STILTSKIN: Interview mit Ray Wilson

27.11.2006 | 12:58

Eike:
Hallo Ray, wie lief die Tour?

Ray:
Ich hatte an dieser Tour sehr viel Freude. Es war toll, bei den Auftritten jede Menge neue Gesichter zu sehen und so gute Rückmeldungen auf die neue CD zu bekommen.

Eike:
Da STILTSKIN Mitte der Neunziger ziemlich erfolgreich waren und da die letzte Veröffentlichung rund zwölf Jahre zurückliegt, würde ich gerne über einige Fragen zur Vergangenheit der Band einsteigen. Als "The Mind's Eye" herauskam, waren die Medien schnell dabei, STILTSKIN mit dem Grunge-Rock-Hype in Verbindung zu bringen. War man über diese Zuschreibung glücklich?

Ray:
Damals war es großartig, mit Bands wie NIRVANA und PEARL JAM verglichen zu werden, und das passte mit Sicherheit zum Sound von 'Inside' und 'Footsteps'. Zusätzlich hatten einige unserer Songs ein keltisches Feeling, und ich hatte das Gefühl, dass es unserer Musik einen Unterschied zum Grunge-Sound der frühen Neunziger verlieh.

Eike:
Aufgrund des sofortigen Erfolgs von 'Inside' wurden STILTSKIN als "One Hit Wonder" bekannt, obwohl "The Mind's Eye" eine Reihe ausgefeilter und stilistisch verschiedener Songs enthielt, die nahezu unbemerkt blieben. Hat euch das gefuchst?

Ray:
So ist das Leben. Es wird immer hart sein, wenn man mit der ersten Veröffentlichung auf Platz eins landet und sie für eine Levis-Werbung verwandt wird, was legt man da nach? In der Wirklichkeit läuft das so ab, dass man's bleiben lässt, man macht einfach weiter und spielt weiter und lässt sich vom Leben neue Karten zuspielen.

Eike:
Wie kam's zur Auflösung der ursprünglichen STILTSKIN?

Ray:
Peter Lawlor, der Gitarrist, und James Finnigan, der Bassspieler, fielen raus. Sie waren beste Freunde als das Album produziert wurde, aber als das Album fertig war, wollte James Co-Produzenten-Status und Peter brachte ihn als Produktionsassistent auf die CD. James war wütend darüber, und ehrlich gesagt hatte er recht, wütend zu sein. Peter war einfach ein gieriger Bastard.

Eike:
Als ihr euch aufgelöst habt, was passierte da mit dem bereits fürs nächste Album aufgenommenen Material?

Ray:
'Another Day' und 'Hey Hey' landeten auf meiner CUT_-CD. Peter verwendete seine Einfälle für Werbeclips, denn davon lebt er.

Eike:
Hast du noch Kontakt zu Mitgliedern der alten STILTSKIN?

Ray:
Nicht wirklich. Ich treffe hin und wieder Ross, den ersten Schlagzeuger.

Eike:
Du hattest einen ziemlichen Erfolg mit STILTSKIN in den Neunzigern, warst in der legendären Band GENESIS, hast ein stark unterbewertetes Album mit deiner eigenen Band CUT_ produziert ("Millionairehead"), warst solo auf Tour und hast ein paar Live- und zwei Studio-Alben ( "Change" & "The Next Best Thing" ) produziert, und nun hat deine neue Besetzung die alte STILTSKIN-Flagge wieder ausgerollt. Offensichtlich ohne Peter Lawlor diesmal. Dein Keyboarder Irvin Duguid ist der einzige, der in der "The Mind's Eye"-Ära mit in STILTSKIN spielte. Was macht "She" zu einem STILTSKIN-Album?

