POWERMETAL.de - The Essentials: Platz 90 - 81
07.05.2016 | 11:30Wie angekündigt folgt hier nun der zweite Teil der POWERMETAL.de-Essentials. Auch dieses Mal darf man staunen, diskutieren, zustimmen oder sich freuen. Gerne auch mit uns in unserem Forum. Auch diese zehn Plätze werden wieder kommentiert von Redaktionslegende Holger Andrae. Und nun hinein ins Vergnügen.
Peter Kubaschk
- Chefredakteur -
Auf Platz 90 schicken uns Rüdiger Stehle, Marcell Rapp und Juliane Dahs auf eine Zeitreise ins Jahr 1984. In diesem Jahr schickt sich ein gewisser Blackie Lawless an, die Rockwelt zu schockieren. Der Bandname: W.A.S.P.. Die (vermutliche) Langform: We Are Sexual Perverts. Die Band hat dies nie bestätigt und es kursieren etliche Möglichkeiten um den Bandnamen herum. Eine vorher erschienene 12" mit dem recht anstößigen Titel "Animal (F*** Like A Beast)" hat die Band bereits vor Erscheinen des Albums in alle Schlagzeilen gebracht. Obendrein führt jene Nummer wochenlang die Import-Charts in Großbritannien an, was für den Erfolg von W.A.S.P. spricht, Ein geschickter Schachzug ist die Tatsache, dass eben jener Song nicht auf dem Album steht und der geneigte Fan somit beide Scheiben benötigt. Die Musik auf dem Erstling ist sehr roher, gradliniger Heavy Metal, der in erster Linie von der charismatischen Stimme des Frontmannes und den teils hymnenhaften Refrains lebt. Mit 'I Wanna Be Somebody' kreiert man einen erstklassigen Rebellions-Sing-A-Long und 'Sleeping (In The Fire)' ist eine gänsehäutende Ballade. Die Band geht mit IRON MAIDEN auf Tour und wird riesengroß. Ob wir das in unserer Liste später würdigen, verrate ich an dieser Stelle noch nicht.
Wenden wir uns nun völlig anderen Klanggebilden zu. RHAPSODY aus dem südlichen Stiefel Europas liefert mit dem dritten Album "Dawn Of Victory" unseren Platz 89. Die Band um Gitarrist Luca Turilli zelebriert auf diesem, von Timon, Christian und Martin van der Laan gewählten Scheibe, ihren bombastischen, bis ins kleinste Detail ausgefeilten Klassik-Metal, der gern mal unter dem Banner "Hollywood Metal" angepriesen wird. Dabei überschreitet Herr Turilli die Grenze des neoklassischen Ansatzes, welchen ein gewisser Yngwie Malmsteen so gern in fingerbrecherischer Akrobatik vorgeführt hat und setzt ganz bewusst auf klassische Instrumentierung und Chöre. Da er in Fabio Lione einen exzellenten Sänger zur Umsetzung dieser Ideen mit an Bord hat, wird das Album ein absoluter Erfolg, was in einem beachtlichen Platz 32 in den deutschen Hitparaden gipfelt.
Für Platz 88 verschlägt es uns in die Neuzeit, genauer gesagt ins Jahr 2014. Aus diesem stammt nämlich das programmatisch "The Satanist" betitelte Album der polnischen Black Metaller BEHEMOTH. Die Band um Frontmann Adam "Nergal" Darski ist eine der bekanntesten Vertreter der todesschwarzen Stromgitarrenmusik und ist spätestens mit ihrem 2009er Album "Evangelion" im Mainstream angekommen. Als die Band nach fünfjähriger Pause, die unter anderem aufgrund einer Leukämie-Erkrankung des Bandkopfes eintritt, mit "The Satanist" zurückkehrt, ist man im Fanlager überrascht, denn der plakative Titel des Albums steht tatsächlich für die Musik, die auf dem Album serviert wird. Der leicht abgewandelte Pfad des Vorgängers ist verlassen worden und es regieren wieder pechschwarze Töne. Spieltechnisch nach wie vor in der obersten Liga angesiedelt, wühlt die Band auf dem Album in den tiefsten Tiefen und gräbt dabei höllisch heiße und schnell faszinierende Riffs aus. An den richtigen Stellen wird diese Finsternis von bombastischen Elementen unterstützt und so wird gleich der Opener des Albums 'Blow Your Trumpets, Gabriel' zu einem echten Kniefall-Song. Schleppend, majestätisch und erhaben stampft diese Nummer in das Album hinein und weist dem Hörer sofort die richtige Marschrichtung: In die Finsternis. Im weiteren Verlauf gibt es technisch hochwertigen Black Metal mit einer unheimlichen Tiefe, die sicherlich auch Freunde außerhalb der eigentlichen Zielgruppe faszinieren wird. In unserer Redaktion sind sich Sebastian, Tobias und Christian einig: Dieses Album muss in die Liste!
