SIGH: Interview mit Mirai Kawashima

10.11.2005 | 15:59

SIGH starteten Ende der Achtziger als eine der ersten extremen Metalbands Japans und erreichten ein paar Jahre später durch das Debüt auf Euronymous' Label schnell Kultstatus in der Black-Metal-Szene. Der absolut einzigartige Stil der Band und der Wandel hin zu immer mehr Vielseitigkeit und Avantgarde auf höchstem musikalischem Niveau bescherten der Band bis heute zunehmende Hochachtung bei Fans, Musikern und Kritikern, auch wenn das alles mit Black Metal natürlich nur noch wenig zu tun hat. Ich habe Mastermind, Sänger, Komponist und Multiinstrumentalist Mirai Kawashima (im Foto vorne) kontaktiert, um mit ihm sowohl über die Geschichte seiner außergewöhlichen Band, als auch über das geniale neue Album "Gallows Gallery" zu reden.

Rüdiger:
Was mir bei eurem neuen Album als erstes ins Auge stach ist das Artwork von "Gallows Gallery". Es ist einfach großartig, sowohl was die Ausführung und die Farben, als auch was die Atmosphäre angeht. Wer hat es erstellt und wie seid ihr auf den Künstler aufmerksam geworden?

Mirai:
Ja, ich mag das Artwork auch sehr gerne. Es wurde von Adam Wentworth (ex-RED CHORD-Bassist) gemalt. Steve Joh, der mal A&R für SIGH war, als wir "Imaginary Sonicscape" machten, stellte uns Adam vor und wir entschieden sofort, dass er das Artwork machen sollte, weil seine älteren Arbeiten großartig waren. Wir gaben Adam nur sehr vage Vorgaben. Es sollte gleichzeitig schön und gruselig sein und vor allem sehr beeindrucken. Dazu gaben wir ihm den Titel "Gallows Gallery", und das Ergebnis war einfach perfekt. Es beschreibt unsere Welt sehr gut und es ist ein toller Blickfang. Zu deuten, welche Geschichte hinter dem Bild steht, ist allerdings zu 100% eurer eigenen Vorstellung überlassen.

Rüdiger:
Wenn man die CD einlegt, die mit dem großartig dynamischen 'Pale Monument' loslegt, dann hört man sofort, dass es sich noch immer ganz eindeutig um SIGH handelt. Euer Sound ist schon etwas ziemlich Besonderes, um nicht zu sagen etwas Seltsames. Warum seid ihr so weit von allen Klischees und Normen entfernt. Absichtliche Abgrenzung oder einfach nur euer natürliches musikalisches Selbst?

Mirai:
Wir versuchen nie, anders oder seltsam zu sein. Wir wählen einfach immer den besten Weg unsere Gefühle musikalisch zu beschreiben. Manchmal ist es ein Klaviersolo und an anderer Stelle eben schwere, verzerrte Gitarren. Auch wenn die Musik manchen Leuten seltsam anmuten mag, dann ist dies nur das Ergebnis, nicht der Selbstzweck oder eine Absicht.

Dass SIGHs Arrangements so abwechslungsreich sind, liegt wohl an meinem musikalischen Hintergrund. Ich habe 20 Jahre lang Unterricht am klassischen Piano genommen und komponiere heute auch Musik für Fernsehsendungen etc... Also muss ich mit den verschiedensten Musikstilen wie Jazz, Techno, World..., eigentlich mit allem vertraut sein. Meine Musiksammlung ist unheimlich groß und alles, was ich mir anhöre, beeinflusst mich zu einem gewissen Grad, auch wenn mir das gar nicht bewusst wird.

Außerdem denke ich, dass man sagen kann, dass unsere Werke im Heavy-Metal-Kontext vielleicht ausgefallen klingen mögen, aber andererseits manche üblichen Klischees der Rockmusik durchaus erfüllen. Zum Beispiel ist es in der Rockmusik schon seit den Sechzigern sehr üblich, eine Sítar zu verwenden.

