RUNNING WILD: Wiederbelebung der Noise-Ära Teil II
25.08.2017 | 07:57"Blazon Stone", "Pile Of Skulls", "Black Hand Inn" und "Masquerade". Diese vier Heavy-Metal-Schwergewichte erwarten uns, wenn die Noise-Records-Ära RUNNING WILDs abermals beleuchtet wird.
Diesen Freitag werden die Noise-Records-Archive zum zweiten Mal geöffnet, um einen weiteren Schwung Klassiker des deutschen Heavy-Metal-Schlachtschiffes RUNNING WILD wieder verfügbar zu machen. Durch die wechselhafte Qualität späterer Alben und so manch hitzige Diskussion um Angelo Sasso in Presse und Fankreisen gerät es leider oft in Vergessenheit, welchen Stellenwert RUNNING WILD mal hatte. Hin und wieder zeugen große Headliner-Slots auf dem Wacken Open Air und zahlreiche Patches auf verwaschenen Kutten von der wahren Bedeutung der Hamburger Truppe. Wir nehmen euch jetzt ein zweites Mal mit auf die Reise, die vier absolute Hochkaräter der 90er bereithält.
1991 - "Blazon Stone"
1991 machte RUNNING WILD mal Pause von der Piraterie, und "Blazon Stone" mit Texten über verschiedene andere Themen wurde eines ihrer erfolgreichsten Alben. Die Single 'Little Big Horn' erreichte sogar die Top 40! Die ganz frühen 90er waren dem Zeitgeist entsprechend verlängerte 80er, und so präsentierten sich Rock'n'Rolf und Bassist Jens Becker mit den damaligen Neumitgliedern Axel Kohlmorgen und Rüdiger "Mr AC" Dreffein in accessoirereichen Lederjöppchen und Big Hair.
Musikalisch blieb man aber beim unverfälschten Metal. Nach einem getragenen Intro donnert das Titelstück mit mächtigen Riffs und einer beachtlichen Schlagzeugarbeit los. Diese für RUNNING WILD typische Kombination aus schneller Rhythmusgitarre und unwiderstehlichem Mitsingchorus zeichnet auch 'Lonewolf', 'Little Big Horn' oder 'Straight To Hell' aus. Dagegen ist 'Slavery' ist ein etwas langsamerer, wuchtiger Stampfer, während 'Rolling Wheels' als mächtiger Kracher eröffnet, dann aber das Tempo interessant variiert. Die erwähnte Single 'Little Big Horn' beruht auf einem Lick, das für THIN LIZZY typisch war. Das Gleiche gilt für 'Billy The Kid', und 'Genocide' ist sogar ein LIZZY-Cover, nebenbei eines der wenigen wirklich gelungenen Cover, weil die Interpretation von RUNNING WILD es schafft, Melodie und Struktur des Originals mit einer sehr eigenständigen, schnellen, metallischen Gitarrenarbeit zu verbinden und so beide Bands gut hörbar zu halten. Die zwei letztgenannten Stücke waren übrigens die originalen B-Seiten der Single und nicht auf allen Auflagen des Albums vertreten. Bonus-Tracks sind zwei Neueinspielungen von regulären Albumstücken.
"Blazon Stone" ist eine nicht makellose, aber fantastische Scheibe mit recht gutem bis hervorragendem Material, die einem gerade in der heutigen Zeit, in der so manche neuere Band seelenlose Sounds aufmotzt, wieder klar macht, warum man Metal liebt.
1992 - "Pile Of Skulls"
"Die 90er haben den Metal getötet!" Wer kennt diese viel zu oft gedroschene Phrase nicht? Ein Blick in den Rückspiegel der Musikgeschichte offenbart so viele Klassiker, dass man sich schon fragen muss, wieso so viele Journalisten und Fans damals falsch abgebogen sind. Manchmal hilft es, sich an den großen Straßenschildern zu orientieren und RUNNING WILD war so eines. Nach dem gleichermaßen ambitionierten sowie erfolgreichen "Blazon Stone" erschien nur eineinhalb Jahre später "Pile Of Skulls", das zu den anachronistischen Stopschildern der 90er gehört und auch heute nichts von seiner Signalwirkung verloren hat.
Das mag zum Großteil daran liegen, dass Rock'n'Rolf es hier zum wiederholten Mal geschafft hat, trotz erneuter Besetzungswechsel ein sowohl in sich als auch im Bandkontext absolut stimmiges Album aufzunehmen. Im direkten Vergleich zum Vorgänger mutet die Produktion etwas roher an, wobei daran auch das 2017er Remastering nicht ganz unschuldig ist. Die Songs sind aber über die volle Spieldauer volle RUNNING WILD-Vollbedienung. Ein so konstant hohes Niveau beim Wildern denselben Gefilden bringt nicht jede Band, machen wir uns nichts vor. Vom schnellen Teutonen-Brecher 'Whirlwind' über das hymnische 'Black Wings Of Death' bis zum ewigen Ohrwurm 'Treasure Island' besteht "Pile Of Skulls" aus schlicht weg fantastischen Songs.
