SCHANDMAUL: Interview mit Thomas / Stefan

29.01.2006 | 21:22

Zwei Akustiktouren, der Auftritt im Münchner Circus Krone samt Orchester und das daraus resultierende Album "Kunststück" markierten den bisherigen Höhepunkt der Spielmannsleute SCHANDMAUL. Grund genug für Sänger Thomas und Schlagzeuger Stefan, zurückzublicken und sich gegenseitig mein Diktiergerät zuzuschieben. Derweil finden sie ihr "Kunststück" größer als die orchestralen Ergüsse ihrer Götter METALLICA, ziehen den Hut vor CORVUS CORAX und äußern sich auch zum ewigen Thema BÖHSE ONKELZ. Vorhang auf.

Carsten:
Fangen wir mal bei eurem aktuelle Live-Album "Kunststück" an. Wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen?

Thomas:
Die ursprüngliche Idee kam eigentlich von den Fans. Die haben gesagt "macht doch mal unplugged, macht doch mal unplugged". Und das hat sich dann einfach ergeben. Wir waren auf Festival-Tournee letztes Jahr und hatten einen Tag frei zwischen zwei Festivals. Und bevor du gar nichts machst und nur die Crew bezahlst, haben wir gesagt: "Machen wir da ein Fantreffen." Dann haben wir einen Club gemietet und das Grillfleisch mitgebracht, die Leute sollten Salate mitbringen und dann kamen so 300 Leute. Und dann haben wir Abends in dieser kleinen Klitsche unplugged gespielt. Aber richtig, einfach E-Gitarre aus, Akustik-Gitarren raus und los ging's. Das war so der Ursprung der Idee. Das nächste war dann, dass wir nach "Pech und Schwefel" nicht gleich das nächste Studio-Album rausballern wollten, sondern gesagt haben, da muss irgendwas dazwischen kommen. Und dann wurde aus der Unplugged-Idee "komm, machen wir ne DVD". Die Idee mit Gitarre-Weglassen war uns dann auch zu langweilig. Wenn wir sie schon weglassen, machen wir noch was Neues dazu, Orchester usw. Und dann ging's los.

Carsten:
Wie war das, die alten Songs noch mal neu zu gestalten? Kam da irgendein besonderes Gefühl auf?

Stefan:
Ich fand das sehr spannend, weil man eben in vielen Songs ganz neue Facetten entdeckt hat. Wenn man z.B. eine rockige Nummer eher groovig spielt und eben nicht auf die Glocke haut. Also ich fand die Idee sehr interessant, nach dem Motto "was kann ein Rock-Song?" oder "was kann eine ruhige Nummer?" und so.

Carsten:
Also groovig auch bei unplugged?

Stefan:
Also ich finde, dass "Kunststück" bis auf die ganz ruhigen Nummern absolut rockt. Ob eine E-Gitarre dabei ist oder nicht, man muss mit dem Fuß mitwippen und das Ziel ist erreicht.

Thomas:
Viele Bands, die so was angehen, wie die Götter METALLICA usw., die lassen sich dann die Orchester-Arrangements schreiben. Von irgendwem, der damit jeden Tag sein Geld verdient. Aber wir wollten das selber machen, und das war natürlich was ganz Frisches, was wir anpacken. Arrangier mal so ein Orchester da rein. Wir haben letzten Endes eine 600-seitige Partitur da rein geschrieben. Das war sehr spannend, sich damit neu auseinander zu setzen. Und jetzt können wir's auch. Also, wenn irgendjemand eine Filmmusik braucht: (singend) Here we are!

Carsten:
Als ich das erste Mal hörte, dass ihr ein Klassik-Album aufnehmt, war ich erstmal nicht so angetan. METALLICA, KISS oder nun auch CORVUS CORAX, es scheint zum guten Ton zu gehören, ein Klassik-Album raus zu bringen. Hattet ihr nicht das Gefühl, auf einen Zug aufzuspringen?

Thomas:
Du, wir haben das Rad nicht neu erfunden. Aber die Zeiten, wo man wie Eric Clapton oder NIRVANA einfach die E-Gitarre ausmacht und einfach die Akustik-Gitarre nimmt, die sind vorbei. Und momentan ist es Trend, dass man, wenn man unplugged spielt, das Ganze aufbläst mit Klassik und das Orchester da hinten reinballert. Das war für uns einfach naheliegend, das war kein Zug, auf den wir aufspringen. Zu dem Orchester hatten wir Kontakte, die Anna hat da früher selber drin gegeigt. Der Dirigent war ihr Geigenlehrer vor zig Jahren. Und den Teppich, den uns die E-Gitarre gibt, den kannst du nicht durch eine Pring-pring-Lagerfeuergitarre ersetzen. Sonst geht der Rock'n'Roll flöten. Und mit dem Klassik-Orchester da drunter, da hat's halt wieder was gekonnt.

Stefan:
Und ganz nebenbei, was ist heut schon neu? Wenn jemand ein Rock-Album aufnimmt, sagt ja auch niemand: "Ihr nehmt wieder ein Rock-Album auf, das gab's doch schon vor 40 Jahren." Wenn wir aber mit einem Orchester auftreten, sagen viele plötzlich, "wie langweilig ". Es gab alles schon mal, wir sind nicht die BEATLES oder die ROLLING STONES. Wir haben den Rock'n'Roll nicht erfunden.

Thomas:
Und nebenbei kann man sagen, ist es schon was absolut Neues, weil SCHANDMAUL gab's noch nicht mit Orchester. Hat also noch keiner gehört.

Carsten:
Als ihr die Songs neu arrangiert, kam euch dabei eigentlich die Idee, was euer bisher bestes Album war?