Rüdiger:
Die Labelinfo äußert sich wie folgt zu eurem Stil: "Nehmt zwei Teile Black Metal, ein gewisses Maß Spätachtziger-Thrash-Metal, den Geist Coltrane-beeinflussten Jazz', einen Spritzer Pop-Gefühl, ein Hauch der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts und einige Haluzinogene - das ist SIGH." Kannst du dich mit dieser Beschreibung identifizieren, oder würdest du daran was ändern wollen?

Mirai:
Ich denke, dass es eine recht gute Beschreibung ist. Ich würde Coltrane jedoch durch Miles Davis ersetzen, der unser größter Einfluss aus dem Jazz-Bereich ist.

Rüdiger:
Welche klassischen Komponisten des 20. Jahrhunderts haben dich am stärksten beeinflusst? Was davon kann man zum Beispiel bei 'Gavotte Grim' erkennen?

Mirai:
Um ganz ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass du viel klassische Einflüsse des 20. Jahrhunderts auf "Gallows Gallery" hören kannst, da wir vorhatten, es deutlich einfacher zu strukturieren als die Vorgängerwerke. Meine Lieblingskomponisten sind u.a. Olivier Messiaen, Darius Milhaud, Charles Ives, Anton Webern, John Cage, Morton Feldman, Ianis Xenakis, der frühe Karlheinz Stockhausen,
und so weiter. Wahrscheinlich ist der Einfluss dieser Komponisten auf "Hail Horror Hail" am stärksten.

Was 'Gavotte Grim' angeht, kann ich mich nicht richtig erinnern, wie ich das geschrieben habe. Es ist ein ziemlich alter Song. Ich weiß noch, dass es zuerst etwas jazziger werden sollte, ging dann aber doch in eine klassischere Richtung. Das Crossfade-Stück am Ende ist von Charles Ives inspiriert.

Rüdiger:
Seit eurem Debüt "Scorn Defeat" habt ihr eine weite musikalische Reise unternommen. In wie weit fühlst du dich überhaupt noch mit der Black-Metal-Szene verbunden, aus der ihr einst kamt?

Mirai:
Ich glaube nicht, dass wir musikalisch noch eine Verbindung zum Black Metal haben. Wenn wir ein neues Album herausbringen, sagen die einen, dass das kein Black Metal mehr sein kann, während viele Leute uns immer noch als Black-Metal-Band sehen! Das verstehe ich, weil unser Debüt auf dem Label von Euronymous erschien und dort auch zweifellos unsere Wurzeln sind. Das ist in Ordnung, weil Metallica für mich auch noch immer eine Thrash-Band sind. Außerdem war Black Metal ja die Wiedergeburt des Achtziger-Metals in den frühen Neunzigern, als alle auf Death/Grind abfuhren. So gesehen hat unsere Musik noch immer was mit Black Metal gemein.

Rüdiger:
Eure Instrumentierung geht weit über das klassische Gitarre-Bass-Drums-Schema hinaus. Ihr nutzt viel Synthesizer, Bläser und das traditionelle Instrument, das auf eurem Bandfoto zu sehen ist... erzähl uns doch ein wenig darüber, welche Instrumente ihr auf "Gallows Gallery" nutzt.

Mirai:
Weil ich ein Synthesizer-Verrückter bin, benutze ich viele Synths auf den Alben, vor allem die alten Instrumente aus den 70ern, wie Minimoog, Prophoet 5, Fender Rhodes, Hohner Clavinet etc... Ich benutze auch einige aktuelle Software-Synths, aber ich denke die Oldtimer klingen am besten, wenn man sie mit einem Heavy-Rock-Gitarrensound kombiniert. Dieses mal haben wir endlich einen echten Saxophonisten dabei, nämlich Bruce von YAKUZA. Wir wollten schon immer Bläser auf dem Album haben, aber es war schwer, in Japan dafür die Richtigen zu finden. Bruces Saxophon klingt auf dem Album wirklich großartig und ich mag besonders, wie es im Refrain von 'Midnight Sun' funktioniert. Das Instrument auf dem Bandphoto ist eine Sítar und kommt aus Indien. Ich höre schon sehr lange traditionelle nordindische Musik und hatte Stunden für Sítar und Tabla. Indische Musik diente früher in erster Linie dazu, königliche Drogen-Orgien zu begleiten, also klingen Instrumente wie Sítar und Tabla extrem rauschhaft, mit vielen Obertönen. Ich habe in der Vergangenheit mit vielen gesampelten Sounds gearbeitet, aber ich war damit nie zufrieden, also hab ich eben selbst Unterricht genommen. Außerdem hab ich noch etliche kleinere Instrumente wie Maultrommel, Klappern, Gongs, Glocken etc... benutzt. Ich liebe Instrumente mit reichhaltigen Obertönen.

