SABBAT: Wir blicken auf "Mad Gods And Englishmen"

30.05.2023 | 15:32

In den 1980er Jahren war die Insel fest in der Hand der NWoBHM. Bands wie IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST und SAXON erlebten ihre Höhepunkte und griffen nach den Sternen. Doch zwei Bands gab es, die aus dieser schwermetallischen Riege ausbrechen wollten. Die eine war VENOM und befand sich doch schon seit Jahren in einer Liga mit Satan. Die andere wurde mit 1985 verhältnismäßig spät gegründet, kam aus Nottingham, hat sich eher den wütenderen Tönen des Thrash Metals gewidmet und hieß SABBAT.

Knapp 40 Jahre später erscheint mit "Mad Gods And Englishmen" eine mehr als üppige Rückschau, die zumindest den Großteil der SABBAT-Diskografie berücksichtigt und mir den Anlass gibt, einmal näher auf die Historie dieser durchaus bedeutenden Band zu blicken. Bevor ich euch diese näherbringe, sei euch der Inhalt dieser sehr edel aussehenden Hardcover-Box beschrieben. Denn neben dem Debüt "History Of A Time To Come" von 1988 und dem 1990er Nachfolger "Dreamweaver" hält "Mad Gods And Englishmen" auch eine Aufnahme einer Session in der Friday Rock Show von BBC Radio 1 parat, mit der bei SABBAT damals quasi alles anfing. Zu guter Letzt kredenzen uns die Herrschaften den historischen Auftritt beim Thrashing East Live-Konzert in Ost-Berlin von 1990, den es auf einem Extra-Rundling in dieser illustren Box auch als DVD zu bestaunen gibt. Abgerundet wird diese mit einem doppelseitigen, farbigen Poster und einem Buch, das alle eloquenten Songtexte von Martin Walkyier, Sänger und Texter von SABBAT, enthält.

Und dies ist eine perfekte Überleitung zu der Frage, wer überhaupt hinter SABBAT steckt und weshalb diese Box so besonders ist. Sänger Martin Walkyier und Bassist Frazer Craske hatten Mitte der 1980er Jahre eine Band namens HYDRA, als der gerade einmal 15 Jahre alte Andy Sneap, heute seines Zeichens Musikproduzent, Toningenieur und Gitarrist bei JUDAS PRIEST, bei ihr als zweiter Gitarrist anheuerte. Als deren erster Gitarrist zwei Wochen später die Band verließ und Simon Negus als Schlagzeuger dazustieß, nannte sich die Band in SABBAT um.

In neuer Formation übte das Quartett fleißig, veröffentlichte bis 1987 drei lukrative Demos, ergatterte eine Doppelseite im berühmten Kerrang!-Magazin und landete letztendlich bei Noise Records. Das deutsche Label war schon vom "Fragments Of A Faith Forgotten"-Demo sichtlich angetan, bat allerdings um mehr Material. Das bekam es über Umwege, denn parallel landete das Demo auch bei Tommy Vance von der BBC Radio 1's Friday Rock Show, der von SABBATs Demo ähnlich beeindruckt war und den Jungs eine Aufnahmesession für seine Radioshow anbot. In den Londoner Maida Vale Studios der BBC nahm SABBAT am 06. Februar 1987 'A Cautionary Tale', 'For Those Who Died' und 'The 13th Disciple', das auf "History Of A Time To Come" unter dem Titel 'Horned Is The Hunter' zu finden ist, für die Rock Show auf, die letztendlich drei Wochen später ausgestrahlt wurde und schon früh den rohen, aber kraftvollen Thrash Metal der Band zum Vorschein brachte. Genau dieser Rundling ist mit einem sehr nostalgischen Bandfoto im Klappcover in der vorliegenden Box zu finden. Eine Veröffentlichung von hoher historischer Bedeutung also. Jene Kopie der BBC-Session war für Noise Records das letzte Puzzleteilchen, diese begnadete Band unter die Fittiche zu nehmen und sie im September 1987 ins Horus Sound Studio in Hannover zu schicken, damit sie dort ihre erste LP aufnehmen konnte.

Im Schoße von Noise Records machte sich SABBAT nun an die Arbeit zum Debütalbum "History Of A Time To Come", das am 15. Januar 1988 veröffentlicht wurde. Allein das Artwork von John Blanche spricht Bände und steht für ein bärenstarkes, in sich stimmiges und herausragendes Songwriting, für das Martin Walkyier verantwortlich war: Er war als Texter nicht nur für die konzeptionelle Richtlinie SABBATs – eine, die sich eher in englischer Folklore wohlfühlte – zuständig, sondern lullte mit seinem charakteristischen, etwas verrückten und hundsgemeinen Gesang die Massen ein. Zusammen mit Sneaps unübertrefflichem Gitarrenspiel, seiner filigranen, aber explosiven Art, bei dem der Gehörnte selbst zur Luftgitarre gegriffen hätte, stellten beide Musiker die Weichen für eine einzigartige Band und ein Alleinstellungsmerkmal in der Szene.