Ray:
Die einfache Antwort ist, ich besitze die Namensrechte und wollte wieder ein Rockalbum rausbringen. Es ist ein völlig neues Line-Up und der einzige gemeinsame rote Faden ist meine Stimme, die Rocksongs singt. Der Unterschied zwischen "She" und meinen Solo-CDs ist, dass ich auf dieser CD nicht die Musik schreibe, nur die Texte. Ich überlasse die Musik Uwe Metzler, Scott Spence und dem Produzenten Peter Hoff, und suche mir die Riffs raus, die mir gefallen und schreibe Texte dazu. Ich will, dass die STILTSKIN-CDs sich auf kreative Weise von meinen Solo-Sachen unterscheiden und dass sie tolle Gitarrenarbeit und eine tolle Produktion haben. Ich bin kein Leadgitarrist, bloß Rhythmusgitarrist, also ist es gut, mit wirklich großartigen Spielern wie Uwe zusammenzuarbeiten und selbst bei dem zu bleiben, was ich am besten kann.

Eike:
Was passierte mit CUT_?

Ray:
Das Album lief nicht gut, und die Leute gingen danach alle ihrer eigenen Wege. Es ist eine Schande, denn ich dachte, es war ein wirklich gutes Album.

Eike:
Okay, kommen wir zu den neuen STILTSKIN und dem neuen Album: Mein erster Gesamteindruck der Songs auf "She" war, dass vieles an dieser Musik offensiver ist als deine Solo-Sachen oder die Songs aus der CUT_-Periode, sogar offensiver als das alte STILTSKIN-Material. War das von Anfang an deine Absicht, oder geht das vielleicht eher auf den Einfluss deines Songwriter-Partners Uwe Metzler zurück?

Ray:
Uwe und Peter Hoff sind diejenigen, die den Sound erschaffen, und das führt zu einem "big, in your face-sound". Ich habe nicht wirklich mit irgendwelchen Absichten begonnen. Ich habe mir von Peter & Uwe geschaffene Musik angehört, dachte, da waren einige gute Einfälle drin und schrieb sie einfach an. Die ganze STILTSKIN-Idee entwickelte sich daraus.

Eike:
Wie kamst du überhaupt dazu, mit Uwe zu arbeiten? Und wo kommt er musikalisch her?

Ray:
Ich schrieb und sang einen Track namens 'Love Supreme' für TURNTABLEROCKER, und Peter Hoff arbeitete gerade im gleichen Studio. Wir trafen uns, kamen wirklich gut miteinander klar und er stellte mich Uwe vor. Sie hatten jahrelang zusammengearbeitet.

Eike:
Als ich das erste Mal das neue Album anhörte, dachte ich als Track 4 anlief sofort: "Tja, das wird die erste Single!" Nun, da 'Lemon Yellow Sun' die erste Single geworden ist, wüsste ich gern weswegen du sie ausgewählt hast - Hit-Potential oder persönliche Vorliebe?

Ray:
Ich mag den Song, und er ist bei unserem Publikum sehr beliebt. Ich hab ihn bei einigen wenigen Sologigs gespielt bevor das Album veröffentlicht wurde, und der Song bekam stets gute Reaktionen. Er ist außerdem der leichteste Track auf der CD, und wie du sicher weißt, mögen Radiostationen keine Rocksongs.

Eike:
Spätestens seit den Aufnahmen zu "Calling All Stations" für GENESIS hast du mit dem Schlagzeuger Nir Z zusammengearbeitet. Hast du ihn dabei kennen gelernt und wie ist euer Verhältnis zueinander?

Ray:
Ja, ich hab Nir bei meiner Arbeit mit GENESIS kennen gelernt. Wir sehen uns nicht oft, da er in New York lebt, aber ich liebe die Zusammenarbeit mit ihm. Er spielt das Schlagzeug so was von verdammt laut und bringt den Song geradewegs zum Leben.

Eike:
"She" wurde von Peter Hoff produziert, der mit einer ganzen Reihe von Black-Music-Acts gearbeitet, aber auch Tarja Turunen und Martin Kesici produziert hat. Wie ist euer Arbeitsverhältnis und wie zufrieden bist du mit dem Ergebnis?

Ray:
Unser Verhältnis ist ein sehr starkes. Er hat eine ganze Menge unterschiedlicher Stile produziert, besonders Hip Hop und Charts-Zeug, aber er liebt Rock und bekommt nie genug Möglichkeiten Rock Musik zu produzieren. Ich denke, er hat seinen Job mit dieser CD großartig gemacht, und ich bin sicher wir werden alles, was wir dabei gelernt haben, bei der nächsten CD gut zum Einsatz bringen.