Rüdiger:
Dann taucht da zum Beispiel am Ende von 'The Enlightenment Day' oder bei 'Confession To Be Buried' noch zentralasiatischer Kehlkopf-Obertongesang auf, wenn ich mich nicht irre?

Mirai:
Ja, das ist tuwinischer Kehlkopfgesang den ich selbst eingesungen habe. Der Stil auf 'Confession To Be Buried' heißt Sygyt, der wie ein hoher Pfeifton klingt. Der auffälligste auf dem Album findet sich im Intro von 'Gavotte Grim'. Der Pfeifton auf dem Wasserrauschen ist Sygyt. Der Gesangsstil am Ende von 'The Enlightenment Day' heißt Kargyraa und klingt viel tiefer. Eine andere Kehlkopf-Oberton-Gesangstechnik, die ich auf dem Album nutzte ist der subharmonische Gesang. Er unterscheidet sich ein wenig vom normalen Kehlgesang, weil man der Stimme eine Oktave und eine reine Quint (also 12 Halbtöne) tiefer hinzufügt. Man hört es beim 'Tranquilizer Song' nicht so gut heraus, aber beim David Harrow Mix kommt es wohl besser zur Geltung.

Rüdiger:
Ihr hattet auch einige Gastmusiker auf 'Gallows Gallery'. Was haben die beigetragen?

Mirai:
Gus G. (FIREWIND, ex-DREAM EVIL), Niklas (DARK TRANQUILLITY),
Gunface (THE RED CHORD) and Paul (THINE) übernahmen einige Gitarrensoli. Bruce (YAKUZA) spielte das Saxophon. Killjoy (NECROPHAGIA) und Metatron (MEADS OF ASPHODEL) haben die Erzählerparts übernommen. Ich finde alle klingen brillant und sie passen perfekt auf das Album.

Rüdiger:
Magst du es eigentlich, wenn Bands asiatische Folklore mit Hard Rock mischen? So wie YAT-KHA aus Tuwa, die ich sehr gerne mag?

Mirai:
Eigentlich ist YAT-KHA die einzige Band, die mir einfiele, die traditionelle asiatische Folklore mit Hard Rock mischt. Und ja, das Material von YAT-KHA mag ich, obwohl ich manchmal denke, dass der Hard-Rock-Aspekt ein wenig zu schwach ausgeprägt ist. Aber ich mag es, was sie versuchen zu erzeugen.

Rüdiger:
Ein wenig zur Geschichte: Euer erstes Album erschien ja auf Euronymous' Label Deathlike Silence. Ihr hattet also damals gute Kontakte zur Norwegerszene. Wie sieht das heute aus?

Mirai:
Ja, ich habe über das Internet immer noch ab und zu Kontakt zu den alten Freunden dort. Ich ging vor ein paar Jahren mit NECROPHAGIA nach Norwegen und traf Leute wie Bård Eithun, Samoth, ENSLAVED, MAYHEM, SOLEFALD etc... Das war echt cool.

Rüdiger:
Die nächsten vier Alben von SIGH erschienen dann auf Cacophonous Records, sind aber nur noch schwer erhältlich, wie mir scheint. Wollt ihr da nicht irgendwie was unternehmen, um die Verfügbarkeit der Scheiben zu verbessern?

Mirai:
Ich weiß nicht, ob dieses fürchterliche Label unsere Alben immer noch verkauft, aber auch wenn ihr irgendwo welche davon seht, kauft sie bitte nicht! Sie bezahlen uns kein Geld dafür, so dass man die Dinger durchaus als Bootlegs auffassen kann. Und ja, wir bereiten offizielle Wiederveröffentlichungen all dieser Alben vor, die tonnenweise Bonustracks enthalten werden. Wenn ihr also unsere alten Alben sucht, bitte geduldet euch noch ein kleines bisschen. Wir werden sehr bald die Details der Re-Releases bekannt geben.

