SAVIOUR MACHINE - Interview mit Sänger Eric Clayton, Teil 1
01.11.2025 | 11:52An einem schönen sonnigen Sonntagnachmittag im August bin ich mit Eric Clayton in seinem Zuhause zum Interview verabredet. Sehr lange ist es ruhig gewesen um die US-amerikanische Symphonic/Gothic Metal/Rock-Kombo SAVIOUR MACHINE. Ist das Kapitel beendet? Kommt da in Zukunft vielleicht doch noch etwas auf uns zu? Und was hat es mit der zehnteiligen Dokumentarfilmreihe "CHRISTIANS + LUNATICS - die Geschichte von Saviour Machine" genau auf sich, an der Eric und sein Bruder Jeff seit geraumer Zeit fieberhaft arbeiten? Den Termin für das Interview hatte mein guter Freund Marco von LIFE ARTIST vermittelt, der mit Eric bereits seit einigen Jahren gut befreundet ist und diesem u.a. bereits bei dem Vertrieb seines letzten Solo-Albums "A Thousand Scars" unter die Arme gegriffen hatte. So ganz hundertprozentig schien die Kommunikation im Vorfeld allerdings dann doch nicht geklappt zu haben, denn als wir vor Erics Haustür stehen und Marco telefonisch einmal durchklingelt, ist der Sangesbarde zunächst ein bisschen perplex, ging er doch lediglich von einem umfassenderen Telefon-Termin mit Marco aus und hatte den Termin für das Interview im Kopf für ein paar Wochen später abgespeichert. Wenn zwei vergeistigte Künstler es mit schnöder Organisation zu tun kriegen, nimmt das bekanntlich nie ein gutes Ende… In Erics Haus befindet sich im Erdgeschoss eine stillgelegte Gastwirtschaft, die heute noch für private Festlichkeiten und Dart-Turniere genutzt wird. Der Betreiber feiert hier heute seinen runden Geburtstag, und Eric hat sich spontan bereit erklärt, ihm zu Ehren ein BBQ zu veranstalten. Einige Freunde und Bekannte finden sich hierzu ein und trudeln nacheinander ein, um es sich dann erst einmal auf der Terrasse gemütlich zu machen. Obwohl Eric mit dem Wenden von Leichenteilen und anderen organisatorischen Dingen beschäftigt ist, entschließen wir uns kurzerhand, einfach schon mal locker ins Gespräch einzusteigen, bevor wir zwecks nahrungstechnischer Stärkung bei einem gemütlichen und zwischenzeitlichen Mittagessen Kraft für den zweiten Teil tanken. Das Ganze hat allerdings etwas von einer kleinen Pressekonferenz, da alle bereits eingetroffenen Geburtstagsgäste spontan kleine Stuhlreihen bilden und sich kurzerhand einfach zu Zeugen der Plauder-Veranstaltung machen. Erics Hund "Kubrick" macht es sich derweil die meiste Zeit gemütlich liegend vor unseren Füßen bequem. Interviewsituation mal anders. Eric redet gerne und viel, aber durchgehend eben auch auf sehr unterhaltsamem und informativem Niveau. Ich habe mich daher entschieden, das Interview einfach zweizuteilen. Der zweite Part des Interviews folgt hier dann in genau einer Woche. Let’s go:
Hallo Eric, vielen Dank für die Einladung in dein Haus. Zuallererst, wie geht es dir?
Mir geht es wunderbar, vielen Dank.
Du hast deinen Lebensmittelpunkt der Liebe und deiner bezaubernden Frau Kristin wegen bereits vor einigen Jahren nach Deutschland verlegt. Bist du mittlerweile gut hier angekommen? Vermisst du die alte Heimat in den Staaten?
Ich wünschte, ich könnte sagen, es ist mein schönes Zuhause, aber das ist es nicht. Aber es ist ein schöner Ort zum Leben, absolut.
Du bist 2017, soweit ich das erinnere, nach Deutschland gezogen, oder?
Ja, das war, als ich zum ersten Mal für längere Zeit hierherkam, und jetzt bin ich hier, solange sie mich bleiben lassen (lacht).
Wie ist es denn mittlerweile um dein Deutsch bestellt?
Ich bin weit genug, um die A1-Prüfung zu bestehen, und ich arbeite nun daran, mich langsam Richtung A2 zu bewegen (lacht). Und Filme mit Untertiteln schauen, hilft hierbei natürlich ungemein.
Verstehst du denn soweit einiges, wenn um dich herum Deutsch gesprochen wird?
Ich verstehe nicht alles, aber doch schon vieles. Ich checke schon viel, wenn die Leute langsam reden, es nicht so viele Stimmen drumherum gibt und ich ungefähr weiß, worum es geht. Dann habe ich so ein bisschen Kontext, weißt du? So nach dem Motto: "Ah, okay, die reden gerade über das und das", und dann fällt es mir viel leichter, das zu verstehen. Wie ich schon sagte: Meiner Meinung nach lernt man eine Sprache am besten, wenn man sich einfach Serien oder Filme auf Deutsch reinzieht, am besten eben mit englischen Untertiteln. Das hilft echt weiter. Und man muss halt einfach anfangen, selbst zu quatschen. Einfach machen. Das bringt am meisten. Aber das ist halt auch das Schwierigste, finde ich. Diese Angst, Fehler zu machen und so, das kennt man ja. Ich bin auch immer noch ziemlich schüchtern, wenn es ums Sprechen geht. Also, mein Selbstvertrauen, na ja, sagen wir mal so: Ich kenne eigentlich total viele Wörter, aber ich tue mich noch sehr schwer, die richtig zusammenzubauen. Vor allem so Sachen wie Artikel und der ganze Kram, da bleibe ich ständig hängen. Die Grammatik ist halt echt nicht ohne. Mein Deutsch klingt manchmal wie von einem kleinen Höhlenmenschen, aber hey, es klappt irgendwie.
Ganz ehrlich: Ich wäre auch nicht scharf drauf, Deutsch als Fremdsprache lernen zu müssen.
Die Sprache ist schon eine harte Nummer. Vor allem, wenn man sie erst mit fünfzig anfängt, sage ich dir. Ich wünschte echt, ich hätte noch mein Gehirn von vor ca. dreißig Jahren (lacht).
Ich probiere auch gerade, Italienisch zu lernen, aber Sprachen lernt man wohl wirklich am besten in jungen Jahren. Dann geht das alles noch viel leichter.
Auf jeden Fall! Und es ist echt schwer, weil man einfach nicht alle Infos aufsaugen kann. Und diese amerikanischen Filme mit deutscher Synchronisation am Anfang, wow, die waren echt schräg (lacht). Am Anfang war es einfach nur komisch. Mit der Zeit wurde es weniger albern und irgendwie lehrreicher. Inzwischen versuche ich sogar, etwas aus der Erfahrung mitzunehmen. Klar, lustig bleibt es trotzdem: Wenn ich Stimmen höre, die so gar nicht nach Anthony Hopkins oder Robert De Niro klingen. Aber abgesehen von diesem "Moment mal, das passt doch nicht!"-Gefühl, war es super hilfreich für mein Deutsch. Aber klar, richtig gut wird man nur durchs Sprechen, aber fürs Verständnis haben Filme echt Wunder bewirkt. Also mache ich einfach weiter so.
Bevor wir auf SAVIOUR MACHINE zu sprechen kommen, du weißt ja, was mir dein fantastisches Soloalbum "A Thousand Scars" aus dem Jahr 2020 noch immer bedeutet. Es hat mir wirklich immens durch eine sehr dunkle Zeit meines Lebens geholfen, und ich höre mir dieses Album immer noch sehr oft zusammen mit meiner Frau an, die ebenfalls sehr viel mit der Platte verbindet. Wie kann es sein, dass man von dem Album nach wie vor keine physischen Kopien erstehen kann, nachdem die ersten Auflagen von CD und Vinyl vergriffen sind?
