POWERWOLF: Interview mit Falk Maria Schlegel

25.07.2024 | 10:52

Bei einem neuen POWERWOLF-Album freue ich mich natürlich auf die frische Musik, die mir einige sehr tolle Ohrwürmer bereitet, aber auch auf die dazugehörigen Interviews, sind Matthew Greywolf und Falk Maria Schlegel aufgrund ihrer höchst sympathischen und bodenständigen Art doch stets sehr gern gesehene Gesprächsgäste. Und zum 20-jährigen Bandbestehen gibt es mit "Wake Up The Wicked" ohnehin das schönste Geschenk, was die Kraftwölfe ihrer Fanschar hätte machen können. Der neunte Dreher hat so viele interessante, mystische und schöne Geschichten im Gepäck, wir hätten mit Falk Maria noch stundenlang weiterquatschen können. Lest selbst, was er über Peter Stump, das weibliche Geschlecht, Chöre und französische Widerstandskämpferinnen zu sagen hat.

Immer wieder schön mit dir zu sprechen, wie geht es dir?

Alles soweit in blendender Ordnung. Ich meine, wir haben jetzt nicht mehr lang zum Release. Man wird dann so ein bisschen hibbelig. Man könnte meinen, man wird ruhiger, aber das ist eigentlich das Schöne, dass man immer noch so nervös ist wie am Anfang. Wie mit Auftritten ist es auch beim neuen Album: eine Mischung aus Vorfreude und Gespanntheit, das ist eigentlich schon ganz cool.

Also es hat sich seit eurem Debüt in Sachen Vorfreude und leichter Nervosität eigentlich nichts verändert?

Ich glaube, die Situation ist natürlich ein bisschen anders. Beim Debüt bringst du etwas raus und hast eigentlich gar keine Erwartungen an irgendwas. Und es wäre jetzt gelogen, das kann mir auch keiner erzählen, dass ich jetzt keine Erwartungen an so ein Release habe, an ein Album, das ich selber liebe und total Bock habe, es live zu spielen. Natürlich habe ich eine gewisse Erwartungshaltung. Und wenn es nur die Erwartung ist, dass auch andere Leute es genauso gut finden wie ich, den Rest kann ich eh nicht so beeinflussen.

Ihr habt in den letzten Jahren mit "The Monumental Mass" ein opulentes Livealbum, mit "Missa Cantorem II" ein sehr geschmackvolles Vocal-Cover-Album und mit "Interludium" eine Art Special-Album mit sechs neuen und vier raren Tracks veröffentlicht. Und nun ein brandneues Album mit "Wake Up The Wicked" – euch scheint durch eure gesamte Karriere hindurch die Inspirationsmuse geküsst zu haben oder?

Ja, es fühlt sich auch wirklich so an, muss ich dir ehrlich sagen. Es ist ja nicht so, dass es leicht ist, neue Musik zu schreiben, auch in unserem Kosmos, den wir eigentlich auch am besten beherrschen. Aber es ist ja trotzdem nicht so, dass wir Schnitt machen und sagen, so, hier, neues Album. Bei "Wake Up The Wicked" allerdings kam dieses Gefühl auf, auch daher der Album-Titel, das Monster zu erwecken, das Böse zu entfesseln, wie du es auch nennen willst. Wir hatten erst den Opening-Song, 'Bless 'em With The Blade', geschrieben und dabei das Gefühl, wir lassen hier gerade so ein mächtiges Ding von der Kette. Das hat man bei den letzten Produktionen nicht ganz so gehabt. Wir hatten von Anfang an das Gefühl, dass es mächtig und großartig wird. Du hast nochmal so eine Stimmung in dir gehabt und dann fallen die Dinge dir vielleicht auch ein bisschen leichter, unbeschwerter. Ich glaube, das kann man "Wake Up The Wicked" auch gut anhören – auch für mich, ich höre mir das Album ja auch gerne selbst immer noch an und, wenn es aufhört, will ich gerade wieder von vorne anfangen. Man entdeckt so viele Facetten. Ich würde nicht sagen, wir strotzen in dem Moment vor Kreativität, aber wir hatten immer das Gefühl, dass uns dafür noch ganz viel einfallen würde und uns für dieses Album keine Ideen ausgehen werden. Und es gibt durchaus mal Album-Prozesse, die werden am Schluss gut, auch sehr gut. Aber da gibt es auch durchaus mal Durststrecken, wo du sagst, oh shit, das Studio ist gebucht, ich habe eigentlich noch gar nichts, haha. Und hier war das Gefühl, dass das läuft und das hat uns sehr gut gefallen.

Ich reibe mir die Hände weil es ein wirklich tolles, stimmungsvolles POWERWOLF-Album geworden ist. Ein fantastisches Artwork, das den großen, blutrünstigen POWERWOLF auf dem Thron zeigt, seine Gefolgschaft rechts und links von ihm. Kann man sagen, dass POWERWOLF auf dem Thron des Power Metals sitzt?

