praktisch unsere ganzen 20er immer die Band im Fokus hatten. Ist ja wahrscheinlich keine Neuigkeit, wenn ich sage, dass man davon nicht so richtig leben kann. Wenn man noch im Studium ist, ist das alles irgendwie cool, aber damals musste jeder gucken, wie er im Leben so weiter voranschreitet. Hinzu kam, dass wir untereinander auch vielleicht ein bisschen gestresst waren. Und dann haben wir einfach gedacht, wir legen die ganze Geschichte jetzt erstmal auf Eis."
Gute zwei Jahre später sah die Sache aber scheinbar wieder anders aus – oder wie kam es zu den Revival-Auftritten beim Impericon-Festival? "2018 kam IMPERICON auf uns zu und fragte uns, ob wir nicht bei diesen Festivals zwei Shows spielen wollen. Das haben wir natürlich untereinander diskutiert und gefragt, ob da überhaupt jeder Lust drauf hat. Und dann haben wir "Ja" gesagt. Im Prinzip hat's allen auch schon wieder in den Fingern gejuckt und wir haben uns natürlich auch über die Anfrage gefreut, dass die einen noch nicht vergessen haben." Gerechnet haben alle aber wohl eher damit, dass es eine einmalige Sache bleibt... "Ja, es hätte auch sein können, dass wir sagen, war ja irgendwie ganz nett, muss ich aber auch nicht unbedingt wieder haben. Aber die ganze Resonanz der Leute und der Spaß bei den beiden Shows haben dazu geführt, dass wir festgestellt haben, irgendwie ist das Kapitel doch noch nicht so ganz abgehakt. Anschließend habe ich die ersten Ideen gesammelt und bin zu unserem Produzenten Tristan Hachmeister gefahren. Wir haben die ersten Ideen am Rechner ausprobiert, um zu gucken, ob das funktioniert, ob da noch gutes Material dabei ist. Und dann haben wir schnell festgestellt, dass schon die ersten Songs dabei rausgekommen sind." Auch der Rest der Band musste offenbar nicht mehr lange überzeugt werden. "Als ich das den anderen Jungs vorgespielt habe, waren die auch ziemlich begeistert, und so hat dann alles seinen Lauf genommen. Also einfach so, ganz ungezwungen, aus einer Laune heraus. Es hätte ja auch sein können, dass man gesagt hätte, das braucht ja kein Mensch mehr, klingt doch scheiße. Aber irgendwie war das nicht der Fall, das Feuer war wieder zurück, und ab da haben wir kontinuierlich an neuem Material gearbeitet."
Nachdem NEAERA früher ja im Jahrestakt neue Alben veröffentlicht hatte, war für das selbstbetitelte Comeback-Werk deutlich mehr Zeit. Diese gänzlich stress- und druckfreie Situation hat sich beim Entwicklungsprozess auch deutlich niedergeschlagen: "Irgendwie hat sich's wieder so angefühlt wie am Anfang. Ich hatte einfach Ideen zuhause, hab an der Gitarre rumgedudelt, bin an meinen freien Tagen zu Tristan nach Osnabrück gefahren, und bin ganz ungezwungen an die Musik rangegangen. Mir war ja klar, dass man das Rad eh nicht neu erfinden kann. Meine Intention war, es soll einfach cool klingen, Spaß machen, schon bei den Demos." Back to the roots also, als man noch eine Studentencombo war? "Es war einfach kein Druck da, jetzt unbedingt ein neues Album machen zu müssen. Man hatte nicht die Zeit im Nacken oder sonstiges, es durfte einfach so lange dauern wie nötig, und wenn eine Idee nicht gut war, wurde halt an einer neuen gearbeitet. Dadurch ist das auch irgendwie so flüssig geworden, weil wir uns auch über nichts Gedanken machen mussten." So sorg- und drucklos darf es für die fünf Metalheads auch weitergehen. Und scheinbar war der Split 2015 rückblickend betrachtet auch gar nicht unbedingt das letzte Wort: "Irgendwie hatte die Band ja doch immer einen großen Platz gehabt, sonst hätten wir wohl nicht weitergemacht. Aber wir gehen die ganze Sache relativ entspannt an. Wir haben jetzt einfach mal das Album gemacht, freuen uns riesig über die Reaktionen mit den ersten beiden Singles - dass das so gut ankommt, damit hatten wir nicht gerechnet! Jetzt ist der Status, dass wir erstmal ein paar Konzerte machen: Wir haben die Release Show in Münster, dann die Impericon Festivals, und im Sommer noch zwei, drei Festivals, aber haben uns noch gar keine weitere Planung vorgenommen. Wir lassen das jetzt einfach auf uns zukommen, und gucken mal was da passiert."