Eigentlich hättest du dir diese Frage fürs Ende aufheben sollen, Mann, da kann ich jetzt fast gar nichts mehr draufsetzen. Was soll ich noch sagen? Das ist einfach wunderschön zu hören. Ein paar Vinyls schwirren zwar noch herum, hier eins und da noch eins, und in den Staaten soll es wohl auch noch Restbestände geben. Aber im Grunde ist es eine klassische Frage von Angebot und Nachfrage. Beim ersten Mal haben wir ein paar Hundert Stück verkauft, beim zweiten Mal auch nochmal. Doch ehrlich gesagt: Ob ich das alleine nochmal stemmen könnte, weiß ich nicht. Es gibt ja keine Plattenfirma und kein Management hinter mir, und meine Ressourcen sind einfach begrenzt. Seit ich nach meiner Auszeit wieder langsam ins Musikgeschäft zurückgekommen bin, nutze ich für die Kommunikation vor allem, ich sag es ungern, Facebook. Das ist halt meine Hauptplattform für Social Media und Öffentlichkeitsarbeit, aber es bleibt alles ziemlich eingeschränkt. Teilweise sogar absurd: Da hast du 5.000 Leute, mit denen du eigentlich verbunden bist, und am Ende kommt beim Engagement trotzdem kaum etwas rüber. Das ist manchmal echt frustrierend.
Neulich ist mir etwas echt Seltsames mit sozialen Medien passiert, als ich versucht habe, den Dokumentarfilm zu bewerben. Aus irgendeinem Grund hat ein Beitrag von vor zwei Jahren plötzlich wieder richtig Leben eingehaucht. Ich verstehe bis heute nicht, wie das funktioniert, solche Sachen bringen mich echt durcheinander. Warum reagieren die Leute plötzlich auf einen uralten Beitrag? Heute habe ich dafür fünfzig Likes bekommen, obwohl der Beitrag vor zwei Jahren schon mal sechshundert Likes hatte. Warum jetzt, und warum nicht auf die Sachen, die ich gerade versuche zu pushen? Ich weiß es einfach nicht. Es ist extrem seltsam, das zu verstehen, und ehrlich gesagt: Ich kapiere kaum, wie Facebook überhaupt tickt. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich die Kapazität habe, mich einfach komplett selbst zu vermarkten. Auf jeden Fall bräuchte ich Hilfe von Leuten, die da Erfahrung haben. Ich bin da offen für, aber in meinem Alter geht es einfach viel um Ressourcen und Zeit. Meine Zeit würde ich lieber in meine Familie und in Projekte investieren, die mir wirklich am Herzen liegen, als jede freie Minute damit zu verbringen, Platten zu verschicken oder Promotion zu machen. Es ist nicht einfach, wenn man kein Management, keinen Vertrieb und auch sonst kaum Ressourcen hat, um zum Beispiel eine kleine Promo-Tour durch Deutschland zu starten. Und dann kam das Ganze auch noch zwei Wochen nach Covid raus. Schlechte Voraussetzungen, weißt du? Ich glaube, viele haben das gar nicht so mitbekommen. Dabei ist es wirklich ein Meisterwerk. Vielleicht haben es ein paar SAVIOUR MACHINE-Fans in Deutschland mitbekommen. Es gibt nämlich viele davon. Vielleicht haben sie gehört, dass ich noch lebe oder so, wer weiß? Vielleicht mache ich in fünf Jahren, wenn es die Leute noch interessiert, eine Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Bestehen oder so. Vielleicht habe ich bis dahin auch eine Art Vertretung, sei es ein Label, eine Agentur oder einen Vertrieb. Jemand, der mir wirklich helfen kann. Dann könnten wir vielleicht später noch einmal über SAVIOUR MACHINE sprechen, das würde Sinn ergeben.
Es gibt so viele Dinge, die ich gerne tun würde, wenn nur die Ressourcen, die Zeit, das Geld und vor allem das Netzwerk da wären. Ich weiß einfach nicht, wie ich heute die ganzen Menschen erreichen soll, die ich in den 90ern erreicht habe. Damals hatte ich viel Unterstützung, auch wenn Management und Labels nicht immer ehrlich waren und hinter den Kulissen einiges zwielichtig ablief. Trotzdem haben sie viel dafür getan, dass wir überhaupt eine gewisse Bekanntheit erlangt haben. Ich wünschte, ich hätte damals mehr hingeschaut, was die da eigentlich gemacht haben. Aber weißt du was? Selbst, wenn ich es getan hätte, hätte das vermutlich nicht viel geändert. Die Musikbranche hat sich mit dem Internet eh komplett auf den Kopf gestellt. Alles, was vor '97 lief, ist heute eh eine ganz andere Welt. Ich bin halt wie viele von den älteren Künstlern. Ich versuche einfach, das zu machen, was ich liebe, und irgendwie über die Runden zu kommen. Einfach dranbleiben, weitermachen. Es geht nicht mal mehr wirklich darum, groß rauszukommen oder so. Ich glaube, ich habe die Idee, mehr Fans zu kriegen, schon vor Ewigkeiten aufgegeben. Ich habe einfach keinen Plan, wie man die Leute heutzutage noch erreicht. Vielleicht gibt es die alten Fans irgendwo noch, keine Ahnung. Aber wie ich da rankomme? Keine Ahnung. Also mache ich halt einfach weiter. So lange, bis es nicht mehr geht.
Apropos Fans. Meinst du, da kommen noch viele neue Hörer dazu oder sind das überwiegend noch immer die alten Anhänger von früher aus den SAVIOUR MACHINE-Tagen? Was denkst du?
Also, der harte Kern meiner Fans ist definitiv älter. Aber ich denke mir manchmal: Wenn ich auf diesen ganzen jungen Plattformen doch bloß mehr präsent wäre, wobei Instagram ja heutzutage nicht mal mehr als "jung" gilt. "Ihr Teenies da draußen, was sind eigentlich eure Plattformen? TikTok? Snapchat? Oder was geht grad so (lacht)?" Ich habe keinen Plan. Vielleicht würde ich mehr Leute erreichen, wenn ich da sichtbarer wäre, aber irgendwie passt das alles nicht so richtig zu mir. Was ich aber merke: Auf Instagram, da passiert noch was. Da kommen jedes Jahr mehr junge Künstler rein, Maler, Fotografen, Autoren, alles Mögliche. Die scheinen meiner Seite zu folgen, und ich folge denen dann zurück. Ob das jetzt gleich neue Fans sind, weiß ich natürlich nicht. Aber ich glaube, bei jungen Kreativen kommt das, was ich mache, irgendwie an. Und hey, junge Künstler werden ja auch irgendwann zu älteren Künstlern, oder?
Eric, du bist seit geraumer Zeit gut beschäftigt mit der Arbeit an der zehnteiligen Dokumentation "CHRISTIANS + LUNATICS", welche sich unterm Strich wohl noch bis 2027 hinziehen wird, wenn dann hoffentlich auch das physische Bluray-Boxset fertig sein wird. Wie viel Zeit hast du, Stand jetzt, schon ungefähr in dieses Projekt investiert? Und, welchen Mehrwert können die Fans für ihr Geld erwarten, wenn sie am Ende des Tages alles in ihren Händen halten werden?
Also ganz ehrlich, ich habe viel mehr Zeit in den Kram gesteckt, als ich wahrscheinlich zugeben sollte. Fast schon peinlich, wie viel Zeit das am Ende war. Wir haben zwei Jahre nur damit verbracht, die alten Tapes zu übertragen, die mussten erst mal gereinigt und ordentlich digitalisiert werden. Zwei Jahre, nur um das ganze Zeug überhaupt erst mal vernünftig nutzen zu können. Und seitdem ich angefangen habe, das Material wirklich zu schneiden, zu bearbeiten und zusammenzusetzen, sitze ich jetzt, keine Ahnung, insgesamt wahrscheinlich fast drei Jahre an dem Projekt dran. Seit wir uns das letzte Mal im Januar 2023 gesehen haben, das war ja noch bei meinem letzten Auftritt im Rahmen von Ottis [Betreiber des ehemaligen Ballroom Hamburg - Anm. des Red.] Geburtstag. Kurz danach habe ich mich dann voll auf das Ding konzentriert. Klar, vorher habe ich schon ein bisschen rumgebastelt, aber so richtig Vollzeit läuft das erst seitdem. Also zwei Jahre Vorbereitung, und jetzt stehe ich mit zwei fertigen Episoden da. Klingt krass, oder? Zwei Jahre für zwei Folgen. Da denkt man sich: "Na super, dann brauch ich ja noch vierzehn Jahre, bis ich fertig bin." Aber so ist es zum Glück nicht.
