SERENITY & VISIONS OF ATLANTIS: Angehört.

10.02.2011 | 14:51

Die Leichtigkeit des orchestralen Grooves. Eine Reise durch die Zeiten, beginnend mit Wagner, beendet mit dem Anhören der neuen Alben "Death & Legacy" und "Delta"

Die Leichtigkeit des orchestralen Grooves

Konzeptalben sind etwas großartiges. Die Verbindung von Text und Musik zu einem gesamten Kunstwerk stellt vielleicht die Königsklasse der modernen Popmusik dar – und ist für den Künstler eine Art Feuertaufe, müssen doch alle Elemente des Albums durchdacht und miteinander in ein harmonisches Ganzes gebracht werden. Wenn es gelingt – und die Vergangenheit hat gezeigt, dass es gelingen kann – stehen derart unvergessliche Alben wie das perfekte "The Wall" von PINK FLOYD oder Großtaten wie KING DIAMONDs "The Eye" ins Fan-Haus. "Wir hassen unsere Songs," sagt Thomas Buchberger, der Gitarrist von SERENITY, der Prog-Institution aus Österreich. "Wir hassen sie – und wir lieben sie. Nein, natürlich sind wir davon überzeugt, dass sie stark sind. Und darauf sind wir stolz." SERENITY treten mit ihrem neuesten Werk "Death & Legacy" in die Fußstapfen erwähnter Mutiger und Genreidole. Und feuern damit eines von zwei heißen Eisen in die Menge, das Napalm Records aus Österreich für den Februar 2011 am Start haben. Die andere Band hört auf den romantischen Namen VISIONS OF ATLANTIS und geht nicht minder ambitioniert ans Werk. Denn so reif, erwachsen und ernsthaft haben die Melodic-Dark-Metaller noch nie geklungen. Und was vereint diese beiden Werke ausser der Labelzugehörigkeit? Die Liebe zu ausufernden Orchesterarrangements.




Schmachtende Maiden und gigantische Entdeckungen

"Es galt, beim Songwriting zu versuchen, unsere verschiedenen Elemente noch besser zu verbinden", erklärt Thomas. "Die Chöre, die Orchesterarrangements, Gitarren – und es ist uns sehr gut gelungen, wie ich finde." In der Tat, zwölf Songs und diverse Zwischenspiele schaffen eine harmonische Reise in das 15. und 16. Jahrhundert des Abendlandes, erfüllt von tanzenden Hofdamen, schmachtenden Maiden und dramatischen Entdeckungen. Die zitierten Themen der Band werden jeweils in den Songs aufgegriffen und unterschiedlich interpretiert. Das Potential, das in der Verbindung aus Orchesterarrangements und kräftigen Metalgitarren liegt, wurde schon früh entdeckt. Am bekanntesten ist wohl Jon Lords DEEP-PURPLE-meets-Orchester-Projekt. 1969 schrieb er mit "Concerto For Group And Orchestra" Musikgeschichte. Doch neben vielen anderen derartigen Versuchen leistete auch das ELECTRIC LIGHT ORCHESTRA einen wichtigen Teil für die Verbindung zeitgenössischer Popmusik und "ernster" klassischer Musik. Heutzutage blicken wir auf eine Fülle verschiedenster Genreübegriffe. Seien es extreme Auswüchse wie DIMMU BORGIR oder THERION, eher klassische Variationen – im Metalsinn geschrieben – wie VIRGIN STEELE oder RAGE oder die amerikanische Variante von SAVATAGE/TRANS-SIBERIAN ORCHESTRA und KAMELOT: Das Feld epischer Arrangements ist weit und die Art der Umsetzung gleichermaßen unterschiedlich. Während Streicher oft lediglich zu nettem Beiwerk verkommen, schaffen es andere Künstler, die beiden musikalischen Elemente auf hohem Niveau zu verbinden.



Jon Lord als Konkurrent?

SERENITY gehen dabei einen recht eigenen Weg und nehmen sich gerade jenes Potential vor, das klassische Musik und Metal am ehesten verbindet: Die Rhythmik. Sei es der 'Ritt der Walküren' von Wagner oder Prokofievs 'Tanz der Ritter' – das, was man heutzutage als "Groove" bezeichnen würde, also die Metrik eines Stückes, ist auch schon bei diesen Meistern zwingend und eindrucksvoll. An dieser Stelle setzen SERENITY an und kombinieren ihren bekannten Sound mit episch-romantischen Arrangements, die sich zumeist zu zwingenden Nackenbrechern vereinen. Natürlich haben die Österreicher nicht den Anspruch, einem Jon Lord Konkurrenz zu machen, denn die melodische Metalkomponente steht nachwievor im Vordergrund. Somit ist die orchestrale Komponente oft schmückendes Beiwerk, mehr Fokus auf Gitarren und Gesang gelegt. Wenn sich Orchester und Band allerdings auf einen gemeinsamen Weg einigen, kommt der oben angesprochene Spirit brachial und groß aus den Boxen. Die stürmischen Zeiten eines Galileo Galilei und des Herzensbrechers Giacomo Casanova finden so den Weg in das heimische Wohnzimmer und versprühen ihren ganz eigenen Charme. Einen Charme, den die Metalwelt allerdings schon kennt. Denn KAMELOT stellen auf diesem Gebiet seit den späten Neunzigern bis heute eine fast schon beängstigend konstante Monopolstellung dar. "Ja, KAMELOT sind vor allem mit "Black Halo" und "Karma" eine unserer Lieblingsbands", stellt Thomas klar. "Auch wenn die neuere Ausrichtung nicht mehr so das Unsere ist, sind wir große Fans." Dennoch schaffen es SERENITY mit ihrem kommenden Album, einen eigenen und einzigartigen Eindruck zu hinterlassen. Und für Sänger Georg KJAF liegt der Grund dafür vor allem in den zahlreichen Einflüssen, die jeder einzelne Musiker mit in die Band bringt. Er selbst sieht sich daher mehr in den Fußstapfen eines Freddie Mercury als in denen eines Roy Kahn. (Klar, wem Schuhgröße 42 zu groß ist, trägt normalerweise auch lieber eine 51- PK)