Stefan:
Also für mich sind meine Lieblingsalben "Hexenkessel" und "Pech & Schwefel". Aber einfach nur aus dem Grund, weil es das widerspiegelt, wie wir musikalisch klingen wollen. Wobei "Pech & Schwefel" das ausdrückt, wie wir uns zu dem Zeitpunkt gefühlt haben und auch immer noch fühlen. Deshalb sind das meine Lieblingsalben, weil da einfach bandintern so eine Riesenfreundschaft war. Aber ich hab auch Favoriten auf "Wahre Helden" oder "Spitzbuben".

Carsten:
Die Stimmung auf "Pech & Schwefel" war ja recht melancholisch. Hat das die damalige Stimmung in der Band wiedergegeben?

Stefan:
Das ist lustig, das fragen uns ganz viele Leute. Ich schreib zwar keine Texte, aber ich kenne Leute, die die Texte schreiben, und die waren überhaupt nicht melancholisch.

Carsten:
Nehmen wir z.B. 'Geisterschiff' oder 'Kalte Spuren'...

Stefan:
'Geisterschiff' ist ein Märchen! Das ist überhaupt nicht melancholisch!

Thomas:
(Greift sich das Diktiergerät) Wenn man den Ursprung von 'Geisterschiff' mal erzählen kann, dann ist da nicht mal was Melancholisches dran. Weißt du was die Inspiration dazu war? Kennst du "5 Freunde"?

Carsten:
Klar, die alten Hörspiele.

Thomas:
Die Folge 7 heißt "Wir jagen die Strandräuber". Ich bin nämlich Hörspielfan, und darauf hat 'Geisterschiff' aufgebaut. Da haben Schmuggler und so Strandräuber falsche Lichter gesetzt...

Carsten:
...was letztlich zum Märchen von Geisterschiffen geführt hat.

Thomas:
Genau. Da haben sie den Leuchtturm ausgemacht und falsches Feuer gelegt, damit die Schiffe in die Riffe fahren. Das war der rote Faden von dem Song.

Carsten:
Aber es gab ja mehrere Songs auf dem Album.

Stefan:
'Leb' ist vielleicht etwas, worüber man nachdenken soll oder kann. Oder Drachentöter. Das meiste sind aber eher lustige Nummern.

Carsten:
Aber zumindest die Nummern von dem Album, die ihr live gespielt habt, sind eher melancholische Nummern.

Stefan:
Wir haben ja mehr gespielt, wir haben nur nicht alles ausgekoppelt. Weil das hätte eine Doppel-DVD bedeutet. Und außerdem haben wir ein paar Songs so verpatzt, dass diejenigen, die's verpatzt haben, gesagt haben: Das ist so verpatzt, das kannst du nicht wegmischen, das können wir so nicht veröffentlichen.

Carsten:
Hat euch die erste Akkustik-Tour dann doch nicht so viel gebracht? Mit der wolltet ihr euch ja eher vorbereiten.

Stefan:
Haben wir ja. Aber wir haben auch über drei Stunden gespielt.

Carsten:
Ich hab mich ohnehin gefragt, warum auf der CD und der DVD teilweise unterschiedliche Songs sind. Warum habt ihr nicht einfach eine Doppel-DVD rausgebracht?

Thomas:
Das hatte einfach Marketing-technische Gründe. Das ist in der Produktion einfach teurer, der Preis im Laden ist teurer. Und die Leute verstehen dann einfach nicht, warum das teurer ist. Ich finde, ein Live-Album, wie auch schon die "Hexenkessel", ist immer so eine Art Best-Of. Und die muss man preislich nicht auszerren. Also ich finde, wenn man sich die DVD anschaut, das ganze Konzert samt Bonusmaterial, dann sitzt man da zweieinhalb Stunden. Und das reicht.

Carsten:
Wenn eine Band wie SCHANDMAUL so eine große Sache angeht, sollte andererseits natürlich die ganze Klasse erhalten bleiben. Da stellt man sich schon die Frage nach einer Doppel-CD.

Stefan:
Ja, die Vorbereitung hat uns ja auch viel gebracht. Wir haben uns ja in fünf Konzerten auf den Circus Krone vorbereitet, plus einer Probe mit Orchester. Diese Vorbereitung hat uns schon sehr viel gebracht, nur dann haben wir uns das Ergebnis durchgehört und mussten bei einigen Songs sagen: Nee, das ist einfach nicht so geworden, wie wir es haben wollten. Wenn du einen Song spielst, hört er sich einfach anders an, als wenn du ihn dir anhörst. Und wir haben diese Fünf-Tages-Tour ja komplett mitgeschnitten. Und dann haben wir uns davor gesetzt und uns diese drei Stunden mehrmals angehört. Und dann gab's bei ein paar Songs auch nicht viele Diskussionen, die flogen einfach raus. Diskussionen gab's echt viele, welche Songs auf die DVD kommen und welche auf die CD. Da haben wir uns intern echt fast angeschrieen. Aber es ist halt so.

Carsten:
Der Fan fragt sich natürlich, warum auf der CD und der DVD zum Teil verschiedene Songs sind.

Stefan:
Aus einem ganz einfachen Grund. Diese Songs, die es auf die CD geschafft haben, sind alle gut. Hätten wir aber einen mehr auf die DVD gepackt, wär's ne Doppel-DVD geworden. Dann haben wir entschieden, welcher Song ist eher sehenswert und welcher hörenswert. Auch da gab's Diskussionen. "Hauen wir 'Der letzte Tanz' lieber auf die CD oder lieber auf die DVD?"

Carsten:
Ich finde ja, dass die besseren Songs eher auf der DVD sind.

Stefan:
Das ist ja Geschmackssache.

