POVERTY'S NO CRIME: Interview mit Heiko Spaarmann

29.08.2007 | 21:32

Eine der interessantesten deutschen Prog-Metal-Bands, POVERTY'S NO CRIME, hat vor wenigen Tagen ihre neue CD "Save My Soul" veröffentlicht. Bassist Heiko Spaarmann (3. v. l.) beantwortete mir aus diesem Anlass einige Fragen.


Stefan Kayser:
Am 24. August ist euer neues Album "Save My Soul" erschienen. Habt ihr schon Reaktionen darauf erhalten?

Heiko Spaarmann:
Ja sicher, es gab bereits zahlreiche Reaktionen. Viele Journalisten - dabei mehrere Leute, mit denen wir teilweise vorher noch nie etwas zu tun hatten - haben uns spontan Mails geschrieben, nachdem sie ihre Pressemuster gehört haben. Da gab es eine Menge Lob mit Kommentaren wie "Die neue Scheibe rockt" oder so was wie "Danke für eure großartige Musik". Alle extrem positiv und beinahe überschwänglich, wenn man das so sagen kann. Darüber hinaus eine Menge netter Einträge auf unserer MySpace-Seite als Reaktion auf die beiden Songs, die wir vorab reingestellt haben. Das hat uns alles natürlich sehr gefreut, vor allem, wenn man vor vier Jahren die letzte Scheibe rausgebracht hat und wir uns natürlich auch die Frage gestellt haben, ob sich da draußen überhaupt noch jemand an uns erinnert. Vielleicht hält man uns mittlerweile auch wieder für eine Newcomerband. Auf der Seite eines US-Webmagazins stand sogar so was wie "Ein gelungenes Reunion-Album" in der Rezension. Dabei haben wir uns nie aufgelöst.

Stefan Kayser:
Euer letztes Album ist schon fast vier Jahre alt. Wie kam es zu der langen Veröffentlichungspause?

Heiko Spaarmann:
Nach fünf Alben musste mal eine kreative Auszeit her. Dazu kam noch, dass Volker [Walsemann, v/g - d. Verf.] Anfang 2004 nach einer schweren Grippe eine längere Erholungsphase brauchte. Dann gab es Nachwuchs bei PNC: Theo [Tegeler, d - d. Verf.] hat 2004 eine Tochter bekommen und Volker 2005 einen Sohn. Marco [Ahrens, g - d. Verf.] ist vor einigen Tagen der dritte Vater in der Band geworden. Seine Frau hat eine Tochter zur Welt gebracht. Es war tatsächlich sehr still um die Band herum, weil wir unter anderem auch keine Gigs gespielt haben. Das soll sich aber mit "Save My Soul" ändern. Wir sind wieder da!

Stefan Kayser:
Eure früheren Alben hatten teilweise ein durchgehendes Thema. Gibt es auch zu "Save My Soul" ein Konzept oder eine Grundidee?

Heiko Spaarmann:
"Save My Soul" beschäftigt sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Seelenwelt. Es geht um Themen wie Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit. Es werden aber auch Wege aufzeigt, diese negativen Stimmungen in kreative Bahnen fließen zu lassen, wie in 'The Key To Creativity'. Die Message lautet: Schwere Zeiten im Leben sind immer auch eine Chance für die Zukunft. Wer schon einmal durch die Hölle gegangen ist, sieht die Dinge mit anderen Augen und kann sein Leben viel intensiver leben. Man muss es irgendwie schaffen, den Bann zu brechen und sich aus der seelischen Enge zu befreien: 'Break The Spell'.

Stefan Kayser:
Ein Lied, das mir beim Anhören des Albums sofort aufgefallen ist, ist 'Spellbound', das sich durch ein sehr eigenes Klangbild abhebt. Was kannst du zur Idee und Entstehung dieses Stücks sagen?

