UNZUCHT: Interview mit Schulz, Toby und Alex

03.03.2017 | 17:06

Auf den WACKEN WINTER NIGHTS heizten sie den verfrorenen Zuschauern zuerst ein - die Hannoveraner von UNZUCHT. Nachdem sie sich wieder aufgewärmt hatten, baten wir Alex, Toby und Schulz zum Interview.

Ingwertee statt Festival-Bier: Auf den WACKEN WINTER NIGHTS eröffnete UNZUCHT die frostige Party auf dem "Holy Ground" mit einem, im wahrsten Sinne des Wortes, saucoolen Gig. "Ein historischer Moment", wie Sänger Schulz im Nachhinein gleich zu Beginn unseres Interviews augenzwinkernd feststellt. Schließlich handelte es sich bei dem Opener-Slot der Unzüchtigen um die erste Show, die auf Winter-Ausgabe des WACKEN OPEN AIR je gespielt wurde. Für Zuschauer wie Musiker ein eisiges Vergnügen, wie Bassist Alex erklärt: "Spielerisch war es bisweilen schon ein Problem, gerade während der ersten drei Songs. Zwischenzeitlich wusste ich gar nicht, wie ich das Plektrum in der Hand halten soll." Bandkollege Toby kann ihm da nur beipflichten. "Die Drumsticks musste ich ganz anders halten als sonst", so der Schlagzeuger. Ertragen haben es die Hannoveraner jedoch mit Würde. "Es gibt da eigentlich nur einen Trick", verrät Alex sein Geheimrezept. "Einfach machen und nicht darüber nachdenken!" Was mir in der Kälte denkbar schwer gefallen ist, hat UNZUCHT gleich am Festival-Freitag mit Bravour gelöst: Schon kurz nach Geländeöffnung bringen die Dark Rocker den Eispalast fast zum Schmelzen, die Besucher haben bei Klassikern der Bandgeschichte wie 'Engel der Vernichtung' genauso großen Spaß wie mit dem gefiederten 'Neuntöter', den die UNZUCHT auf dem Bühnenbild als Silhouette aufgegriffen hat.

Auch die Herren selbst sind mit dem Debüt der freundlichen UNZUCHT auf den WACKEN WINTER NIGHTS zufrieden. "Es hat Spaß gemacht", resümiert Schulz, der als Sänger die geringsten Probleme mit den Nullgraden hatte. Durch das bunt gemischte Line-up mit Gothic-Bands wie NACHTBLUT oder MONO INC. ebenso wie Mittelalter-Größen à la SUBWAY TO SALLY und TANZWUT tummelte sich in Wacken an diesem Wochenende ein bunt gemischtes Publikum. "Die Musik auf den WACKEN WINTER NIGHTS bedient so ziemlich alles zusammen, was man unter 'Dunkler Szene' versteht", so der Sänger weiter. Eine ganze Menge Leute also, denen die Unzüchtigen am ersten Tag ihren jüngsten Familienzuwachs präsentierten. Mittlerweile ein halbes Jahr ist das neuste Album von UNZUCHT alt, mit "Neuntöter" räumten die Norddeutschen ganz nonchalant den 16. Platz in den deutschen Album-Charts ab. Ob die Jungs damit gerechnet haben? "Absolut nicht", kommt die Antwort von Toby wie aus der Pistole geschossen. "Aber natürlich hofft man immer darauf", räumt er sofort ein. 
Oder wettet eben bandintern auf die Platzierung. "Ich habe damals auf Platz 25 gesetzt", sagt Schulz. Dies sei jedoch mehr ein Statement zur Motivation als eine echte Erwartungshaltung gewesen, gibt er im nächsten Moment zu. Richtige Prognosen - die sind ohnehin fast unmöglich, erklärt Toby. "Immerhin hängt es auch davon ab, wer wann sonst noch mit seinem neuen Album rauskommt." Als besonders schwierig erweist sich so der November - die Zeit, in der das dritte Album der UNZUCHT, "Venus Luzifer" (Platz 76), erschien. "In dieser Zeit drängen eben die ganzen Weihnachts-Sampler auf den Markt und räumen die ersten Chartplatzierungen ab", so Toby weiter. Zwischenzeitlich habe der Januar als Geheimtipp für den Release einer CD gegolten, doch wie das eben mit Geheimtipps so ist: Irgendwann werden sie zur gängigen Regel und verlieren ihren besonderen "Effekt". "Es verändert sich eben ständig."