Eike:
Ich persönlich habe das Gefühl, dass durch den stark komprimierten Sound viel von der inneren Dynamik der Songs auf dem Album verloren gegangen ist. Kannst du mit diesem Eindruck was anfangen?

Ray:
Ich denke, das trifft dieser Tage auf viele CDs zu, weil sie alle darum ringen, so laut wie möglich zu sein. Eine unserer Schwierigkeiten lag darin, beim Mastern den Bass in den Gitarren fett zu behalten und zudem die CD unter kommerziellem Gesichtspunkt laut genug zu machen. Ich denke allerdings nicht, dass es die CD zu sehr verdirbt, meiner Meinung nach sind es die Songs, die zählen.

Eike:
Lass uns eine kurze Einführung in die Songs auf "She" machen...

Ray:
Tja, ich war betrunken als ich die meisten davon schrieb, aber ich werd's versuchen.

'Fly High' -
Dieser Song ließ mich an THIN LIZZY denken, und ich kann mir vorstellen wie Phil Lynott ihn singt. Ich wollte in diesem Song über meine Jugend schreiben. Ich hatte eine etwas abgefuckte Kindheit, und darüber hab ich den Song geschrieben.

'Taking Time' [Eike: Würdest du zustimmen, dass das auch einen guten CUT_-Song abgegeben hätte?] -
Ich schätze schon. Das ist mein liebster Song des Albums. Die Musik stammt von Scott Spence aus Edinburgh, und sein faulhäutiges, grungiges Grundgefühl ist irgendwie trancig. In diesem Song schrieb ich über meinen Kampf mit Depression, und als ich ihn das erste Mal live sang, hatte ich Tränen in den Augen. In der Mitte des Songs wollte ich die Musik "Phantom der Oper"-mäßig haben, um das Schreckliche meiner Erfahrung hervorzuheben und zum Ende hin exorziere ich meine Dämonen.

'She' [Eike: Wieso ist das der Titelsong?] -
Meine Frau und Scott entwarfen das Cover der CD, und es sah so maskulin aus, dass ich dachte, "She" gäbe einen guten Kontrast.

'Lemmon Yellow Sun' -
Als Peter mir diesen Track vorspielte, dachte er, ich würde ihn nicht mögen, aber ich bat ihn, weiter dran zu produzieren, während ich im Studio saß und einige Ideen niederkritzelte. Ich weiß nicht wirklich, wo die Phrase 'Lemon Yellow Sun' herkam, auch wenn mir inzwischen erzählt wurde, dass PEARL JAM einen Track namens 'Lemon Yellow Sun' haben.

'Wake Up Your Mind' -
Dieser Song klingt am meisten nach den ersten STILTSKIN-Songs von "The Mind's Eye". Ich kann mich kaum dran erinnern, ihn aufgenommen zu haben.

'Sick And Tired' -
Ich hab's wirklich gern, wie Adonis seinen Rap auf diesem Track rüberbringt. Das ist sehr typisch für Uwes Art Musik zu schreiben, und ich denke, dass es einer der ersten Tracks war, die wir zusammen machten.

'Constantly Reminded' -
Ich und meine Frau waren während der Aufnahmen zu diesem Song eine Zeitlang getrennt. Ich beschrieb die Erfahrung in diesem Song.

'Show Me The Way' [Eike: Das Piano passt übrigens ausgezeichnet dazu!] -
Das ist der einzige Song, zu dem ich die Musik schrieb, und er erinnerte mich an 'Clocks', daher die Idee mit dem Piano. Ich schreibe auf diesem Album oft über spirituelle Wegweisung. Spiritualität hat in meinem Leben einen großen Raum eingenommen.

'Fame' -
Peter hat mit ein oder zwei Künstlern aus Star Search zusammengearbeitet, und ich war verwundert darüber, wie viel Arbeit darin investiert wird, sie als Sänger gut klingen zu lassen; einige von ihnen klingen beschissen furchtbar. Es ist so eine Schande, dass das Musikgeschäft so viel von dieser Scheiße herausgebracht hat; darüber musste ich schreiben.

