THE INTERSPHERE: Interview mit Christoph Hessler

24.05.2023 | 22:25

Die Jungs haben das Beste aus der Krise mitgenommen: neue Erkenntnisse, mehr Kreativität und eine noch stärkere Bindung zur Musik. THE INTERSPHERE ist mit einem neuen Album am Start und auch "Wanderer" wird für alle Freunde abwechslungsreicher, innovativer Rock-Töne ein gefundenes Fressen sein. Die Platte sprudelt vor Ideen sowie wir vor Tatendrang, Frontmann Christoph ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Here we go…

Hallo Christoph, wie geht es dir? Wie ist die Stimmung bei THE INTERSPHERE?
Hallo Marcel, vielen Dank der Nachfrage. Uns geht es gut und die Stimmung ist zuversichtlich. Wir stecken mitten in den Tourvorbereitungen und freuen uns riesig, endlich wieder losziehen zu können.

Leider konnte ich euch zur geplanten Jubiläumstour nicht sehen, aber gib mir doch einmal ein kleines Update, was seit der Veröffentlichung von "The Grand Delusion" im Hause THE INTERSPHERE passiert ist.
Es ist sehr viel passiert. Es gab jede Menge Nachwuchs und wir haben uns den neuen Herausforderungen und der Verantwortung angenommen. Die Pandemie ist leider auch nicht ganz spurlos an uns vorbeigegangen, so dass wir uns teilweise umorientieren mussten. Mittlerweile wohnt niemand mehr in Mannheim, was die ganze Situation verändert. Es braucht mehr Abstimmung, mehr Kommunikation und mehr Disziplin. Dennoch haben wir die Zeit, denke ich, gut genutzt, um uns neu aufzustellen. Wir haben in der Pandemie-Zeit unseren Webauftritt stark ausgebaut, sozusagen THE INTERSPHERE fälligerweise digitalisiert, wir haben eine Patreon-Community aufgebaut und hatten die Zeit unseren Sound, unser Songwriting neu zu denken und zu überarbeiten.

Ihr habt mit "Wanderer" ein ziemlich starkes Album am Start. Wie lange habt ihr daran gearbeitet und mit welcher Zielsetzung seid ihr an die Arbeiten herangetreten?
Wir sind mit der Zielsetzung daran gegangen, alles neu zu denken und mit anderen Ansätzen ranzugehen. Wir haben z.B. bei der Ausarbeitung im Proberaum immer versucht, der Falle, genau das zu tun, was wir normalerweise machen würden, zu entgehen und uns selbst immer gepusht, neue Ansätze auszuprobieren. Die Songs sind größtenteils in der Pandemie entstanden. Es gab keine Grenzen, einfach drauf los in alle möglichen Richtungen. Die Layouts waren dann teilweise sehr weit von unserem eigentlichen Sound entfernt und wir haben dann erst im zweiten Schritt die Songs wieder in unseren Kosmos zurückgeholt. Weiterhin haben wir versucht, jedem Song bei der Produktion den entsprechenden Sound zu verpassen, so dass wir schon im Vorfeld hier in meinem Studio in Aschaffenburg ziemlich ausufernde Vorproduktionen gemacht haben und z.B. viel an Drumsounds gebastelt usw. Jeder Song soll für sich allein stehen können, aber auch im Albumkontext Sinn machen.

"The Grand Delusion" erschien vor fünf Jahren. Welche musikalischen Unterschiede liegen zwischen diesem und dem aktuellen Album eurer Meinung nach?
Für uns ist das klar die Vielfalt der Songs, die verschiedenen Ansätze, um die Grenzen weiter auszuloten. "Wanderer" ist meiner Meinung nach das auswechslungsreichste Album, das wir je gemacht haben, sowohl im Hinblick auf das Songwriting als auch die Umsetzung in der Produktion.

Verfolgt "Wanderer" einen konzeptionellen roten Faden, der sich wie eine Geschichte durch das Album oder einzelne Songs schlängelt?
Konzept klingt immer gleich so proggy. Für mich muss ein gutes Album eine Geschichte erzählen, die Hörer abholen, mit auf eine Reise nehmen, irgendwo hinführen, neue Dinge zeigen, Erfahrungen machen lassen und am Ende mit einem bestimmten Gefühl, Eindrücken und im besten Falle mit einem langen Nachhallen wieder nach Hause bringen. "Wanderer" zeigt für uns eben auch den langen Weg, den wir als Band gegangen sind, uns immer wieder neu herauszufordern und Wege zu finden für uns die Musik spannend zu halten.