Heiko Spaarmann:
Unser Keyboarder Jörg [Springup - d. Verf.] hatte schon sehr früh nach dem "The Chemical Chaos"-Album Vorschläge für zwei Stücke vorbereitet und uns vorgestellt. Die Songs waren sehr vielschichtig, und einige Teile passten auch gar nicht wirklich zum Sound von POVERTY'S NO CRIME, andere Sachen waren einfach zu abgedreht. So haben wir alle zusammen die beiden Stücke "entrümpelt", zusammengeführt - und herausgekommen ist ein interessantes Instrumentalstück: 'Spellbound'.
Die Tatsache, dass es ein eigenes Klangbild hat und sich eventuell etwas vom Rest abhebt, kann eben auch genau damit zusammenhängen, dass es sich hier um ein Instrumentalstück handelt. Andererseits kann es aber wohl auch daran liegen, dass Jörg als Hauptautor dieses Stückes keinen Metal-Background hat und nicht mit Metal aufgewachsen ist, so wie es bei den anderen aus der Band der Fall ist. Bands wie IRON MAIDEN kennt er nur vom Hörensagen, hat sich mit der Musik aber selber nie wirklich beschäftigt. Das führt bei Proben manchmal zu heiteren Momenten, wenn einer von uns bei der Probe aus Spaß mal ein Riff von SLAYER, MAIDEN oder sonstigen Bands anspielt, der Rest darauf einsteigt, Jörg aber mit dem Song und meistens auch mit der Band gar nichts anfangen kann. Er hat viel Krautrock gehört und kann sich zum Beispiel für Bands wie MAGMA begeistern. Das hört man im Ansatz bei 'Spellbound' vielleicht auch etwas heraus.

Stefan Kayser:
Nicht nur ausgesprochenen Prog-Metallern, sondern den Rock- und Metal-Fans insgesamt dürften die furiosen Leadgitarren in 'The Torture' gefallen. Bitte auch ein paar Bemerkungen hierzu.

Heiko Spaarmann:
Die Idee und das Riff zu 'The Torture' stammen von Marco. Er hat auch das Solo in dem Stück eingespielt. Der Song sollte besonders schwer und intensiv klingen. Bis zu den Aufnahmen lief der Song auch noch unter dem Arbeitstitel 'Doom'. Beim Proben klang es eher nach Doom-Kapelle als nach einem typischen POVERTY'S NO CRIME-Song. Weil es uns gut gefallen hat, haben wir uns auch dazu entschieden, an der Idee weiterzuarbeiten. Wir waren uns aber auch einig, dass irgendwie noch das Sahnehäubchen auf dem Song fehlte. Die Idee für die Tapping-Gitarren im Refrain kam dann glaub ich von Volker. Das hat dem Song die Spannung gegeben - die aufblitzenden Gitarren als ein unruhiger Gegenpol zu dem schwerfälligen, getragenem Riff.

Stefan Kayser:
Hast du ein Lieblingsstück auf "Save My Soul"?

Heiko Spaarmann:
Bei den Proben zu den Aufnahmen habe ich mich immer am meisten gefreut, wenn 'End In Sight' dran war. Der Song ist schnell, geht nach vorne, hat eine schöne Melodie und eine wunderbare Steigerung mit gut ausgearbeitetem Spannungsbogen. Eigentlich alles, was man sich von einem guten Song wünscht. Kurz und knackig. Vor allem machte es einen Riesenspaß, den Song auch live zu spielen.
Begeistert bin ich auch von der Ballade 'The Key To Creativity'. Als ich den ersten Mix aus dem Studio bekommen habe, gab es erstmal eine Gänsehaut beim Anhören. Der Song hat sich erst im Studio zu der Form auf der CD entfaltet. Bei den Studio-Vorbereitungen haben wir den kaum zusammen gespielt, Text und Gesang sind erst bei den Aufnahmen entstanden. Keiner hatte gedacht, dass dieser Song am Ende so schön zerbrechlich klingen würde. Das ist für mich also auch ein absolutes Highlight auf dem Album.

