PRIMORDIAL: Interview mit Alan Averill
06.12.2014 | 00:03Szene-Sprachrohr oder auch nicht: Wir unterhielten uns ausführlich mit PRIMORDIAL-Fronter Alan Averill.
Alan Averill hat sich in den letzten Jahren zu einer der größten Persönlichkeiten der Metal-Szene entwickelt. Seine Meinungen sind sicherlich nicht immer unstrittig, jedoch bemerkt man schnell, dass er klare Positionen zu diversen Themen hat. "Where Greater Men Have Fallen", das neue Album seiner Hauptband PRIMORDIAL, hat soeben unseren November-Soundcheck gewonnen, nachdem er in der letzten Zeit vor allem mit TWILIGHT OF THE GODS sowie DREAD SOVEREIGN beschäftigt war. Wir treffen Alan in ruhiger Lage ein paar Meter oberhalb des Geschehens des Essener Turocks und unterhalten uns über PRIMORDIAL, große Männer und – wie sollte es anders sein – Heavy Metal.
Von der mystischen Aura, die ihn sonst auf der Bühne umgibt, ist im Moment noch wenig zu merken. Stattdessen sitzt uns ein freundlicher, in sich ruhender und etwas müder Alan gegenüber: "Ich habe den ganzen Tag geschlafen, wir sind heute aus Hamburg gekommen", verrät der PRIMORDIAL-Fronter. Die Band absolviert gerade eine Mini-Tour mit drei Release-Shows. Eine vollständige Tour sei auch nicht mehr geplant, stattdessen werde es mehr von solchen Wochenendtrips geben: "Montags, dienstags und mittwochs zu spielen, ist heutzutage ganz schön schwierig." Die Schuld dafür sieht Alan vor allem in der Festivalkultur, gibt mit SÓLSTAFIR aber auch gleich ein aktuelles Gegenspiel einer Band, welche aktuell zur richtigen Zeit am richtigen Ort sei.
Auf die Frage, ob "Where Greater Men Have Fallen" das bisher abwechslungsreichste Album ist, gibt Alan zu Protokoll: "Ja, das könnte sein. Das Album startet für uns recht typisch, wird dann in der Mitte etwas abgedrehter und endet wieder eher klassisch. Dahinter steckt allerdings kein größerer Plan. Das sind halt die Songs, die wir aktuell schreiben." PRIMORDIAL sei noch immer eine Band, die – abseits der Lyrics – ihre Songs im Proberaum ausarbeitet, sich dort streitet und dadurch den so wichtigen "Bullshit-Filter" besitzt. Alan ist der Ansicht, dass Heavy Metal genau so entstehen sollte; File-Trading oder ähnliches kommt für den ungeschminkten Iren nicht in Frage.
"Als wir den Song 'Where Greater Men Have Fallen' geschrieben haben, war uns klar, dass dies der erste Song werden würde. Er hat eine eher klassische Heavy-Metal-Struktur im MAIDEN- oder PRIEST-Gewand." Die massive Attacke 'The Seed Of Tyrants' hingegen sei Ciárans Song, der nach einem fast durchgängigen Blast-Beat verlangte. "Die Leute sagen, es sei ein Blick zurück auf die alten PRIMORDIAL-Tage, aber das sehe ich ehrlich gesagt nicht so. Lieder unserer ersten Aufnahmen waren teilweise gradlinige Rock-Songs. Es ist jedoch auf jeden Fall einer unserer aggressivsten Songs, inbesondere textlich."
"Was der Titel der Platte sagen möchte, ist: Egal was du tust oder erreichen möchtest, ein größerer Mann ist daran bereits gescheitert. Es ist somit ein pessimistischer, dunkler Name eines Album über zerschmetterte Träume und leere Versprechungen", erläutert Alan mit Blick auf die inhaltliche Bedeutung des Albentitels. Ob dies nicht auch eine Erleichterung sein könnte, weil bereits viel größere Leute bereits an der gleichen Aufgabe gescheitert sind und das eigene Unvermögen somit nicht mehr so groß wirkt? "Darüber habe ich bisher gar nicht nachgedacht. Das Album ist da im Gegensatz zu "Redemptions At The Puritan's Hand" nicht so festgelegt und bietet Raum zur Interpretation."
"Das ist eine gute Frage...", denkt Alan laut, als er nach dem größten Mann unserer heutigen Zeit gefragt wird. Eine konkrete Antwort, einen einzelnen Namen bekommen wir auch auf Nachfrage nicht, stattdessen eher eine lose Sammlung von Überlegungen, die einige theoretische Konzeptionen über den Wert der Taten eines Menschen enthalten. Soldaten seien da immer ein passendes Beispiel: "Das kann man auch auf dem Artwork der Platte sehen. Es ist das klassische Mutter-schickt-Sohn-in-den-Krieg-Thema. Auch heute ziehen noch junge Leute für den IS [Islamischer Staat - OP] in den Krieg, in der Hoffnung, dort etwas Großes vollbringen zu können. Aber abseits von Soldaten funktioniert unsere heutige Welt allerdings nicht mehr so, dass man den vermeintlichen Wert von Menschen an heroischen Taten festmachen kann. Vielleicht ist der Typ [Matt Taylor - OP], der letzte Woche diese Sonde auf dem Kometen gelandet hat, so jemand, an den man sich in hundert Jahren noch erinnern wird." Wir sind bereits im Begriff, das Thema zu wechseln, da schiebt Alan noch ein "Auf jeden Fall nicht irgendwelche Politiker, das ist mal klar." hinterher.
