ORPHANED LAND: Interview mit Kobi Farhi

21.01.2010 | 21:47

ORPHANED LAND haben ihr Versprechen gehalten und die Fans nicht wieder sieben Jahre auf das nächste Konzeptwerk harren lassen - wobei der "Mabool"-Nachfolger auch nur einen Kalender schneller fertig geworden ist. Dafür zeigen sich die Israelis auf "The Neverending Way Of ORwarriOR" noch komplexer und anspruchsvoller als zuvor und entschädigen somit ein wenig für die lange Wartezeit.

Die Geschichte um den "Krieger des Lichts" wurde von Sänger Kobi Farhi erstmalig vor drei Jahren im Forum der Band an die Öffentlichkeit gebracht und inzwischen in die bandtypische musikalische Mischung, bestehend aus Progressive Metal und mittelöstlichen Klängen, gewoben. Dieser Krieger ist jedoch laut Kobi nicht irgendein großer Held, sondern steckt in jedem von uns. Seine weiteren Auskünfte zum inhaltlichen Aspekt lassen sich leider nicht wiedergeben, da aufgrund einer technischen Panne das erste Drittel des Interviews unhörbar ist.

Steigen wir also direkt bei den nicht minder interessanten musikalischen Besonderheiten des Werkes ein. Einige Elemente sind nämlich im Rahmen von Jam-Sessions entstanden, zu denen sich Kobi und Gitarrist Yossi Sassi Sa'aron jeden Donnerstag im Freundeskreis treffen.

Elke:
Spielt Musik im alltäglichen Leben Israels eine große Rolle, oder ist es eher ungewöhnlich, sich mit Freunden zur Hausmusik zu treffen?

Kobi:
Wir mögen Musik sehr gerne, und Israel ist musikalisch gesehen sehr vielfältig. Unsere heutigen Bewohner kamen von überall auf der Welt und brachten ihre nationalen Brauchtümer mit. Im Prinzip kannst du hier jede erdenkliche Art von Musik finden und jemanden, der sie spielt. Das macht das kulturelle Leben sehr bunt und abwechslungsreich. Und deswegen sind wir auch ein sehr musikalisches Land, weil wir dank der vielen verschiedenen hier vertretenen Nationen so viele Möglichkeiten und Varianten haben.

Elke:
Mir gefällt der Gedanke, sich mit Freunden zur "Hausmusik" zu treffen. Ehrlich gesagt kenne ich in Deutschland niemanden unter 70, der das noch macht.

Kobi:
Und dann stell dir vor, wenn das unter einer Hand voll sehr guter Freunde passiert - dann wird es etwas ganz Besonderes. Ich schätze mich glücklich, solche Freunde zu haben, mit denen ich gemeinsam musizieren kann. Jedes Mal, wenn wir zusammen kommen, entsteht etwas Einzigartiges, das möglicherweise Einzug in unsere Songs findet. Die Melodie von 'Vayehi Or' sowie das Ende von 'New Jerusalem' sind auf diese Weise zustande gekommen. Für uns als Band ist es auch spannend zu sehen, wie wir diese Elemente aufgreifen und weiterentwickeln können. Bereits für "Mabool" haben wir damals eine Geschichte, die uns unsere Freunde erzählt haben, genommen und ein ganzes Konzeptalbum darauf aufgebaut. Sie sind jedes Mal ganz aus dem Häuschen, wenn sie sehen, was wir aus ihren Beiträgen machen.

Elke:
Beteiligt ihr eure Inspirationsquellen denn angemessen an den Tantiemen?

Kobi:
(lacht) Nun, sie fragen uns nicht danach. Sie fühlen sich einfach geehrt, ihren Teil beizutragen. Außerdem wissen sie, dass wir von unserer Musik nicht gerade reich werden.

Elke:
Meiner Meinung nach ist "ORwarriOR" nicht so leicht zugänglich wie "Mabool". Der Vorgänger hatte ein paar sehr eingängige Refrains und Mitsingparts, während man für das neue Album sehr viel mehr Zeit mitbringen muss. Stimmst du mir zu?

Kobi:
Es ist sicher nicht so eingängig wie "Mabool" und außerdem länger und schwerer verdaulich. Aber gleichzeitig birgt es einen Schatz in sich, den es zu entdecken gilt. Du solltest es dir intensiv anhören, dich mit den Texten beschäftigen usw. Deswegen trägt das Album auch den Titel "The Never Ending Way Of ORwarriOR", weil man auf diesem langen Album einen weiten Weg zurückzulegen muss. Die Musik ist komplexer und progressiver und daher vielleicht etwas schwerer zugänglich. Trotzdem ist es meiner Meinung nach unser bisher bestes Werk, auch in Bezug auf die großartigen Melodien, die du darin findest, und die Art, wie alles zusammengefügt wird. Ich rate den Fans daher dringend, das Album wachsen zu lassen, damit sie am Ende merken, wie viel besser es ist als "Mabool".