Natürlich ließ sich SABBAT vom blutrünstigen und hungrigen Thrash Metal der Staaten beeinflussen, garnierte die eigene Variante allerdings mit einem starken NWoBHM-Vibe und dem okkulten Image von MERCYFUL FATE, hatte also etwas Diabolisches, Dunkles an sich, das viele Thrash-Metal-Fans gleichermaßen faszinierte. Während in Übersee, aber auch in Deutschland also eher die Simplizität im Vordergrund stand, war der SABBAT-Thrash schon gehobener, verspielter, daher auch so unberechenbar und sogar aus heutiger Sicht noch bahnbrechend. Schon das bereits bekannte, straighte und herrlich giftige 'A Cautionary Tale' erzählt die Geschichts Fausts, der mit Mephistopheles einen Pakt eingeht, der es ihm ermöglicht, die Kräfte des Teufels gebrauchen zu können, diesen Preis aber mit seiner Seele bezahlen muss, die ihn auf ewig verdammt. Und so besonders klingt der Song auch, zeigt er doch das gehobene Zusammenspiel zwischen Musik und Konzeption. Walkyier behandelt auch Themen wie die Hexenverbrennung im Mittelalter ('For Those Who Died'), den letzten Kampf zwischen Himmel und Hölle auf der Bibel basierend ('Hosanna In Excelsis'), die okkulten Einflüsse des deutschen Nationalsozialismus ('Behind The Crooked Cross') oder auch die Desillusionierung der Evangelisation und ihr Streben nach materiellem Gewinn in einem sehr zynischen Unterton ('The Church Bizarre'). Dazu kommt neben dieser positiv schauderhaften Aura auch Sneaps unnachahmliches Gitarrenspiel – mal pfeilschnell, mal gewaltig, mal brachial, mal verspielt. Allein das phänomenale Instrumentalstück 'A Dead Man's Robe' darf noch heute als Paradestück des Thrash Metals zur Schau gestellt werden. So ist "History Of A Time To Come" nicht nur ein musikalisch gehaltvolles, vielseitiges und bitterböses Thrash-Monument, sondern vor allem aus lyrischer Sicht ein so hochfaszinierendes, besonderes Musikalbum geworden, das mich auch heute noch die komplette dreiviertelstündige Spielzeit über in den Bann zieht.

Nach der Veröffentlichung dieses Paradestücks in Sachen progressivem Thrash Metal und einer Split-Veröffentlichung mit VENDETTA einige Monate später, wollte Noise Records Walkyier und Sneap wieder im Studio sehen, sodass es sich SABBAT von Januar bis März 1989 in den Berliner Sky Trak Studios bequem machte, um mit "Dreamweaver" Album Nummer zwei nachzulegen. Unter dem Untertitel "Reflections Of Our Yesterdays" erblickte das Album am 15. Mai 1989 das finstere Licht der Welt und sollte einmal mehr Walkyiers brillante Künste als Texter in den Vordergrund stellen. Das Konzept basiert auf "The Way Of Wyrd: Tales Of An Anglo-Saxon Sorcerer" des britischen Psychologen Brian Bates von 1983 und ist stellvertretend für Martins tief verwurzelte Überzeugung in der angelsächsischen Spiritualität, dem Heidentum und dem Wyrdismus und spannt musikalisch den Bogen zu noch progressiverem Thrash Metal, ausladenden Stellen und komplexeren Arrangements.

