TOTAL DEVASTATION: Interview mit Harri Pikka

12.06.2005 | 19:16

Manchmal, leider noch viel zu selten, tauchen aus der monatlichen Veröffentlichungsflut einige Überraschungen empor und machen die Arbeit eines Rezensenten etwas angenehmer. So auch im Falle der finnischen Death-Industrial-Metaller von TOTAL DEVASTATION, die uns mit ihrem aktuellen Werk "Reclusion" bereits das zweite Album um die Ohren hauen. Dabei handelt es sich um eine Band, die sich nicht scheut, die eingefahrenen Genregrenzen zu sprengen und sich wissentlich und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte auf den steinigen Pfad zwischen alle Stühle begeben. Diese Tatsache und natürlich auch die Qualität ihrer Musik waren es mir wert, Gitarrist Harri Pikka (ganz rechts) mal ein bisschen genauer auf den Zahn zu fühlen...


Harri:
TOTAL DEVASTATION wurde von Jaakko Heinonen und Lauri Pikka Ende 1998 gegründet. Die ursprüngliche Idee hinter der Band war, ausschließlich mit Maschinen und Computern Musik zu machen, ein paar brutale Gesänge hinzuzufügen, viel Spaß zu haben und einfach total schräge Musik zu machen. Lauri hat zu dieser Zeit die komplette Musik geschrieben; Jaakko hat sich um die Schreie gekümmert. Nach ein paar Demos stieg ich bei ihnen ein, um bei ein paar Songs Gitarre zu spielen. Wir haben die ganzen Songs in Lauris Schlafzimmer eingespielt, dabei viel Alkohol getrunken und einfach Lärm in einem kleinen Raum gemacht.
"Metal Hammer" wählte das vierte Tape zum "Demo des Monats" und einige Gigangebote folgten. So haben wir ein paar Freunde und den ältesten Pikka-Bruder Jarmo gefragt, ob sie nicht in die Band einsteigen wollen. Saku Hakuli und sein Bruder Pasi kamen auch vorbei, um Gitarre und Bass zu spielen. Das ist nun die Besetzung, die auch jetzt noch besteht. Somit gibt es auch keine ehemaligen Bandmitglieder. Nachdem wir den Plattenvertrag mit dem finnischen Label "Firebox" unterschrieben haben, veröffentlichten wir 2003 unser Debüt "Roadmap Of Pain". Das war übrigens der gleiche Titel, den Lauri und Jaakko ihrem ersten Demo von 1998 gegeben hatten. Das zweite Album "Reclusion" wurde im Februar 2005 veröffentlicht. Einige Musiker von TOTAL DEVASTATION sind übrigens noch bei den Bands OMNIUM GATHERUM und KAIHORO involviert. Informationen über Konzerte, Vergangenheit und Zukunft könnt ihr auf unserer Homepage bekommen.

Chris:
Klingt ja fast nach einer Bilderbuchkarriere. Wie waren denn bisher die Pressereaktionen auf euer neues Album?

Harri:
Wirklich gut. Es war "Album des Monats" im finnischen Metalmagazin "Inferno" im Februar 2005. Die Kritiken waren wirklich klasse. Einige negative Reaktionen waren natürlich auch dabei, aber das ist okay. Wir mögen das Album sehr und es scheint, es gibt einige Leute, denen es genauso geht.

Chris:
Euer Sound ist eine Mischung aus hartem Death Metal und Industrial. War das von vornherein so geplant oder eher Zufall?

Harri:
Ich denke, es war ein ganz natürlicher Prozess, denn immerhin sind TOTAL DEVASTATION als Industrialband gestartet. Nachdem mehr Musiker dazu gekommen sind, hat sich der Sound in diese Richtung entwickelt. Die Musik von TOTAL DEVATSTATION ist nun mehr bandorientiert, obwohl die Maschinen- und Industrialelemente noch immer vorhanden sind. Sie spielen nur nicht mehr so eine große Rolle wie noch in den früheren Tagen.

Chris:
Wie entsteht denn dann eure Musik? Entsteht zuerst der Song und ihr fügt noch ein paar Soundeffekte dazu, oder eher umgekehrt?