Carsten:
Habt ihr euch bei der Songauswahl richtig gestritten?

Thomas:
Was heißt gestritten, wir haben diskutiert ohne Ende. Und sind dann irgendwann zu ner Lösung gekommen.

Stefan:
Da streitet man sich kurz, fällt sich hinterher in die Arme, gibt sich 'n Bussi und gut ist.

Carsten:
Wer sind denn die größten Sturköpfe bei euch in der Band?

Thomas:
Ich glaube... (grübelt etwas) ...dass man das so gar nicht sagen kann. Ich glaube, dass jeder von uns ein Sturkopf ist, aber jeder hat andere Bereiche. Also der Stefan, wenn's darum geht "was spielen wir heut Abend", da sagt er "ist mir alles wurscht". Dann gibt's andere Sachen, da hat er so einen Kamm auf und geht keinen Millimeter zurück. So hat jeder seinen Bereich, wo er stur ist und wiederum nicht. Kann man so nicht sagen. Jeder ist ein Sturkopf, haha.

Carsten:
Wenn man vor so einer Aufnahme noch mal die alten Songs durchgeht, denkt man dann eigentlich an die alten Zeiten zurück, wie man gerade angefangen hat?

Thomas:
Auf alle Fälle, grad beim Circus Krone. Das ist ja der Laden in München, das schönste Ambiente. Wenn man da auf den Brettern steht, auf denen schon John Lennon und wie sie alle heißen, AC/DC, STONES, alle schon standen, da hast du schon ein mulmiges Gefühl. Und gerade wenn du da oben stehst und blickst da auf die 2.500 Leute, die da am Rad drehen – gerade da erinnerst du dich zurück. Wo hast du angefangen, wo kommst du her, wo sind deine Wurzeln?

Carsten:
Ich kann mich an zwei Konzerte von euch in Frankfurt erinnern. Beim zweiten in der Batschkapp erzähltest du, Thomas, während einer Ansage von eurem vorigen im Nachtleben. Ihr hättet aus dem Tourbus rausgeschaut und an der Konstabler Wache die Drogendealer gesehen. Da fragte ich mich, was ihr für ein Bild von Frankfurt habt?

Stefan:
(Lacht) War halt so. Da sind wir aus dem Bus raus und haben erstmal LSD angeboten bekommen oder keine Ahnung, was der uns da verkaufen wollte.

Thomas:
Osnabrück war auch ganz weit vorn. Das erste Mal in Osnabrück gespielt, das war so ein ganz räudiges Industriegelände. Wir steigen aus dem Bus aus, macht's "knacks", und als erstes steigst du auf ein Spritzerbesteck drauf. Da denkst du auch erstmal "huuu, wo sind wir hier? Nette Gegend."

Carsten:
Merkt ihr schon, wenn ihr durch die Städte tourt, dort und dort habt ihr früher in kleineren Clubs gespielt und jetzt seid ihr schon in der High Society?

Stefan:
Was heißt High Society, wir haben uns in vielen Städten einfach hochgearbeitet. Früher haben wir vor 200 Leuten gespielt, heute vor über 2000. Wie in Frankfurt vom Nachtleben zur Batschkapp. Es gibt viele Beispiele, Nürnberg, Osnabrück, vom kleinen Club in die Stadthalle.

Carsten:
Noch mal zur Akustiktour. Die Gastmusiker habt ihr ja zum Teil schon vorher gekannt.

Thomas:
Also den Dominik, den Cello-Spieler, den kennen wir schon seit dem ersten Album. Der hat auf der "Wahre Helden" vor sieben Jahren schon Cello gespielt. Der war immer mal wieder Gast auf jedem Album. Also den kennen wir ewig, und der Kontakt zu den ganzen Streichern kam über Anna, logischerweise. Die hat in Quartetten und Orchestern gespielt, die kennt die ganzen Leute und Pappenheimer. Ist ein lustiger, netter Haufen gewesen, hat Spaß gemacht mit denen auf Tour. Das sind auch keine Profimusiker. Der eine wird Arzt, die andere ist schon Tierärztin und die nächste ist Grundschullehrerin in ihrem wirklichen Leben. Und dann mal zu beobachten, wie die abgehen, wenn die mal eine Woche im Tourbus sitzen und mal das richtige Leben mitbekommen.

Carsten:
Wie war denn die Akustiktour allgemein?

Stefan:
Die hat die Wahrheit ans Licht gebracht. Wo sind die Schwächen, wo sind die Stärken? An was müssen wir arbeiten? Es war wie ein jungfräulicher Motor, den man austesten muss. Was kann er, was gibt er her? Das war ein Lernprozess, fünf Tage mit sehr viel Blut, Schweiß und sehr viel Tränen.

Carsten:
Und wie war der Lernprozess für euch konkret?

Stefan:
Wir sind eine Rockkapelle. Und angenommen, wir haben uns irgendwo verspielt, oder der Thomas hatte einen Texthänger oder sonst irgendwas - da sind wir ein eingespieltes Team, da hat man Blickkontakt und fängt einfach wieder vorne an, wo man sich verdudelt hat. Die Band haut das schon ziemlich raus. Ein Streicher guckt auf sein Notenblatt und spielt das stur vom Notenblatt. Egal, ob ich jetzt plötzlich von vierviertel in sechsachtel wechsle, der spielt stur, was auf dem Blatt steht. Deswegen durfte man sich auf keinen Fall verspielen, da wären sonst alle auseinander gedriftet. Das musste alles reibungslos funktionieren. Die Lautstärke auf der Bühne war ein Riesenproblem, ich als Schlagzeuger musste mich unheimlich zurücknehmen.

