NIGHTWISH: Interview mit Tuomas Holopainen, Mape Ollila
17.07.2006 | 13:18Seit dem spektakulären Rauswurf von Sängerin Tarja Turunen wird mit NIGHTWISH leider nicht mehr nur grandiose Musik, sondern vor allem auch Drama-Episoden mit Kindergarten-Niveau in Verbindung gebracht. Genügend Zündstoff lieferte unter anderem das Buch über die Band, geschrieben von Mape Ollila, das nicht nur die Karrierelaufbahn der vier Jungs und Tarja beschreibt, sondern auch die Ereignisse, die schlussendlich zum finalen Split führten. Bisher ist das Buch nur in Finnisch erschienen, eine Übersetzung in andere Sprachen (darunter Deutsch und Englisch) ist bis Ende des Jahres anvisiert. Im Mai traf ich mich mit Bandleader Tuomas Holopainen, der mir bereitwillig Fragen zu NIGHTWISH, dem Buch und der DVD "End Of An Era" beantwortete. Auch Autor Mape Ollila war mit von der Partie.
Ricarda:
Zum Anfang würde ich einfach gerne wissen, wie es zu diesem Buch kam. Wer hatte die Idee?
Mape:
Es war eigentlich ein Unfall. Ich habe die Karriere von Marco Hietala bereits seit den 80ern verfolgt, sogar schon als TAROT noch PURGATORY hieß. Und als Marco dann zu NIGHTWISH hinzustieß, habe ich meine große Falle wohl zur falschen Zeit geöffnet. Ich habe allen erzählt, dass Marco an sich schon so ein Charakter ist, dass ich gerne ein Buch über ihn schreiben würde. Und Ewo, der Manager von NIGHTWISH, musterte mich von oben bis unten und meinte: "Warum schreibst du nicht über die ganze Band?" Zuerst dachte ich "Nein, auf keinen Fall!" und machte all diese Ausflüchte, dass es zuviel Arbeit sei. Aber irgendwann habe ich mich doch breitschlagen lassen, und im Herbst wäre das vier Jahre her. Also war es ein wirklich langwieriges Projekt. Aber das wichtigste ist, dass ich mein Versprechen an Ewo gehalten habe.
Ricarda:
Ich finde es sehr interessant, dass die Arbeit schon so früh begann, denn gerade jetzt hat sich in der Band soviel verändert mit Tarjas Rauswurf. Und beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass trotz des Parts über die Bandgeschichte der Focus mehr darauf liegt, zu erklären, wie es zu dem Split kommen konnte.
Mape:
Das sehe ich nicht so. Aber die Wahrheit ist natürlich, dass NIGHTWISH immer erfolgreicher und größer wurde und der bisherige Höhepunkt liegt natürlich bei dem letzten Album "Once", und was damit passiert ist.
Tuomas:
Ja, genau, und da fingen die Probleme ja schon an.
Mape:
Und wenn man sich mal die Verkaufszahlen der Alben anschaut, die wenn ich mich recht erinnere etwa 3 Millionen sind, dann ist 1 Million davon nur "Once", also ein Drittel. Ich habe zwar keine Seiten gezählt, aber ich denke, wenn man es tun würde, dann wäre etwa ein Drittel des Buches über die Zeit von "Once". Wenn ich darüber nachdenke, gibt es vielleicht doch einen Fokus... (lacht)
Ricarda:
Welche Fakten in dem Buch wird die Fans am meisten überraschen? Falls es da überhaupt etwas gibt...
Tuomas:
Ich glaube, wir haben so viele Die-hard-Fans, die schon alles über die Band wissen. Eigentlich würde ich sagen, dass das Buch nicht unbedingt etwas wirklich Neues enthüllt. Ich glaube, jeder einzelne Fakt wurde bereits zuvor woanders erwähnt. So in dem Sinne ist das Buch mehr eine Art Zusammenfassung.
Ricarda:
Eine Menge Leute beschweren sich, dass das Buch nicht neutral genug ist, dass es sich zu sehr auf den Standpunkt der Jungs beschränkt.
