SEPULTURA: Interview mit Paulo Xisto, Andreas Kisser, Derrick Greene

27.01.2009 | 14:24

Toll ist es, wenn das Interview mit der persönlichen Lieblingsband planmäßig stattfindet. Scheiße ist es, wenn in den hundert Ecken, um die ein solches organisiert wird, irgendwas schief läuft. Aber der passionierte SEPULTURA-Fan weiß sich zu helfen.

Schön ist es, wenn ein Interviewtermin wie geplant zustande kommt. Weniger schön ist es, wenn man das Telefon anstarrt, und dieses sich beharrlich weigert zu klingeln. Um hundert Ecken, die es braucht, um so ein Interview zu organisieren, kann schon einiges schief gehen. Und während man so nutzlos rumhockt und darauf wartet seine absolute Lieblingsband zu befragen, kommen einem Gedanken, ob die Antworten, die man sich auf seine fünftausend Fragen erhofft, genauso ausfallen würden, wie man sie sich vorstellt. Und dann kommt man auf die Idee, ein Interview runter zu schreiben, das eigentlich nie stattgefunden hat.

Ein nicht stattgefundenes Interview mit SEPULTURA:

Michael:
Hallo Leute, bereit euch durch das letzte Interview des Tages zu kämpfen?

Derrick:
Hey dude. Ja, bald ist Feierabend, endlich... Also, schieß los.

Michael:
Euer neues Album ist schon vor Veröffentlichung unter den Fans exzessiv diskutiert worden: Schon wieder eine Literaturvertonung? Warum eigentlich?

Andreas:
Die Frage ist schnell beantwortet. Die Geschichte von Anthony Burgess passt einfach zu uns, diese düstere und hoffnungslose Stimmung, der kritische Grundtenor. Dieses Buch, und natürlich auch der Film, waren eine große Inspiration für unsere Arbeit.

Michael:
Ehm, natürlich. Besonders nachdem ihr Dante Aligieris Comedia als Anlass genommen habt, ein Album aufzunehmen, das ausnahmsweise mal nicht von der halben Fangemeinde verrissen wurde, stellt man sich nun die Frage, ob SEPULTURA nun vollkommen den Boden unter den Füßen verlieren.

Andreas:
Inwiefern?

Michael:
Nun, es scheint als würde die Band thematisch immer mehr in Regionen abdriften, zu denen ein Großteil ihrer Fangemeinde keinen Zugang mehr hat. 'Intellektuellen-Metal' ist da nur eins der Stichworte, die mir da einfallen.

Paulo:
Intellektuellen-Metal? Klingt irgendwie absurd ... andererseits auch irgendwie cool.

Andreas:
Ich verstehe, was du damit sagen willst, aber das stimmt so nicht, wir haben großartiges Feedback zu unserer Arbeit der letzten Jahre bekommen, und wir sind uns sicher, auf dem richtigen Weg zu sein. SEPULTURA entwickelt sich weiter, seit die Band gegründet wurde, und dies ist einfach ein weiter Schritt auf dem Weg, den diese Band geht.

Michael:
Fans äußern die Meinung, und einige sogar die Forderung, dass dieser Weg das Ende der Band bedeutet. Das neue Album ist noch einen Tick experimenteller als "Dante XXI", und selbst mir als überzeugtem Fan der Band fiel es wahnsinnig schwer, mich in der Platte zurecht zu finden. Um ehrlich zu sein, es brauchte Tage, um mich überhaupt dazu bewegen zu können, diese Platte anzuhören. Und siehe da, meine Erwartungen wurden gleichermaßen erfüllt wie enttäuscht.

Derrick:
Erfüllt und enttäuscht? Wie meinst du das?

Michael:
Das monumental schwergewichtige Werk von Anthony Burgess wurde in etwa 100% stimmig wiedergegeben, genau so etwas hätte ich mir davon erwartet. Schwer, unbequem, düster, sperrig, eindringlich und vor allem schonungslos.

Andreas:
Ich würde das ja fast als Kompliment auffassen...

Michael:
Das kannst du durchaus, es beweist die Fähigkeiten, die dieser Band inne sind.

Paulo:
Dann unseren Dank hierfür, aber wieso enttäuscht?

Michael:
Weil SEPULTURA auch als Band bekannt sind, die es einmal verstanden hat bahnbrechende Ideen auf eingängige und gleichzeitig energische Art und Weise zu vermitteln. Es gibt kaum eine Band, deren Alben kontroverser diskutierende Anhänger und Gegner haben, wie die von SEPULTURA.

Derrick:
Willst du sagen, "A-Lex" sei nicht eingängig?

Michael:
Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, die Platte sei es?

Andreas:
Gut, gut, das stimmt schon. Aber wir können uns nicht an der Vergangenheit festhalten, wir müssen uns weiterentwickeln...