Liest man sich jetzt die neuen Songtexte durch, wie beispielsweise 'Carriers' oder 'Resurrection Of Wrath', wird schnell deutlich, dass bei NEAERA auch 2020 bissig die Probleme der Gegenwart aufgegriffen werden. "Für die Texte ist ja größtenteils Stefan (Keller, Gitarre – TK) verantwortlich. Das war schon immer ein wichtiger Punkt für uns, dass man als Band auch einen Standpunkt hat und den nach außen trägt. Und als es um das neue Album ging, als ich die ersten Male mit Stefan drüber gesprochen hatte, hatte er erst das Gefühl, weil wir ja auch schon sechs Alben rausgebracht haben, es wär irgendwie schon alles gesagt. Aber man muss ja eigentlich nur die Nachrichten anmachen, um zu sehen, was alles in der Welt schief läuft - da hat Stefan natürlich direkt wieder Inspiration gehabt." Hat NEAERA denn eine grundsätzliche Message, die die Band ihrer Hörerschaft vermitteln will? Bei den Liveshows der Münsteraner scheint ja doch in erster Linie der Spaß im Mittelpunkt zu sehen. "Ich finde das kann man nicht immer unbedingt trennen. Man kann sich ja auch eine Platte anhören und sagen, ja, die Texte sind irgendwie ganz cool, und gleichzeitig einfach Spaß bei den Konzerten haben. Gleichzeitig kann man als Hörer natürlich auch tiefer in die Materie einsteigen und sich entsprechend mit den Texten beschäftigen. Ich finde aber, bei der Musik die wir machen, ist es schon wichtig, dass eine Message transportiert wird."
Speziell für das neue Album spielen dabei aktuelle politisch-gesellschaftliche Themen eine Rolle: "Dieser ganze Rechtsruck ist ein wahnsinniges Thema. Da war jetzt gerade 75 Jahre Befreiung von Auschwitz, und dann gibt es immer noch so Ewiggestrige, die sich diese Zeiten zurücksehnen. Antisemitismus, Rassismus, das sind glaube ich mit die größten Aufgaben innerhalb der Gesellschaft. Oder natürlich der Klimawandel - weil viele vielleicht auch gar nicht wissen, wo die Reise da hingeht und es nicht wahrhaben wollen. Aber mit der Natur kannst du halt nicht verhandeln. Ja ich denke mal, das sind so die ganz großen Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft jetzt steht." Schwere persönliche Brocken werden auf "Neaera" aber auch nicht ausgeklammert. "Ja, die persönlichen Themen gibt's auf dem neuen Album auch. Auch Sachen, die keine politische Message haben, sondern die ein positives Gefühl vermitteln wollen, dass, wenn man am Boden liegt, auch wieder aufstehen kann. Das haben wir eigentlich auch immer, wie bei 'Walls Instead Of Bridges' auf unserem ersten Album, drin gehabt."