Seiner Liebe für William Blake hat Alan in 'The Alchemist's Head', welcher im Übrigen hier und da gen VOIVOD schiele, Ausdruck verliehen und zeigt, während er sein grundlegendes Interesse an Alchemie erläutert, auf ein paar seiner Tattoos. "Es ist diese bizarre Mischung aus Wissenschaft und Glaube, die mich daran fasziniert. Für einen ebenso faszinierenden Charakter halte ich William Blake." Auf die Frage, ob er selbst in diesem Zwiespalt zwischen Wissenschaft und Glaube gefangen sei, gibt es ein klares Nein. "Ich bin ein Mann der Logik. Ich singe über die Leute, die einen Glauben haben und ein Ziel verfolgen, kann das auch nachempfinden, aber so ticke ich selbst nicht." Früher mit Anfang 20 sei er für so etwas, insbesondere durch seine enge Verbindung zum Black Metal, offener gewesen. Es sei nicht auszuschließen, dass sich das irgendwann noch einmal ändere. [An dieser Stelle bringt Alan einen sehr anschaulichen, jedoch schwer zu umschreibenden Indiana-Jones-Vergleich. Kurzversion: Sein Glaube kämpft mit einem Messer, seine Vernunft mit einer Pistole. Bum! Die Logik hat gewonnen. - OP]
Beim nächsten Thema merkt man Alan an, dass es sich um eine wirkliche Herzensangelegenheit handelt. Ob es in der Szene heute wichtiger sei, besonders gut oder einfach einzigartig zu sein, beantwortet er erst einmal relativierend: "Das, was viele für besonders gut halten, ist es für mich vermutlich gar nicht. Ich finde, dass der Mainstream des Heavy Metals, spätestens ab dem Ende der 90er-Jahre, generischer Müll ist, egal ob nun APOCALYPTICA, BULLET FOR MY VALENTINE, WITHIN TEMPTATION oder FIVE FINGER DEATH PUNCH. 1986 waren die größten Bands MAIDEN, PRIEST, SLAYER, MEGADETH, METALLICA und dahinter KREATOR, POSSESSED – ordentliche [engl: "proper" - OP] Gruppen eben. Guck dir die Sachen an, die in den letzten 10 bis 15 Jahren verkauft wurden. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich nun ein verbitterter, alter Mann bin, aber die Kids heutzutage tun mir leid, mit so etwas aufwachsen zu müssen, wo ich beispielsweise "Master Of Puppets" hatte." Um seine These zu untermauern, nennt er TYPE O NEGATIVE, die er als eine dunkle, konfrontative und interessante Band beschreibt, welche heute jedoch keine Chance hätte, derartig groß zu werden.
Alan spannt den Bogen allerdings über die Metal-Szene hinaus und sieht die populäre Kultur einem grundsätzlichen Verfall ausgeliefert, was er unter anderem an der Filmindustrie und der wachsenden Zahl von Cartoons für Erwachsene festmacht. Es fallen Formulierungen wie "dunkles Zeitalter", "kreative Eiszeit" und "die verblödende Pop-Kultur hat gewonnen". Aber zurück zu PRIMORDIAL: "Auch wenn PRIMORDIAL mittlerweile ein Teil des Mainstreams ist, werden wir immer dagegen sein, was dieser repräsentiert. Es ist ein verrottender Kadaver, bei dem alle interessante Musik darunter gemacht wird." Die Leute würden nach verschiedenen Dingen Ausschau halten und die wenigsten suchten nach Dunkelheit, Anstrengung und Schmerz. "Ich will nicht immer der verbitterte, alte Mann sein, aber so sehe ich die Dinge nun einmal." Auch wenn die Thesen allesamt streitbar sind, vertritt Alan stets klare Positionen.
Da PRIMORDIAL für sehr faszinierende, intensive Live-Shows bekannt ist, unterhalten wir uns als letztes über die Bedeutung des Auftretens und das Präsentieren der eigenen Stücke: "Das ist der wahre Heavy-Metal-Test, oder? Du zeigst, aus welchem Holz du geschnitzt bist und versuchst eine Verbindung mit dem Publikum herzustellen. Auch wenn es so simpel klingt, ist genau das eine unglaublich starke Geste." Das Rituelle aus dem Black Metal habe er nie abgelegt, vor allem diese Konzentration von Energie durch zum Beispiel das Färben seines Kopfes, auch wenn nicht das ganze Konzert ein großes Ritual sein müsse. Er sei aber einfach kein "Jeans&T-Shirt-Guy". "Wir sind auch bei Weitem nicht die professionellste Live-Band. Es passieren Fehler und hier und da war ich schon viel zu fertig, ich habe Sachen vergessen... Aber die Leute bemerken bei uns etwas, wir scheinen einen Nerv zu treffen. Es ist etwas Echtes, was Identifikation ermöglicht. Um Mystik oder ähnliches haben wir uns nie geschert."
Review von Stephan Voigtländer
Gruppentherapie zu "Where Greater Men Have Fallen"
- Redakteur:
- Oliver Paßgang