RAGE: Interview mit Peavy Wagner

21.05.2014 | 07:02

Mit "The Soundchaser Archives" hat RAGE ein äußerst üppiges Geschenk anlässlich des 30. Geburtstages im Gepäck. So haben sich neben Demos und bis dato unveröffentlichten Stücken auch viele Überraschungen auf diese Kompilation geschmuggelt. Eine beigefügte DVD veredelt die 30 Stücke, die das Fanherz höher schlagen lassen. Peavy Wagner, Frontmann der deutschen Metal-Institution, steht uns aus diesem Grund Rede und Antwort und hat zudem auch Wichtiges an die Fans zu richten. Aber lest selbst.

Peavy, wie geht es dir denn in Zeiten des Promostresses?

Gut geht’s mir. Der Großteil des Promostresses bleibt dieses Jahr wohl an mir hängen. Aber es geht, das Meiste sind die ganzen Telefoninterviews. Es ist nicht mein Lieblingsjob, aber gehört eben dazu, hehe.

Auch wieder wahr. Zunächst möchte ich euch zum 30. Geburtstag gratulieren. Solch eine Leistung über drei Dekaden hinweg können nur die Wenigsten vorweisen. Darum möchte ich auch gleich zu Beginn mit einer richtigen Mammutfrage starten. Wenn du die letzten drei Dekaden Revue passieren lässt, was sind für dich die schönsten Geschichten aus 30 Jahre RAGE?

Puh, in 30 Jahren ist viel passiert und es ist schwer, diese auf ein paar Momente zu reduzieren. Ich würde jedoch sagen, dass die Sachen, die man vorher noch nie gemacht hat und man dann zum ersten Mal erlebt, erhabene Momente sind. Als wir beispielsweise das erste Mal in Japan waren, herrschte zu dieser Zeit eine richtige Hysterie. Viele kleine Schulmädchen haben damals den German-Metal-Kram gehört und wir wurden dann von den Teenagern derart gefeiert wie heutzutage Justin Bieber, hehe. Das war natürlich Neuland für uns und völlig überwältigend. Wir brauchten nur die Hand heben und die Japaner fingen an zu kreischen. Das war damals zwar neu, aber wenn man etwas schon 30 Mal gemacht hat, gewöhnt man sich schließlich an alles.

Ihr habt bis 2012, also bis "21" sage und schreibe 21 Studioalben, wenn man „10 Years in Rage“ hinzuzählt veröffentlicht…

…Ja, das ist schon ne ganze Menge, haha.

Das stimmt allerdings. War denn diese Fülle an Alben der Hauptgrund, warum ihr zum 30 jährigen Jubiläum mit "The Soundchaser Archives" eine etwas andere Veröffentlichung an den Mann bringt?

Es gab eigentlich keinen triftigen Anlass dafür. Auch die Studioalben passierten einfach und waren in dieser Fülle jedenfalls nicht geplant. Als ich in den 1980ern anfing, war es relativ normal, dass man in jedem Jahr ein reguläres Album herausbrachte. Die meisten Bands haben das damals so gemacht, sind aber nicht am Ball geblieben. Die Intervalle wurden bei Vielen einfach größer. Wir jedenfalls hatten einen Haufen an Ideen, hätten in jedem Jahr auch gut zwei Alben herausbringen können, hehe. Irgendwann haben wir einfach wie in den 80ern weitergemacht, ohne uns großartig Gedanken darüber zu machen und auf einmal zählen wir so furchtbar viele Platten, haha. Wenn ich mir andere Truppen angucke, wie wenig die in dieser Zeit gemacht habe, wundere ich mich schon…

Es gibt jedenfalls nicht viele Bands, die auf derart viele Alben zurückblicken können…

Weißt du, ich bin in den 60ern und 70ern groß geworden, in einer Zeit, in der es üblicher war, mehr zu machen. Ich denke da an FRANK ZAPPA, der ja teilweise fünf Alben in einem Jahr veröffentlicht hat. Unter diesem Gesichtspunkt war es für mich nie komisch, dass wir so viel gemacht haben. Im Nachhinein hoffe ich natürlich, dass das gut war, was jedoch gerade für die jungen Leute, die neueren Fans, total unübersichtlich ist. Da das CD-Geschäft auch am Boden liegt, werden natürlich die alten Sachen auch nicht mehr veröffentlicht. Von daher kann man sich die nur noch runterladen oder bei Spotify anhören.

