SORGSVART: Interview mit Sorg
08.09.2006 | 14:29Martin Schneider:
Servus Sorg. Grüße nach Norwegen und Gratulation für dein starkes erstes Album.
Sorg:
Grüße auch an dich und an Deutschland im allgemeinen. Danke auch, dass du mein kleines Stück Musik, das ich in einer amateurhaften Basis aufgenommen, wahrgenommen hast (lacht).
Martin:
Okay, wie würdest du "Fortapt Fra Verden I Vakkert Selvmord" beschreiben, und warum hast du diesen Namen gewählt?
Sorg:
Verstehst du die Bedeutung des Satzes "Fortapt Fra Verden I Vakkert Selvmord"? Wenn du es ins Deutsche übesetzt, heißt es soviel wie "Verloren von der Welt in einen schönen Selbstmord". Wenn du dann die Worte "Selbstmord" und "schön" gegenüber stellst, hast du einen starken Kontrast. Ich hoffe, dass der Titel die Leute nachdenklich macht, dass nicht alles so sein muss wie es scheint, was schon wieder fast hegelistisch ist. Ein Selbstmord muss nicht immer eine der schlimmsten Handlungen sein, die du dir vorstellen kannst. Für manche kann es gerade das Gegenteil sein.
Die moralistische Anschauung des Selbstmordes als furchtbare Sache ist von der Gesellschaft und der Religion erschaffen worden. Paradoxerweise ist es aber dieselbe Gesellschaft, die die Leute informiert und dazu bringt, dass sie darüber nachdenken sich selber umzubringen, oder zumindest auf das Ende ihres Lebens zu warten! Wenn jemand oder etwas die Macht hat das Leben der Menschen zu kontrollieren, zu stehlen und deren Persönlichkeit zu formen, und verschiedene Systeme wie etwa der Kapitalismus und dessen Regeln tun das, ist es das gleiche wie ein Mord!
Wer möchte denn leben, wenn es dir nicht erlaubt ist, deine eigene Individualität zu entwickeln wie du möchtest und wenn du dafür in Rollen dirigiert wirst, welche dem System und den bestimmenden Personen am Besten passen? Es ist einfach keine Freiheit von verschiedenen Institutionen, wie etwa dem Staat, der Polizei oder der Moral gezwungen zu werden eine Person zu sein, die du gar nicht sein willst, die die aber wollen. Und du kannst aber auch nicht einfach "nein" sagen, wegen der Angst und dem falschen Respekt für ein gängiges System. Damit möchte ich sagen, dass der Album-Titel ein Bild ist für viele Aspekte des Lebens.
Martin:
Wie denkst du über den Selbstmord von Jon Nödtveidt (DISSECTION)?
Sorg:
Ich bin mit Nödtveidts Situation und seinen Gründen für den Selbstmord nicht vertraut. Wenn aber seine Gründe gut bedacht waren, und seine Handlung seine Seele befreit hat, hätte ich keine Probleme damit diesen Selbstmord zu unterstützen. Allerdings ist das eine so persönliche Geste und Angelegenheit, bei der man nicht wirklich taktvoll sein kann.
Martin:
Wie waren die bisherigen Reaktionen auf das Album?
Sorg:
Es scheint, dass die Meisten meine Mission verstehen, die die Musik von SORGSVART hat.
Ich hätte niemals geglaubt, dass ein Album mit dieser Soundqualität eine solche Resonanz erzeugt! Das hatte ich niemals geglaubt! Ich bedanke mich tausendmal, dass ihr einem Sohn aus armen Arbeiterverhältnissen eine solch großartige Aufmerksamkeit gewährt.
Martin:
SORGSVART ist ein Solo-Projekt, in dem du alle Instrumente, außer dem Schlagzeug, selber gespielt hast. Darunter auch viele traditionelle norwegische Instrumente. Welche waren das?
Sorg:
Momentan spiele ich auch das Schlagzeug, und mache die Percussion. Natürlich spiele ich auch die grundlegenden Instrumente wie Gitarre, Bass, Keyboard und meinen Gesang. Dazu kommt dann noch das Piano, die Seljefløyte, Lur, Mundharfe (auch bekannt als Mundharmonica - d.Red.), Tussefløyte und Schafglocken.