Ich glaube, das haben wir uns dabei nicht so gedacht, hehe. Es ist nach wie vor dieses Gefühl, dass ganz viel so durch die Decke geht. Dafür sind wir nach wie vor, ich glaube, so bodenständig geblieben als Band und einfach nur dankbar. Also wir sind einfach super froh und überglücklich, dass unsere Kunst, unsere Musik, unsere Art, Heavy Metal zu zelebrieren, auf so viel Gegenliebe stößt. Und im Hinblick auf das Artwork sprach ich ja davon, dass wir das Monster von der Kette nehmen. Jetzt sitzt da ein Wolf auf dem Stuhl und wenn man genau hinschaut, ist er kurz davor, dir ins Gesicht zu springen und die Gefolgschaft stachelt ihn quasi an. Man hat also das Gefühl, als sei das Monster auf dem Sprung und das fand ich irgendwie ziemlich mächtig. Und um auf deine Frage zurückzukommen: es gibt Größen wie IRON MAIDEN oder BLACK SABBATH, natürlich reihen wir uns drunter und das ist vollkommen in Ordnung für uns. Beim Wolf gibt es auch Rangordnungen, daher passt das auch für uns, hehe.

Apropos, weißt du, wo ich vergangene Woche war? Auf dem Werwolfspfad in Kaster, bei Bedburg. Nur knapp 10 km von mir entfernt. Ich hatte mit Matthew darüber schon vor einigen Jahren gesprochen. Peter Stump war schon lange auf Matthews Zettel und nun wandert er in Form von '1589' auf ein POWERWOLF-Album. Was genau fasziniert euch an den Werwolfs-Mythen und glaubst du persönlich, dass die Geschichte um Peter Stump wahr ist?

Du wirst lachen, ich war vor einiger Zeit auch kurz in Bedburg. Wir haben uns sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt, also die Verurteilung und Hinrichtung 1589. Das ging weit über das hinaus, was wir im Video gezeigt haben. Auch aufgrund der YouTube-Altersbeschränkung hätte es nicht funktioniert, im Video zu zeigen, wie der Mann gequält wurde. Und da gab es ja sogar Flugblätter, die reichten bis nach Dänemark und England. Also das ist wohl auch so passiert. Was mich fasziniert, ist die Frage, ob der sich jetzt in den Werwolf verwandelt hat oder nicht. Also ich liebe solche Geschichten total. Ich war an einem Regentag in Bedburg, an diesem Tor vorne, ich fand das alles ein bisschen skurril, ein bisschen unheimlich. Gleichzeitig weiß man auch, dass die Leute für Übernatürliches auch Lösungsansätze gesucht haben und die Obersten haben gern Sündenböcke gesucht – bei der Hexenverfolgung war es genauso. Vielleicht war es ein Massenmörder, vielleicht auch einfach jemand, dem man etwas angehangen hat. Es gibt ja den historischen Beleg der Hinrichtung, was ich in dem Moment sehr spannend finde, ich liebe ein Stück weit auch die Folklore, auch diese kindliche Faszination, dass etwas Böses mit im Spiel sein könnte. Vielleicht kommt ja doch jemand im Wald um die Ecke, diese Gedanken haben etwas Mystisches, die sich mir nicht erklären lassen. Ich komme aus einem kleinen Ort im Saarland, aus dem die Sage kommt, dass ein Reiter in die Tiefe gestürzt ist, weil er sich von seiner Mutter losgesagt hat und nicht am Karfreitag in die Kirche gegangen ist, was man zur damaligen Zeit noch machen musste. Die Strafe folgte und so fiel er in die Schlucht. Und jedes Mal, wenn ich an der Stelle vorbeiwandere, denke ich an diese Sage und wie er in die Tiefe gestürzt ist. Ein wenig glauben wir ja auch daran und das thematisieren wir auch häufig bei POWERWOLF.

1589



https://www.youtube.com/watch?v=5S0-oP9JsL0

Da gibt es noch 'Kyrie Klitorem'. Kyrie war ja schon in der Antike der Huldigungsruf an Herrscher oder Gottheiten. Und Klitorem kann man sich durchaus ableiten. Eine Huldigung an das weibliche Geschlecht?