Es ist wie bei allem, ich lerne halt, während ich es mache. Ich habe noch nie vorher einen Film oder sowas in der Art gemacht. Aber ich trage diese Idee, sowas mal zu machen, schon ewig mit mir rum. Und jetzt liegt diese Geschichte plötzlich auf dem Tisch, entstanden aus dem, was nach "A Thousand Scars" kam. Ich konnte die Platte ja nie richtig promoten. Wegen Covid und wegen allem. Keine Gigs, nichts live. Und dann tauchte halt die Frage auf: Was mache ich eigentlich mit meiner Zeit? Und da war es: Hunderte Stunden altes Videomaterial. Leute haben mich ständig gefragt: "Was ist mit dem Tape? Was ist mit "Legend"? Kommt das noch? Macht SAVIOUR MACHINE noch was?" Und irgendwann kommt der Punkt, da kannst du die Fragen einfach nicht mehr hören, geschweige denn beantworten. Also bin ich voll in dieses Projekt eingestiegen. Raus aus dem ganzen Fokus hin auf das traurige Ende. Du weißt, wie Leute so sind, alle hängen sich an das Negative. Das Drama rund um "Legend", SAVIOUR MACHINE, dieses ganze unschöne Ende. Das war nicht nur ein mieser Abschluss für die Band, sondern auch so ein richtig dreckiges Kapitel in der Musikszene an sich. Aber es gibt eben auch eine starke Geschichte. Die davor. Die hat bisher eben nur keiner erzählt. Also erzählen wir die jetzt. Die Zeit vor dem Internet, bevor jeder eine Digitalkamera hatte. Zurück in die Zeit, wo man alles noch auf Tapes aufgenommen hat, altmodisch, aber ehrlich.
Auf deinem Facebook-Profil existiert ein Foto mit diversen VHS-Tapes. Du hast gerade schon erwähnt, dass all diese alten Fundstücke sehr hilfreich gewesen sind bei der Vorbereitung für dieses einzigartige Mammut-Projekt. Auf welche Quellen konntest du während der Arbeit denn noch so alles zurückgreifen?
Also ich glaube, es waren so um die hundert VHS-Tapes, vielleicht sogar noch mehr. Ich schätze mal, das war auf jeden Fall eine riesige Hilfe für das Projekt, keine Frage. Am Ende war es aber eben einfach nur das Rohmaterial. Wir haben nachgezählt, irgendwas um die 126 Stunden. Das musst du dir mal geben. Und da war noch gar nichts geschnitten. Allein das Durchgehen in Echtzeit dauert ewig. Kein Wunder, dass das zwei Jahre gedauert hat, bevor ich überhaupt mit dem eigentlichen Schneiden anfangen konnte. Man muss halt wirklich alles anschauen. Und dann denkst du: "Okay, das hier ist brauchbar, erstmal behalten." Und so geht das jeden Tag weiter. Tausend kleine Entscheidungen. Immer wieder was wegschneiden, weglassen, verdichten. Fühlt sich ehrlich gesagt an wie Bildhauerei. Echt jetzt, ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage. Musikmachen war für mich immer eher wie Malen: Farbe drauf, Emotion rein, Atmosphäre schaffen. Aber das hier, der Film, das ist wie Steine klopfen. Immer wieder was wegmeißeln, bis der Kern freiliegt. Bis du das triffst, was wirklich zählt.
Und ja, es gibt so viele Tapes aus der Anfangszeit. Besonders von den ganz rohen Momenten, vor den Masken, vor dem ganzen Bühnenbild, einfach nur ich und das, was da war. Das ist eine ganz andere Geschichte. Die meisten kennen SAVIOUR MACHINE ja nur in dieser ikonischen Version: kahler Kopf, weiße Klamotten, dieser "Prophet in white"-Look. Das war der Charakter, den ich damals ganz bewusst gebaut habe. Und das ist auch das Bild, das bei vielen hängengeblieben ist. Aber die Leute, die mich in den letzten zehn Jahren begleitet haben, mein "Comeback", nennen wir es mal so, die haben mitbekommen, dass ich da langsam etwas anderes draus gemacht habe. Das fing eigentlich mit "The Theater Equation" [Musiktheater-Projekt von Arjen Lucassen unter dem AYREON-Banner - Anm. des Red.] an, was nun schon wieder fast zehn Jahre her ist, krass eigentlich. Und seitdem habe ich viel versucht, ein paar alte Mythen aufzulösen, Dinge klarzustellen. Einfach transparenter zu sein. Und jetzt, mit fast 58, ist mir klar geworden: Ich will diese Geschichte erzählen. Die echte. Nicht nur für mich, sondern vor allem für die, die von Anfang an dabei waren. Die Hardcore-Fans von SAVIOUR MACHINE. Die haben das verdient.
Nicht irgendein dramatisches Ende mit Knall und Chaos, sondern etwas Echtes, etwas Ehrliches. Was zumindest ein bisschen "bittersüß" ist, weißt du? Niemand hat es verdient, für immer mit so einem miesen Nachgeschmack rumzulaufen. Auch nicht, was SAVIOUR MACHINE betrifft. Die Geschichte muss nicht mit "Legend" enden, zumindest nicht mit dem Ende, das alle im Kopf haben. Da gibt es also einen schönen Bogen, von Anfang bis zur Mitte war da echt etwas Besonderes. Aber eigentlich will ich eine Geschichte erzählen von zwei Brüdern. Und von all den Momenten, Menschen, Zufällen, die uns überhaupt dazu gebracht haben, weiterzumachen. Das Ganze ist auch ziemlich intim. Du hast ja die ersten zweieinhalb Stunden schon gesehen, und mein Ziel ist ganz klar: Es soll sich echt anfühlen. Wenn es das nicht tut, dann habe ich etwas falsch gemacht. Dann ist es ganz einfach nicht ehrlich. Und wir leben diese Geschichte halt einfach. Wir reden hier über die allererste Ouvertüre, über das Vorspiel, wie alles losging.
Aber hey, genau darum geht es auch in dem Film. Nicht nur um SAVIOUR MACHINE, sondern auch um das, wie es damals war. Die 90er, die Stimmung im Musikgeschäft. Diese furchtbare Glam-Rock-Szene. Boah, ey, was ein Timing. Wir hatten einfach Pech. Wenn wir nur ein bisschen früher oder später reingekommen wären, wer weiß? Aber nein, wir sind genau in LA gelandet, als es am beschissensten war. Weißt du, ich habe bei den ersten Episoden echt oft dran gedacht, wie das wohl bei jüngeren Leuten ankommen könnte. Wenn da irgendwann mal ein 13-jähriger Junge über diese Doku stolpert. Stell dir vor, der nimmt eine Gitarre in die Hand und spürt einfach: "Das ist mein Ding. Damit will ich etwas erschaffen." Und wenn genau so ein Junge das sieht, egal ob er 10, 15 oder wie alt auch immer ist, und sich denkt: "Scheiß drauf. Ich will da rein. Ich will in so eine Geschichte eintauchen." Dann wäre das für mich das Größte.
Natürlich handelt es sich hier gewissermaßen um eine Außenseiterstory. Aber eben keine, die am Ende mit Ruhm und Reichtum belohnt wird. Das ist keine typische Heldengeschichte. Kein klassischer Durchbruch. Sondern eher eine Geschichte vom Dranbleiben. Von Glauben. Von Mut, mitten im Chaos. Und ich glaube echt: Es geht nicht nur darum, vielleicht ein paar junge Musiker zu inspirieren. Es geht auch darum, ein bisschen was mitzugeben. Ich meine, ich war schon immer irgendwie ein Lehrer, Coach Eric, du weißt schon. Das steckt einfach in mir drin. Ich will etwas erzählen, was bleibt. Und ich finde, Geschichte ist wichtig. Nur interessiert sich kaum noch jemand für Geschichte. Die Kids heute sind komplett überladen. Alles kommt so schnell auf sie zu. Und ich habe da so eine kleine, fast schon utopische Vorstellung: Vielleicht findet in zehn oder zwanzig Jahren irgendein Kind diese Doku irgendwo. Vielleicht auf einer vergessenen Website. Tief im Netz, wo keiner mehr hinschaut. Und dann schaut es sich das an, wie eine Zeitkapsel. Und denkt sich: "Heilige Scheiße, so haben die Leute damals geredet. So fühlte sich das an." Wie ein echtes Gespräch. Wie eine Geschichte. Ich glaube, wir haben das ein bisschen verloren. Diese Fähigkeit, Geschichten zu erzählen. Oder ihnen zuzuhören. Die Leute sind so ans Tempo gewöhnt, dass sie gar nicht mehr reinkommen in etwas Längeres, etwas Tieferes. Und ja, ich gebe es zu, der Film ist langsam erzählt. Für heutige Verhältnisse vielleicht sogar sehr langsam. Aber das ist so gewollt. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung. Ich will, dass man richtig eintaucht in die Story. Nicht zappen. Nicht durchscrollen. Sondern wirklich mal drin sein. Ich will, dass es sich anfühlt, als würdest du ein altes Fotoalbum aufklappen. Oder in jemandes Tagebuch lesen. Fast so ein bisschen voyeuristisch. Echt. Persönlich. Ungefiltert.