Harri:
Ein Song von uns startet immer mit einem Gitarrenriff oder Schlagzeugrhythmus. Manchmal kann ein Industrialpart von Lauri das entscheidende Element eines neuen Songs sein, aber meistens startet ein Song mit einem Gitarrenriff der Hakuli-Brüder oder von mir. Die Atmosphäre hier in Karhula ist so industriell und düster, dass es für uns sehr einfach ist, diese Art von Musik zu kreieren. Wir hören einfach die Geräusche der Maschinen und schnappen die Schwingungen der Umgebung auf. Ebenfalls großen Einfluss auf unsere Musik und Quelle unserer Inspiration ist die Tatsache, dass alle von uns in den Glas- oder Papierfabriken von Karhula gearbeitet haben. Wir haben den Lärm der großen Fabrikmaschinen schon unser ganzes Leben gehört. So ist es nicht schwer, davon inspiriert zu werden. Lauri arbeitet zur Zeit auf einem Friedhof hier in Karhula, was wahrscheinlich die düsteren Momente in unsere neuen Songs gebracht hat.

Chris:
Klingt ja alles nicht gerade sehr positiv. Ich finde euren Sound sehr gelungen, muss aber sagen, dass ich mir gewünscht hätte, eure Elektronikparts wären noch etwas präsenter gewesen...

Harri:
Diesmal wollten wir es eben genau so haben. Auf unserem ersten Album standen die Industrialparts noch viel weiter im Vordergrund. Das ganze maschinelle Zeug ist nur ein zusätzliches Gewürz für den Gesamtsound, das Wichtigste ist aber die Band. Ein Song entscheidet selbst, wie viel nicht-organisches Zeug er braucht, um zu funktionieren.

Chris:
Die meisten Breaks in euren Songs sind echt fantastisch, wie zum Beispiel bei 'They Stand On No.3' oder 'No Surrender'. Wie entstehen solche Parts?

Harri:
Es passiert einfach. Wenn überhaupt, dann hat Schlagzeuger Jarmo einen großen Anteil an diesen Breaks. Wir kreieren Ryhthmus und Riffs. Unsere Songs basieren auf einem Gefühl oder einer bestimmten Idee. Die Songs spielen wir immer und immer wieder in unserem Proberaum, dem so genannten "Höllenloch", und dabei entwickeln sie sich immer weiter, bis sie fertig sind.

Chris:
Meine Lieblingssongs sind 'Reclusion' und 'Converted Illusion', weil sie sehr straight sind. Wie siehst du diese beiden Songs im Gegensatz zum Rest des Albums?

Harri:
Nun, wie du schon sagst, beide Songs sind sehr simpel und vielleicht haben sie sogar einige Parallelen in Text und Komposition. Beide Songs sind stark im Mid-Tempo-Bereich gehalten und haben einige Moshparts. Es sind beides sehr gute Songs.

Chris:
Persönlich vermisse ich speziell im Gesangsbereich ein bisschen die Abwechslung. Im abschließenden 'Bleeding Time' habt ihr mit ein paar melodischeren Gesangslinien gearbeitet, die euch gut zu Gesicht stehen. Können wir in Zukunft davon etwas mehr erwarten?

Harri:
Niemand weiß, was die Zukunft für uns bereithält. Lauri hat zu "Reclusion" ein paar Gesangslinien beigesteuert, wie unter anderem zu 'Bleeding Time'. Die Geschichte mit den zwei verschiedenen Sängern wollen wir in Zukunft auf den Alben und bei Live-Shows weiter ausbauen.

Chris:
Wie würdest du jemandem deine Musik beschreiben, der TOTAL DEVASTATION noch nie gehört hat?

Harri:
Nimm etwas ENTOMBED, NIN, NEUROSIS, MORBID ANGEL und eine Menge Bart, stopfe alles in einen Mixer und du hast eine vage Vorstellung von TOTAL DEVASTATION.

Chris:
Haha, dazu muss man sagen, dass die Musiker über mächtige Bärte verfügen... Wie sieht euer Zielpublikum aus? Dürfte sehr schwierig sein, dieses zu bestimmen, oder?

Harri:
Metal- und Musikfans, die sehr offen sind. Dieses ganze Gerede über Zielpublikum und so ist wirklich ätzend. Natürlich ist es wichtig für Marketing und Werbung, das Zielpublikum zu definieren, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand, der Spaß am Musikmachen hat, beim Songwriting darüber nachdenkt, was sein Zielpublikum sein könnte. Vor allem nicht dann, wenn man nicht auf den Erfolg eines Albums angewiesen ist, um sein tägliches Brot damit zu verdienen. Wie jeder andere auch, machen wir Musik für uns selbst.

Chris:
Wie reagieren die unterschiedlichen Leute im Publikum auf eure Musik?