Aber das ist ja auch nicht mehr das Wahre…

Nein, ich bin auch sehr unglücklich über die Entwicklung der Musikindustrie, in der im Internet Songs oder ganze Alben einfach verschenkt werden. Das ist entwürdigend für die Musik und entwertet sie. Dabei spielt es keine Rolle mehr, ob du dir wirklich Mühe gibst, oder das nur noch Reisbretter, 0815-Stangenware ist. So etwas kommt bei den Kiddies sogar noch besser an. Je „reisbrettmäßiger“ und stumpfer etwas ist, desto besser funktioniert es, den Eindruck habe ich zumindest. Ich weiß wirklich nicht, woran es liegt. Ich bin jenen Bands, die sich noch richtig bemühen, innovative und eigenständige Musik zu machen, richtig dankbar.

Kannst du denn von der Musik immer noch leben?

Ich konnte schon immer von der Musik leben. Wir sind ja zum einen in der Position, dass wir nur drei Musiker haben, die davon leben müssen, und nicht fünf oder noch mehr, wenn ich da an SUBWAY TO SALLY denke, haha. Zum anderen sind wir eine etablierte Band, die schon so lange dabei ist und einen großen, weltweiten Stamm an Fans hat. Da möchte ich mich auch im Rahmen des Interviews bei den Fans ausgiebig bedanken. Diese Leute haben es mir und meinen Mitstreitern erst ermöglicht, dass wir solch ein Leben führen können. Wenn du heute als junge Band versuchst, eine Karriere zu starten, ist das fast nicht mehr möglich. Und Eigenkapitel, was man eventuell reinstecken könnte, hat man als junger Musiker in den seltensten Fällen. Von daher kann man das heutzutage meistens nur als Hobby betreiben.

Wohl wahr. Kommen wir einmal zur anstehenden Veröffentlichung "The Soundchaser Archives". Auf diesen zwei CDs haben sich etliche Demoversionen, unveröffentlichtes Material und Ideenfragmente versammelt. Brannte es dir denn bereits in den letzten Jahren in den Fingern, diese 30 Stücke an den Mann zu bringen, oder war das mehr eine „Warum eigentlich nicht“-Entscheidung?

Ich kann das jetzt nur für mich sagen, aber ich habe eigentlich immer versucht, an unveröffentlichtes Material, an Bootlegs und Raritäten meiner Lieblingsbands zu kommen. Beispielsweise habe ich als kleiner Junge immer gern THE BEATLES gehört. Jetzt werden zwar viele Metal-Fans die Nase rümpfen, aber meiner Meinung nach, ist dies die Mutter aller Rockbands und hat auch für die Heavy-Szene lange Jahre vorher einen Grundstein gelegt, hehe. Aber das könnte man jetzt auch von THE WHO, RUSH, LED ZEPPELIN oder DEEP PURPLE sagen.

Und von denen gibt es ja auch allerlei an Raritäten und Studio-Outtakes, was ich damals schon total gerne gehört habe. Diese Dinge sagen viel über die Entstehung und Arbeitsweise derer Musik aus und zeigen auch, welche Veränderungen die Songs durchgemacht haben. Und von uns gab es auch immer solche Aufnahmen, ich hab ja schon damals alles aufgehoben. Erst kam Nuclear Blast mit der Idee einer Best-Of an, aber das fanden wir doof. Als dann die Aufgabenstellung kam, irgendetwas Besonderes zum Jubiläum zu machen, kamen wir eben da drauf, diese bisher unveröffentlichte Songs zu nehmen, was wir bis dato ja auch noch nicht gemacht haben. Und gerade für die Fans, die schon länger dabei sind, ist das sicherlich ziemlich interessant, ebenso wie es für mich interessant wäre, wenn noch einmal unveröffentlichtes Material von THE BEATLES an die Öffentlichkeit kommt. Wir haben bis auf die vier Japan-Versionen, die bislang vergriffen sind, nichts auf "The Soundchaser Archives" gepackt, was bisher in irgendeiner Art und Weise veröffentlicht wurde. Einige Demo-Versionen stammen teilweise noch von irgendwelchen Audio-Kassetten, die nachträglich digitalisiert worden sind. Ich hab dann einige Songs noch einmal überarbeitet und neu gemastert, damit es klangtechnisch dem heutigen Standard entspricht. Einige Demos waren auch unvollständig. Wir haben vor einigen Jahren Nuclear Blast zum Jubiläum einen Sampler gestrickt und auf den entstandenen Demos habe ich noch gesungen, auf der regulären CD haben dann andere namhafte Sänger den Gesangspart übernommen. Und diese Demos kennt eben noch keiner und wurden auch vervollständigt. Ein paar Sachen haben wir auch komplett neu eingespielt, weil es davon keine Demo-Versionen mehr gab.