Da wir gerade davon sprechen, dass die Leute nicht mehr lesen, wollte ich dich fragen: 2010 sind die mittlerweile leider ebenfalls vergriffenen "The Collective Journals: 1997 – 2009" erschienen, sehr persönliche und intime Tagebuch-Aufzeichnungen von dir aus eben jener Zeit. Waren diese Aufzeichnungen ebenfalls in irgendeiner Art und Weise hilfreich und wird es auch hiervon in absehbarer Zeit eine Neuauflage geben?
Das ist wirklich eine gute Frage. Mit den Journals habe ich erst im Januar 1997 angefangen. Vorher habe ich nie wirklich Tagebuch geführt. Klar, mal Notizen hier und da, Gedanken, Erinnerungen, aber nie regelmäßig, nie ernsthaft. Ich war einfach nicht der Typ dafür. Aber dann hat mir das irgendwann 1996 der Vater meiner Ex-Frau vorgeschlagen. Ganz locker meinte er: "Weißt du was, probier's mal aus. Einfach als eine Art Meditation." Er meinte, er macht das schon seit Jahren und dachte, das könnte mir auch guttun. Und das war halt genau so eine krasse Zeit: Ich war gerade Vater geworden, das zweite Kind war schon unterwegs, innerhalb von nicht einmal zwei Jahren. Und gleichzeitig ging es mit SAVIOUR MACHINE richtig bergab. Das war die Phase, wo wir zwischen Deutschland und den USA gependelt sind. '95, '96, '97, alles auf einmal. Babys, Band läuft international, "Legend" geht los, der komplette Wahnsinn! Und ich habe wirklich versucht, nicht wieder in diese alten Muster zu fallen. Du weißt schon, diese typischen Künstler-Abstürze, wenn man zu tief in allem drinhängt.
Also habe ich es einfach probiert. Und das mit den Tagebucheinträgen hat als Selbsttherapie irgendwie funktioniert. Ich habe das dann tatsächlich zwölf Jahre lang durchgezogen. Und das Krasse ist: Ich habe es ausgerechnet in der verrücktesten Phase gemacht. Das war diese Zeit, wo ich viel unterwegs war, manchmal auch einfach verloren. '97, '98, das war die Zeit, wo bei SAVIOUR MACHINE alles auf dem Höhepunkt war, und gleichzeitig alles auseinanderzufallen drohte. Das war, als die Ehe meines Bruders in die Brüche ging. Und dann hat er die Band verlassen, mitten im Hype. Wir waren gerade voll drin: Wacken, "Twilight Of The Gods 1 & 2", fette Europatouren. Die Platten liefen richtig gut, Massacre hatte große Pläne mit uns. Und dann kam der Bruch. Erst Jeff weg, dann Dean. Direkt nach "Live in Deutschland". Für viele Leute beginnt die Geschichte von SAVIOUR MACHINE ja erst da. Mit "Live in Deutschland". Aber was vorher war, davon wissen halt eben die wenigsten. Für die meisten Leute fängt die Geschichte ja eigentlich erst später an, es sei denn, du kommst aus Kalifornien oder den Staaten und warst damals schon dabei. Dann kennst du vielleicht noch diese wilden Anfänge in Europa und Deutschland. SAVIOUR MACHINE fing ja eigentlich schon Ende '93/Anfang '94 an. Das war die Zeit, in der Matthias Mittelstadt unsere erste Platte hier rüberbrachte. Er war auch der Erste, der unsere zweite Platte nach Würzburg holte. Und genau da hat es angefangen. In Würzburg, in einer kleinen christlichen Buchhandlung. Von da aus hat sich das Ding verbreitet.
Aber bring mich bitte wieder zurück zu deiner Frage, ich schweife schon wieder ab. Ja, das Journal war quasi ein kollektives Tagebuch. Ob es vielleicht mal einen Nachdruck geben wird, jetzt wo ich eh alles neu rausbringe? Wenn überhaupt, dann wohl digital, als Kindle-Version oder sowas in der Art. Es gibt da ja schon ein bisschen was digital, man kann ja ein paar Seiten lesen. Eigentlich wollte ich in diesem Monolog nur auf eins hinaus: Mein Tagebuch fing im Januar '97 an und ging bis 2012. Ja, genau, der 10. Januar war es. Also, das ist es im Kern: Du hast mich nach den Tagebüchern gefragt. Und so intim die sind, sie decken auch eine extrem dunkle Zeit ab. In den 2000ern war ich tief in Depressionen, Angststörungen und chronischer Schlaflosigkeit gefangen. Wochenlang kein richtiger Schlaf. Jahre voller kaputter Nächte. Dazu kamen Drogen, Pillen vom Arzt. Erst Medikamente, dann Schmerzmittel, Xanax, Prozac, dieser ganze verrückte Mist. Ja, es war eine brutale Zeit. Genau das passiert, wenn man heroinabhängig wird. Ich wurde irgendwann einfach eine Statistik im amerikanischen Gesundheitssystem. Genau das, was passiert, wenn Ärzte dir zu viele Pillen geben und du dich komplett darin verlierst. Nach einem Jahrzehnt davon stand ich da und dachte: "Wer zum Teufel bin ich überhaupt noch?" Dann, um etwa 2013 oder 2014, war ich praktisch verschwunden. Zweieinhalb Jahre komplett weg vom Radar. Komisch eigentlich, wenn ich jetzt darüber nachdenke. So viele Leute erinnern sich bis heute noch daran, dass ich angeblich zehn Jahre weg vom Fenster war. Zehn Jahre! Aber das stimmt gar nicht, ehrlich. Es waren vielleicht ein paar, und dazwischen habe ich immer mal wieder Mini-Pausen gemacht, weißt du? Also so richtig weg war ich eigentlich nie.
Aber ja, um auf deine Frage zurückzukommen, du fragtest ja, ob ich die alten Tagebücher nochmal rausbringen würde. Und, äh, nein, ich glaube nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich die heute überhaupt noch lesen könnte. Die sind halt echt dunkel, richtig traurig zum Teil. Wäre komisch, da wieder reinzugehen, in diesen alten Kopfzustand, verstehst du? Ich habe das irgendwann einfach abgeschlossen, dieses Kapitel. Und vielleicht gerade, weil die Tagebücher so schwer sind, finde ich es eigentlich umso wichtiger, auch die andere Seite zu erzählen. Weil es ja nicht alles immer mies gewesen ist. SAVIOUR MACHINE war nicht immer mein größter Albtraum, weißt du, was ich meine? Da steckt halt viel Zeug drin, PTSD, schlechte Phasen und so. Aber davor, so zwischen '88 und '95 oder vielleicht noch bis '96, das war eigentlich fast durchgehend eine echt geile Zeit. Da ist zwischen mir, meinem Bruder und ein paar anderen Leuten echt etwas Besonderes passiert. Ich finde es bis heute irgendwie verrückt, dass das überhaupt so gelaufen ist. Und genau das wäre eigentlich die schönere Geschichte, weißt du? Aber was die Tagebücher angeht, glaube ich einfach nicht, dass da heute noch so viel Nachfrage bestünde.