Thomas:
Das war einfach ein Austesten in jeglicher Hinsicht. Technisch, welche Mikrophone nimmt man. Da konnten wir auf der Akustiktour ausprobieren, welches ist besser, welches kann mehr? Im Hinblick auf Circus Krone, weil da hatten wir nur einen Schuss und der musste sitzen. Wenn der daneben gegangen wäre, dann hätten wir mal eben so ein Reiheneckhaus in den Sand gesetzt oder so.

Carsten:
Eure Birgit hat ja auf der DVD gesagt, sie hätte sich eingeengt gefühlt. Die Streicher hingegen meinten, sie hätten sich eher entfalten können.

Thomas:
Sie hat sich nicht eingeengt gefühlt. Statt den üblichen Melodieinstrumenten Tröte, Flöte, Dudelsack, irgendwas, sind plötzlich noch die zweiten Geigen, die Bratschen und die Celli dazugekommen. Ja, bitte? (Ein paar Autogrammjäger unterbrechen uns kurz.) Das sind auf einmal mehr Melodien, und die müssen ein gemeinsames Bild ergeben. Das heißt, man musste sich etwas zurücknehmen und gucken, was macht der Rest? Eingeengt hat sich da, glaub ich, keiner gefühlt. Es sollte etwas Gemeinsames werden, es sollte aus einem Guss klingen. Und da darf dann keiner oben raus schießen, oder links oder rechts.

Stefan:
Weniger ist eben mehr, damit ein Gesamtbild heraus kommt. Wenn jeder nur Vollgas gibt, hast du am Ende ein Klangbild, das so überdreht ist, dass du nichts mehr heraus hörst. Deshalb musste sich jeder zurücknehmen. Der Matthias am Bass, ich am Schlagzeug. Der Ducky musste komplett umlernen von 'ner fetten E-Gitarre auf eine filigrane Akustikgitarre. Das war als Musiker eine Riesenerfahrung. Mit diesen Arrangements haben wir sehr viel dazu gelernt.

Carsten:
Der Circus Krone war ja der Höhepunkt. Wie ging es euch während dem Konzert?

Stefan:
Wir hätten eigentlich alle einen Kotzkübel auf der Bühne gebraucht, hehe. Wir waren alle nervös und durch den Wind. Das war alles so! (Zittert mit den Händen.)

Thomas:
Am besten kann man das eigentlich beschreiben, wenn man das Hinterher beschreibt, als das Konzert vorbei war, und wir in der Garderobe waren. Wir haben da neun Monate drauf hingearbeitet, wo wir dann teilweise zu flennen angefangen haben. Vor Erleichterung, vor Freude. Der Druck ist weg, die Geröllhalde ist vom Herzen runtergepurzelt. Wie so ein Tiefseefisch, der plötzlich an die Oberfläche kommt. (Macht große Augen.) Die nächsten Tage sind wir alle wie auf Wolken gelaufen. Wir mussten uns das immer wieder sagen, "hey, wir haben's geschafft!" Der Druck von uns war ja schon groß genug. Wir wollen perfekt sein und blablabala. Aber auch von außen. Die Plattenfirma, die Promofirma, Marketing und alles drum herum. Und alle puschen und sagen schon, "das muss gut werden!" Und dann sehen wir unser Konto, was wir da an Geld rein geschossen haben, in dieses Projekt. Als endlich die Stoptaste gedrückt wurde und von der Regie kam: "Es ist alles drauf! Es ist alles gut." Da fielen bei uns die Vorhänge.

Stefan:
Der Abend war sensationell, aber oft braucht das, glaub ich, keiner bei uns. Das war eine Nervenbelastung, da kriegst du graue Haare und so was, definitiv.

Carsten:
Gibt es eigentlich noch was Lustiges, was ihr nicht auf die DVD mit drauf gepackt habt?

Thomas:
Alles, was nicht jugendfrei ist, harharhar! Nee, also bei dieser Akustiktour zum Beispiel, da hatten wir ja einen Kameramann dabei, und der hat eigentlich den ganzen Tag gefilmt. Und da haben wir natürlich so ein Best-Of raus gepflückt. Und diese kurze Sequenz, wo wir im Tourbus so leicht bierselig waren, das war der jugendfreie Teil, hehehe.

Carsten:
Da hab ich aber schon Jugendgefährlicheres auf DVDs gesehen.

Stefan:
Naja, wir wollen's ja nicht übertreiben. Es ist schon ganz witzig, wir sind alles erwachsene Leute. Wir machen schon Blödsinn und wissen auch, wie weit wir untereinander gehen können. Aber wir haben auch sehr junge Fans, auch Kinder. Wir haben jetzt erst wieder einen supersüßen Fanbrief von einer Neunjährigen bekommen. Weißt du, da muss nicht unbedingt FSK 16 draufstehen, weil die gucken das vielleicht auch. Und was ein 21-Jähriger vielleicht voll lustig findet, ist dann nicht für ein Kind gedacht, und das muss ja nicht sein. Man denkt dann lieber auch an die Kleinen. Es gibt Sachen, die finden wir mit drei Bier vielleicht ziemlich lustig, aber wenn du nüchtern zu Hause bist, findest du's vielleicht gar nicht witzig.

Carsten:
Recht lustig find ich ja die Dolby-Surround-Einstellung, wo man dich zehn Minuten lang sieht. Wie kam es denn zu der Idee?