Seljefløyte und Lur sind traditionelle norwegische Flötenarten oder Hörner, die einen einzigartigen und speziellen altnordischen Sound haben. Sie werden beide aus norwegischer Borke gemacht, und es gibt viel mehr Geschichte hinter diesen beiden fantastischen Instrumenten, als ich erzählen kann, denn dafür haben wir wohl keine Zeit in diesem Interview.
Für alle Black-Metal-Fans: Schaut euch das Coverartwork von Theodore Kittelsen vom BURZUM-Album "Filosofem" an! Die Frau auf dem Bild spielt auf einer norwegischen Lur.
Die Tussefløyte ist ein deutschen Instrument, auch eine Art Flöte. Ich kenne nicht das genaue Wort dafür. Das norwegische Wort "Tusse" ist ein Wort für die Spiegelung der Germanen. Also ist die Übersetzung in etwa "Germanenflöte" oder "Deutschflöte" oder irgend so was (lacht).
Schafsglocken sind Schafsglocken! Wenn Schafe das spielen können, habe ich mir gedacht, kann Sorg das auch! (lacht). Das ist meine Philosophie, und wie ich finde eine recht einfache Formel.
Martin:
Wie hast du es gelernt, so viele Instrumente zu spielen?
Sorg:
Auf dieselbe Art, wie du Fahrradfahren gelernt hast. Ich hab's einfach ausprobiert, und dann geübt.
Martin:
Kommen wir zur Zukunft: Bleibt SORGSVART ein Solo-Projekt, oder hältst du Ausschau nach geeigneten Musikern?
Sorg:
Wo ist das Problem, wenn ich alle Instrumente spielen kann? Ich will gar nicht, dass SORGSVART eine richtige Band wird. Ich will meine eigenen Emotionen erzählen, und zwar in meiner eigenen Art, und das beinhaltet mich an den Instrumenten, denn nur ich weiß, wie die Bilder in mir drin aussehen. Daher weiß auch nur ich, wie die Musik sich anhören muss, die diese Bilder charkterisiert.
Martin:
Glaubst du nicht, dass die Musik mit spezialisierten Musikern noch besser werden könnte?
Sorg:
Ausgeschlossen, würde ich sagen. Ich habe mich auf alle Instrumente spezialisiert und glaube, dass nur ich meine Musik perfekt spielen kann. Denkst du, Michelangelos Bilder wären mit einem spezialisierterem Maler besser geworden? Nein, denn Michelangelo und ich haben nichts Gewöhnliches! (lacht)
Martin:
Demnach wird es wohl keine Live-Auftritte oder eine Tour geben?
Sorg:
SORGSVART existiert live nicht!
Martin:
Na ja, kommen wir zur nächsten Frage. Meine Sprachkenntnisse in Norwegisch sind relativ gering. Wovon handeln deine Songs genau? Die Kompositionen sind ja eher dunkel und depressiv...
Sorg:
Meine Texte sind meistens sehr komplex: Melancholisch, mystisch und ziemlich extrem - geschrieben von einem wirklich anarchistischen Geist. Ich liebe es in Metaphern und Kodes zu schreiben. Deshalb möchte ich auch nicht tiefer auf die Texte eingehen, um nicht meine lyrischen Geheimnisse zu verraten. Gebraucht eure Vorstellungskraft. Man muss nicht alles immer literarisch nehmen. Denkt darüber nach!
Martin:
Warum sind deine Songs alle so verdammt lang?