Ja, total. Nachdem wir beispielsweise mit 'Resurrection By Erection' oder 'Coleus Sanctus' doch sehr das Maskuline besungen haben, auch immer mit diesem nötigen ironischen Blick auf die Dinge, war es einfach mal Zeit, der Weiblichkeit etwas näher zu huldigen. Ich finde, das gehört auch irgendwie zu einem POWERWOLF-Album dazu, dieses gewisse Augenzwinkern, eine leicht ironische, humoristische Note, aber keine plumpe, das betone ich immer und ist mir sehr wichtig! Ich möchte kein Comedy-Ding daraus machen, aber ich finde, solch ein Song ist erstens extrem eingängig und bekommt zweitens noch einmal eine ganz andere Bedeutung, wenn Attila ihn auf der Bühne ansagt, hehe. Ich habe noch keine Ahnung, wie er das machen wird, haha. Natürlich muss man auch schauen, wie man das gut rüberbringt und es war einfach an der Zeit, der Weiblichkeit zu huldigen.

Mit der Huldigung geht es weiter. Ist mit 'Joan Of Arc' die Jungfrau von Orleans gemeint? Eine französische Widerstandskämpferin im Hundertjährigen Krieg. Weshalb habt ihr Jeanne d'Arc einen Song gewidmet?

Johanna von Orléans ist natürlich ein Topic für uns gewesen, was auch sehr faszinierend war. Das Thema hatten wir schon länger im Kopf, sie war ja die Erste mit ihren Visionen, die als Frau oder als Soldatin gekämpft hat, um die Franzosen zu befreien. Sie hat auch den König überredet, da gewisse Dinge zu tun, weil sie das gesehen hat und wurde dann von den Leuten in schon sehr jungen Jahren geliebt. Sie wurde der Obrigkeit allerdings zu mächtig und ruckzuck wurde es umgedreht und sie als Hexe oder Ketzerin dargestellt – ähnlich wie bei Peter Stump, der nun kein französischer Held wurde. Aber vor kurzem gab es einen Promotag in Paris und sie wird noch immer als Nationalheldin schlechthin verehrt. Ihre Asche wurde sogar in allen Himmelsrichtungen verstreut, damit die Leute nicht irgendwie Reliquien sammeln konnten. Eine total spannende Geschichte einer sehr starken Frau, einer sehr starken Persönlichkeit. Ein bisschen Folklore mit geschichtlichen und religiösen Aspekten, das ist ja unser Anliegen. Eine starke Frau für ein sehr starkes POWERWOLF-Album.

Ein sehr tolles Stilmittel ist mir noch aufgefallen: Ein Kinderchor bei 'We Don't Wanna Be No Saints' – ich persönlich finde, dass Kinderchöre immer etwas leicht Gruseliges haben. Aber Kinder haben auch immer etwas sehr Unschuldiges. Der Grund, weshalb dieses gelungene Stilmittel so gut zum Song passt?

Die Idee, mit einem Kinderchor aufzunehmen, schwebte uns schon länger vor, aber es muss ja auch irgendwie zum Thema passen. Natürlich passen Kinder als Inbegriff der Unschuld, als guter Kontrast zu dem ganzen Song, sehr gut zum Thema. Zudem muss ein Kinderchor das Englische auch gut aussprechen können, aber schon während des Aufnahmeprozesses haben wir gemerkt, dass das richtig gut klingt.

Diese Mischung aus Unschuld und – gerade in Horrorfilmen, wenn dann Kinder etwas singen – Morbidem macht gerade den Reiz aus?

Ja, das stimmt. Diesen Kontrast wollten wir deutlich darstellen, weil der Song im Mittelteil recht klassischen Heavy Metal zu bieten hat. Am Ende des Tages wollen wir ja eigentlich keine Heiligen sein, sondern auch mal ein bisschen über die Stränge schlagen. Dafür ist das Leben ja auch da. Natürlich wollen wir die Grenzen nicht bis ins Unendliche ausreizen, vor allen Dingen nicht, wenn es um Gewalt oder Kriminalität geht, aber wir leben oft viel zu sehr in unseren Dogmen, in gesellschaftlichen Strukturen. Wir als Metaller wissen doch auch am besten, wie oft wir angeschuldigt werden für Dinge, die passieren, nur weil wir die letzte CANNIBAL CORPSE-Scheibe gehört haben, und wir werden oft als Außenseiter abgestempelt. Ein wenig gefallen wir uns in der Rolle schon ganz gut, gleichzeitig sagen wir aber auch, dass wir eben nur einmal leben und dennoch jeder Tag lebt.

Absolut. Ihr beendet das Album sehr geschmackvoll und atmoshärisch mit 'Vargamor'. Es ist meist der weise Mann eines Rudels mit übersinnlichen Fähigkeiten, der einem Wolfsrudel angehört und es unterstützt...

Darf ich dich kurz korrigieren? Das ist sogar eine Frau. Es kommt aus der schwedischen Folklore und besingt oder beschreibt eine meist ältere Frau, die eng mit Werwölfen verwandt ist und die Fähigkeit hat, jüngere Männer in Selbige zu verwandeln. Es gibt leider sehr wenige Hinweise hierzu in Schweden, wir haben uns dann aber trotzdem gefreut, das wir welche gefunden haben.