Eine Welt voller Sängerinnen

Unterstützt wurde Georg von drei Gastsängerinnen: Ailyn von SIRENIA, Amanda Somerville und Charlotte Wessels von DELAIN. Durch diese Erweiterung im Gesang klingt das Album nicht nur runder, sondern abwechslungsreicher – und reine Staffage sind die Damen glücklicherweise auch nicht. Aber das war bei der hohen Detailgenauigkeit, mit der SERENITY an die Sache herangegangen sind, auch nicht zu erwarten. Eine andere Dame, auf deren wunderschöne Stimme sehr viel wert gelegt wird, ist Maxi Nil von VISIONS OF ATLANTIS. Es ist ihr erster Auftritt auf einem VISIONS-Album und, um das gleich vorweg zu nehmen, sie macht ihren Job großartig. Drei Alben veröffentlichten die Österreicher bislang und stellten sich mit sehr melodischen, romantischen, ja, fast zuckersüßen Songs vor. Nach dem Ausstieg des Hauptsongwriters Wolfgang Koch ist das vierte Album in der Reihe, sich neuzudefinieren und zu finden. Nachwievor geht es um die Geheimnisse des verschwundenen Atlantis, dramatische Melodien und krachende Arrangements schaffen dafür die Grundlage. Anders als SERENITY greifen die Österreicher dabei aber eher auf Elemente des Dark, leicht extremen Metals zurück. Mit einem reißenden Wasserstrom wurden Großteile des Zuckermantels, der die früheren Veröffentlichungen wie eine starre Kruste umschloss, hinweggerissen und die Essenz der Band freigeschaufelt, das wahre Potential. Intelligente Arrangements und die raue Stimme von Mario Plank, wunderbar durch die charakteristische Stimme von Maxi kontrastiert, ergeben eine rockige Variante des orchestralen Metals und wollen plötzlich ernst genommen werden.

Was wäre, wenn...

Damit schafft es die Band, den skandinavischen Trend der rockigen Variante des symphonischen Metals, um eine südlichere Ausgabe zu bereichern. Während also im letzten Jahr TRISTANIA überraschen konnten, sind es 2011 VISIONS OF ATLANTIS. Faszinierend ist, dass dadurch eine Variante des modernen Rocks entsteht, die sich erfreulich weit von dem abhebt, was heutzutage als Gothic Metal bezeichnet wird. "Wir schwimmen mit diesem Album auf der Schwelle", führt Mario aus. "Wir wollten schon die Emotionen rüberbringen, wollten aber auf keinen Fall zu kitschig werden." Die Art der orchestralen Umsetzung dieser Stimmungen und Emotionen, aber auch die Verbindung der Rock-/Metal-Elemente mit den klassischen Tunes geht einen ähnlichen Weg wie die Labelkollegen von FAIRYLAND: Jene Band schafft es, wenn der Name es möglicherweise auch anders vermuten lässt, die Epik einer Band wie RHAPSODY OF FIRE mit einem progressiv-rockigen Touch zu versehen. VISIONS OF ATLANTIS gehen diesen Weg noch einen Schritt weiter in Richtung Rock und schütteln diese Plastik-Epic-Metal-Roots vollständig ab. Geschwindigkeitseruptionen gehören dabei aber immer noch dazu, treibende Riffs und Kniedel-Fiedel-Leads des Melodic Metals müssen ebenso nicht vermisst werden. Die zehn Songs mit einer Laufzeit von knapp 44 Minuten stellen einen faszinierenden Mix dar und zeigen, wie der Geist eines Jon Lords 40 Jahre später umgesetzt wird. Die Art der Kombination aus Klassik und hartem Rock hat eine zumindest in dem Genre, das VISIONS OF ATLANTIS und SERENITY – im Ansatz – vereint, eine gehörige Umwertung erfahren. Natürlich darf zu Recht eingewendet werden, dass der Versuch einer Genese auf der einen, klassischen Seite und die Verwendung solcher Arrangements zur Unterstützung verschiedener Stimmungen auf der anderen Seite schwer zu vergleichen sind. Doch die Antwort auf die Frage, was passiert wäre, wenn den großen Romantikern E-Gitarren zur Verfügung gestanden hätten, lässt sich mit dem Anhören dieser beiden Alben vielleicht erahnen.



"Death & Legacy" von SERENITY und "Delta" von VISIONS OF ATLANTIS werden am 22. Februar 2011 über Napalm Records veröffentlicht.

Vielen Dank an Andrea Friedrich für die Fotos.

Redakteur:
Julian Rohrer

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