Rüdiger:
"Imaginary Sonicscape" brachte ein kleines Intermezzo bei Century Media. Warum ging die Beziehung so schnell in die Brüche? Ich habe gehört Century Media hätten sich geweigert "Gallows Gallery" zu vertreiben, weil es mit Sonarwaffen zu tun habe... Was steckt dahinter?

Mirai:
Tut mir leid, aber darüber kann ich nichts sagen, weil manche Leute hier sehr empfindlich zu reagieren scheinen. Alles was ich sagen kann ist, dass eine Webseite behauptet Century Media hätten das Album wegen des Inhalts der Texte abgelehnt. Das ist zu 100% unwahr.

Rüdiger:
Wegen der Avantgarde im Black Metal: In Norwegen gibt es da ja etliche starke Bands, welche die Grenzen des Genres neu ausloten. Was hältst du von den neueren Alben von zum Beispiel MAYHEM, ARCTURUS, WINDS oder ULVER, falls du sie gehört hast?

Mirai:
Es tut mir sehr leid, aber ich verfolge das aktuelle Geschehen im Metal schon lange nicht mehr. Ich habe zwar natürlich die alten Scheiben dieser Bands, aber mit ihren neueren Werken bin ich nicht vertraut. Ich höre noch immer eine Menge Metal, aber ich höre meistens die alten Sachen aus den Achtzigern. Leider bin ich heute zu alt, um neue Metal-Sachen zu erkunden.

Rüdiger:
Während alle genannten sehr originell und wegweisend sind, sind sie - wie ich finde - weniger bizarr und psychedelisch als SIGH. Die einzigen, die da mithalten können, sind für mich TORMENTOR mit "Recipe Ferrum", das du dann wohl auch nicht gehört hast.

Mirai:
Ja, auch hier muss ich leider sagen, dass ich mit der Scheibe nicht vertraut bin. Ich habe von TORMENTOR nur "Anno Domini" und ich habe ein bisschen was von PLASMA POOL gehört. Ich kann aber sagen, dass TORMENTOR und Attila sehr kreativ sind und ich ihr Material immer sehr gemocht habe.

Rüdiger:
Obwohl es erst in Kürze veröffentlicht wird, sind die Aufnahmen zu "Gallows Gallery" schon lange beendet. Was sind also die nächsten Pläne für SIGH? Neue Aufnahmen, Tourpläne?

Mirai:
Obwohl wir bereits im Sommer 2004 mit den Aufnahmen zu "Gallows Gallery" angefangen haben, dauerte es bis Juli 2005, um das Editing abzuschließen. Danach war ich in den USA mit NECROPHAGIA auf Tour, dann nahm ich das zweite Album von Killjoys Projekt ENOCH und die CUTTHROAT 7"EP auf. Das ist ein Projekt von ABIGAIL-Mitgliedern. Jetzt arbeite ich gerade sehr hart an einem neuen Projekt mit Shane Embury von NAPALM DEATH, welches wohl als zweites Album von BLOOD FROM THE SOUL erscheinen wird. Bei Shanes Projekt handelt es sich um Horrormusik, aber experimenteller als ENOCH, und vor allem basierend auf Shanes Gitarre. Daneben habe ich einen Musikerjob, wo ich zum Beispiel Hintergrundmusik für den amerikanischen Fox Sports Channel und ähnliches komponiere. Also habe ich eigentlich gar keine Zeit an neuem SIGH-Matrial zu arbeiten. Um ehrlich zu sein, habe ich gerade auch keine Ideen mehr für SIGH. Ich muss erst die Batterien wieder eine Weile aufladen. Wir würden nächstes Jahr sehr gerne mit SIGH in Europa und Amerika touren, aber momentan steht noch nichts fest.

Rüdiger:
So, das war's. Vielen Dank für die Zeit, die du uns gewidmet hast.

Mirai:
Ich danke dir für das Interview. Weitere Informationen über mich und SIGH bekommt ihr auf den folgenden Webseiten:
http://sigh.gospel-virus.net
http://www.myspace.com/sighjapan
http://www.myspace.com/sighmirai

Redakteur:
Rüdiger Stehle

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