Mape:
Dem würde ich zustimmen. Das letzte Interview mit Tarja habe ich am 14. Oktober 2005 gemacht, das war eine Woche bevor sie die Band verlassen musste. Danach war sie nicht verfügbar für Interviews - besonders nicht verfügbar für mich. Aber wie ich immer gesagt habe: Das Buch ist meine Version und nur eine Version der Wahrheit. Jeder ist willkommen, seine eigene zu publizieren.
Ricarda:
Toumas, ich kann mir vorstellen, dass viele Erinnerungen hochkamen, als du das Buch gelesen hast. Gibt es irgendwelche bestimmten Beispiele, die dich zum Lachen oder Weinen gebracht haben?
Tuomas:
Oh, da gibt es unzählige. Natürlich war der härteste Teil, der über das letzte Jahr und die Dinge, die dort passiert sind. Aber eigentlich hat mich das Buch eher stolz gemacht. Überhaupt, die Idee, dass jemand ein Buch über uns schreibt... das ist wirklich sehr schmeichelhaft!
Ricarda:
In deinen Kinderbildern bist du häufig mit Tieren oder einfach in der Natur zu sehen, und du bist im Osten von Finnland aufgewachsen...
Tuomas:
Ja, ich lebe noch immer in der gleichen Stadt, alle 29 Jahre meines Lebens.
Ricarda:
Also bist du quasi ein Countryboy... das soll jetzt nichts Negatives heißen...
Tuomas:
Oh, ich bin auch im negativen Sinne ein Countryboy. (lacht)
Ricarda:
Na gut. Glaubst du, dass das Aufwachsen in dieser Gegend dich musikalisch und persönlich inspiriert hat?
Tuomas:
Absolut! Ich glaube, alles läuft darauf zurück. Wäre ich zum Bespiel in Helsinki aufgewachsen, würde NIGHTWISH wahrscheinlich ganz anders klingen. Ich glaube, der organische Teil der Musik kommt einfach von dem Fakt, dass... (denkt nach) ...ich ein Countryboy bin. (lacht)
Mape:
Wäre er in Helsinki geworden, wäre er wahrscheinlich längst ein Arschloch seit "Oceanborn" gewesen und schon längst untergegangen. Hier in Helsinki habe ich schon viele Leute gesehen, die weitaus mehr Starallüren haben, obwohl sie rein gar nichts erreicht haben.
Ricarda:
Ja, ich auch. Aber gut. In dem Buch stand außerdem, dass du für ein Jahr als Austauschschüler in den USA warst, und dieses Jahr drastische Auswirkungen auf deinen Musikgeschmack hatte...
Tuomas:
Ja, ich weiß, es hört sich romantisch an, aber jedes Wort ist wirklich wahr, es war eine Wandlung über Nacht. Ich erinnere mich noch, als ich den ersten Brief an meine Gastfamilie in Wichita, Kansas schrieb und erzählte, dass ich jede Art von Musik außer Heavy Metal mag. (lacht) Und dann, als ich da war, war in Kansas City ein Konzert von METALLICA und GUNS'N'ROSES, da wollten sie mit mir hin. Zuerst wollte ich nicht, aber ich bin dann mitgegangen. Und als ich METALLICA gesehen habe... dieser Moment hat alles verändert. Die nächste Woche habe ich gleich alle ihrer Alben gekauft, damals noch als Kassette. GUNS'N'ROSES nach METALLICA war absolut nichts.
Ricarda:
Ok, und dann zu deiner anderen Seite. Ich muss sagen, es hat mich schon gewundert zu lesen, dass du ein Fan der Seifenoper "Reich und schön" bist... (alle brechen in Gelächter aus)
Tuomas:
Jeder hat eine Leiche im Keller. Ich bin aber nicht besessen oder so, ich nehme die Folgen nicht auf. Aber wenn ich Zeit habe, dann schaue ich es. Es hilft wirklich, den Kopf frei zu bekommen.
Ricarda:
Ja, man fühlt sich dann richtig intelligent...