Elke:
Mich hat "ORwarriOR" aufgrund seiner Komplexität anfangs einfach erschlagen, und mit jedem neuen Durchlauf fällt mir ein anderes Stück auf, dem ich bisher keine wirkliche Beachtung geschenkt hatte. Von daher kann ich diesen Aspekt nur unterstreichen.

Kobi:
Bei ORPHANED LAND ging es schon immer darum, komplexe Musik zu machen und unsere Fans zu respektieren. Wir arbeiten sehr hart für sie und versuchen ihnen etwas Beständiges zu geben, mit dem sie sich über einen längeren Zeitraum beschäftigen können. Auch deswegen, da es sicher wieder eine Weile dauern wird, bis wir das nächste Album fertig haben. Mit den vielen Musikern, Melodien, Arrangements und Informationen hätten wir leicht auch zwei Alben füllen können, und ich hoffe, die Fans wissen das zu schätzen. Wir zeigen ihnen damit, dass wir sie ernst nehmen und daran glauben, dass sie einen Verstand haben, um über etwas nachzudenken oder Dinge zu entdecken oder sich in eine Sache zu vertiefen. Daher erwarten wir genau dies auch von ihnen.

Elke:
Ihr habt bereits in der Vergangenheit mit Gastmusikern gearbeitet, doch dieses Mal habt ihr gleich ein ganzes Orchester - das Arabische Orchester von Nazareth. Wie kam es dazu?

Kobi:
Wir wollten unbedingt eine arabische Violine auf dem Album haben. Das Instrument, das zu hören ist, ist zwar im Grunde eine ganz normale klassische Violine, aber sie wird auf eine völlig andere Weise gespielt. Das ist ein faszinierendes Element, das wir bisher nicht verwendet hatten, und es wurde für uns so wichtig für das Konzept, dass man es nun fast in jedem Song des Albums hören kann. Es war fantastisch, mit dem Orchester zu arbeiten, und das nicht nur, weil diesen Sound mögen und finden, dass er perfekt zur Musik passt. Für die Musiker schien es ebenfalls ein großes Abenteuer darzustellen. Statt der alten klassischen arabischen Musik, die zweifellos großartig ist, spielten sie auf einmal Rock'n'Roll mit diesen langhaarigen Typen.

Elke:
Hast du die Orchester-Arrangements selbst entwickelt?

Kobi:
Nein. Wir haben uns zu gemeinsamen Proben getroffen und ihnen die Melodien vorgespielt, und sie haben dann ihre Teile dazu geschrieben. Es war für sie so am Praktischsten.

Elke:
Insgesamt habt ihr fast 600 Stunden im Studio verbracht, was meines Wissens fast doppelt so lange ist wie für "Mabool". Ist das korrekt?

Kobi:
Das kann man so sagen.

Elke:
Was machte "ORwarrioOR" derart zeitaufwändig?

Kobi:
Die Arrangements, die Komplexität oder Musik, all diese Dinge. Allein schon die Aufnahmen meiner Gesangsspuren verschlangen sehr viel Zeit, weil ich viele Passagen sehr oft wiederholen musste und selbst dann am Ende nicht immer 100%ig zufrieden war. Wenn du die einzelnen Songs des Albums miteinander vergleichst, könntest du annehmen, dass es sich jedes Mal um eine andere Band handelt, weil jedes Stück anders klingt, sogar der Gesang darin. Und das macht das Album so besonders in meinen Augen und so komplex und daher eben auch so zeitaufwändig, weil wir so viel Herzblut hineingesteckt haben, um es zum Leben zu erwecken.

Elke:
Hat einer von euch ein Heimstudio, oder wie habt ihr diese 600 Stunden organisiert?

Kobi:
Wir haben die Vorproduktion zwar im Hause eines Freundes erledigt, aber diese 600 Stunden haben wir tatsächlich im Studio verbracht. Sie berechneten uns das Studio pro Kalendertag und veranschlagten dafür zehn Stunden. Wenn man jedoch mehr als zehn Stunden lang arbeiten wollte, berechneten sie diese nicht extra. Daher haben wir jedes Mal ungefähr zwanzig Stunden am Stück gewerkelt. Das drückte die Kosten enorm, aber andererseits wusste man nach zwanzig Stunden im Studio irgendwann nicht mehr, was man tat. (seufzt)

Elke:
Ihr habt erstmalig mit einem externen Produzenten gearbeitet, nämlich Steven Wilson. Warum wolltet ihr gerade ihn verpflichten, und wie groß war sein Einfluss auf das Album?

