THE GRACIOUS FEW: Interview mit Chad Taylor

15.11.2010 | 17:18

LIVE und CANDLEBOX sind Geschichte, THE GRACIOUS FEW heißt die Zukunft. Und diese hat ein Album veröffentlicht, das mit seinen tiefgehenden Songs auf einen starken vierten Platz in unserem Soundcheck landet. Wir sprachen mit Gitarrist Chad Taylor nicht nur über seine neue Band, sondern auch über die Vergangenheit bei LIVE.

Chad entpuppt sich schon in den ersten Sekunden als freundlicher, redseliger, sehr euphorischer Typ, dem man deutlich anmerkt, dass THE GRACIOUS FEW genau das ist, was er machen will. Schon auf die erste Frage wie denn er, Pat und Chad mit den beiden CANDLEBOX-Jungs zusammen gekommen ist, führt zu einem minutenlangen Monolog: "Ich kenne Kevin schon seit beinahe 20 Jahren. Er ist ein lebendes Musiklexikon. Er weiß wirklich alles und ist dabei immer am Puls der Zeit. Das hat mich schon früh beeindruckt. Damals waren wir aber noch jung und dumm und dann hat sich das eher darin geäußert, dass wir gemeinsam getrunken und Hotelzimmer zerstört haben.", lacht Chad. "Seitdem waren wir immer in Kontakt, aber wirklich intensiviert hat sich unsere Freundschaft erst so vor sechs, sieben Jahren. Wir hingen zufällig immer in der gleichen Bar rum und haben viel geredet. Vor allem über die Dinge, über die man nur mit jemanden reden kann, der sie selbst erlebt hat: den frühen Ruhm, das permanente Touren, den Druck, den man hat. Und so wuchs unsere Freundschaft und ich habe ihn eingeladen, auf einem Album einer Band namens STEALING VENUS, die ich produziert habe, Schlagzeug zu spielen, da er auch ein exzellenter Drummer ist. Schon damals haben wir über eine gemeinsame Band gesprochen, aber LIVE waren gerade auf Tour und auch CANDLEBOX waren gerade wieder zusammen, so dass dies keine Option war. Als wir dann anfingen neue Songs zu schreiben, die später so etwas wie die Basis für THE GRACIOUS FEW wurden, hatten wir eine Liste mit möglichen Sängern, auf der Kevin zunächst gar nicht stand. Ein Freund von mir meinte dann, er wüsste, wer der perfekte Sänger für uns sei und dass wir Kevin anrufen sollten. Und schon als er das sagte, überzog mich eine Gänsehaut und ich wusste, dass dies die perfekte Lösung ist. Und das nicht nur, weil er ein so fantastischer Sänger ist, sondern auch, weil er so toller Typ ist. Er ist immer freundlich, hilft den Crewleuten den Kram von der Bühne zu tragen, nimmt sich für jeden Fan Zeit und weiß die Arbeit der anderen Musiker sehr zu schätzen. Also schrieb ich Kevin eine kurze Nachricht mit den Worten 'Do you want to play some Rock'n'Roll?'. Es dauerte vielleicht 15 Sekunden, da klingelte mein Telefon und Kevin fragte nur, wann es los geht. Schon am nächsten Tag kam er eingeflogen und sobald wir im Proberaum waren, schrieben wir drei neue Songs. Dieser Spirit war sofort greifbar." erzählt Chad mit spürbarem Stolz. "Aber bereits da wusste ich, dass wir eigentlich noch einen zweiten Gitarristen brauchen und da hat Kevin Sean Hennessy vorgeschlagen. Er meinte, wir müssten damit leben, dass er manchmal ein Clown und manchmal ein Arschloch ist, aber dafür könnte er höllisch gut spielen. Und er hatte Recht. Es ist das erste Mal, das jemand mit mir in einer Band ist, der mein Instrument spielt und von dem ich noch etwas lernen kann. Das ist wirklich unglaublich." Und auch hier ist der Stolz und die Freude des Musikers beinahe greifbar. Und er ist auch weiterhin kaum in seinem Redefluss zu stoppen. "Es ist ganz klar so, dass ohne den zweiten Gitarristen einfach auch ein großer Teil, den THE GRACIOUS FEW ausmacht, gefehlt hätte. THE GRACIOUS FEW ist deutlich härter und intensiver als LIVE es je waren. Und dazu kommt noch Kevins Stimme, die es uns erlaubt immer so dynamisch zu sein. Bei Ed (Kowalczyk - Sänger von LIVE - PK), waren die Songs immer sehr auf seine Stimme zugeschnitten. Er hat meist im Bariton gesungen und ab und zu ging es dann hoch; dort war er es, der die Dynamik mit seiner Stimme erzeugt hat. Hier sind es die Band und der Sänger. Aber ich bin ja eh der Typ, der die härteren Sachen hört und ich bin ein großer Fan von Deutschland und der dortigen Metal- und Hardrock-Szene. Ich wollte schon immer, dass wir für euch spielen können und ich denke, mit THE GRACIOUS FEW stehen da die Chancen viel besser als mit LIVE. Zu LIVE sind ja die Metal- und Hardrockfans eher weniger gekommen. Wir haben also dieses Album auch ganz speziell für euch geschrieben und ich bin sehr stolz, dass dir das Album gefällt und kann es kaum abwarten, dass wir in Deutschland spielen. Wir sind gerade auch schon dabei Gigs bei euch zu buchen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir da Termine haben." Wir warten gespannt.