Tuomas:
Aber ich glaube, genau deshalb sind Seifenopern so beliebt, weil man sich diesen Leuten überlegen fühlt. Ein Psychologe könnte das wahrscheinlich besser erklären, aber ich denke, es hat etwas damit zu tun.
Ricarda:
In Finnland ist es aber auch anders als in Deutschland. Wenn man in Deutschland sagt, dass man "Reich und schön" schaut, sagt man eigentlich: "Ich bin eine sexuell frustrierte Hausfrau!" (allgemeines Gelächter) Hier gibt es sogar Schlagzeilen über die Serie auf diversen Zeitungen.
Mape:
Das sollte dir vielleicht etwas über die Qualität der Zeitungen sagen...
Ricarda:
Ja, wahrscheinlich. Ok, am 2. Juni kommt eure DVD "End Of An Era" raus. Auf der DVD befinden sich das Abschlusskonzert der Tour in der Hartwall-Arena in Helsinki und außerdem noch die Dokumentation mit dem Titel "A Day Before Tomorrow". Kannst du darüber etwas sagen?
Tuomas:
Ja, es war quasi eine Idee in letzter Minute. Jede DVD sollte irgendwelches Bonusmaterial haben, aber wir hatten nichts außer einer Fotogalerie. Und da waren diese zwei Typen, die uns auf der Tour durch Süd-Amerika begleitet haben. Sie wollten eigentlich eine Doku für das finnische Fernsehen machen, aber aus mir unbekannten Gründen kam es nie dazu. Trotzdem hatten wir noch das ganze Filmmaterial, und daraus entstand dann diese 55-minütige Doku. Wenn du mich fragst, ist die Doku eigentlich recht langweilig, aber trotzdem zeigt sie dir ziemlich gut, was in der Band los war, und dass eigentlich niemand richtig glücklich war.
Ricarda:
Du hast die DVD bereits in einem Kino in Deutschland gesehen. Wie war das?
Tuomas:
Es war sehr cool, besonders der Konzert-Teil. Alles auf einer großen Leinwand mit tollem Soundsystem. Es waren etwa 50 Leute da, und keiner ist eingeschlafen oder hat das Kino verlassen. Es war also sehr vielversprechend.
Ricarda:
Du hast bereits 15 Songs für das neue Album fertig. Wird es dort wieder Orchester geben? Das gleiche wie auf "Once"?
Tuomas:
Ja, das Orchester ist bereits gebucht, und es wird so ziemlich das gleiche wie auf "Once" sein. Auch der Chor. Und dann wird es noch ein paar Gastmusiker geben. Die Formel bleibt also so ziemlich die gleiche.
Ricarda:
Hast Du bereits eine potentielle Single? Du sagt immer, es ist sehr hart für dich, eine Single auszusuchen, weil du es leicht findest, diese langen Kompositionen zu schreiben, aber starke Probleme mit Songs unter vier Minuten Länge hast.
Tuomas:
Ja, ich weiß, und daran denke ich aber nicht, wenn ich Songs schreibe. Aber gerade vor ein paar Tagen habe ich mir darüber Gedanken gemacht, was ich tun würde, wenn ich jetzt eine Single aussuchen müßte... oh je. Ich mag die Songs, ich finde, sie sind sehr gut, und ich bin wirklich überzeugt von ihnen, aber es wird sehr hart werden, eine Single auszuwählen. Aber natürlich muss man das in der heutigen Zeit berücksichtigen, man muss eine Single haben. Ich finde aber nicht, dass das fair ist, nicht für den Song und nicht für das Album. Ich hasse es, einen Song zu editieren, dass er nicht mehr als vier Minuten lang sein darf, dass es eine Hit-Formel sein muss. Besonders die erste Single muss in dieses Schema passen. Warum bringst du eine Single raus? Du bringst sie raus, um das Album zu promoten, und daher musst du diese Dinge berücksichten, so dass die Radiosender sie auch spielen. Und auf der anderen Seite möchte man aber auch, dass die Single das Album gut repräsentiert, es ist also sehr schwierig.