Kobi:
Wir sind große Fans von Steven und seiner Arbeit für Bands wie PORCUPINE TREE und OPETH. Er ist inzwischen als Produzent unheimlich bekannt und gefragt und wird von allen sehr geschätzt. Wir finden, dass er viel von Sound und Musik im Allgemeinen versteht, und für eine derart komplexe Musik wie der unseren ist es sehr wichtig, dass sie richtig gemischt wird, so dass alles wie ein großes Orchester klingt, das hervorragend zusammen spielt. Ich denke, er hat uns einen großen Schritt weiter gebracht hat. Nicht nur haben wir den bisher besten Sound, man kann auch jedes Detail klar heraushören. Wir fühlen uns geehrt, dass wir mit ihm arbeiten durften, und er spielte sogar die Keyboards auf dem Album, was dem Ganzen noch die Krone aufsetzte.

Elke:
Durch sein BLACKFIELD-Projekt mit dem israelischen Musiker Avi Geffen hat Steven Wilson sowieso eine enge Verbindung zu eurem Heimatland. Das war der Zusammenarbeit sicher nicht abträglich.

Kobi:
Er liebt Israel sehr und verbringt sehr viel Zeit hier. In den Jahren 2006 und 2007 hat er jeweils ca. sechs Monate bei uns gelebt. Dadurch konnten wir uns häufig treffen und wurden schließlich Freunde. Aber auch für ihn war es faszinierend, mit uns zu arbeiten. Wir spielen nun mal originellen und eigenständigen Progressive Metal, und genau nach so etwas sucht er in der Musik. Er kann Bands nicht leiden, die irgendeinem Trend folgen. Und dann lernte er noch all diese Instrumente kennen, mit denen er vorher noch nie zu tun hatte. Er sagte einmal, dass wenn OPETH in Israel geboren wären, wären sie ORPHANED LAND, was für uns ein großes Kompliment darstellt. Wir fühlten uns auch geschmeichelt, dass wir nach OPETH die nächste Band waren, mit der er zusammenarbeiten wollte.

Elke:
Wir würden ORPHANED LAND denn klingen, wenn sie nicht in Israel geboren wären?

Kobi:
Nun, Steven sagte auch, wenn ORPHANED LAND aus Skandinavien stammen würden, wären wir OPETH. (lacht) Keine Ahnung, ich kann mir das auch nicht richtig vorstellen, denn wirklich alles in unserer Musik wird inspiriert von den Geschehnissen um uns herum, sei es die Musik, das Konzept, die Texte oder sogar die Bandfotos.

Elke:
Diese Bandfotos, auf denen ihr die drei abrahamitischen Weltreligionen darstellt, sind reichlich kontrovers. Welche Reaktionen gab es darauf?

Kobi:
Zunächst einmal gab es sehr viele Reaktionen, was bestätigt, dass die Bilder ein wenig kontrovers aufgenommen wurden. Aber die meisten Rückmeldungen besagten einfach, dass sie die Bilder sehr mochten, auch weil sie auf vielerlei Weise zum Nachdenken anregen. Century Media waren über dieses überwiegend positive Feedback sogar derart erfreut, dass jetzt eine ganze Fotoserie daraus wird, denn in Kürze werden wir uns mit einem anderen Fotografen zu einer zweiten Fotosession treffen. [Eines der Bilder seht ihr in diesem Interview - die Verfasserin] Natürlich gab es auch einige etwas beleidigte Stimmen, die fragten, warum die Juden auf ihren Knien beten wie Moslems oder die Moslems über ihnen beten wie die Juden - soll das ein Witz sein? Einige fanden die Bilder auch einfach lächerlich. Meine Antwort darauf ist, dass sich drei Religionen seit Jahrhunderten gegenseitig töten, und jede von ihnen tut dies "im Namen Gottes". Wer ist jetzt also lächerlich? In unseren Fotos findet sich viel Kritik gegen Religion, allerdings nicht auf die Weise, wie Black Metal es tut, sondern respektvoll. Wir wollen die Menschen zum Nachdenken anregen und ihnen sagen: "Seht, wir können miteinander auskommen." Im Grunde glauben wir doch alle an den gleichen Gott, und diese Metaller aus Israel halten euch auf diesen Bildern den Spiegel vor Augen. Ich finde, die Metal-Szene ist ein großartiges Beispiel dafür, wie man in einem "globalen Dorf" zusammenleben kann. Wir kommen aus verschiedenen Kulturen und respektieren uns dennoch und schließen Freundschaften. Mit allem Respekt für Religion, die Metaller zeigen euch, wie es geht.

Elke:
Für das neue Album habt ihr auch ein neues Bandlogo erschaffen, und es wird zwei verschiedene Designs für die reguläre und die limitierte Ausgabe geben. Welche Geschichte steckt dahinter?