Einmal mehr drücken sich Martin und Andy also die künstlerische Klinke in die Hand, pushen sich gegenseitig ans Limit, um "History Of A Time To Come" einen kongenialen Nachfolger zu kredenzen. Hierfür wurde der ehemalige HOLOSADE-Gitarrist Simon Jones mit ins Boot geholt, um Andy entsprechend unterstützen und dem "Dreamweaver"-Album noch mehr Volumen geben zu können. Ein überragendes Artwork, das anspruchsvolle Konzept des Heidentums, Musik, die von der ersten bis zur letzten Sekunde den Thrash Metal in das oberste Regal drückt, sowie eine Mannschaft, die sich erneut eine dreiviertel Stunde lang in einen absoluten Rausch spielt. Denn neben Walkyier, Sneap und Jones holen auch Craske und Negus einmal mehr das Optimum aus sich heraus, sodass das Zweitwerk wohl noch größer, zielstrebiger und opulenter ausfiel, erzählt es im Groben die Geschichte eines jungen christlichen Missionars, der durch England reist und dabei auf die heidnischen Menschen und Geister trifft, die ihre Welt teilen. So gehört "Dreamweaver" wohl zu den rundesten, stimmigsten Alben des Thrash Metals, das durch die Progressivität wie schon zuvor ein gewisses Alleinstellungsmerkmal innehatte. Und musikalisch? Da verzückte das Prägnante des 'The Clerical Conspiracy'-Openers, die Härte des folgenden 'Do Dark Hoses Dream Of Nightmares?', ehe das achtminütige 'The Best Of Enemies'-Mammut den wohl großartigsten SABBAT-Song jemals darstellt. Großes Kino und für Thrash-Feinschmecker das Gelbe vom Ei. Weiter im heidnisch gefärbten Text geht es mit dem düsteren, packenden 'How Have The Mighty Fallen', aber auch mit etwas simpler gestrickten Momenten wie in 'Wildfire' weiter, bis letztendlich das kurze, wunderbare 'Happy Never After'-Outro die "Dreamweaver"-Lichter ausknipste. Das Album stockt mir noch immer den Atem und dient als Süchtigmacher vor dem Herrn.

Wer weiß, wie sich die Band weiterentwickelt hätte und wo sie heute stehen würde, wenn die berühmten Spannungen im Inneren nicht für die ersten Risse gesorgt hätten. Während Sneap aus kompositorischer Sicht höher und weiter gehen wollte, anfing, elfminütige Epen zu kredenzen und dies nur Fragezeichen bei Walkyier auslöste, wollte dieser letztendlich auch dem folkloristischen Instrumentalgut etwas mehr Aufmerksamkeit schenken. Und neben diesen Meinungsverschiedenheiten seitens der Protagonisten sorgte auch der Zwist mit Noise Records sowie dem Management für Ärger bei der Band, die trotz guter Verkaufszahlen kaum etwas vom Geld sah und auf staatliche Stütze angewiesen war.

1989 war SABBAT mit den Genre-Kollegen von XENTRIX im UK unterwegs, als Simon Jones als erster diese geniale, aber kriselnde Band verließ und letztendlich für die weiteren Aktivitäten durch Neil Watson ersetzt wurde. Gemeinsam brachte es SABBAT in dieser Konstellation noch auf das Live-Video "The End Of The Beginning", das in der Werner-Seelenbinder-Halle in Ost-Berlin am 4. März 1990 aufgenommen wurde und der vorliegenden "Mad Gods And Englishmen" sowohl als Audioversion als auch als DVD beiliegt. Danach – wir sind also im Jahre 1990 – verließ Martin Walkyier die Band, gründete SKYCLAD, während Sneap und Negus SABBAT neu erstellten und mit Sänger Richie Desmond das Album "Mourning Has Broken" veröffentlichten. Doch SABBAT ist ohne Sneap genauso unvorstellbar wie eben ohne Walkyier, sodass das Album bei Kritikern und Fans gleichermaßen floppte. "History Of A Time To Come" und "Dreamweaver" sind und bleiben eben das Nonplusultra.

Bevor ich den Artikel beende, lasst mich euch noch "The End Of The Beginning" ans Herz legen, die DVD, die einen schweißtreibenden, fulminanten und auf mich sehr eindrucksvollen Gig im damaligen Ost-Berlin zeigt, bei dem SABBAT aus den Vollen schöpfte, sich noch einmal in bemerkenswerter Form zeigte und überhaupt nichts anbrennen ließ. Kein Anspieltipp wurde vergessen, Bild und Ton sind in guter Qualität und so sind sowohl die DVD- als auch die reine Audioversion dieses Auftritts ein sehr gelungener Schlussakt nicht nur eines Boxsets, sondern auch einer Band, die es in dieser Form wohl kein zweites Mal gegeben hat und geben wird. Dafür sind die angesprochenen Meilensteine zu groß, die Band als solche zu bedeutend, die einzelnen Musiker zu genial und die Zusammenarbeit derer zu perfekt. Ich hoffe, euch SABBAT samt Historie und die "Mad Gods And Englishmen"-Box etwas nähergebracht zu haben und bedanke mich für eure Aufmerksamkeit. "There is no way to fight a foe - who strikes from the inside - and once within we can begin to - smite this pagan pride. We shall take their graven images - and grind them in the dirt - for that men can live in paradise - must be the Devils work."

Redakteur:
Marcel Rapp

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