Thomas:
Das war recht witzig. Wir haben die 5.1-Mischung gemacht, bzw. Josef Angloher, unser Mischer, und unser Produzent Thomas Heimann-Trosien. Und immer wieder saß einer von der Band dabei, und hat ein paar Tipps gegeben. "Hier ist das Solo wichtig" und so. Dann waren wir fertig und haben am letzten Abend im Biergarten noch mal zusammen angestoßen. Und dann kamen wir von Hötzken auf Stötzken. Und ich hab erzählt, dass mein Dad so ein HiFi-Fanatiker ist. Der hat eine Anlage vor dem Herrn, da kannst du dir auch ein Haus für kaufen. Und da hat der mir mal gezeigt, auf der DVD von "Krieg der Sterne" Episode 1 oder 2 – oder weiß der Geier was – gibt's so eine Einmessfunktion. Ohne Schnickschnack, sondern einfach nur rechts und links, rechts oben, unten und so weiter. Und ich hab am Tisch einfach lustig die Geschichte erzählt. Da war der Bass, der ging surrend "uuuhh" von oben bis ganz runter. Mein Vater hat den Bass voll aufgedreht, und da hat's die Glastür von seinem Schrank raus gehauen. (Lachen in der Interviewrunde.) Und dann war ich fertig mit der Geschichte und wir gucken uns alle an und meinten: "Hey, wir brauchen so was!" Dann haben wir geforscht und können technisch mit gutem Recht behaupten: Wir haben die erste Musik-DVD mit 5.1-Sequenz. Und dann haben wir gesagt: Okay, jetzt tun wir das. Und das war dann noch schnell so 'n Schuss aus der Hüfte hinten dran.

Carsten:
Beim DVD-Bonusmaterial macht einen Großteil die Akustiktour aus. Die ist ja fast länger als das eigentliche Konzert. Man drückt und drückt sich durch und sie hört einfach nicht auf.

Thomas:
Also rein zeitlich gesehen dauert das Konzert 90 Minuten, die Tour 45 Minuten. Wir mussten uns einfach entscheiden, was machen wir im Bonusmaterial? Und ich glaube, für den Fan ist es einfach interessanter, bei der Tour dabei zu sein und zu sehen, was machen wir backstage und im Nightliner für Blödsinn, als nur diesen einen Tag im Circus Krone zu sehen. Wo wir alle sowieso nur rum gelaufen sind wie die...

Stefan:
...aufgescheuchten Hühner (beide synchron).

Thomas:
Da hat sich das als Hintergrund für 'nen Film einfach viel mehr angeboten als dieser eine Tag im Circus Krone.

Carsten:
Seid ihr auf Tour eigentlich eine richtige Familie? Ich hab euer eines Crew-Mitglied im Ohr, das meint: "Ich bin zwar der Packesel, aber heute ist grinsen angesagt." Kommen da bei euch Familiengefühle auf?

Stefan:
Ja! Zum Beispiel der Martin ist unser Lichttechniker, unser Produktionsleiter, unser technischer Leiter.

Carsten:
Der draußen mit den roten Strähnen?

Stefan:
Genau, mit den roten, verfilzten Dreadlocks. Der Martin ist halt einfach seit dem ersten Konzert dabei, der hat schon am 4.11.98 für uns Licht gemacht. Hatte dann mal ein paar Tage, wo er mal nicht konnte, weil er für andere Bands unterwegs war. Solche Leute können technisch ruhig etwas schlechter sein, als andere. Aber sie müssen menschlich ins Gesamtwerk passen. Das ist unser Hauptaugenmerk. Wir hatten zum Beispiel vor zwei Wochen Promotour, sind durch die Lande gefahren. Da haben wir immer Autogrammstunden gehabt und Abends Konzerte für zwei Euro Eintritt gegeben. Da sind zwei Leute aus unserer Crew umsonst mitgefahren und haben Urlaub mit uns gemacht. So funktioniert's, andere Leute wollen wir nicht dabei haben. Es muss freundschaftlich sein.

Carsten:
Also alles Leute, die ihr auch schon vorher kanntet?

Stefan:
Ja, das ist auch ganz wichtig auf Tour. Du brauchst einfach mal Leute, bei denen du dich auskotzen kannst. Ich kann mich nicht immer beim Thomas oder der Hanna ausheulen, dann geh ich eben mal zum Benny oder zum Martin. Andere Objektivitäten und andere Ansichten sind ganz wichtig. Aber es ist wie gesagte eine kleine Familie.

Thomas:
Und es ist auch ganz wichtig, was du grad ansprichst mit der Kritik. Weißt du, wenn du so ein festes Angestelltenverhältnis hast, wo du am Ende des Tages dein Geld kriegst und alles ist gut. Die Leute sagen dir da nicht, was sie von dir halten. Wir kriegen aber wirklich hier und da mal einen eingeschenkt. So nach dem Motto: Ey, was du da oben machst, das ist ja wohl die totale Scheiße, überleg dir das lieber noch mal. Guck dir das mal an, was ihr da gemacht habt. Das ist halt ernste, konstruktive Kritik. Und das ist uns unglaublich wichtig.

Stefan:
Ich persönlich oder auch andere Leute in der Band brauchen einfach mal ihre Freiräume und wollen sich mal eine Stadt allein angucken. Und wenn du dann auf Tournee bist, 14 Tage, drei Wochen am Stück im Bus, wo jedem nur zwei Quadratmeter Koje zustehen – dann kriegst du 'n Koller, wenn du mit Leuten nicht kannst. Du musst dich mit jedem gut verstehen. Denn wenn du einen dabei hast, der dich nervt, dann bist du echt genervt.

Carsten:
Seht ihr da Unterschiede zwischen euch und anderen Bands, dass ihr das mehr freundschaftlich haltet und andere rein professionell?

Stefan:
Professionalität und Freundschaft schließt sich ja nicht aus. Ich bin noch nie bei anderen Bands mitgefahren. Aber ich hab genug Geschichten erlebt, über die ich nicht reden will. Aber Professionalität und Freundschaft schließt sich nicht aus. Darauf legen wir wert. Professionelles Verhalten am Arbeitsplatz, freundschaftliches Verhalten intern.