Ihr habt auch mit 'Down To The Bone' ein recht altes Juwel aus der AVENGER-Phase ausgegraben.

Genau, das ist ja auch vollkommen vergriffen. Einmal wurden sie, glaube ich, als Bonus-CD zu der "Black In Mind" veröffentlicht, war aber auch relativ rar. Von daher war es schon sinnvoll, den Song auf die CDs zu packen.

Gab es denn auch weitere Stücke, bei denen es dir wichtig war, dass diese den Weg an die Öffentlichkeit finden?

Hehe, wir hätten auch 60 Songs veröffentlichen können, es gibt weitaus mehr Material, als es die beiden CDs hergeben…

Dann vielleicht zum 60. RAGE-Jubiläum…

Haha, ja genau, dann können wir das vielleicht machen. Wahrscheinlich sammelt sich bis dahin genauso viel an. Natürlich kann das nur eine subjektive Auswahl sein. Man musste natürlich auch schauen, wie gut man die Sachen soundtechnisch noch verwerten konnte. Es gab auch viele interessante Sachen, deren Aufnahmen jedoch schon kaputt waren, weil sie auch noch von Audiokassetten stammten. Man kann sich ja vorstellen, wie eine 25- oder 30-jährige Kassette heutzutage klingt. Mit dem ganzen Rauschen kannst du das natürlich so nicht mehr veröffentlichen. Da konnte auch unser Soundingenieur mit all seinen Maschinen nicht mehr viel herausholen, damit es einigermaßen annehmbar klingt. Leider gab es außer diesen Kassetten auch sonst keine Aufzeichnungen mehr, schon vor Jahren hätte ich das alles einmal digitalisieren sollen, was ich natürlich bei einigen Sachen verpasst habe. Insofern wurde auch vieles nicht berücksichtigt, was eventuell heutzutage noch recht interessant gewesen wäre.

Aber du bist soweit rundum zufrieden über eure Zusammenstellung?

Ja, ich bin ziemlich glücklich damit. Ich höre sie mir selbst auch ganz gern mit einem leicht nostalgischen Ohr an, hehe. Es hat mir auch sehr viel Spaß gemacht, die alten Sachen herauszukramen und noch einmal zu hören. Ich hoffe auch, dass die Fans, die in der Musik der Band schon seit Jahren drin sind, genauso viel Spaß daran haben werden.

Das denke ich doch. Zu diesen zwei CDs gesellt sich auch noch eine DVD vom letztjährigen "Monsters Of Rock"-Auftritt aus Tschechien. Wolltet ihr damit eurer Tradition folgen, zu den limitierten Editionen auch eine schmucke DVD beizulegen?

Natürlich war dieser Auftritt zum einen auch etwas Besonderes für uns, da es mit LINGUA MORTIS quasi ein Live-Debüt war. Es war auch ein sehr toller Auftritt und die Aufnahmen waren so gut, dass es sich einfach angeboten hat, jene für eine DVD zu verwenden. Es hätte auch keinen Sinn mehr gehabt, dass zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu benutzen. Zum anderen stand eben die Idee im Raum, ob man nicht einen Bonus dazupacken könnte, damit das Ganze ein noch interessanteres Package ist.

Du hast gerade LINGUA MORTIS in den Raum geschmissen. War "LMO" vom vergangenen Jahr ein einmaliges Erlebnis oder darf man zukünftig mehr erwarten?

Ja, wir wollen das schon als Nebenprojekt weiterführen. Wir werden das aber relativ locker angehen, da ist jetzt keine Fortsetzung bereits im nächsten Jahr geplant, hehe. Wenn wir also wieder Lust darauf und ein paar Ideen haben, dann werden wir das mit Sicherheit noch einmal machen. Wir hatten da auch großen Spaß daran, an die Arbeiten etwas anders heranzugehen als bei RAGE.