'Some Of All My Fears' [Eike: Höre ich da ein BEASTIE BOYS-Riff?] -
Natürlich nicht!? Ich denke, das ist der aggressivste Song des Albums, und wenn man in Großbritannien lebt, dann pissen einem Political Correctness und War On Terror ganz schön ans Bein. WAS FÜR EINEN ABGEFUCKTEN MIST HABEN GROSSBRITANNIEN UND DIE USA DA GEBAUT.

'Summer Days' -
Erinnert mich an 80er Rock. David Coverdale könnte mit diesem Song einen guten Job abliefern.

'Better Luck Next Time' -
Wie viele Fragen hat dieses verdammte Interview???

Eike:
Wie bist du dazu gekommen mit dem US-Rapper ADONIS STAR zusammenzuarbeiten, und habt ihr euch im Studio getroffen oder war das mehr so eine Lass-uns-jeder-sein-eigenes-Ding-machen-und-das-Ganze-dann-im-Schnittraum-fertigstellen-Sache?

Ray:
Er machte sein eigenes Ding, und ich war dabei als er's tat. Ich denke, er hat grad einen Deal mit der EMI gemacht. Großartiger Sänger.

Eike:
Was ist der beste Song von "She" für eine Liveshow?

Ray:
'Fame'. Mein Bassspieler verkleidet sich als Maria. Sehr sexy.

Eike:
Wenn du mit STILTSKIN auf der Bühne stehst, baut ihr dann manchmal auch Songs aus deiner früheren Karriere mit ein?

Ray:
Ich spiele über zwei Stunden lang, also gibt's da eine Menge Musik aus der ersten STILTSKIN-CD, aus der neuen, und auch einen Akustik-Teil mit einigen meiner Solowerke.

Eike:
Zum Abschluss würde ich gerne noch ein paar Fragen bezüglich deines Musikgeschmacks stellen. Wo liegt momentan dein musikalisches Hauptinteresse?

Ray:
Ich finde es zur Zeit sehr schwierig gute Musik zu finden. Ich weiß, dass es da draußen einige tolle Bands gibt, aber ich kann das Radio einfach nicht ab und kaufe auch keine Musikzeitschriften, weil die meisten mit dem Kopf im eigenen Arsch stecken. Hin und wieder bekomme ich was Gutes zu hören, momentan bin ich auf JEFF BUCKLEY, eine Schande dass er tot ist. MUSE sind gut.

Eike:
Du hast mal erwähnt, dass dir von GENESIS das Material aus der Hackett-Periode am besten gefällt. Hast du seine Solo- & UNDERWORLD ORCHESTRA-Versuche gehört?

Ray:
Nein, sind die gut?

Eike:
Ich kenne nur "Metamorpheus" - ziemlich gediegen, gut für neblige Novembernachmittage. Ich weiß, dass dir der frühe DAVID BOWIE sehr zusagt, weil du mit seiner Musik aus den Siebzigern aufgewachsen bist. Spricht dich seine kürzlich erschienene Musik ("Heathen", "Reality" etc.) ebenfalls an?

Ray:
Ich mag das meiste, was er macht. Ich denke, er ist so innovativ, dass sich der Kauf seiner CDs immer lohnt. Die "Reality"-Tour war exzellent, großartige Band.

Eike:
Welches Album hat dir zuletzt den Verstand geraubt?

Ray:
"Throwing Copper" (LIVE) und ein Album von DEUS, hab den Namen vergessen.

Eike:
Und welches hast du dir zuletzt gekauft?

Ray:
JACKSON BROWNE "Solo Volume 1".

Eike:
Auf welchem Konzert warst du zuletzt im Publikum?

Ray:
CLUESO in Köln. Gute Show.

Eike:
Irgendwelche Empfehlungen an unsere Leser?

Ray:
Kauft mein Album, es ist toll.

Eike:
Vielen Dank für dieses Interview, und einen schönen Tag noch!

Ray:
Hat Spaß gemacht. Schöne Weihnachten, und danke für die Unterstützung.

Redakteur:
Eike Schmitz

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