Carsten:
Kommen wir noch kurz zu einem anderen Thema auf der DVD, die Musiktherapie der Fachhochschule Heidelberg. Wie kamt ihr denn dazu?

Thomas:
Man bekommt ja grundsätzlich als Band hunderte von Anfragen jedes Jahr "spielt doch mal auf diesem Benefizkonzert und jenem". Man kann natürlich nicht auf alles eingehen. Da kommt die große Auswahl, wem sagen wir zu, wem sagen wir ab. Und aus der Not heraus kam dann die Idee, was Eigenes zu suchen.

Carsten:
Deshalb seid ihr auch auf die zugegangen und die nicht auf euch?

Thomas:
Richtig. Wir wollten nicht die 1.011 Greenpeace-Band sein in irgendeinem Aktenschrank, sondern wollten einen persönlichen Bezug. Und dann haben wir halt gesucht. Und dann kam dieser Fernsehbericht über die Musiktherapie, was sie kann, was sie tut, was sie macht. Und wir alle: "Wow, ham wir noch nie von gehört, is' ja geil!" Und haben Kontakt zu denen aufgenommen und die haben uns mit offenen Armen empfangen. Haben gesagt "kommt vorbei, schaut euch das an, wir zeigen euch alles". Wir standen dann da wie die Kühe vor den Weihnachtsmännern, was die können und haben gesagt "das isses. Wollt ihr uns?" Und die waren froh, dass endlich mal jemand kommt.

Stefan:
Das war aber nicht so bei denen, dass die nur darauf gewartet haben, sondern die waren da sehr prüfend. Die wollten nur Leute, mit denen man sich grün ist. Und wir haben uns super mit denen verstanden. Wir fanden die dufte, die fanden uns dufte. Wichtig war auch, dass wir was lang Anhaltendes machen wollten. Nicht so "wir machen jetzt 'n Benefiz, Tschüss, Servus". Sondern wir wollen da schon eine langwierige Partnerschaft aufbauen, wenn möglich. Möglichst jedes Jahr ein Fahne hochhalten mit der Botschaft, mit Musik erreicht man ziemlich viel. Man muss nicht Medikamente schlucken, wenn's einem nicht gut geht. Das ist ja auch unsere Botschaft, Musik ist halt auch unser Leben. Wo könnten wir sonst unser Herzblut mehr reinlegen als in etwas, das mit Musik zu tun hat. Deswegen hat's halt einfach wie Arsch auf Eimer gepasst.

Thomas:
(schnappt sich mal wieder mein Diktiergerät) Deswegen sind wir jetzt auch die offiziellen Botschafter davon. Das heißt, unsere Aufgabe ist erstmal, in Form von Interviews oder weiß Geier was, diese Sache in die Lande zu tragen. Dass die Leute mal davon erfahren, auch in unserem Forum. Wir haben jetzt ein Forum eingerichtet, wo Betroffene direkt mit den Professoren von der Hochschule reden können. Und als nächstes werden wir 2006 ein Benefizkonzert in Heidelberg geben, wo wir auch noch andere Bands zu einladen werden. Da werden wir ganz konkret Geld sammeln für die GZM in Heidelberg. Die hat ein Sterbebegleitungsprogramm für krebskranke Kinder. Kinder, die also wirklich den Löffel abgeben, die so kaputt sind, so arm dran. Und da gibt es ein Sterbebegleitungsprojekt, das von den Kassen natürlich nicht finanziert wird. Das finden wir Wahnsinn, was die da leisten. Die kriegen kein Geld, deshalb gibt's ein Open Air. Ich hoffe, es kommen ganz viele Leute. Dann haben wir Geld, und können denen unter die Arme greifen.

Stefan:
Wir haben auch lieber den ganzen Stress, die ganze Action und dafür das Geld zusammen, um einer Familie richtig zu helfen, als fünfzig Familien eine Therapiestunde zu gönnen. Da sehen wir keinen Sinn drin. Jedes Leben ist Gold wert. Lieber einer Person das Leben versüßen, als fünfzig mal 'ne halbe Stunde.

Carsten:
Was habt ihr denn für euch persönlich dort aus den Gesprächen herausgezogen?

Stefan:
Es ist einfach die Macht der Musik. Wir sind Musiker, wir gehen daraus, und tausend Leute flippen aus. Aber sich mal wieder persönlich darüber bewusst zu werden, welche Macht eigentlich Musik hat, das war für mich schon so das ausschlaggebende. Erinner dich mal wieder daran, was für ein dickes Tool du da in der Hand hast. Musik ist einfach eines der mächtigsten Dinge der Welt, siehe Bodo etc. Dem sich wieder bewusst zu werden, in was für einer Verantwortung man auch stecken kann. Das war für mich so das "wow, da denkt man wieder nach".

Carsten:
Seht ihr euch auch generell als Band in dieser Verantwortung?

Thomas:
Sagen wir mal so, ich glaub, dass uns die Musiktherapie dahingehend die Augen geöffnet hat, wie Stefan schon gesagt hat. Dass man teilweise doch recht achtlos mit diesem Werkzeug umgegangen ist. Man betrachtet auf Festivals die Masse, die man da anstachelt, mal ganz anders. Und geht dann bewusster damit um, auf jeden Fall.

(Wieder werden wir von ein paar Autogrammjägerinnen unterbrochen und ich bemühe mich anschließend, Thomas und Stefan nicht mehr mit zu vielen Fragen zu quälen.)