Auf jeden Fall ein Highlight in eurer 30 jährigen Geschichte. Doch in 30 Jahren bleiben auch gewisse esatzungswechsel nicht aus. Hast du zu ehemaligen Weggefährten wie Manni (Schmidt – MR) oder Jörg (Michael – MR) noch Kontakt?

Ja, also mit Manni hab ich sehr guten Kontakt und mit Efthi (Christos Efthimiadis, Schlagzeuger 1987 – 1999 – MR) klappt es auch wieder richtig gut. Das ist ja auch ein alter Kumpel aus der Grundschulzeit gewesen. Mit dem anderen, seinem Bruder Spiros, möchte ich nicht mehr viel zu tun haben. Das war nach wie vor einer der größten Fehler, ihn damals in die Band geholt zu haben. Aber Christos und ich sehen uns hin und wieder noch einmal. Manni und ich hätten sogar wieder Lust, musikalisch etwas zusammen zu machen wie beispielsweise eine Jam-Session oder ähnliches, also nur Loses, nichts Offizielles. Es hat ja auch Spaß gemacht, damals gemeinsam Musik zu machen. Die anderen beiden sehen das genauso, einfach noch einmal ein paar alte Nummern zu spielen. Jörg sehe ich dagegen nur wenige Male im Jahr, meistens auf dem Wacken Open Air. Aber auch wir haben ein recht entspanntes Verhältnis.

Also gibt es kein böses Blut mehr zwischen dir und den ehemaligen RAGE-Musikern?

Nein, zumindest nicht von meiner Seite aus. Ja gut, Mike Terrana ist wahrscheinlich immer noch beleidigt, dass wir ihn damals aus der Band geschmissen haben. Ich persönlich habe kein Problem mit ihm, aber er wollte nicht auf der jetzigen Platte vertreten sein. Da es aber einige schöne Songs aus dieser Ära gab, haben wir einige Mehrspurbänder genommen und Andrè hat die Drums zu den alten Demos neu eingespielt.

Wer nicht will, der hat schon. Ihr werdet in diesem Jahr auch noch auf ausgiebige Europa-Tournee gehen…

Ja, das wird sogar eine richtige Welt-Tournee. Wir sind gerade noch in den finalen Zügen des Buchens. Im August geht es wahrscheinlich nach Südamerika, im Anschluss daran ist dann Europa dran und Mitte Oktober geht es auch einmal mehr nach Japan. Dort spielen wir auch auf einem ziemlich großen Festival und im November steht dann Russland auf dem Programm. Wir werden also den kompletten Herbst über schwer beschäftigt sein. Die Daten müssten auch in den kommenden Tagen veröffentlicht werden.

Kannst du denn schon etwas aus dem Nähkästchen plaudern, auf was sich der Zuschauer freuen darf und in wie fern "The Soundchaser Archives" berücksichtigt wird?

Also das genaue Programm haben wir uns noch nicht ausgedacht. Wir werden natürlich eine Art Best-Of-Programm aus den 30 Jahren machen. Sicherlich werden wir auch viele Stücke spielen, auf die wir mal wieder richtig Bock haben. Wir haben das in der Vergangenheit so gemacht, dass wir auch die Fans gefragt haben, aber da kam selten etwas bei rum, da der eine Fan auch andere Lieblingsstücke hat als die Restlichen. Und bzgl. des Jubiläumsalbums kann ich mir auch gut vorstellen, dass wir den einen oder anderen Song berücksichtigen werden.

Man darf sich also auf die Shows freuen. Du, Peavy, ich wäre mit meinen Fragen soweit auch durch, möchte mich auch hier noch einmal für deine Zeit bedanken und wünsche dir und deinen Mitstreitern in den kommenden Wochen und Monaten alles, alles Gute. Hast du noch etwas an unsere Leser und den treuen RAGE-Fans da draussen zu richten?

Gern geschehen. Ja, ich möchte mich auch noch mal bei den langjährigen Fans bedanken, die uns diese schöne, 30 jährige Karriere ermöglicht haben, hehe.

Redakteur:
Marcel Rapp

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