Harri:
Einige moshen und jammen, andere Leute schauen, wie Jarmo sein Schlagzeug bearbeitet und Saku Gitarre spielt. Wieder andere stehen einfach nur mit großen Augen da und reagieren gar nicht, einige andere kaufen eine Menge Bier und wieder andere rennen verärgert aus der Halle. Leute reagieren unterschiedlich. Wir nehmen nicht jede Reaktion des Publikums wahr, außer, dass die Leute, die sich auf unsere Musik einlassen, anfangen zu moshen und zu jammen.

Chris:
Was macht ihr (außer Musik zu machen), um eure Band in Finnland und ganz Europa zu promoten? Was kannst du machen, damit ihr auch noch zwei Monate nach Veröffentlichung bei den Leuten im Gedächtnis bleibt?

Harri:
So viele Gigs spielen wie möglich. Wir haben eine großartige Konzertagentur hier in Finnland, so dass wir in dieser Hinsicht in guten Händen sind. Wenn die Musik gut genug ist, werden die Leute sie auch finden. Um auch noch zwei Monate nach der Veröffentlichung im Gedächtnis zu bleiben, aktualisieren wir ständig unsere Homepage und schreiben neue Songs. Auch Musikvideos sind ein guter Weg, deine Band zu promoten. Wir haben einen Freund, der für uns und andere Bands Videos macht. Unser Video wurde sogar schon im Fernsehen gezeigt und ist auf einigen Musik-DVDs zu sehen. Er hat auch ein Video für OMNIUM GATHERUM und KAIHORO gemacht. Und natürlich machen wir T-Shirts und Aufkleber und promoten unsere Band in ganz Finnland, während wir in den Bars sitzen und Bier trinken.

Chris:
Nicht die schlechteste Art, Werbung für die Band zu machen, haha... Erzähl uns mal ein bisschen über die Szene in Finnland. Gibt es noch immer überwiegend Black- und Death-Metal-Bands, oder mittlerweile mehr als hundert Kopien von NIGHTWISH?

Harri:
Es gibt alle Arten von Bands. Natürlich bekommen nicht alle guten Bands auch außerhalb von Finnland die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich verdient hätten. Es gibt aber alle Arten von Bands und die Szene ist wirklich sehr aktiv. Finnland ist ein kleines Land mit vielen großartigen Bands.

Chris:
Wie sehen eure Zukunftspläne aus? Kommt ihr auch mal auf einer Tour in Deutschland vorbei?

Harri:
Im Moment sind nur Konzerte in Finnland geplant, aber wir hoffen, dass wir demnächst auch mal außerhalb spielen können.

Chris:
Du spielst auch noch bei OMNIUM GATHERUM, die gerade einen Deal bei Nuclear Blast unterschrieben haben. Wo liegen genau deine Prioritäten?

Harri:
Ich bin bei OMNIUM GATHERUM schon länger Mitglied als bei TOTAL DEVASTATION, aber das macht für mich keinen großen Unterschied. Meine Priorität ist, Musik machen und Konzerte spielen, so viele ich kann. OMNIUM GATHERUM hat bei Nuclear Blast unterschrieben, was wirklich großartig ist, aber wenn du mehr über die Band wissen willst, dann schau auf unserer Homepage vorbei.

Chris:
Bei TOTAL DEVASTATION spielst du mit deinen beiden Brüdern zusammen. Wie dürfen wir uns eine Familienfeier bei euch vorstellen? Quatscht ihr die ganze Zeit nur über Musik und die Band oder auch über andere Dinge?

Harri:
Viele Dinge gehen richtig locker zu in diesem Familienbetrieb. Ich denke, es ist mehr ein Vorteil, wenn Brüder in einer Band spielen. Wir ziehen alle an einem Strang und sind trotzdem sehr verschiedene Menschen; haben somit auch viele verschiedene Ideen. Manchmal, wenn ich gerade nicht richtig weiterkomme, hat Lauri die passende Lösung dafür, oder andersherum. Ja, wir reden viel über Musik, aber nicht nur über TOTAL DEVASTATION, sondern über Musik überhaupt und all die anderen Projekte und Bands, in die wir involviert sind. Ich würde solche Situationen auch nicht Familientreffen nennen, sondern eher Gespräche zwischen Freunden und Brüdern. Wir reden auch über Filme, Schule, Arbeit, unser tägliches Leben und so ein Zeug, wie normale Menschen. Lauri hat eine große DVD-Sammlung, so dass wir auch viele Filme zusammen schauen. Und wenn du mit deinen Brüdern zusammen arbeitest, die du schon dein ganzes Leben lang kennst, dann weißt du genau, was sie denken und alles läuft wie geschmiert.

Chris:
Na, denn. Deine letzten Worte an eure deutschen Fans...

Harri:
Mosh And Grill!

Redakteur:
Chris Staubach

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