Michael:
Was ihr ohne Zweifel auch überaus eindrücklich getan habt...

Andreas:
Man sollte nicht den Fehler begehen, die alte Zeit mit der neuen zu vergleichen.

Michael:
Das muss man auch gar nicht, aber Fakt ist: Euch laufen die Fans davon, und Grund dafür ist sicherlich auch, dass ihr sie mit euren musikalischen Ambitionen überfordert.

Andreas:
Wir können niemanden zwingen, unsere Musik zu mögen, aber sind wir nicht auch verpflichtet, Musik zu machen, die unserem Selbst entspricht? Musik zu machen, die nicht falsch und gewollt ist?

Michael:
Sicherlich, gehört dies ja zu den Dingen, die wenigstens die letzten paar Fans bei der Stange halten. Aber im Ernst: Denkt ihr nicht selbst manchmal, dass die Musik bisweilen zu komplex wird? Ich hatte beim Hören der Platte den Eindruck, als wäre da so viel an Kreativität reingeflossen, dass der Platz, den diese Platte geboten hat, gar nicht ausreichte. Die Songs sind wieder so enorm kurz geraten, und der rote Faden fehlte, etwas, das den Hörer schlüssig sicher durch dieses Bollwerk an Sound führte.

Derrick:
Nun, die Vorlage ist ja nicht unbedingt die bequemste Lektüre, die man sich vorstellen kann.

Michael:
Allerdings kann man durchaus die Meinung vertreten, dass derartig progressiv angehauchtes Songwriting doch eher untypisch für SEPULTURA ist.

Andreas:
Und vielleicht liegt da dein Fehler. Kann man einer Band wie SEPULTURA, die sich seit nun mehr als fünfundzwanzig Jahren stetig weiterentwickelt hat, tatsächlich etwas vorwerfen, dass "untypisch" für sie ist?

Michael:
Bei allem Respekt, mit dieser Einstellung läuft eine der großartigsten Metalbands des vergangenen Jahrtausends Gefahr, bald alleine mit ihrem Genialismus dazustehen.

Derrick:
Nun, das ist doch alles Schwarzmalerei. Wir haben durchaus noch Fans, die treu zu uns stehen und uns in dem ermutigen, was wir tun.

Michael:
Ihr habt aber auch Fans, die sich einen deutlich kritischeren Standpunkt gegenüber ihrer Lieblingsband leisten. Und ihr habt auch Fans, die sich einfach nur enttäuscht von euch abwenden, weil ihr es ihnen immer schwerer macht, sich mit eurer Musik zu identifizieren. Die Entwicklung eurer Alben in den Albumcharts spricht für sich: War die "Roots" noch ganze vierzig Wochen in den Charts, darunter auf Platz sieben, hat sich "Dante XXI" genau eine einzige Woche auf Platz vierundsechzig gehalten.

Paulo:
Bist du dir ganz sicher, dass du uns jetzt mit Chartplatzierungen kommen willst?

Michael:
Hundertprozentig sicher, denn Fans von BRITNEY SPEARS kaufen sicherlich keine Alben von euch.

Andreas:
Gut, noch einmal: Was sollen wir denn tun? Uns den Wünschen der Fans anpassen?

Michael:
Sich trotz all der neuen Möglichkeiten des Internets, seine eigenen Ideen zu publizieren, auch mal mit denen der Fans zu beschäftigen?

Paulo:
Moment! Das Coverartwork...

Michael:
...von "A-Lex" wurde von einem Fan eingereicht, ich weiß. Aber ist es nicht frustrierend zu sehen, dass man trotz seiner durchaus gewaltigen und lobenswerten Anstrengungen mit den Fans in Kontakt zu bleiben, doch immer mehr den Draht zu ihnen verliert? Ich meine, SEPULTURA ist bei welchen Plattformen vertreten?

Derrick:
Es sind einige.

Michael:
Und trotzdem schwindet die Aufmerksamkeit, die die Band erfährt, die großartige Werke wie "Beneath The Remains", "Chaos A.D." und auch "Dante XXI" vollbracht hat.

Andreas:
Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir stehen durchaus in Kontakt zu unseren Fans, und wir erfahren auch positives Feedback.

Michael:
Was vielleicht daran liegt, dass die enttäuschte Mehrheit sich stillschweigend abwendet, und sich mit Klonalben von SOULFLY und den alten SEPULTURA-Scheiben tröstet. Das muss ungemein frustrierend sein, Max macht seit mehr als zehn Jahren eigentlich immer wieder das gleiche, und hat es durchaus geschafft sich mit seiner Band, die eigentlich nichts anderes ist als SEPULTURA-light, einen festen Status in der Gemeinde zu behaupten, und ihr erfindet euch immer wieder neu, und verliert eigentlich ständig an Boden.