Von deiner auf mehrere Teile und Jahre konzipierten Videoreihe ist bereits die "PRELUDE / OVERTURE (1967 - 1987)"-Episode kostenfrei zugänglich [mittlerweile leider nicht mehr - Anm. des Red.]. Die erste Episode "EPISODE I ▪︎ CARNIVAL OF SOULS (1988 + 1989)" hattest du mir im Vorfeld des Gesprächs bereits netterweise zukommen lassen. Ich muss sagen, ich bin ziemlich begeistert ob der ganzen Detailverliebtheit und der ganzen künstlerischen Umsetzung. Es ist unschwer zu erkennen, wieviel Herzblut, Liebe und Arbeit in dem Projekt steckt. Du nimmst uns mit auf die Reise in deine Kindheit in Kalifornien. Wir dürfen dich begleiten zu all den Orten, zu denen es dich und deine Familie aufgrund all der Umzüge im Lauf der Jahre so alles hingeführt hat. Es geht um dein inniges Verhältnis zu deinem Bruder, mit dem du u.a. bereits früh die Liebe zu Horrorfilmen und dunkler, harter Musik geteilt hast, um die Spannungen in der Beziehung deiner Eltern, die letztendlich auch zur Scheidung führten. Wie hat es sich für dich angefühlt, dich in der Form zu öffnen und all diese privaten und intimen Sachen preiszugeben?
Ich habe echt lange überlegt, ob ich das überhaupt machen soll oder nicht. Weil, weißt du, alle wollen immer die Geschichte von SAVIOUR MACHINE hören. Also gut, dann erzähle ich sie halt. Sie beginnt offiziell 1988. Aber, fängt sie wirklich da an? Oder muss man nicht eigentlich ein Stück weiter vorne anfangen, um alles richtig zu verstehen? Das war gar nicht so einfach. Ich meine, versuch mal, in dreißig Minuten so eine komplizierte Kindheit zusammenzufassen, das ist echt hart. Aber irgendwie, mithilfe dieser Ouvertüre, habe ich gemerkt: Wenn ich es schaffe, zwanzig Jahre Kindheit in einer halben Stunde zu erzählen, dann kriege ich vielleicht auch die ganze Story in fünfzehn Stunden hin. Das war so ein kleiner "Confidence Breaker" für mich, weißt du? So ein Moment, wo du merkst: "Okay, das krieg ich hin." Und ja, du hast recht, irgendwie hatten Jeff und ich echt eine gute Kindheit. Nicht perfekt, klar, war auch kompliziert. Unsere Eltern haben sich scheiden lassen, als wir noch klein waren, und das ist halt nie einfach. Geld war knapp, das übliche Chaos, aber trotzdem: Es war liebevoll. Wir waren von reichlich Wärme und Unterstützung umgeben.
Und dann kamen halt Filme und Musik dazu, die haben uns total geprägt. Wir standen voll auf Horrorfilme und düstere Musik. "Der Exorzist", "Apocalypse Now", all das hat unsere Sicht auf die Welt verändert, keine Frage. Ich war so zwölf, dreizehn, als ich "The Shining" zum ersten Mal gesehen hab, und Jeff war elf. Und das Lustige ist, dass genau dieser Film jetzt in der ersten Folge wieder auftaucht, das passt einfach perfekt. Diese Musik, diese Dialoge, das war halt total unser Ding. Wir waren totale Filmnerds. Wenn du in der Serie hier und da so kleine Soundschnipsel hörst, sind das lauter kleine Liebeserklärungen an die Sachen, die uns inspiriert haben. Weißt du, so kleine versteckte Hinweise. Du kannst eine Zeile aus "Apocalypse Now" nehmen, sie in eine Szene packen, und plötzlich bekommt alles eine andere Tiefe. Ich finde das faszinierend. Und dann diese Mischung: altes Filmmaterial, ein Prediger auf der Bühne, und im Hintergrund laufen "The Shining"-Dialoge. Erst denkst du: "Was zur Hölle?" Aber irgendwie ergibt das total Sinn. Dann kommen noch Szenen rein, wo du Jeff und mich hörst, oder alte Gospelmusik, Hank Williams Sr., so Aufnahmen, die hundert Jahre alt sind, aufgenommen in einer Garage irgendwo im Nirgendwo. Und dann laufen George Carlin-Texte [US-amerikanischer Komiker und Sozialkritiker - Anm. des Red.] drüber, in denen er den ganzen Religionsirrsinn komplett auseinandernimmt. Diese Gegensätze, diese Paradoxien, das ist im Grunde die DNA von SAVIOUR MACHINE. Genau daraus ist das entstanden. Kirche trifft auf Horror, Glaube trifft auf Dunkelheit, Hoffnung trifft auf Schmerz. Alles gleichzeitig. Und am Ende wurde daraus dieses komische, kleine, eigenartige Baby, das irgendwann zu SAVIOUR MACHINE geworden ist.
Und dann, klar, die Scheidung meiner Eltern. Meine Mom hat später noch einmal jemanden kennengelernt, viele Jahre danach. Aber dann kam dieser Unfall. Ihr neuer Mann, also mein Stiefvater, ist dann bei einem Autounfall gestorben. Das war echt brutal. Das hat mich komplett runtergezogen. Das war so zwischen fünfzehn und neunzehn, meine absolut dunkle Phase. Ich habe komplett den Überblick verloren. Drogen, Chaos, einfach nur Absturz. Ich meine, mit fünfzehn, da ist man einfach zu jung für so einen Scheiß. Aber ich war da mittendrin. Ich war ständig unterwegs, mal hier, mal da, fast schon obdachlos. Kein richtiger Plan, keine Struktur, einfach wild. Wenn ich heute draufschaue, würde ich sagen: Das war eine komplett verlorene Zeit. Und wenn man das jetzt in der Doku sieht, diese alten Aufnahmen von früher, von meinen Eltern in den 60ern, Jeff und ich als Kids in den 70ern, und dann siehst du diesen Bruch, diese Dunkelheit danach, das erzählt irgendwie alles. Die 80er waren echt eine wilde Zeit. Aber von '83 bis '87, da gibt's keine Fotos von mir. Gar keine. Null. Vier Jahre komplett ohne Bilder. Und das sagt eigentlich schon alles über diese Zeit, weißt du? Wenn du vier Jahre lang keine Fotos hast, dann war da irgendwas nicht gut. Ich meine, ich erinnere mich an ein paar Sachen, ziemlich verrückte Dinge, aber dass ich kein einziges Bild gemacht habe, das spricht Bände. Erst ganz am Ende dieser Phase gibt es dann ein paar Fotos, unter anderem von meiner Hochzeit.
In der Ouvertüre sieht man ja eins davon, meine erste Frau und ich bei unserem Hochzeitsempfang. Und, ähm, ehrlich gesagt: Ich war da auf einem dreitägigen Meth-Trip. Ich war seit drei Tagen wach, komplett drauf. Das war damals halt, ja, mein Leben. Total drüber. Ich weiß, das klingt alles total schräg: heiraten, Jobs haben, irgendwie funktionieren, und gleichzeitig komplett am Limit sein. Aber so war's. Ich war irgendwie "hochfunktional", wie man so sagt. Von außen sah es halbwegs normal aus, aber innen drin war einfach Chaos. Ich habe ja im Alter von neunzehn Jahren geheiratet. Und ja, das war nicht unbedingt gesund, aber es kam aus etwas Echtem. Sie war meine Highschool-Liebe. Ich habe sie geliebt, sie hat mich geliebt, und sie ist bei mir geblieben, auch als es richtig schlimm wurde. Sie war so ein bisschen wie meine Sharon Osbourne, weißt du? Immer da, egal, wie durch ich war. Wir waren erst sechs Monate zusammen, als mein Stiefvater gestorben ist. Ich war fünfzehn, sie sechzehn. Und als er dann bei diesem Unfall ums Leben kam, war sie die Einzige, die da war, die geblieben ist. Sie wurde Teil meiner Familie, hat sich mit meiner Mom angefreundet, war fast wie eine große Schwester für alle. Das war so eine dieser Situationen, wo Trauma Leute zusammenschweißt. Wir waren jung, verliebt, total verloren, aber wir hatten uns. Und obwohl ich schon tief in diesem ganzen Drogenwahnsinn drin war, hat sie mich geliebt. Sie war jung genug, um nicht alles zu verstehen, und naiv genug, um nicht total auszurasten wegen dem, was ich alles genommen habe. Und sie hatte dieses Vertrauen, dass ich da irgendwann wieder rauskomme.