Stefan Kayser:
Produziert hat das Album Tommy Newton. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Heiko Spaarmann:
Nach drei Alben, die wir im Soundgarten Tonstudio in Oldenburg aufgenommen haben, wo unter anderem auch mehrere MOB RULES-Alben entstanden sind, wollten wir mal etwas Neues ausprobieren. Unser Drummer Theo wollte gerne für das neue Album einen anderen Drumsound haben, und so gab es im Vorfeld mehrere Überlegungen. Dazu zählte, in verschiedene Studios zu gehen, oder auch dahingehend, selber Equipment für Aufnahmen zusammenzukaufen.
Auf Tommy Newton und sein Area 51 Studio in Celle sind wir dadurch gekommen, dass "Autumn Years", das zweite POVERTY'S NO CRIME-Album, bereits 1995 in Celle, damals noch im Studio M aufgenommen wurde. Produziert hat dort damals John McGowan. Nun ist mittlerweile in demselben Gebäude, nur etwas verkleinert, das Studio von Tommy Newton. Die Sachen, die Tommy in jüngster Zeit gemacht hat, wie zum Beispiel die Alben von REDEMPTION, haben uns vom Sound her sehr gut gefallen. Theo hat also einfach bei Tommy angerufen, und so kam es dazu, dass wir den Großteil des Albums bei ihm in Celle aufgenommen haben.

Stefan Kayser:
Wie entsteht die Musik von POVERTY'S NO CRIME? Kommt einer schon mit einer Idee an oder entsteht Neues beim Jammen?

Heiko Spaarmann:
Wenn bei uns neue Songs entstehen, so kommt der Anstoß zu einem neuen Stück, ich nenne es mal die "Basis-Idee", meistens von einem der Musiker aus der Band. Diese Basis-Idee ist häufig schon ein in den Grundzügen ausgearbeiteter Song, und dieser wird dann den anderen vorgestellt. Das passiert häufig auf dem elektronischen Wege per Mail, da wir alle zu Hause Recording Equipment haben. Das ist heutzutage nicht sehr aufwendig. Jeder erarbeitet dann auf der Grundlage seine eigenen Parts dazu oder entwickelt die ursprünglichen Ideen weiter. Auch das geschieht meistens in Eigenregie zu Hause am Rechner. Wenn dann ein Stück soweit Gestalt angenommen hat, dass es von allen akzeptiert und spielbar ist, geben wir dem Song zusammen im Proberaum den Feinschliff.
Generell kann man aber schon sagen, dass wir nicht wirklich ernsthaft jammen, um neue Songs entstehen zu lassen. Das hat sich aus unserer Erfahrung als nicht wirklich produktiv herausgestellt.

Stefan Kayser:
Wie siehst du die derzeitige Lage im Progressive Rock / Metal insgesamt? Große Pioniere des vergangenen Jahrzehnts wie DREAM THEATER oder die FLOWER KINGS werden seit einiger Zeit ständig kritisiert, egal was sie machen. Andererseits scheint eine Band wie TOOL mit einem neuen Sound eine gewisse Prägekraft zu entwickeln.

Heiko Spaarmann:
Was die Stellung einzelner Bands in der Presse und Reaktionen auf die letzten Veröffentlichungen betrifft, dazu kann ich nicht viel sagen, weil ich das im Detail nicht verfolge. Ich habe mir die letzte DREAM THEATER-CD gekauft, und die hat mir gut gefallen. Bei den FLOWER KINGS oder TOOL bin ich aber raus aus dem Thema. Generell ist es doch eigentlich positiv, wenn eine Band eine polarisierende Wirkung auf Presse und Fans hat. Die Abneigung oder Kritik der einen verstärkt gleichzeitig die Unterstützung der anderen. Ich sehe daher auch negative Kritik im Ergebnis nicht auch gleich negativ für eine Band.

Stefan Kayser:
Neben einer gewissen Richtungslosigkeit bei Musikern und Fans hat auch das Medieninteresse nachgelassen. Ist das eher schlecht und demotivierend oder hat das vielleicht auch Vorteile, da die Aufmerksamkeit gerade der Mainstreammedien nicht unbedingt zu Qualitätssteigerungen führt?