Sorg:
Alte Männer stellen mir dieselbe Frage häufig bezüglich meines Schwanzes. Ich bin mir nicht sicher, ob du "Songs" nur als Metapher für einen intimen Part des männlichen Körpers benutzt, oder ob die Frage wirklich ernst gemeint ist. (lacht)
Aber jetzt im Ernst: Ist Musik unter fünf Minuten wirklich ein Song? Ich glaube nicht! Der Trend der drei bis vier Minuten kurzen Stücke ist nur ein kommerzieller Trick, um die Musik zugänglicher für den Durchschnittsmenschen zu machen, der die Musik nur mit dem Ohr hört, und nicht mit dem Herzen und der Seele. Ich mache meine Musik nicht für Geld oder um mich für die Musik-Industrie zu prostituieren. Meine Mission ist es, die schmerzhafte Geschichte vom Grunde meines schwarzen und rebellischen Herzen in Melodien und Töne zu fassen, die interessanter klingen als BRITNEY SPEARS' bewegendes Märchen über ihre chaotische Liebe. Ich empfehle hier "I Am A Slave 4 U" oder "Toxic", welches ein sehr geschmackvolles ist.
Martin:
Beim Song 'Skog Og Mark - En Frelse Fra Falskhet' gebrauchst du einen sehr interessanten Gesangsstil, es hat etwas von einem norwegischen Jodeln. Wie heißt er? Ist es eine traditioneller Technik?
Sorg:
Mein Gesang, den du als Jodeln bezeichnest, ist der Versuch so zu klingen wie die altnorwegischen "budeie", das waren Frauen oder Mädchen, die ein minimalistisches Leben auf kleinen Farmen in den norwegischen Bergen lebten, die ihre Tiere rufen. Diese Art zu singen nennt man "Lokk". Wenn du norwegische Lieder direkt ins englische oder deutsche übersetzt, wird es eher lächerlich und macht keinen Sinn. Der Name des Songs heißt übersetzt "Wald und Landschaft - die Rettung vor der Unaufrichtigkeit". Er ist eine Hymne, die die mächtige Natur als des Menschen wichtigste Ressource in vielen Aspekten beschreibt.
Ein selbstmörderischer und ernster Song, der aber getarnt ist mit fröhlichen und ausgelassenen Melodien, die eine absurde Atmosphäre über das gesamte Stück hinweg erzeugen. Dieser Song ist auch mein persönlicher Liebling auf diesem Album.
Martin:
Wie würdest du die norwegische Landschaft beschreiben?
Sorg:
Man kann sie nicht beschreiben, man muss sie erleben.
Martin:
Wer sind deine musikalischen Vorbilder?
Sorg:
Christen und gewöhnliche Menschen haben Vorbilder. Ich nicht!
Martin:
Nocturno Culto von DARKTHRONE hat sich als Fan deines vorherigen Demos geoutet. Was bedeutet dir solch ein Lob?
Sorg:
Nocturno Culto ist genauso ein Mensch wie jeder andere, oder nicht? Es ist mir nicht wirklich wichtig wer meine Musik mag, so lange meine Musik für den Menschen etwas bedeutet. Ich verstehe wirklich nicht, warum gewisse Menschen in dieser Gesellschaft so verehrt werden.
Die Angewohnheit, jemand anderen höher als sich selbst zu setzen, ist eine der dümmsten Schwächen der Menschheit. Warum unterdrücken sich die Leute selber?
Martin:
Du siehst auf Fotos ziemlich jung aus. Wie alt bist du? Und wann hast du angefangen Musik zu machen?
Sorg:
Warum, willst du ein Date mit mir? (lacht)
Martin:
Eigentlich nicht, mir reicht eine Freundin. (lacht)
Sorg:
Ich bin 22 und nicht sicher, ob das jetzt zu alt oder jung zählt. Meinen ersten Song habe ich mit dreizehn komponiert, das war ein Keyboard-Stück. Früher habe ich alle meine Songs auf dem Keyboard komponiert. Als ich dann älter und reifer wurde und die anderen Instrumente besser beherrschte, begann ich auf allen Instrumenten zu komponieren. Aber alle meine Lieder beginnen mit einem Gefühl oder einer Emotion, und nicht mit einem Instrument. Dafür ist es aber sehr praktisch für mich verschiedene Instrumente spielen zu können, weil ich dadurch frei bin mir das passende für die jeweilige Emotion auszusuchen.
Martin:
So, dann habe ich eigentlich keine weiteren Fragen. Jetzt kannst du aber noch einmal das Wort an unsere Leser richten.
Sorg:
Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Kameradschaft-Anarchie!
- Redakteur:
- Martin Schneider