Euer Album ist unheimlich vielschichtig: Die Atmosphäre, die Melodien, die vielfältigen Rockmomente – gibt es für euch überhaupt musikalische Grenzen oder sind Grenzen nur in Gedanken, um diese zu überschreiten?
Nein, es gibt keine Grenzen im Entstehungsprozess, der Grundidee… wir probieren alles aus… die Grenzen sind nur die, wie wir als vier Musiker in einer gewissen Art unsere Instrumente spielen und wie weit jeder einzelne gehen möchte, sein persönliches Geschmacksempfinden zu strapazieren bzw. jeder bereit ist mitzutragen. Bei diesem Album haben wir es uns jedenfalls nicht leicht gemacht und es gab teilweise sehr viele Versionen der Songs, bis wir letztendlich den Schlüssel finden konnten.

Vor allem 'Bulletproof', 'A La Carte' als Single-Auskopplung und 'Heads Will Roll' haben es mir enorm angetan und haben eine tolle Dynamik und strotzen vor Abwechslung. Wie weit stehen diese Songs stellvertretend für euren Sound und diesen Abwechslungsreichtum?
Ich denke, man kann alle zehn Songs des neuen Albums oben in die Reihe nehmen und es wird ersichtlich sein, dass sich dynamisch und im Hinblick auf den Abwechslungsreichtum viel getan hat. Es gibt den Grundpfeiler für uns: Musik, die mit Drums, Bass, zwei Gitarren und Vocals für uns funktionieren muss, vor allem live und alles dazwischen darf keine Grenzen kennen. Schon allein die Entstehung der von dir genannten Songs war so unterschiedlich. 'Bulletproof' ist aus einem Schnipsel aus dem Proberaum entstanden, bei dem Moritz eher nebenbei den Beat gespielt hat und ich dann im Nachhinein den Song wie ein HipHop-Beat am Rechner zusammengebaut habe, bevor wir ihn dann wieder als Band im Proberaum zurückgeholt haben, 'A La Carte' ist inspiriert von einem RUN THE JEWELS-Song, speziell die schrägen DEICHKIND-mäßigen Analog-Synthies, und 'Heads Will Roll' hab ich auf Grundlage eines Beats meines Studiokollegen Michael Vajna geschrieben, der sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Kirchenorgelspiel auseinandergesetzt hat. Der ganze Song basiert ja auf einem Kirchenorgel-Drone und all den komischen Sounds darin, Rückwärts-Glocken, auf die Pfeifen kloppen usw. Hier entsteht das beklemmende Gefühl auch dadurch, dass der ganze Song in sich total verstimmt ist. Das brachiale Riff sind hauptsächlich verzerrte Bässe… und für mich war von Anfang an klar, dass ich hier mal wieder schreien muss… Alle zehn Songs haben eine für uns ungewöhnliche Entstehungsgeschichte, haben dadurch unseren Horizont erweitert und haben mit dem Songwriting der letzten Jahre, bei dem man z.B. ein Gitarrenriff im Proberaum einbringt und das dann ausarbeitet, so gar nichts zu tun. Schon allein deshalb sind die Songs eben so abwechslungsreich geworden und das war aber auch genau das Ziel.

Habt ihr euch beim Song 'Who Likes To Deal With Death?' mit dem Tod beschäftigt?
Ja, mit zunehmendem Alter sehen wir uns stärker konfrontiert mit dem Thema. Wir haben Personen aus unseren Familien verloren, es sind aber auch schon Freunde und Bekannte von uns gegangen, die aus dem Leben gerissen wurden. Sterben gehört zum Leben und es geht darum, sich mit dem Thema zu beschäftigen, nicht zu tabuisieren und einen Umgang, eine Sichtweise zu erlernen. Ich bin fasziniert davon, wie andere Kulturen mit dem Thema Tod umgehen, nicht immer nur das Negative, die Trauer und den Verlust in den Vordergrund stellen, sondern die Menschen feiern, den Tod als Teil des Lebens begreifen und sich der Endlichkeit und der darin liegenden positiven Energie bewusst sind.

Ein Song heißt 'Always On The Run'. Glaubt ihr, euer Album oder generell eure Musik dient den Fans zum Eskapismus?
Das hoffen wir doch stark, dass wir für Menschen Teil des Lebens-Soundtracks sein können oder zumindest sie ein paar Minuten oder Stunden auf einem Konzert aus ihren Alltags-Irrsinnserfahrungen reißen können.

Du merkst, ich nehme Songtitel gerne wörtlich – so auch 'Treasure Chest'. Was ist für dich persönlich der größte Schatz?
Zeit. Zeit mit Menschen zu verbringen, die wir lieben und uns gut tun.