Carsten:
Auf eurer DVD treten ja auch zwei Dudelsackbläser von CORVUS CORAX auf. Die Berliner haben sich ja vor kurzem auch an etwas Klassisches gewagt und die "Carmina Burana" neu vertont. Habt ihr das Ergebnis schon gehört?

Thomas:
Ja. Das ist ein sehr mutiges und sehr großes Projekt. Also vom Aufwand her gehen wir ja dagegen echt kacken. Man kann nur den Hut davor ziehen, dass sie sich da ran gewagt haben. Also den Orff kennt ja schon jeder, der das interpretiert hat. Sich da ran zu wagen und es so gut zu machen, dass auch die ganzen Spezialisten sagen: So, wie das CORVUS umgesetzt haben, ist es eigentlich eher im Sinne des Erfinders, als wie der Orff das umgesetzt hat. Denn zu der Zeit, wo die Carmina nur eine Textsammlung war, gab es das, was der Orff eingesetzt hat, noch nicht. Und da ist das mit den Sackpfeifen schon viel näher dran. Also Hut ab. Wir fliegen jetzt am Samstag alle man nach Berlin, wo die auf 'ner Museumsinsel ihre DVD aufnehmen, und das schauen wir uns an. Das wird ein lustiger Tag.

Carsten:
Ihr scheint ja ein gewisses Faible für Gastmusiker zu haben. Auf der vorigen DVD war ja schon der Mischa von IN EXTREMO dabei.

Stefan:
Was heißt Faible. Man kennt sich ja mittlerweile sehr gut und fragen kostet nix. Wenn sie nicht dabei gewesen wären, wär's schade gewesen. Aber wir haben halt gefragt und ich find das schön, wenn's bandübergreifende Geschichten gibt. Das wertet ein bisschen auf und man sieht, die können jetzt mit einander. Das ist doch schön.

Carsten:
IN EXTREMO haben ja auch auf dem Abschluss-Festival der BÖHSEN ONKELZ vor über 100.000 Leuten gespielt.

Stefan:
140.000 Leute.

Carsten:
Ich hab sogar noch höhere Zahlen gehört. Wie habt ihr zu dieser Band gestanden?

Stefan:
Gar nicht. Ich hab die nie gehört, es hat mich musikalisch nie angesprochen. Deswegen hab ich von denen auch keine Platte.

Thomas:
Das geht mir ähnlich. Ich glaube, das ist aber eine individuelle und persönliche Geschmacksgeschichte, wo man nicht drüber streiten braucht. Wir sehen, du warst da? (Thomas zeigt grinsend auf das schwarze Festival-Bändchen an meinem Handgelenk.) Jeder hat halt so seine persönlichen Favorits, und die ONKELZ waren nicht dabei.

Carsten:
Aber ihr habt die ganze Geschichte nie irgendwie politisch gesehen?

Thomas:
Naja, man hört immer Geschichten, Lügen, Sagen. Die einen sagen "die haben aber", und die anderen sagen "die haben noch nie und außerdem ist das alles anders". Ich hab mit denen persönlich nicht gesprochen, von daher kann ich dazu nix sagen. Weil, was irgendwelche Leute erzählen... Weißt du, wir sind ja auch schon Nazis gewesen. Weil unser erstes Album rot ist, das zweite gold, und das dritte schwarz. Da ist bestimmt – oh! – 'ne versteckte Botschaft drin.

Stefan:
Und dazu noch der Thomas mit seiner schicken deutschen Frisur. (Thomas streicht sich grinsend über seinen kahl geschorenen Kopf.)

Carsten:
Hehe, okay, soviel zu dem Thema. Wie ist denn generell eure Beziehung zum Heavy Metal?

Thomas:
Ich glaub, das ist eher deine Baustelle, hehe! (Schiebt das Aufnahmegerät zu Stefan)

Stefan:
Wie schon gesagt, jeder hat so seine persönlichen Favoriten und meine gehen von PINK FLOYD bis zu METALLICA. Ich geh auf MARK KNOPFLER-Konzerte, ich war auf zwei METALLICA-Konzerten. Ich geh auf RAMMSTEIN-Konzerte, auf JAMIROQUAI-Konzerte. Ich hätte auch Karten für U2 gehabt, aber da waren wir leider grad mit der Band unterwegs. Das geht uns allen so, jeder hört irgendwie so alles. Gut, ich bin vielleicht der mit den meisten METALLICA-Scheiben im Schrank.

Thomas:
Angefangen haben wir ja eher in der Folk-Szene. Und sind dann, wie die Jungfrau zum Kinde, zur Gothic-Szene und zur Metal-Szene geschickt worden. Unser erstes Metal-Konzert war in der Schweiz, der Headliner war SLAYER. Die ganzen harten Jungs mit ihren Aufnähern vor der Bühne, da kommen wir an und spielen Dudelsack und Flöte im bunten Kostüm – da hatten wir auch Angst, dass gleich die Becher fliegen. Aber nein, war nicht so. Genauso wie auf dem SUMMER BREEZE. Da gibt's den ganzen Tag voll auf die Zwölf, und wenn dann mal was anderes dazwischen kommt, ist jeder happy. Und ich muss sagen, dass die Metal- und die Gothic-Szene auch viel offener geworden sind gegenüber allem. So was wie Anfang der Neunziger, Rapper gegen Metaller und dann gibt's was auf die Nuss – das gibt's heute nicht mehr. Guck mal da raus, da steht der Punker neben dem Metaller und dem Gothic, und da steht auch mal ein Strickpulli. Die hören mittlerweile alles, das ist offen, das ist geil. Das find ich gut.

Carsten:
Wo wir grad bei Szenen sind, wie ist eigentlich noch eure Beziehung zur Mittelalter-Szene?