Weiter im Text geht es auf Platz 87 mit einem Album, welches man eventuell nicht in dieser Liste erwartet hat. Klar, eine Band wie SAVATAGE ist sicherlich immer gesetzt, wenn es um solche Bestenlisten geht, gehört die Band aus Florida doch unbestritten zu den beliebtesten Vertretern des Genres. Während sie in den 80ern zu den Vorreitern des brachialen, aber gleichzeitig technisch versierten US Metal gehörte, geht die Band mit der Zeit immer orchestraler zu Werke und begeistert immer mehr Zuschauer. Im Jahr 1993 gibt es allerdings eine einschneidende Veränderung in der Bandkonstellation, da sich Sänger Jon Oliva dazu entschließt fortan nur noch als Songwriter (und Keyboarder) für die Band tätig zu sein. Sein Nachfolger hinter dem Mikrofon hört auf den Namen Zachary Stevens. Er hat große Stiefel zu füllen und er macht das einzig Richtige: Er geht seinen eigenen Weg und die Band ist klug genug, Songs zu schreiben, die auf seine weitaus weichere Stimme ausgelegt sind. Der mitreißende Titelsong wird heute noch gern als Klassiker gefeiert und auch das restliche Material des Albums vermag komplett zu überzeugen. Vor allem das unvergleichliche Gitarrenspiel von Criss Oliva kommt ausgerechnet auf "Edge Of Thorns" besonders gut zur Geltung, so zumindest mein Eindruck. Dieser ist sicherlich getrübt durch das Wissen, dass dies die letzte Scheibe mit Criss sein sollte, der wenig später tragisch ums Leben kommen sollte.
Bevor wir hier jetzt Trübsal blasen, wenden wir uns bombastischen Musikwelten zu. 1986 veröffentlicht die britische Band QUEEN mit " A Kind Of Magic" ein Album, welches 63 Wochen in den englischen Charts verweilte. Hier reichte es immerhin für Platz 86. Der gigantische Erfolg mag an dem Umstand liegen, dass viele der Songs für den ersten "Highlander"-Film geschrieben worden sind. So werden auch Menschen, denen QUEEN bis dato unbekannt war von solchen Schmachtkrachern wie 'Who Wants To Live Forever' oder dem reißerischen 'Princes Of The Universe' an die Band herangeführt. Die Band ist klug genug anstelle eines reinen Soundtracks lieber ein reguläres Album aus der Filmmusik zu basteln und ergänzt die für die Film geschriebenen Songs um 'One Vision', 'Friends Will Be Friends' und 'Pain Is So Close To Pleasure'. Zwei dieser Nummern zählen heute zu den vielen Highlights des königlichen Backkataloges. Der eine oder andere Leser wird in so einer Liste eventuell eher "offensichtlichere" Scheiben dieser tollen Band erwarten – höre ich ein leises "A Night At The Opera" aus dem Hintergrund? – aber erstens will ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten, was weiter oben noch kommt, und zweitens ist so eine Liste gerade wegen der Überraschungen so spannend. Ich kann nur jedem raten, sich abseits der bejubelten 'Radio Ga Ga's mit QUEEN zu beschäftigen. Da wird schnell klar, dass auch dieses Album hier ganz toll ist. Da ist man den KollegInnen Hanne, Yvonne und Stephan Voigtländer zu Dank verpflichtet, dass sie hier eine wunderbare Anregung zum Wiederentdecken in die Bestenliste geschickt haben.