Mit meiner Beschreibung, dass THE GRACIOUS FEW seine Wurzeln in den 70ern und den frühen 90ern hat und trotzdem modern und heavy klingt, ist Chad sehr einverstanden. "Ja, ich denke, das ist eine gute Beschreibung. Da hat jemand verstanden, was wir erreichen wollen.", lobt Chad. "Das Moderne kommt sicher von der Produktion, die zwar bewusst erdig gehalten ist, dennoch aber ziemlich heavy klingt. Und dann haben wir da einen Song wie 'Closer', der sehr energetisch ist und wenn Kevin in der Bridge beinahe schreit, könnte das ja fast von einer Band wie AUGUST BURNS RED sein. Was vielleicht daher kommt, dass ich mit einer Metalcore-Band namens CENTURY gearbeitet habe und mich diese Energie inspiriert hat. Das ist schon toll, dass die Jugend mittlerweile so gut ist, dass wir erfahrenen Musiker wieder von ihnen lernen können. Das war eine tolle Erfahrung." Zu den tollen Erfahrungen gehörte auch, dass die Band alles gemeinsam macht, einschließlich der Lyrics. "Ja, Kevin hat von Anfang an gesagt, dass er nicht die Bürde für die kompletten Texte aufgetragen bekommen möchte. Er war der Leader, einfach weil er mit Texten die meiste Erfahrung hat, aber wir alle haben uns eingebracht." Etwas, was bei LIVE zumindest zuletzt anders war. "Ja, am Anfang waren unsere Alben noch die Ergebnisse einer echten Band. Aber mit der Zeit haben sich Eds Bedürfnisse als Songwriter geändert und damit hat sich dann auch der Sound der Band geändert. Und je mehr sich der Sound der Band geändert hat, um so mehr habe ich das Interesse verloren, in dieser Band zu spielen. Ich meine, wenn man ganz ehrlich ist, sind die Alben, die wir als Band geschrieben haben, die besten der Band." Das wird wohl niemand bestreiten. "Und für mich geht es in der Musik auch um Bands. THE CLASH, die STONES, das sind tolle Beispiele. Da geht es nie darum, wessen Song besser ist, es ist diese Mischung, die die Bands ausmacht. Und das hat mir bei LIVE irgendwann einfach gefehlt. Jetzt bin ich wieder in einer Band und freue mich einen Song, den Kevin, Patrick oder Sean geschrieben hat, zu spielen. Eben diese Abwechslung war es doch, die "Throwing Copper", "Secret Samadhi" oder "The Distance To Here" so besonders gemacht haben. Am Ende waren wir einfach nur noch Eds Backing Band und das ist einfach nicht, was ich als Musiker machen möchte. Und das gilt auch für Pat und Chad. Aber versteh' mich nicht falsch, es ist nicht so, dass es Eds Schuld war. Wir haben einfach nicht mehr zusammengepasst. Es wurde aber immer deutlicher, dass diese Beziehung nicht gut für mich war und an diesem Punkt wollte ich auch einfach nicht mehr weitermachen, ich wollte, dass dies ein Ende hat." Sehr offene Worte, die deutlich zeigen, warum LIVE heute nicht mehr existieren.


Das Feuer, das Chad jetzt offensichtlich wieder gefangen hat, soll auch lange mit THE GRACIOUS FEW lodern. "Ja, es sollte absolut klar sein, dass wir kein Projekt sind. Wir sind eine echte Band und ich habe schon angefangen, Ideen für das nächste Album zu sammeln. Ich hoffe wirklich, dass wir in den nächsten Jahren viel Musik veröffentlichen. Ich habe es am Ende bei LIVE gehasst, dass es immer so lange gedauert hat von Album zu Album. Klar, das lag auch am Label etc., aber das war einfach nicht der Rhythmus, den ich haben wollte. Zehn Alben in den nächsten sieben Jahren wären mein absoluter Traum.", schließt der Sänger ab. Einen Traum, den zumindest ich gerne mitträume. Wer auch nur ein bisschen interessiert ist an modernem Heavy Rock, der dennoch seine Wurzeln in der guten alten Zeit hat, der sollte Songs wie 'Honest Man', 'The Few', 'The Rest Of You', 'Cryin' Time' oder 'Closer' hören. Eine fantastische Band.

Redakteur:
Peter Kubaschk

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