Heiko Spaarmann:
Wir standen als Band noch nie im Mittelpunkt des Medieninteresses, beziehungsweise waren Mainstreammedien auch noch nicht interessiert an uns. Für diese sind wir sowohl musikalisch als auch als Band sicher zu uninteressant. Keine Skandale, Drogenexzesse, verwüstete Hotelzimmer, über die berichtet werden könnte. Progressive Metal ist ja auch alles andere als im Trend. Wir machen seit Jahren unsere Musik, ohne damit gezielt auf großes Interesse hinzuarbeiten, freuen uns aber natürlich sehr, wenn unsere Arbeit von den Medien positiv angenommen wird. Am Ende des Tages sind wir aber alle finanziell nicht von der Musik abhängig und können uns dadurch auch unsere künstlerischen Freiheiten nehmen. Wie gesagt, freuen wir uns dann sehr, wenn das von den Medien positiv aufgenommen wird, es ergibt sich aber auch keine existenzbedrohende Lage, wenn das mal nicht der Fall ist.
Wir versuchen mit der Band immer ein Ergebnis zu erzielen, hinter dem wir zu 100% stehen können und mit dem wir uns identifizieren können. Was danach durch die Medien kommt, spielt bei der Entstehung kaum eine Rolle.

Stefan Kayser:
Welche Bands waren prägend für euch und haben vielleicht auch die Musik von POVERTY'S NO CRIME beeinflusst?

Heiko Spaarmann:
Das muss sicher individuell für alle Musiker betrachtet werden. Dass Keyboarder Jörg nicht mit Metal aufgewachsen ist und sich mehr für Krautrock und für viele Ohren eher anstrengende Musik begeistern kann, hatte ich vorher ja bereits gesagt. Marco, Volker, Theo und ich sind in der Jugend mit den Genre-Klassikern wie METALLICA, MAIDEN, FATES WARNING, SLAYER, SANCTUARY usw. aufgewachsen. Aber das ist nun auch schon viele Jahre her. Ob man das noch als prägende Bands bezeichnen kann, würde ich heute nicht mehr sagen. Volker tendiert wohl mehr in die Rock-Ecke mit Bands wie RUSH und PINK FLOYD als Bezugspunkte, wobei er mittlerweile eigentlich kaum noch Musik hört. Marco kann sich für gut gemachten Metal begeistern, und bei Theo und mir darf es auch gerne mal extremer sein. Da wandern zur Zeit auch gerne Metalcore, Death Metal oder das ein oder andere Black-Metal-Album in den CD-Player. Auch das sehe ich jedoch nicht als tatsächliche Beeinflussung des Sounds von POVERTY'S NO CRIME oder hörbaren Einfluss.

Stefan Kayser:
Da ich sehr gerne Livealben anhöre, interessieren mich auch die Lieblings-Mitschnitte von anderen. Was sind deine Favoriten?

Heiko Spaarmann:
Ich schaue mir gerne mal eine Band live an, bin jedoch kein Freund von Livealben. Mich stören die häufig übertrieben und konstruiert reingemischten Publikumsgeräusche und der häufig schlechte Sound. Das liegt bestimmt daran, dass bei einem Labelwechsel einer Band häufig vom alten Label halbherzig noch eine Live-CD rausgebracht wird, da der Vertrag das noch zulässt, oder das neue Label gleich mit einer Live-CD aufwartet, um schon mal einen Teil des Vorschusses wieder reinzubekommen. Von meinen erstandenen Live-CDs haben es also die wenigsten mehr als einmal in den CD-Player geschafft.
Ich bin dann lieber selber live dabei und habe das Konzert in meiner Erinnerung immer dabei. Da kann ich also leider nicht mit einer Aufstellung meiner Lieblings-Mitschnitte dienen.

Stefan Kayser:
Da wir schon beim Thema "live" sind: Werdet ihr mit "Save My Soul" auf Tour gehen?

Heiko Spaarmann:
Eine komplette Tour ist zumindest in diesem Jahr nicht mehr geplant, wir haben aber noch ein paar Einzelkonzerte im Terminkalender. Vielleicht gibt es dann Anfang nächsten Jahres noch etwas Tour-ähnliches.

Stefan Kayser:
Danke für das Gespräch und viel Erfolg.

Heiko Spaarmann:
Danke für dein Interesse und deine Unterstützung!

Redakteur:
Stefan Kayser

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