Das ist sehr schön. Auch das Artwork ist sehr geschmackvoll. Wer hat es entworfen und wie steht es in Verbindung zu den einzelnen Songs oder der gesamten Scheibe?
Das Artwork hat wieder Pierre Schmidt alias DROMSJEL entworfen, mit dem wir schon seit "Interspheres >< Atmospheres" im Jahre 2010 zusammenarbeiten. Ich bin schon sehr früh mit unseren Ideen und ein paar roughen Audioideen an Pierre herangetreten und er hatte die Idee, ähnlich wie wir mit der Musik und der Entstehung vollkommen neue Wege gegangen sind, dieses Mal eine KI in die Entstehung des Artworks mit einbeziehen. Wir haben dann zu jedem Song mit Keywords und Pierres Knowhow verschiedene KI-Artworks erstellen lassen, teilweise mit mehreren Transformationen, die Pierre letztendlich in Form gegossen hat und zu einem allumfassenden Artwork zusammengebaut hat. Der "Wanderer"-Gedanke schwebt über allem, wir wollten das Artwork möglichst farbenfroh, einen positiven Vibe, Weite und dass die einzelnen Artworks für sich stehen können, aber auch im Ganzen funktionieren. Wir sind sehr zufrieden, dass jetzt am Ende die Musik und das Artwork eine schöne Symbiose bilden.

Wie wird es nach der Veröffentlichung am 26. Mai weitergehen? Ist eine Tour in Planung?
Wir spielen zunächst die Tour zu unserem Release in den Hauptstädten. Es wird dann eine weitere Tour in Deutschland geben Anfang 2024. Dazwischen gibt es gerade noch Gespräche wegen möglichen Toursupports und hoffentlich noch ein paar Festivals und wir haben uns fest vorgenommen direkt weiterzuschreiben und nachzulegen.

Ich lese sehr häufig von einer stilistischen Nähe zu BIFFY CLYRO, ROYAL BLOOD und THRICE, finde aber, dass ihr eine ganz eigene Duftmarke habt. Wie stehst du zu den Vergleichen?
Man muss ja zunächst mal eine Schublade aufmachen für all die Menschen da draußen, die noch nie irgendwas von uns gehört haben und das sind noch ziemlich viele. Die genannten Bands haben ja alle einen sehr eigenständigen Sound, sind im weitesten Sinne dem Alternative Rock, aber keinem engstirnigen Genre direkt zuzuordnen. Deshalb schmeichelt uns die Einordnung und wir freuen uns natürlich darüber, wenn uns die Leute da draußen vielleicht ähnlich wahrnehmen, nicht im Vergleich mit ihnen, sondern als THE INTERSPHERE als eigenständige Band mit unverwechselbarem Sound.

Bei bereits sechs Alben auf der Habenseite muss ich diese Frage stellen: Wie siehst du persönlich die Entwicklung der Band bei beinahe 20 Jahren Geschichte? Wie hat sich THE INTERSPHERE musikalisch gewandelt?
Wir haben immer versucht neue Wege zu gehen, uns neu zu erfinden und Ansätze zu finden, die für uns selbst die Band spannend machen. Das ist der Motor, der uns überhaupt antreibt und die Band noch existieren lässt. Da wir selbst in den letzten Jahren erschreckend wenig Rockmusik hören, sind eine Menge Einflüsse hinzugekommen, die unsere Musik entsprechend formen. Im Kern sind wir eine klassische Rockband, lieben die Energie von Rockmusik, die sich entfaltet, wenn man zusammen im Proberaum oder auf der Bühne steht. Aber es gibt eben so viele Möglichkeiten, sei es sein Instrument neu zu interpretieren, neue kreative Ideen zu entwickeln, sowohl im Hinblick auf das Songwriting als auch all die digitalen Möglichkeiten mit Aufnahmemöglichkeiten und Bearbeitungen, die es zu erforschen gilt. Und ganz nebenbei kennen wir uns jetzt schon alle unser halbes Leben, haben viel Zeit miteinander verbracht und Höhen und Tiefen durchlebt und auch das hat einen beachtlichen Teil zur persönlichen und musikalischen Entwicklung unserer Band beigetragen.

Christoph, was möchtest du euren Fans und unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Wir freuen uns über jeden, der unserer Musik ein Ohr schenkt. Das Album kommt am 26.05. und da sind wir dann auch direkt auf Tour. Die Pandemie und die Entwicklung in den letzten drei Jahren hat vieles für Bands wie uns verändert. Gerade in den Tourvorbereitungen jetzt und in Gesprächen mit vielen Kollegen stellen wir fest, dass das Touren immer schwieriger wird, immense Kosten verursacht, viele kleine Clubs den Laden dicht gemacht haben, die Steckdosen, die von kleinen Bands bespielt werden können, immer weniger werden und Veranstalter von kleineren, Risiko-behafteten Veranstaltungen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit absehen. Deshalb unterstützt eure liebsten Bands, vor allem die Kleinen, indem ihr weiterhin Konzerte besucht und helft mit, dass sich die Sub- und Liveclubkultur schnellstmöglich wieder erholt und im besten Falle neu aufblüht.

 

Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Simon Stöckl und Head Of PR

Redakteur:
Marcel Rapp

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