Die Wiederveröffentlichung des siebten RUNNING WILD-Albums beschert dem geneigten Fan den gleichen Mehrwert wie die Veröffentlichungen der ersten Rutsche. Ein etwas aufpolierter Sound, der glücklicherweise nicht alle Ecken und Kanten abgeschliffen, sondern sie eher verstärkt hat, sorgt für angenehmen Hörspaß. Das gilt neben dem regulären Album erneut für das Bonusmaterial, das im Fall von "Pile Of Skulls" aus den B-Seiten der Singles besteht. 'Win Or Be Drowned' oder 'Hanged, Drawn And Quartered' mögen nicht so zwingend erscheinen, im Nachgang des Albums machen sie aber trotzdem eine gute Figur im CD-Player. Natürlich hat Malcolm Dome auch für diese Scheibe Liner-Notes verfasst, die einen guten Überblick über die Entstehungsgeschichte und Rezeption der Platte geben. Und natürlich vermisse ich auch hier die Lyrics, die wie bei RUNNING WILD immer sehr lesenswert sind.
1994 - "Black Hand Inn"
Güteklasse Aaarrrrr! Meine erste Begegnung mit "Black Hand Inn" war verhältnismäßig spät. Von allen Alben der Noise-Wiederveröffentlichungen kam das 1994er Bollwerk sogar als letztes in mein damaliges Abspielgerät. Was habe ich mich doch geärgert, dass ich Songs wie 'The Privateer', 'Soulless' oder 'Mr. Deadhead' nicht schon viel früher gehört habe. Natürlich gibt es auch heute noch RUNNING WILD-Alben dieser Phase, die ich präferiere, und trotzdem ist "Black Hand Inn" ein bockstarkes Album aus der Feder Rock'n'Rolfs. Schauen wir uns einmal die nackten Fakten an: Jörg Michael gibt "Black Hand Inn" an den Drums den nötigen Punch, Charlie Bauerfeind einen kraftvollen Sound und Kasparek selbst den nötigen Tiefgang. Und trotzdem ist "Black Hand Inn" kein 0815-RUNNING WILD-Album. Mit den bereits erwähnten Songs hat Rolf unnachahmliche Klassiker geschrieben und dank des Rausschmeißers 'Genesis (The Making And The Fall Of Man)' ein sträflich unterbewertetes Epos, das man nicht besser hätte in Szene setzen können.
Und dank der üppigen Wiederveröffentlichung gelangt "Black Hand Inn" endlich wieder in meine Gehörgänge und löst dabei exakt dasselbe Gefühl aus, das es damals in mir entfachte: Leidenschaft! Zwar gibt es mit 'Dancing On A Minefield' und 'Poisoned Blood' ganz nettes Bonusmaterial, das auch schon auf der 'The Privateer'-Singleauskopplung zu ergattern war. Doch zum einen haben die anderen Re-Releases dahin gehend etwas mehr zu präsentieren, zum anderen kommen die beiden (trotzdem-)Leckerlis nur bedingt an das eigentliche Material an. Denn das strotzt vor Facettenreichtum, Kraft, Mehrwert und eben Leidenschaft. "Black Hand Inn" braucht seine Zeit, um zu zünden, doch dann entfacht das achte RUNNING WILD-Album ein Feuerwerk, das nicht zu löschen ist. Das schaffte es (wohl) bereits 1994 als auch bei meinem erstmaligen Kontakt vor knapp zehn Jahren als auch anno 2017 – im Jahr der RUNNING WILD-Re-Releases.
1995 - "Masquerade"
"Masquerade" gehört fraglos schon in die Epoche der RUNNING WILD-Geschichte, die als Rolfs Soloband gesehen werden muss. Die Musiker sind so austauschbar geworden wie die Begleittruppe von Jon Schaffer.
Anders als die meisten RUNNING WILD-Scheiben der achtziger Jahre war "Masquerade" zumindest Second Hand noch gut erhältlich gewesen in letzter Zeit. Der Sound ist auf diesem Album noch deutlich besser als auf den nachfolgenden Alben; die Hitdichte ist aus meiner Sicht allerdings nicht ganz so hoch wie auf dem starken Nachfolger "The Rivalry", und mit den direkten Vorgängern (vor allem "Black Hand Inn" und "Pile Of Skulls" - die besten deutschen Metal-Alben der Neunziger, die nicht von BLIND GUARDIAN stammen) kann die Scheibe sowieso nicht mithalten. Von den wiederveröffentlichten Alben ist "Masquerade" aus meiner Sicht also wohl leicht die schwächste, abgesehen vielleicht von den ganz frühen Alben, die zwar kultig, aber bei weitem nicht so ausgereift sind wie das Material ab 1988. Natürlich gibt es trotzdem einige Hits, die jeder kennen sollte - den Titelsong, 'Demonized', 'Lions Of The Sea' oder 'Rebel At Heart' zum Beispiel.
Unnötig sind wie leider schon öfter die Neuaufnahmen, daher frage ich mich, wer bei der guten Verfügbarkeit hier noch mal zuschlagen soll. Immerhin: Das Digi ist sehr schön aufgemacht und lohnt sich sicher für die Leute, die das Album noch gar nicht kennen.
- Redakteur:
- Nils Macher