Aber was macht den Reiz des kleinen, putzigen Vogels, der seine (oft noch lebendige) Beute vor dem Verzehr noch auf Dornen pfählt, für die Dark-Rock-Band aus? "Der Neuntöter ist eben schon ein ziemlich krasses Tier", beginnt Alex und führt weiter aus. "Auf den ersten Blick wirkt er total zierlich und süß." Bei den meisten (wie der Autorin) schlägt der verzückte Gesichtsausdruck jedoch schnell in ungläubiges Entsetzen um, führen sie sich erst einmal das Beuteverhalten des gefiederten Tieres vor Augen. Musikalisch jedoch hatte der kleine Vogel seinen Platz im Herzen der UNZUCHT schnell gefunden. "Mit den Titeln unserer Alben tun wir uns leichter als mit dem Rest", erzählt Schulz. Auch der "Neuntöter" war da keine Ausnahme: So stand der Name des vierten Langspielers der UNZUCHT noch vor dem eigentlichen Song 'Neuntöter'. "Auch musikalisch hat uns der "Neuntöter" viel weiter gebracht", wirft Toby in den Raum. Auf meine Nachfrage erklärt Alex: "Wir sind mutiger geworden. Wir trauen uns viel eher, unsere Extreme auszuleben. Das Album ist sowohl unglaublich emotional als auch superhart geworden." Eine Entwicklung, die schon auf dem "Rosenkreuzer" ihren Anfang genommen hat, findet Schulz und bringt beispielsweise 'Kind von Traurigkeit' ins Spiel.

Vielseitigkeit ist das Stichwort, welches die Platte für die Jungs zum coolsten Album der Bandgeschichte macht. "Du kannst dir einen Song herausnehmen und er wird dir nie die ganze Band erklären", so Toby. Jeder Titel des Albums stehe für sich und spiegele eine ganz neue Facette von UNZUCHT wider. "Diese Überraschungsmomente sind einfach toll", ergänzt Alex. "Die Momente, in denen du feststellst, dass du die Songs auch gut finden würdest, wenn es nicht von uns wäre." Überraschungsmomente mit dem neuen Album gab es auch für den Plattenboss von Out Of Line, wie der Bassist mit einem Grinsen im Gesicht erzählt: "Unser Lied 'Widerstand' hat anscheinend seinen Weg in eine iTunes-Metal-Playliste gefunden, die er eigentlich nur nebenbei hat laufen lassen." Groß war da die Freude, als er feststellte, dass es eine "seiner Bands" war, der er da zuhörte. Schulz fasst das UNZUCHT-Gefühl schließlich in einem prägnanten Satz zusammen: "Diese Band ist größer als jeder einzelne von uns es ist."

Groß sind auch die Live-Momente, von denen Alex, Toby und Schulz vor allem ein Gig in Erinnerung geblieben ist. Zwar wurden die Unzüchtigen auch im November bei ihrem Auslandseinsatz im Vereinigten Königreich von den Briten "komplett abgefeiert", doch der Show in der spanischen Hauptstadt vor bald einem Jahr konnte auch diese Tour nicht den Rang ablaufen. "Für mich war das noch einmal besonders aufregend, da ich spanische Wurzeln habe", so Schulz, der auch die Ansagen auf Spanisch machte. Begrüßt wurde die UNZUCHT im warmen Südeuropa jedoch mit einer - besonders für Hauptstädter - ungewöhnlich großen Begeisterung: "Meist ist das Publikum in den Haupstädten ein wenig abgestumpft", erklärt der Sänger weiter. Verwöhnt durch das ständige Überangebot an Bands und schwer zu begeistern. Dass die Madrilenen die Dark-Rock-Band derart herzlich feierten, machte das Erlebnis für alle umso beeindruckender. Kein Wunder, dass bei der Frage nach dem Lieblingsgig der UNZUCHT derartige Einigkeit herrschte.

Redakteur:
Leoni Dowidat

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