Rückblickend finde ich es echt krass, was sie in der Zeit alles mitgemacht hat. Ich meine, sie war in ihren letzten zwei Highschool-Jahren mit einem Drogenabhängigen zusammen, mit mir, und hat trotzdem ihren Abschluss gemacht, zwei Jahre vor mir. Und genau da wurde es dann am kompliziertesten. Weil sie plötzlich auf und davon ist, als sie die Schule fertig hatte. Und ich war plötzlich allein. Mein bester Freund, meine Stütze, einfach weg. Ich war gelangweilt, frustriert, aber irgendwie habe ich es trotzdem geschafft. Ich habe meinen Schulabschluss gemacht, knapp, aber geschafft. Nur: Drogen waren mittlerweile das Wichtigste in meinem Leben. Ich hatte zwei Jobs, nicht weil ich ehrgeizig war oder so, sondern nur, um meinen Konsum zu finanzieren. Arbeiten, um drauf zu bleiben, weißt du? Aber irgendwie war es trotzdem ein halbwegs normales Leben. Ich habe Geld verdient, ich hatte Beziehungen, habe mich so durchgeschlagen. Ich war nicht obdachlos oder komplett abgehängt. Ich hatte meine Mom, die mich geliebt hat, und meine Großeltern, die mich unterstützt haben.
Im Nachhinein ist es echt ein Wunder, dass ich das überlebt habe. Wirklich. Wenn das später passiert wäre, so mit Mitte 20 oder 30, hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Aber irgendwie musste es wohl genau so passieren, zu der Zeit, in dem Alter. Ich glaube, das war mein einziger Rettungsmoment, so krank das auch klingt. Ich glaube nicht, dass ich jemals wirklich auf der Straße gelandet wäre, weißt du? So schlimm meine Sucht auch war, ich war halt der Typ, der immer einen Weg gefunden hat, sie selbst zu finanzieren. Ich war zu stolz, um irgendwo hinzugehen und um Hilfe zu bitten. Das war nie mein Ding. Und Drogen machen dich zum Lügner, ganz klar. Du belügst dich ja ständig selbst. Jedes Mal, wenn du denkst, du hättest das irgendwie im Griff. Aber ich hatte trotzdem meine Grenzen. Ich habe nie Leute beklaut, nie meine Familie oder Freunde ausgenutzt, so wie es viele andere getan haben. Ich kannte genug, die genau da gelandet sind, die ihre Eltern bestohlen haben oder völlig abgestürzt sind. Ich habe mir immer gesagt: "Nein, scheiß drauf. Wenn's sein muss, gehe ich Müll sammeln an der Autobahn, aber ich werde nicht so einer." Nicht wie, keine Ahnung, Bobby Liebling von PENTAGRAM, du kennst die Story? Ich glaube, der hat mit über siebzig seine eigene Mutter oder Schwiegermutter angegriffen wegen Geld. Da dachte ich nur: "Alter, so tief werde ich nie sinken."
Aber um das klarzustellen: Ich war nie obdachlos. Ich hatte immer Liebe um mich herum, immer Menschen, die für mich da waren. Ich war nur verdammt gut darin, mir selbst im Weg zu stehen. Und das ist eigentlich das Bittere dran, weißt du? Weil ich vorher echt auf einem richtig guten Weg gewesen bin. Ich war ein Top-Athlet, Klassenbester, überall vorne mit dabei. In meiner Jahrgangsstufe war so ein asiatischer Kerl, der wahrscheinlich noch ein bisschen besser war, aber sonst war ich ganz oben. Ich habe Preise bekommen, Auszeichnungen, alles. Ich war eigentlich auf dem Weg, Baseball-Profi zu werden, vielleicht in der Minor League, wer weiß. Und dann kamen die Drogen. Und die haben mir einfach alles genommen, was an Ehrgeiz da war. Alles. Ich wollte nichts mehr, außer drauf zu sein. Anstatt Lehrer zu werden, oder Baseballspieler, oder vielleicht sogar Architekt, keine Ahnung, habe ich einfach alles hingeschmissen. Ich hätte studieren können, hatte gute Chancen. Ich wollte eigentlich sogar mal zur Filmschule, das war so ein Traum von mir. Aber stattdessen? Kokain und Meth. Das war's. Das war mein Ding. Und das Ganze ging ja "nur" vier Jahre, aber die waren intensiv. Richtig intensiv. Ich habe da so viel kaputtgemacht, dass es sich angefühlt hat, als wäre es ein halbes Leben gewesen. Aber hey, es ging halt auch nicht ewig so weiter. Irgendwann ist das ganze Konstrukt einfach zusammengebrochen. Du kannst sowas nicht ewig hochhalten, weißt du?
Dann kam es zu einem folgenschweren Erlebnis, welches du die "Newfound Spiritual Rebirth" nennst und welches letzten Endes zur Geburt von SAVIOUR MACHINE führen sollte. Nach einem Gebet erschien dir während eines sehr spirituellen Erlebnisses mehr oder weniger der "Heilige Geist".
Von diesem Moment an existierte eine gänzlich neue Inkarnation des Eric Clayton, kann man das so sagen? Also, ganz einfach gesagt, ich hatte so etwas wie eine religiöse Erfahrung. So einen richtigen Bekehrungsmoment. Mein Leben hat sich komplett verändert, Richtung, Fokus, alles. Und weißt du, es ist ja selten so, dass man zu so einer Erkenntnis kommt, wenn alles gerade super läuft. Niemand stolpert auf einem Rosenpfad durchs Leben und sagt dann: "Ah, jetzt hab ich's verstanden!" Nein, meistens landest du erst mal richtig tief unten, bevor du überhaupt irgendetwas kapierst. Wie Dennis Miller mal gesagt hat: "Niemand findet zu Jesus, wenn das Leben gerade geil läuft." Und da ist was Wahres dran. Du kommst nicht zum Glauben, wenn alles easy ist, du kriechst da hin. Und genau so war es bei mir auch. Ich hatte mein Leben in Rekordzeit komplett an die Wand gefahren. Ich war so enttäuscht von mir selbst, richtig angewidert. Ich konnte mir nicht verzeihen, was ich aus mir gemacht hatte. Und das Schlimme war: Dieselbe Energie, dieser Druck, den ich gegen mich selbst gerichtet habe, der war ja genau das, was mich da reingebracht hatte. Diese ganze Wut, die ich schon als Teenager mit mir rumgeschleppt habe, seit mein Stiefvater gestorben ist, das war pure Wut, aber nach innen gekehrt. Ich habe nie nach außen geschrien oder rebelliert. Ich habe alles in mich reingefressen. Und das ist es, was Depression ist, weißt du? Wut, die du gegen dich selbst richtest. Das wurde zu so einem endlosen Kreislauf. Ich habe mich da vier Jahre lang drin verloren. Komplett vergessen, wer ich eigentlich war.
Und dann, ja, dann kam dieser Moment. Ich wurde, im wahrsten Sinne des Wortes, wiedergeboren. Und ab da war irgendwie klar, was ich tun musste. Da war plötzlich so eine Richtung. Viele Leute sehen mich ja in der Szene und denken: "Ah, der Typ, der in der christlichen Band war", und ja, klar, das ist Teil davon. Aber ich gehe mit dem Thema inzwischen ziemlich locker um. Ich bin in einem ziemlich religiösen Umfeld aufgewachsen, Southern Baptist, also so richtig mit Dogmen und allem Drum und Dran. Da gab es viel Gutes. Klar, einen festen Glauben, Werte, aber eben auch viel Heuchelei. Und als Kind habe ich das alles gesehen. Ich war aufmerksam, hab alles aufgesogen. Ich habe mitbekommen, wenn der Organist was mit der Frau vom Pastor hatte und so, diese ganzen "heiligen" Leute, die sich benommen haben wie jeder andere. Und da merkst du halt schon früh: Okay, das ist kein göttliches Verhalten, das ist einfach menschlich. Und das war überall so, diese Urteile, dieses Engstirnige, dieses "Wir und die anderen". Da war kaum Platz für Leute, die anders waren, die Außenseiter, die Metal-Kids, die Goths, die Punks. Alle, die nicht ins Bild passten. Und genau das war es, was mich irgendwann so abgestoßen hat.