Andreas:
Wir tun das, was wir tun können. Darüber gilt es nicht groß nachzudenken, wir sind SEPULTURA, und wir gehen unseren Weg.

Michael:
Ohne Zweifel. Allerdings leben alle vier von euch von der Musik. Eure Familien leben vom Erfolg, den SEPULTURA hatte und immer noch hat. Eine erste Konsequenz der schwierigeren Umstände für die Band war der Weggang von Igor, der das lange Touren in Trennung von seiner Familie nicht ausgehalten hat. Wenig später stand er auf einmal wieder mit seinem Bruder auf der Bühne, hatte ein sehr viel finanzkräftigeres Label im Rücken, das euch nur allzu bekannt sein dürfte, und hatte sogar die Möglichkeit die seinen mit auf Tour zu nehmen.

Andreas:
Willst du wirklich diese "CAVALERA CONSPIRACY" als Argument anführen?

Michael:
Musikalisch? Auf gar keinen Fall. Aber es zeigt deutlich, dass es auch anders geht.

Andreas:
Das kann nicht dein Ernst sein. Wir sollen uns selbst kopieren, den alten Zeiten hinterher hecheln, nur damit die Kasse wieder klingelt? Wir sind SEPULTURA!

Michael:
Sollte es nicht mehr geben, als nur Schwarz und Weiß? Ich rede ja nicht davon, dass ihr eure alten Zeiten kopieren solltet ... es reicht vollkommen, wenn das schon ein ehemaliges SEPULTURA-Mitglied tut.

Paulo:
Yeah, damn right.

Michael:
Und genau das ist es auch, was euch immer wieder vorgeworfen wird: Ihr versucht auf Teufel komm raus, selbst mehr als zehn Jahre nach der Trennung von Max, euch von eurer alten Zeit abzusetzen, und zu beweisen, dass ihr mehr draufhabt?

Andreas:
Wir haben mehr drauf!

Michael:
Das stellt, anscheinend außer euch selbst, auch keiner mehr in Frage. Vielmehr scheint es, als würde eure Kreativität vollends mit euch durchgehen.

Paulo:
DAS ist jetzt aber kein Kompliment, oder?

Derrick:
Definitely not. Meintest du nicht, du wärst ein Fan?

Michael:
Seitdem ich anno 96 die "Roots" gehört habe, ja. Das war mein erster Kontakt mit Metal, und der Moment steckt mir immer noch in den Knochen.

Andreas:
Wir werden unsere Band nicht darauf ausrichten finanziell erfolgreich zu sein. SEPULTURA ist ein Name, der für Veränderung steht, und dem bleiben wir treu.

Michael:
Ich erinnere an eine Zeit, in der du beim Wasserskifahren eins deiner Beine gebrochen hattest, und die Band mehrere Konzerte spielen musste, um die Arztkosten wieder einzubringen. Solche Sorgen sind euch mittlerweile anscheinend fremd?

Andreas:
Wir kommen über die Runden.

Michael:
Wie lange noch?

Paulo:
Solange Fans, selbst kritische Fans wie du, zu uns halten.

Michael:
Das ist eine äußerst wackelige Basis, um ein Leben darauf aufzubauen.

Paulo:
Das Leben ist halt so, wir können nicht anders.

Michael:
Gut, und wie ist es mit dir persönlich? Du bist mittlerweile das einzige verbliebene Gründungmitglied von SEPULTURA. Wenn du an die Zeiten denkst, in denen ihr zusammen in runtergekommenen Hütten in Belo Horizonte und Sao Paulo gejammt habt, kommt da nicht ein wenig Wehmut auf?

Paulo:
Schon, aber das Leben ist halt so, wie ich sagte. Wir müssen mit dem arbeiten, was uns das Leben schenkt, und das tun wir auch. Wir werden sehen, wo unser Weg hinführt.

Michael:
Ist das nicht ein wenig viel Schicksalsergebenheit für eine Band, die in ihrer Anfangszeit mit dem Militärregime in Brasilien zu kämpfen hatte, und seitdem immer wieder dafür plädiert hat, das Leben in die eigene Hand zu nehmen?

Paulo:
Hmhmh...

Andreas:
Nun gut, aber ich bleibe dabei: Wir werden nicht umkehren. Wir haben diesen Weg eingeschlagen, und wir werden ihn konsequent gehen, das sind wir unseren Fans schuldig.

Michael:
Es sollte eigentlich klar sein, dass die Fans da eine dezent andere Meinung vertreten.

Andreas:
Okay, okay, das sind wir uns selbst schuldig. Wir werden nicht umkehren! SEPULTURA entwickelt sich weiter, mit jedem Schritt, den diese Band geht.

Michael:
Und wenn genau dieser Weg die Band in die Bedeutungslosigkeit manövriert?

Andreas:
Dann ist das halt so.

Redakteur:
Michael Kulueke
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