Ricarda:
Du hast auch einen sehr schönen Song für das neue Album von TIMO RAUTIAINEN geschrieben. Hast Du das Lied speziell dafür geschrieben, oder hätte es auch ein NIGHTWISH-Song sein können? Bist du den Song irgendwie anders angegangen?
Tuomas:
Der Song war nur für dieses Album gedacht und der einzige Unterschied war, dass ich von Beginn wusste, dass er in Finnisch gesungen wird. Also habe ich versucht, dass er sich wie ein finnischer Song anhört. Mit ein paar anderen Arrangements hätte es vielleicht auch ein NIGHTWISH-Song sein können. Aber gut, ich bin zufrieden.
Ricarda:
Mape, hast du bereits andere Band-Biografien geschrieben? Und gibt es eine Band, über die du gerne eine Biografie schreiben würdest? Es muss nicht unbedingt eine finnische Band sein.
Mape:
Nein, NIGHTWISH war meine erste Band-Biografie. Und es gibt keine Kraft auf der Welt, im Universum, auf anderen Welten und in Unterwelten, die mich dazu bringen könnte, noch einmal eine zu schreiben. Es war ein Test, um zu sehen, ob ich es machen kann. Kein Grund also, es noch einmal zu tun.
Ricarda:
Tuomas, es gibt einige Leute, die sich fragen, ob du die Lakota-Sprache lernen möchtest oder vielleicht sogar schon sprichst.
Tuomas:
Nein, ich kann nur meinen Lakota-Namen. Es ist eine sehr schwere Sprache, und ich habe nicht vor, sie zu lernen. Außerdem ist sie nicht gerade sehr nützlich.
Ricarda:
Wie schwer ist es für jemanden, der sich selbst als eher schüchtern und introvertiert bezeichnet, solche persönlichen Texte zu schreiben? Auch wenn du nicht in deiner Muttersprache schreibst, so ist Englisch doch eine Sprache, die weitaus mehr verstanden wird als Finnisch.
Tuomas:
Ich kann es gar nicht so genau sagen. Ich denke einfach, Englisch ist die bessere Sprache zum Schreiben. Es ist wirklich schwer für mich in Finnisch zu schreiben. Die Lyrics für den Song für TIMO RAUTIAINEN waren die härtesten, die ich jemals geschrieben habe.
Ricarda:
Aber es ist nicht so, dass du dich irgendwie nackter fühlst, wenn du in Finnisch schreibst? Es ist mehr der Klang?
Tuomas:
Ich weiß nicht, es ist die Phonetik glaube ich.
Ricarda:
Ok, ich war nur sehr überrascht zu lesen, dass du, als ihr den Song 'Kuolema Tekee Taiteilijan' für "Once" aufgenommen habt, die Lyrics sowohl in Finnisch als auch in Englisch hattest.
Tuomas:
Ja, für den Fall, dass es in Finnisch nicht funktionieren würde. Für mich kann sich die finnische Sprache sehr schnell sehr kitschig anhören, also hatte ich einen Back-up-Plan. Aber ich bin froh, dass es in Finnisch funktioniert hat.
Ricarda:
Du rauchst. Wann hast du angefangen?
Tuomas:
Sehr spät. Ich habe meine erste Zigerette im Jahr 2000 geraucht, da war ich bereits 23. Es war echt dumm, das zu tun, aber naja.
Ricarda:
Ok, noch eine alberne Frage: Wen wolltet ihr heiraten, als ich Kinder wart?
Tuomas:
Belle aus dem Disney-Film "Die Schöne und das Biest". Sie ist meine Traumfrau.
Mape:
Ich wollte nie irgendwen heiraten. Möchte ich heute auch noch nicht.
Ricarda:
Ok, dann die letzte Frage. Was haltet ihr von Lordis Teilnahme beim Eurovision Song Contest?
Tuomas:
Daumen hoch! Es war das erste Mal, dass ich beim Eurovision Song Contest gevotet habe.
Mape:
Dito.
Ricarda:
Sehe ich auch so. Gut, das wären dann alle Fragen. Vielen Dank für eure Zeit.
Tuomas + Mape:
War uns eine Freude.
- Redakteur:
- Ricarda Schwoebel