Ich habe ja gesagt, dass ich in der Kirche viele komische Dinge gesehen habe, Heuchelei, Doppelmoral, all das. Aber weißt du was? Es gab da trotzdem immer ein paar Menschen, bei denen ich echt gespürt hab: Das hier ist Jesus. Also nicht im religiösen Sinne, sondern dieses Herz, diese Freundlichkeit, diese Liebe, von der in der Bibel die Rede ist. Das habe ich in manchen Leuten gesehen. Und das hat mich irgendwie da durchgetragen. Ich war acht Jahre alt, als ich meine erste religiöse Erfahrung hatte. So ein klassischer Moment, der Pastor steht vorne, predigt mit voller Inbrunst und sagt: "Wenn du heute dein Leben Jesus geben willst, steh auf, komm nach vorne, wir nehmen dich auf in die Herde." Und ich schwöre, ich habe das damals richtig gespürt. Es war, als hätte mich jemand unsichtbar aus dem Stuhl gezogen. Ich war der Jüngste, der dastand, alle guckten ein bisschen irritiert. Zwei Wochen später wurde ich getauft, in derselben Kirche. Und damals habe ich das alles ganz tief gefühlt, wirklich. Aber ja, dann kommt halt das Leben: Traumata, Drogen, Verluste, das ganze Paket. Und als ich später diesen Moment hatte, diesen richtigen "Heiliger-Geist-Moment", war das wie ein Wiedererkennen. Ich wusste sofort, was das war. Ich kannte das Gefühl schon, aber diesmal habe ich es gesehen. Nicht nur gespürt, ich hab's gesehen. Und das waren so die zwei größten Erlebnisse meines Lebens.
Ich hatte später auch noch ein paar spirituelle Momente, aber die zwei, die waren so stark, dass sie allein gereicht haben, um mir klarzumachen: Okay, das ist meine Richtung, das ist mein Weg. So verrückt das klingt, das ist mein Heiliger Geist. Aber, und das ist wichtig: Ich bin trotzdem keine "religiöse" Person im klassischen Sinn. Ich liebe Geschichte einfach zu sehr, und Wissenschaft auch. Ich interessiere mich für beides. Und ehrlich, ich kann einfach nicht dieses ganze Dogma, diese menschengemachte Religion, als absolute Wahrheit akzeptieren. Mein Glaube geht weit über alles hinaus, was je in einem Buch stand. Und das meine ich wirklich so. Ich habe ein gutes Gefühl für Worte, für Sprache, für Poesie. Ich kann Dinge normalerweise gut ausdrücken. Aber das hier? Das kann man nicht in Worte fassen. Wenn ich das nicht beschreiben kann, dann gibt es wahrscheinlich kaum jemanden in der Geschichte, der es konnte. Wenn du wirklich glaubst, also wirklich tief glaubst an etwas, das größer ist als du selbst, dann weißt du einfach: Das hat nichts mit Institutionen oder Dogmen zu tun. Die Kirchen, Religionen, all das. Jede hat irgendwas richtig verstanden, aber eben auch vieles falsch. So wie wir Menschen, niemand ist bekanntlich hundertprozentig perfekt. Wir alle stolpern irgendwie durch die Dunkelheit und versuchen, das Ganze zu begreifen. Und vielleicht wäre es das Beste, wenn wir einfach kollektiv sagen würden: "Okay, keiner hat den vollen Durchblick. Lass uns versuchen, das gemeinsam rauszufinden." Und ja, das sind wohl meine "Weisheiten des Tages" (lacht). Am Ende ist es eine ganz schöne, verrückte, fast witzige Geschichte, wenn man darüber nachdenkt.
In der ersten Episode erzählst du eine recht amüsante Geschichte. Ihr hattet es Ende der 80er Jahre zu Beginn eurer Karriere nicht wirklich leicht, vernünftig Fuß zu fassen in der Liveszene von L.A. und Umgebung. Glam Rock war zu dieser Zeit bekanntlich sehr hoch im Kurs. Um euch ein wenig von den anderen Bands abzuheben, hast du dir dann das "Blood Ritual" ausgedacht, während dem du dich auf der Bühne mit (Kunst-)Blut übergossen hast, zu der Zeit noch ungeschminkt und ohne Maske. Das hat vor der Bühne nicht immer zu positiven Reaktionen geführt. Immerhin muss man sich vor Augen führen, dass das zu dieser Zeit noch nicht wirklich "in Mode" gewesen ist. Selbst die zweite Welle des Black Metals in Norwegen war zu dieser Zeit noch gar nicht richtig im Gange. Hast du hier noch eine gute Anekdote aus dieser Zeit für uns auf Lager?
Das war echt so ein Ding. Ich meine, wenn ich in der Doku jedes Mal zeigen würde, wenn's Stress gab, dann würde das gar nicht mehr aufhören (lacht). Ich musste mir echt überlegen, welche Momente ich überhaupt drin lasse. Aber das Material, das wir haben, ist schon richtig gut. Du siehst da, wie irgendein Typ uns den Mittelfinger zeigt, das war einfach zu gut, das musste rein. Solche Szenen erzählen mehr als tausend Worte. Wir haben im Prinzip im Herbst '89 angefangen, am 1. September 1989, um genau zu sein. Und das letzte Mal, dass wir das Ganze gemacht haben, war am 21. November 1991. Also ein bisschen über zwei Jahre, in denen wir das konsequent durchgezogen haben. Und glaub mir, das sind eine Menge Auftritte. In der nächsten Episode, die ich gerade zusammenschneide, wird es dann noch intensiver, mehr Blut, mehr Bilder, mehr Drama. Man sieht richtig, wie sich die Idee, die wir damals hatten, weiterentwickelt. Und ja, das Ganze hat ordentlich polarisiert. Ich meine, die Leute kamen in die Clubs, um abzurocken, zu trinken, und vielleicht jemanden kennenzulernen, einfach Spaß zu haben. Und dann kamen wir auf die Bühne, düster, ernst, fast schon rituell. Und du konntest richtig sehen, wie die Leute dachten: "Was zur Hölle ist das hier?" (lacht) Man hörte die wildesten Sachen: "Der Typ da singt ja wie Mighty Mickey Mouse!" oder "Was glaubt der eigentlich, wer er ist? Ist das 'ne Oper?" Und dann, zack, vergießen wir das Blut, und auf einmal war's still. Die Stimmung kippte. Es war laut, dann schrie jemand, und du konntest fast fühlen, wie der Raum sich veränderte. Es war roh, echt, und ja, irgendwie gewalttätig im übertragenen Sinne. So ein Moment, der dich packt. Licht, Sound, Blut, das alles zusammen war wie ein Schock, aber ein geplanter Schock.
Und man darf nicht vergessen: Das war Ende der 80er. Da lief Glam Metal, BON JOVI, POSION, WARRANT, all das. In der Popwelt GEORGE MICHAEL, weißt du? Und wir kommen da rein mit Horrorfilm-Vibes, Blut, Dunkelheit. Das war, als ob wir von einem anderen Planeten gekommen wären, ehrlich. Damals gab es ja noch nicht mal den Begriff Black Metal. Das kam alles später, die Norweger, die zweite Welle, das war noch Zukunftsmusik. Wir haben das Zeug gemacht, da wusste noch keiner, dass das mal ein Genre werden würde. Und dann triffst du halt irgendwann Leute, die das "Konzept" verstehen. Einer von denen war Brian Key, ein Toningenieur, super Typ. Er hat später unser SAVIOUR MACHINE-Demo aufgenommen. Brian war einer der Ersten, die gerafft haben, dass das, was wir da machten, nicht einfach nur "Schock" war. Er meinte: "Ihr macht im Grunde das, was ALICE COOPER oder PETER GABRIEL gemacht haben, nur ernster. Nicht Show, sondern Substanz." Und das war es genau. Kein Zirkus, kein Spaß-Blut, es war wie ein Horrorfilm auf der Bühne, aber mit Bedeutung dahinter. Und ja, rückblickend war das alles kurz vor METALLICAs "Black"-Album. Ich meine, das war der Moment, der Metal quasi wieder global groß gemacht hat. Ich sehe das immer so ein bisschen als "Marker", 'Enter Sandman', MTV, Grammys, das hat härtere Musik in jedes Wohnzimmer gebracht. Und durch diesen Erfolg kam dann auch wieder mehr Interesse an den Wurzeln: BLACK SABBATH, LED ZEPPELIN, BOWIE, THE DOORS. Aber das war damals, so Mitte der 90er, echt noch nicht "cool". Wenn du 1995 gesagt hast, SABBATH ist dein größter Einfluss, haben dich die Leute schief angeguckt, kein Scherz. Erst später, mit dem Ozzfest und so, kehrte diese neue Wertschätzung zurück. Sharon Osbourne hat da echt etwas losgetreten. Und klar, Ozzy erzählte dann überall von Blutritualen, das passte perfekt zu dem, was wir gemacht haben (lacht).