Stefan:
Die ist genauso wie zur Metal-Szene und zur Folk-Szene. Wir werden natürlich so ein bisschen in diese Schublade gesteckt. Ist ja auch irgendwo wahr, weil wir Instrumente benutzen, die vor tausend Jahren ausgestorben sind. Wenn du dir aber unsere Songs genau anhörst und aufs Schlagzeug und den Bass achtest, dann könntest du genauso gut denken, es ist 'ne RED HOT CHILLI PEPPERS-Nummer. Oder der Nucky mit seinem Gitarren-Sound aus den Achtzigern.

Thomas:
Wir schneiden halt alles an und haben ganz viele Schnittmengen. Und das ist genau das, wie wir uns auch sehen. Vielseitig und den breiten Spagat zwischen allem.

Carsten:
Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick: Ihr arbeitet an einem neuen Album. Wie wird das so? Werden da auch die zwei neuen Nummern von "Kunststück" drauf sein?

Thomas und Stefan synchron:
Nein.

Thomas:
'Bin unterwegs' und 'Der Clown' sind exklusiv für Kunststück gemacht worden und bleiben auch da. Das neue Album ist im Prinzip fertig, wir sind in der Vorproduktion. Man kann's vom Gefühl her so zusammenfassen: Die Grundwärme und das Gefühl von "Pech & Schwefel" wird fortgeführt. Es gibt da keine 180-Grad-Wendung. Wir sind teils frecher geworden, haben den Spagat teils noch breiter gemacht, dass die Eier schon irgendwie fast den Boden berühren. Es wird ein Hammer-Album, wie ich das so seh.

Carsten:
Apropos Spagat: Die beiden neuen Songs auf "Kunststück" stehen meiner Meinung nach sehr gut für zwei Extreme bei euch. 'Bin unterwegs' ist eher poppig, während 'Der Clown' sehr melancholisch ist.

Stefan:
Das sind einfach Facetten, die in jedem von uns stecken, mal mehr, mal weniger. Ich find das sehr wichtig und gesund, immer mal so was einzupacken. Auch für die musikalische Weiterentwicklung find ich das gut. Eine Band muss ja nicht komplett ihre Spuren ändern, also komplett vom Rockigen ins Poppige oder so. Aber immer mal wieder zeigen "hei, hier schlägt auch mein Herz für oder da kann ich auch was raus ziehen", das find ich ganz wichtig.

Carsten:
Wie viel Persönliches steckt in 'Der Clown' drin? Der Star auf der Bühne, abseits ein Niemand?

Thomas:
Total viel. Das Gefühl, was darin beschrieben wird, ist genau das, was man auf der Bühne hat, wenn man auch viel Glück ins Publikum trägt. Und viele im Publikum ziehen sich ja auch was davon und laufen die ganze Woche fröhlich pfeifend durch die Gegend. Aber nur wenige interessiert, was danach in der Garderobe passiert. Und da gibt's das lustige Beispiel von Robby Williams, einem der größten Entertainer unserer Zeit, wo man dann irgendwann nach Jahren durch die Medien mitbekommt, da ist er abgestürzt, hat Drogen genommen, Depressionen bekommen, muss Tabletten fressen. Warum? Woher kommt's? Ganz einfach: Vorne ist er der strahlende Mann, aber hinten ist dann keiner mehr da. Und das soll 'Der Clown' ein bisschen beschreiben, so der Blick hinter die Fassade. Und das geht jetzt nicht nur im Rock/Pop-Geschäft so, sondern bei jedem. Warum hängt mein Daddy seit zwei Jahren so komisch in der Ecke? Was ist mit dem? Mal wieder nachfragen, mal wieder "hallo" sagen. Geht's dir wirklich gut oder sagst du das nur? Augen auf!

Stefan:
Eine Fassade, die sich halt jeder Mensch aufbaut. Ein großer Manager, jeder wirft sich zu Boden und kuscht, weil er der große Chef ist. Aber dann traut er sich nicht, irgendjemand im Supermarkt zu fragen, wo die Milch steht, weil er eigentlich die total kleine Wurst ist. Wenn er nicht in seinem Jackett am Rednerpult seiner Firma steht.

Carsten:
Bei 'Der Clown' liegt natürlich auch die Frage nahe: Wie viel von Heinrich Böll steckt da drin?

Thomas:
Also ich muss sagen, ich geh eigentlich nicht altes Textmaterial durch und sagen dann, wir müssen da mal was machen. Viele haben mich bei diesem Titel natürlich im Nachhinein darauf aufmerksam gemacht. Man kennt die Geschichte von dem Clown mit den traurigen Augen. Nicht nur von Heinrich Böll, das wurde schon tausend Mal erzählt. Oder 'Seemannsgrab', die Meerjungfrau, die den Fischer runterzieht. Das erfindet man nicht neu, das gibt's in allen möglichen Variationen bei allen Goethes und Schillers dieser Welt. Und wir haben's einfach neu erzählt. Und ich verweise und berufe mich dann auf niemanden, weil es einfach das ist, was aus mir zu dieser Geschichte herauskommt.

Carsten:
Letzte Frage dann an dich: Woher nimmst du generell die Inspiration für deine Texte?

Thomas:
Alles. Ich les viel, Schund und auch tolle Bücher. Ich erleb viel, ich guck viel. Augen auf im Leben. Das alles irgendwo speichern und irgendwann kommt's raus und sagt "Hallo".

Carsten:
Okay, gibt es zum Abschluss noch etwas, das ihr sagen wollt?

Stefan:
Bleibt gesund und schaut nach euren Nachbarn. Macht was aus eurem Leben.

Thomas:
Bleibt so, wie ihr seid, wir tun's auch!

Redakteur:
Carsten Praeg

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