Von gänzlich anderen Weisen kann auf dem nachfolgenden Album ein gewisser Mikael Åkerfeldt erzählen. Jener schwedische Barde ist nämlich mit seiner Band OPETH und deren 2001er Album "Blackwater Park" auf Platz 85 vertreten. Die Band hatte schon auf ihren vier vorherigen Alben eine originelle Mischung aus Death- und Prog-Metal serviert. Auf "Blackwater Park", dem ersten Album der Band für Music For Nations, scheint die Melange aber noch feiner abgeschmeckt zu sein. Eventuell liegt es daran, dass man zum ersten (aber nicht zum letzten Mal) mit Steven Wilson (PORCUPINE TREE) hinter dem Mischpult zusammen arbeitet. Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass die vier Musiker immer besser aufeinander eingespielt sind. Hört man sich die meist überlangen Songs auf dem Album an, so hört man zu jeder Sekunde die Spielfreude, die diese Notenmonstren so übermächtig und kurzweilig erscheinen lässt. Fronter Mikael scheint Lungenflügel eines allmächtigen Chamäleons zu besitzen, so variantenreich grunzt, grölt, gurgelt und säuselt er mal guttural, mal klar wohl durchdachte Zeilen ins Mikrophon. Drummer Martin Lopez zelebriert im vorderen Hintergrund Zickzackbeats aufs Parkett, während sich sein Namensvetter Martin Mendez mit dem wohl temperierten Leadbass durch das teils harsche Riffgestrüpp hangelt. OPETH ist eine Band, die man zu diesem Zeitpunkt mit kaum einer anderen Band vergleichen kann. Die vermischten Stilelemente aus urigem Kräuterprog – hint: Der Albumtitel stammt von einer kurzlebigen Deutschprogband – und finsterem Death Metal spielt keine andere Truppe so durchdacht und gleichzeitig auch so frisch. Beschäftigt man sich ein klitzekleines Bisschen mit den Musikern, so wird schnell klar, dass die Vorliebe für die komischen Musikstile aus tiefstem Herzen kommt. Hier spielen vier Musiknerds Musik für andere Musiknerds. Nerdig, nicht? Auf der Scheibe befinden sich mit 'The Leper Affinity', dem Titelsong und 'The Drapery Falls' gleich drei Stücke, deren Laufzeit im zweistelligen Bereich angesiedelt ist und auch die weiteren Gesangsnummern laufen nur knapp davor über die Ziellinie. Lediglich das verträumte Instrumental 'Patterns In The Ivy' verzaubert nur knappe zwei Minuten lang. Noch heute sind etliche der Songs in der Setlist von OPETH, was den hohen Stellenwert innerhalb der Diskographie nur noch unterstreicht. Die Herren Becker, Staubach und Voigtländer finden dieses Album so toll, dass sie es auf diese Position gewählt haben.
Nun segeln wir über den großen Teich und gehen in San Francisco vor Anker. Thrash aus der sagenumwobenen Bay Area steht auf Platz 84 auf dem Speisenplan. Das Quintett FORBIDDEN EVIL ist wie viele ihrer Artgenossen nicht evil genug und benennt sich kurz vor Veröffentlichung ihres Erstlings "Forbidden Evil" schlicht in FORBIDDEN um. Damit die durch das grandiose Demo zahlreich um sie gescharten Fans nicht verprellt werden, prangt der alte Bandname als Albumtitel auf dem ikonischen Coverartwork. Geboten wird auf der sensationellen Scheibe rattenscharfer Thrash mit dem Bay-Area-typischen Knuspersound. Die Klampfen von Craig Locierco und Glen Alvelais spritzen aus den Boxen und reißen jeden Genrefreund aus dem Sessel. Dazu verdrischt kein Geringerer als Paul Bostaph die Felle. Genau, jener Drummer, der später Dave Lombardo bei SLAYER ersetzen wird. Aber das nur am Rande. Neben der musikalischen Originalität der Band, die in erster Linie aus der Kombination von extrem aggressivem Riffing und komplexen Rhythmuswechseln besteht, ist Sänger Russ Anderson die Geheimwaffe des Geschwaders FORBIDDEN. Der Frontmann verfügt über eine gläsersplitternde Sirenenstimme, die durch Mark und Bein geht. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob wir einen knackigen Schädelspalter der Marke 'March Into Fire' oder 'Chalice Of Blood' inhalieren oder ob die Band zu leicht epischen Slalomthrashern greift. Russ Anderson lässt jeden Hörer mit offener Nahrungsaufnahmeklappe und frisch geliftetem Wohnzelt zurück. Besonders hervorheben möchte ich 'Through Eye Of Glass'. Besser geht Thrash eigentlich nicht. Dies sieht vor allem die Grau-Kauz-Fraktion der Redaktion so, denn dieses Album wird von den Herren van der Laan, Fähnrich, Scheurer und Andrae gewählt.