Die Rückkehr bringt selbstverständlich auch das eine oder andere Wiedersehen mit alten Freunden mit sich: "Ich freue mich persönlich auf die Festivals im Sommer, auch um mal wieder die eine oder andere Band auszuchecken. Auch sonst freut man sich ja immer, wenn man mit der Band mal nicht aktiv war und auf Konzerten war, Bands wie HEAVEN SHALL BURN, die vor ein paar Jahren auch mal wieder in Münster gespielt haben, wiederzutreffen - weil wir mit denen eine lange Zeit in Verbindung waren, auch damals unsere erste große Tour mit denen gespielt haben. Wir freuen uns, all die Leute wiederzutreffen, die wir vielleicht Jahre lang nicht mehr gesehen haben. Und es ist auch wirklich cool, dass wir von NEAERA alle noch so am Start sind." Das schreit ja geradezu nach einem ausgedehnten Live-Programm! Oder doch "nur" Hobby-Band für gelegentliche Anlässe? "Es ist leider beruflich nicht immer so einfach, das alles unter einen Hut zu kriegen. Deshalb haben wir uns jetzt erstmal darauf geeinigt, dass wir jetzt zunächst das Album rausbringen und gucken, wie das so ankommt. Dann spielen wir im Sommer auf dem Summer Breeze, da freut sich die ganze Band schon ziemlich drauf. Wir spielen auch Wacken, dann ist da noch das Resurrection Fest in Spanien, und halt die Impericon Shows. Und das ist eigentlich dafür, dass man jahrelang nichts gemacht hat, ganz schön viel", lacht Tobi. Beruflich sind die NEAERAner mittlerweile ganz bürgerlich tätig: "Benjamin, unser Basser, arbeitet in einer Filmproduktionsfirma, mit der wir auch das Video zu 'Torchbearer' gemacht haben; Stefan ist Lehrer, Benni und Sebastian machen etwas mit Vertrieb." Tobi selbst betreibt mit seiner Frau ein veganes Restaurant in Münster.
All das dürfte den Die-Hard-Fans schon geläufig sein. Eine Frage war allerdings nach der Veröffentlichung von 'Catalyst', der zweiten Vorab-Single, noch ungeklärt: Wieso geht Benni alleine in den Wald und schreit? "Vielleicht war er frustriert und musste einfach mal Stress abbauen? Nee, wir fanden einfach, dass das ganz gut zu der Stimmung passt. Wir hatten ja vorher das Performance Video mit 'Torchbearer', wo wir alle zu fünft zu sehen sind, und diesmal wollten wir alles ein bisschen minimalistischer halten. Wald kommt eh immer gut, und so durfte Benni sich jetzt mal austoben, ohne dass er uns damit belästigt hat."
Im Anschluss an unser Gespräch schwelgen wir noch ein wenig in Erinnerungen an längst verblichene Kult-Clubs wie die Karlsruher Substage oder die Batschkapp in Frankfurt, und an die eine oder andere hitzige Club-Tour: "Da hätte ich auch mal wieder Bock drauf. Deshalb freue ich mich grade auch, dass wir in Münster im Triptychon spielen, da haben wir früher schon zwei oder drei Release-Shows gemacht. Das ist ein etwas kleinerer Club, und das ist dann auch mal was anderes, so ein bisschen ein Ausgleich. Bei Festivals hat man ja immer die riesen Bühnen und so... So kleine Club Shows sind ja immer schön schwitzig - ich geh auch gern in Clubs und guck da Bands an. Mal schauen was passiert. Alles kann, nix muss - aber so 'ne kleine Club Tour wäre natürlich klasse."
Bleibt zu hoffen, dass wir NEAERA tatsächlich auch wieder in den vielen kleineren Musikschuppen der Republik erleben dürfen. Freut euch aber zunächst auf das Comeback-Album, und lasst euch, wenn möglich, die Gelegenheit nicht entgehen, die Jungs dieses Jahr bei den genannten Festivals zu erleben! NEAERA is back – das ist wie Weihnachten und Ostern zusammen!
- Redakteur:
- Timon Krause