Kobi:
Wir bekamen verschiedene Entwürfe für das Album-Layout, aber die meisten waren mit Photoshop bearbeitet. Und wir haben diese Art von Artworks ehrlich gesagt ziemlich über. Stattdessen sollte sich das Konzept - die Musik, die Texte, ja sogar die Bandfotos - darin widerspiegeln. Ich fand diesen Jordanier, der sich auf Kalligraphie mit arabischen Worten spezialisiert hat, und wir erarbeiteten die Idee, Aspekte des Judentums und des Islams mit Hilfe von hebräischen und arabischen Buchstaben kalligraphisch darzustellen. Auch in den Fotos geht es um Synergien und natürlich in unserer Musik, wo wir auf arabisch, hebräisch und englisch singen, und so etwas wollten wir auch auf dem Cover wiederspiegeln. Er nahm also Worte wie Leben, Angst, Licht, Dunkelheit usw. und schrieb sie kalligraphisch in hebräisch und arabisch nieder. Das Resultat ist umwerfend. Man könnte es in einer Galerie ausstellen ohne jeglichen Bezug zu ORPHANED LAND oder unserem Booklet. Es ist Kunst, die für sich alleine stehen kann. Du bekommst also nicht nur ein sehr langes, komplexes und vielseitiges Album, sondern auch der visuelle Aspekt mit dem Bandfoto und dem Artwork sind Kunstwerke, die für sich selbst sprechen. Niemand kann uns also unterstellen, dass wir nicht in jeder Hinsicht das Beste gegeben haben, und ich hoffe, die Leute werden diese Mühe zu schätzen wissen.

Elke:
Die limited edition enthält außerdem eine "Making of"-DVD, die von eurem Live-Schlagzeuger Matan Shmuely zusammengestellt wurde.

Kobi:
Das ist etwas, was wir unbedingt machten wollten. Stell dir vor, zu jedem Album, das du toll findest, gäbe es auch eine DVD... Die Band nimmt dich für eine Weile mit ins Studio und du kannst ihr dort über die Schulter schauen. Wie haben sie das alles gemacht? Wie sahen sie aus? Worüber haben sie sich gestritten? Das ist unglaublich faszinierend. Als ein Musik-Liebhaber hätte ich eine solche DVD gerne zu jeder Scheibe, die ich mag. Es ist definitiv ein toller Bonus für die limited edition des Albums.

Elke:
Wo wir gerade von DVDs sprechen: Auf der sehr sehenswerten Dokumentation "Global Metal" sind ORPHANED LAND ebenfalls vertreten. Wie kam es dazu?

Kobi:
Das Ganze begann eigentlich mit einem Film des kanadischen Anthropologen Sam Dunn namens "Metal - A Headbanger's Journey", in dem es um das verbindende Element des Metals weltweit ging. Dieser Film war sehr erfolgreich, weshalb er beschloss, einen Nachfolger namens "Global Metal" zu drehen. Dieses Mal suchte er nach Metalbands in "unprofessionellen" Ecken der Welt, inklusive Japan, Indonesien, China, Iran, Bahrain und natürlich Israel. Er besuchte unser Land und filmte unter anderem eine unserer Shows und drehte in Jerusalem. Es ist ein sehr gut gemachter Film, der selbe Typ hat auch bei "IRON MAIDEN: Flight 666" mitgewirkt. Und es ist außerdem ein sehr wichtiger Film. Ich habe nach seiner Veröffentlichung Hunderte von Kommentaren von Leuten erhalten, die zuvor nie von uns gehört hatten.

Elke:
Ich finde solche Dokumentationen sehr interessant, weil man Bands wie euch dort in ihrem natürlichen Umfeld sieht und nicht nur auf einer Bühne in Deutschland.

Kobi:
Definitiv. Wir haben eine spannende Geschichte zu erzählen, und ich glaube wirklich daran, dass jetzt die Zeit für Metal aus dem Nahen Osten gekommen ist. Jeder kennt und mag z. B. norwegischen Black Metal oder schwedischen Death Metal, aber im Grunde ist das doch immer das Gleiche und stellt die Leute auf Dauer nicht zufrieden. Ich glaube, dass dieser Trend aus dem Nahen Osten, den wir vor 18 Jahren losgetreten haben und den mittlerweile viele andere Bands unterstützen, endlich mehr Beachtung finden sollte. Wir sind eine Metalband aus Israel, die viele Fans in der arabischen Welt hat. Das ist eine verrückte Geschichte, finde ich.

Elke:
Können wir auf der nächsten Tour also möglicherweise ein komplettes Billing aus dem Nahen Osten erwarten?

Kobi:
Das ist zumindest die Idee für Europa. Metal aus dem Nahen Osten könnte das nächste große Ding werden und die kommende Tour wird das in irgendeiner Form widerspiegeln.

Redakteur:
Elke Huber

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