Weiter auf Platz 83 geht es mit einem modernen Klassiker. Aus dem Jahr 2007 stammt die siebte Scheibe von SYMPHONY X namens 'Paradise Lost'. Verloren ist darauf eigentlich gar nichts, denn die Truppe um Gitarrist Michael Romeo bietet auch auf diesem Album ihre ergreifende Mischung aus alten RAINBOW und DREAM THEATER. Wer also auf traditionellen, klassisch verspielten Hard Rock und auf kraftvollen, prorgressiven Heavy Metal mit einer exzellenten Sänger abfährt, der ist bei SYMPHONY X bestens aufgehoben. Fronter Russell Allen singt mit seiner Reibeisenstimme jeden in Grund und Boden und versteht es geschickt, die Zuhörer durch die teils recht verschachtelten Songs zu dirigieren. Nicht umsonst wird er immer wieder als Gaststar von anderen Bands eingeladen und hat nebenher mit ADRENALIN MOB eine All-Star-Group gestartet, die bereits zwei Alben veröffentlicht hat. Aber zurück zum eigentlichen Geschehen. Während die Band auf älteren Alben deutlich mehr im klassisch-epischen Hard Rock ihre Wurzeln hatte, so hören wir auf "Paradise Lost" verhältnismäßig harte Klänge. Damit setzt die Band den Weg des Vorgängers "The Odyssey" konsequent fort und gewinnt sicherlich auch deshalb noch mehr Freunde innerhalb der Heavy-Metal-Gemeinde. Einzelne Songs auf dem Album herauszuheben ist bei der gebotenen Klasse schwer möglich, aber zum Einstieg empfehle ich das rasante 'Set The World On Fire'. Fortgeschrittenen Genießern lege ich das abschließende Neun-Minuten-Epos 'Revelation' zu Ohren. Den Einzug in diese Liste hat das Album dem Ehepaar Dahs, Frank Jäger und Marcel Rapp zu verdanken.
Auf Platz 82 wird es frostig, denn wir huldigen einem der vielleicht "wichtigsten" Black-Metal-Alben. Die Rede ist vom fünften Album der norwegischen IMMORTAL, welches auf den klangvollen Namen "At The Heart Of Winter" hört. Sicherlich werden Verfechter des klirrenden Urfrostes dieser These widersprechen, denn IMMORTAL klingt hier zum ersten Mal etwas kontrolliert, aber wenn man von der Massenwirksamkeit ausgeht, stellt dieses Album einen Meilenstein dar. Dabei hat die Band im Vorfeld eine schwere Hürde zu meistern, da ihr Gitarrist Demonaz eine chronische Sehnenscheidenentzündung diagnostiziert bekommt und von nun an nicht mehr Gitarre spielen kann. Er bleibt IMMORTAL aber weiterhin als Texter treu und Bassist Abbath übernimmt auf dem Album auch noch alle Gitarrenparts. Vor diesem Hintergrund klingt "At The Heart Of Winter" fast noch bedrohlicher. Weg von ultraschnellen Blastbeats der Vergangenheit, zelebriert die Band nun eher majestätisch-grimmigen Heavy Metal, der sicherlich auch für Hörer ohne Faible für Corpsepaints gut genießbar klingt. Man mag nur einmal das grollende 'Tragedies Blows At Horizon' antesten und feststellen, dass trotz stark verbesserter Klangqualität von Peter Tägtgren und nachvollziehbarer Songstrukturen noch immer das ultimativ Böse aus diesen Noten herausquillt. Der heiser-fiese Gesang von Abbath addiert Frostigkeit zum Gesamtbild, sodass auch ein Zuhörer mit einem warmen Herzen hier Eiszapfen in den Ohren bekommen wird. Auf ebensolche stehen Yvonne, Rüdiger, Ben und Christian Black ... äh...
Völlig anders gelagert ist die Musik auf unserem Platz 81. Das vierte Album der progressiven Skandinavier PAIN OF SALVATION namens "Remedy Lane" wird von den drei Progheads Becker, Kubaschk und Andrae auf diese Position gesetzt. Hierbei handelt es sich um ein Konzeptalbum mit autobiographischen Zügen aus dem Leben des Frontmanns Daniel Gildenlöw. Musikalisch fahren die Schweden mit dem Hörer Achterbahn und verstehen es, wie nur wenige ihrer aktuell musizierenden Kollegen, den Begriff "progressiv" sinnvoll mit Inhalten zu füllen. Auf der einen Seite hat man mit 'Undertow' einen der gefühlvollsten Songs des laufenden Millenniums am Start, während man in 'Trace Of Blood', 'Rope Ends' und 'Beyond The Pale' die Verschachtelungsakten öffnet und jeden Freund verdrehter Rhythmik in Ekstase versetzt. Satzgesänge und Tempiwechsel inklusive. Die Jungs verarbeiten in einzelnen Songs gekonnt mehr Ideen als andere Musiker auf einem kompletten Album. Dazu addiert sich noch das unfehlbare Gespür für die richtige Spannung und Melodieführung. Niemals klingen Passagen aufgesetzt oder langatmig. Die Zeit während des Anhörens dieses Albums vergeht immer wie im Flug.
Damit auch Eure Zeit bis zur nächsten Etappe genauso flugs vergeht, empfehle ich, mal wieder die persönlichen Perlen in dieser Zehnerliste anzuhören und uns gern etwas Feedback auf unsere Auswahl zu geben.
- Redakteur:
- Holger Andrae