Sinners Of The Seven Seas



https://www.youtube.com/watch?v=BM0_MJAwlDk

Also könnte man dann beispielsweise sagen, dass POWERWOLF seine Gefolgschaft, zumindest bei den Liveshows, in Wölfe verwandelt?

Ach, ja, ich meine, wir heulen ja auch zusammen und bezeichnen das als Wolfpack. Und aufgrund der Kontroverse in Deutschland bezüglich der Wölfe, ob wir sie jetzt jagen oder einfach in Ruhe lassen sollen, werden den Menschen die Verhaltensweisen auch nähergebracht. Der Wolf ist ein bemerkenswertes Tier, das man eben nicht töten sollte. Aber um auf deine Frage zurückzukommen, empfinde ich das schon, dass wir live ein Wolfpack werden und da ist es egal, wie groß die Halle ist - ob nun Olympiahalle München oder kleiner Club. Ich finde, dass wir in der Heavy-Metal-Szene ohnehin irgendwie zusammengehören: Wir sehen jemanden in der Stadt mit einem Summer-Breeze-Shirt und freuen uns, fühlen uns so direkt zugehörig, oder? Und das ist doch schön.

Absolut. Ende August startet eure erste komplette Nordamerika-Tour. Und danach sind HAMMERFALL und WIND ROSE mit bei den Wolfsnächten, die euch quer durch Europa folgen. Wenn du nach den Tourneen zu Hause bist und in den ersten Tagen die Ruhe einkehrt, hast du dann überhaupt die Gelegenheit, zu realisieren, welche immense Reise POWERWOLF hingelegt hat und was du mit der Band in den 20 Jahren erreichen konntest?

Ja, ich habe eigentlich schon Gelegenheit dazu, aber mache das nicht so gerne. Nicht, dass ich nicht stolz darauf und sehr froh und glücklich über das alles bin, sondern eher, dass es den Flair hat, sich vor einen alten Kamin zu setzen und das Leben an mir vorbeirauschen zu lassen, bevor es zu Ende ist. Daher sträube ich mich, mich lorbeermäßig einfach hinzusetzen. Ich will gar nicht zur Ruhe und Rast kommen, weil ich sonst das Gefühl habe, dass sich das Rad nicht weiterdreht.

Ich bin da etwas abergläubig. Wenn ich von einer sehr schönen Tour nach Hause komme und im Privaten mit Freunden in einer Kneipe sitze, sage ich schon, dass ich gerade heulen könnte vor Glück, weil es so schön war. Das ist dann aber auch abgefrühstückt, weil meine Freunde und Familie mich dann auch nicht so sehr ausfragen. Ich kann damit nicht so gut umgehen, zu realisieren, was gerade so mit der Band passiert oder in den letzten Jahren passiert ist. Mir liegt diese Bodenständigkeit lieber. Ich bin eher in großer Dankbarkeit und möchte das erhalten und auch so weitermachen. Deshalb sträube ich mich vor solchen Momenten mit Whisky vor dem Kamin, obwohl ich Whisky und Kamin sehr mag, hehe.

Also lieber den Moment ausnutzen als in Erinnerungen zu schwelgen. Im Endeffekt hat man dazu dann noch genügend Zeit?

Genau. Den Moment nutzen. Die größte Party auf einer Tour ist für mich die Live-Show, wenn ich auf der Bühne bin. Natürlich gehen wir bei den After-Show-Partys noch zwei, drei trinken, aber eigentlich ist die Party dann vorbei. Daher feiere ich lieber auf der Bühne. Du kennst mich ja auch ein bisschen, ich bin auf der Bühne ja relativ wild und dann merkt man auch die Dynamiken der Band auf der Bühne. Und danach ist die Party eigentlich für mich ein Stück weit auch vorbei. Es wäre ja schlimm, wenn es umgekehrt wäre: Man albert lethargisch auf der Bühne rum und geht dann anschließend auf die After-Show-Party. Ich genieße lieber den Auftritt auf der Bühne.

Ich freue mich wirklich sehr darauf, auch dich mal wieder live zu sehen. Wahrscheinlich wird es Oberhausen bei mir. Falk Maria, ich danke dir sehr für deine Zeit. Es ist mir immer eine sehr große Freude, mit dir zu sprechen, es wird mit Sicherheit nicht unser letztes Gespräch gewesen sein – spätestens zum nächsten POWERWOLF-Album.

Sehr, sehr gerne. Oder in Oberhausen. Dann siehst du mich nach dem Auftritt wie eine ausgequetschte Zitrone, aber noch mit viel Freude, ein Bier mit dir trinken.

Darauf komme ich sehr gerne zurück, vielen Dank.

Fotocredit: VDPictures

Redakteur:
Marcel Rapp

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