Mir ist während eines Songs zudem auch aufgefallen, dass du ungeahnte Qualitäten mitbringst, was den ziemlich krassen Black-Metal-Gesang betrifft. In der Regel bist du nämlich eher für deinen aus dem Bauch kommenden Bariton-Gesang bekannt.
Ich glaub, der Song hieß 'Drink The Blood Of The Lambs', oder war das nur der Refrain? Nein, Moment, der Song hieß 'The Revelation'. Das war so ein 20-minütiges Ding, mit ganz vielen unterschiedlichen Parts, fast wie eine kleine "Legende" in sich. Ein echt spannendes Stück. Und da gab es tatsächlich einen Teil, wo ich so richtig extreme Black-Metal-Vocals rausgehauen habe, richtige Screams, Kreischen, das alles. Ich freue mich, dass du das gemerkt hast, weil das tatsächlich etwas Besonderes gewesen ist. Auf SAVIOUR MACHINE-Platten hört man das so ja gar nicht. Da ist alles etwas kontrollierter. Und ja, du hast recht, mein Gesangsstil kommt tatsächlich eher aus dem Bauch. Bariton halt, viel Körper, wenig Kopfstimme. Das ist einfach meine Art zu singen, tief, geerdet, ein bisschen roh. Und genau das passte damals zu all dem Drama, zu dieser dunklen Energie.
Aber in 'The Revelation', Mann, das war brutal für die Zeit. '89, '90, da hat kaum jemand so geschrien, schon gar nicht mit so einer Intensität. Aber ehrlich gesagt: Ich habe das gar nicht wegen des Stils gemacht. Meistens war es einfach, weil ich mich live nicht hören konnte (lacht). Schlechte Monitore, mieser Sound, Stimme halb weg, also habe ich einfach geschrien, um mich überhaupt wahrzunehmen. So ist das entstanden, aus der Not heraus. Und klar, irgendwann hat das dann seinen eigenen Charakter bekommen. Viele Leute haben später gesagt: "Alter, du klingst ja fast wie ein Death-Metal-Sänger!" Aber das kam gar nicht daher, ich glaube, das ging mehr in Richtung Jim Morrison in seinen wildesten Momenten. Dieses böse, raue, fast theatralische Rausbrüllen. Das war mein Ansatz. Und cool, dass du das gehört hast, die meisten überhören so etwas komplett. Wir haben den Song bestimmt drei-, viermal an verschiedenen Orten gespielt. Und jedes Mal hat er sich verändert. Es war ein Prozess, so ein stetiges Weiterentwickeln. Am Anfang war es vielleicht acht Minuten lang, mit drei Teilen, und jedes Mal, wenn wir es live spielten, kam etwas Neues hinzu. Ein Break, ein Part, ein Tempo-Wechsel. Und irgendwann war es dann halt auf einmal ein 20 Minuten-Monster (lacht). Das war so unsere Art, Jazz oder Prog zu machen, jedes Mal ein bisschen anders, jedes Mal spontan.
Am Ende haben wir das Ding dann für unser Demo festgehalten, unsere eigene kleine Konzeptnummer, in fünf Akten quasi. Total abgefahren, wenn man bedenkt, dass wir eigentlich kaum wussten, was wir da taten (lacht). Es war irgendwie so eine Mischung aus tightem Punk und schrägem Prog, fast schon so etwas wie Proggy Gothic Punk, wenn es das überhaupt gibt. Wir haben einfach gemacht, was sich richtig angefühlt hat. Wenn ein Part zu kurz war, kam halt noch ein Akkord oder ein Takt mehr dazu, damit der Text passte. Es war total organisch, total chaotisch, aber irgendwie echt. Das Mittelstück, der Part mit "drink the blood of the lambs", hat dann später in einem anderen Song weitergelebt, in 'The Stand'. Der hat sich im Prinzip aus dieser Nummer heraus entwickelt. Wir haben das live beibehalten, weil es einfach funktioniert hat. Der Vibe war da, also blieb es. Und ja, wenn sich Leute heute für die ganz frühe, rohe SAVIOUR MACHINE-Phase interessieren, bevor das alles so glatt produziert wurde, 'The Revelation' ist da das perfekte Beispiel. Da hört man, wie wir noch am Suchen waren, noch ausprobiert, Schlagzeuger gewechselt, Sounds getestet haben. Wir waren einfach Kids, die rausfinden wollten, wer sie musikalisch überhaupt sind. Das Stück hat es als letzter Song in fünf Teilen tatsächlich auf unser Demotape geschafft. Vorher, bei der allerersten Band SIGNET COMMITMENT, da hatten wir sowas Ähnliches probiert, aber nie etwas aufgenommen. Nur ein paar Auftritte. 'The Revelation' war quasi die Weiterführung jenen Spirits, nur mit mehr Struktur, mehr Wahnsinn und viel mehr Blut (lacht).
2004 wird bei dir die Diagnose Barrett-Ösophagus festgestellt. So endet vorerst deine musikalische Karriere, deine Ehe zerbricht und du ziehst dich in die Wüste von Utah zurück. Wie bewertest du diese Zeit im Nachhinein? Waren all diese Rückschläge rückblickend auch die Basis für die Musik und Texte auf deinem Soloalbum "A Thousand Scars"?
Ich hatte in den frühen Jahren mal so eine richtige Krebsangst. Das war so zwischen 2004 und 2007. Ein paar Jahre, die echt hart waren. Ich hatte da ein paar lokale Behandlungen, keine Chemo oder so, aber sie haben damals Polypen in der Speiseröhre gefunden und meinten, das sei so eine Art präkanzeröse Geschichte, also quasi ein Vorläufer. Dann haben sie da diese Laserbehandlungen gemacht, so kleine Eingriffe, nichts Riesiges, aber halt unangenehm, weißt du? Ich musste ständig zur Endoskopie, dieser Schlauch durch den Hals, und dann nehmen sie da drin Proben, Biopsien, alles Mögliche. Das war schon ziemlich nervenaufreibend. Und das ging über ein paar Jahre. Immer wieder Untersuchungen, Warten auf Ergebnisse. Sowas zieht dir mental echt den Stecker. Zum Glück ist seit 2010 eigentlich alles stabil. Keine ernsten Probleme mehr. Und so ab 2015 habe ich gemerkt: Okay, das ist wirklich unter Kontrolle. Heute manage ich das Ganze mehr über Ernährung, Lebensstil und Balance. Kein Drama, aber ich passe auf. Das war auch der eigentliche Grund, warum ich damals eine Pause mit SAVIOUR MACHINE machen musste. Mehrere Ärzte haben mir damals gesagt: "Mann, du bringst dich um, wenn du weiter so arbeitest! Siebzehn Stunden am Tag, null Schlaf, das geht nicht!" Und sie hatten Recht. Stress war der große Faktor. Stress war eigentlich das, was alles ausgelöst hat. Ich musste komplett umdenken, meine ganze Routine, meine Ernährung, meinen Kopf. Alles. Und irgendwann habe ich kapiert, dass es nicht darum geht, irgendetwas komplett aufzugeben, sondern das Gleichgewicht zu finden. Ich musste nur diese große Veränderung in mir selbst anstoßen, weißt du? Dieses: "Okay, entweder du lebst, oder du arbeitest dich kaputt."
Soviel also erst einmal zum ersten Teil des Gesprächs. Im zweiten Part sprechen wir dann u.a. über die Tücken des Musikbusiness, spontane Interviews auf dem Wacken Open Air, musikalische Einflüsse, Zukunftspläne und die Unterschiede zwischen VENOM und BATHORY. Stay tuned!
Interview: Stephan Lenze und Marco Witte
Bearbeitung und Übersetzung: Stephan Lenze
Fotocredits: Eric Clayton / SAVIOUR MACHINE
- Redakteur:
- Stephan Lenze






