Unterm Radar: VON HERTZEN BROTHERS
25.11.2017 | 21:30Kennt ihr das? Ihr hört eine Band und fragt euch, warum die Musikwelt diese Truppe zumindest in Deutschland weitestgehend ignoriert, obwohl ihr davon überzeugt seid, dass viel mehr Menschen die Musik mögen würden, wenn sie sie bloss einmal hören würden. Dass sie unterm Radar fliegen, liegt häufig auch an den Medien, an den Labels und den Promotern, manchmal auch an der Band selbst. Wenn auf eine Band nicht aufmerksam gemacht wird, geht sie in der Masse unter, auch wenn sie nicht in Deutschland tourt, ist das problematisch. Beides trifft auf die VON HERTZEN BROTHERS zu. Ein Zustand, den es zu ändern gilt. Und das neue Album und aktuelle Soundcheck-Sieger "War Is Over" bietet die perfekte Gelegenheit dies zumindest auf diesen Seiten anzugehen.
Die drei Brüder Jonne, Mikko und Kie (Abb. o, v. l. n. r.) heißen tatsächlich mit Nachnamen von Hertzen und sind die Band, auch wenn sie live und im Studio meist noch von ein, zwei Musikern am Schlagzeug (derzeit wieder Sami Kuoppamäki, ehemaliger KINGSTON WALL-Schlagwerker und langjähriger Freund der Brüder) und Keyboard unterstützt werden. Familie von Hertzen ist auch schon in vorherigen Generationen sehr musikalisch, so spielt ihr Vater über Jahre bei THE ROOSTERS und Onkel Lasse bei der finnischen Folk-Band CUMULUS, die in den 70ern in Skandinavien recht erfolgreich war. Entsprechend stand die Musik bereits seit jüngsten Jahren im Fokus des Trios. Bis sie aber tatsächlich gemeinsam Musik machen, vergehen viele Jahre. Ein 1986 aufgenommenes Tape mit eigenen Interpretationen von Weihnachtsliedern bleibt für lange Zeit die einzige gemeinsame Aufnahme von Mikko, Kie und Jonne. Kie spielt in den Neunzigern sehr erfolgreich bei der finnischen Truppe DON HUONOT, Mikko bei EGOTRIPPI und LEMONATOR und schließlich Jonne bei COSMOS TANGO. All diese Bands arbeiteten mit finnischen Vocals und waren über die Landesgrenzen hinaus und in Deutschland nicht mal ein Geheimtipp, aber speziell DON HUONOT im heimatlichen Finnland sehr erfolgreich.
Im Jahr 2001 erscheint dann schließlich mit "Experience" das erste Album der Band, das sich allerdings noch deutlich vom restlichen Material unterscheidet, was viel mit den Umständen der Entstehung zu tun hat. Mikko blickt zurück: "Ich bin eine Weile vorher nach Indien gezogen und hatte dort einige Ideen für Songs, die ich ganz einfach mit Keyboard und Gitarre aufgenommen hatte. In meinen vorherigen Bands gab es immer sehr gute Songwriter, so dass ich deren Arbeit mehr kommentiert habe, als selbst etwas zu schreiben, daher waren diese Songs für mich eher ein Experiment. Ich habe dann meinen Brüdern Tapes von den Aufnahmen geschickt und sie gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, dass wir an den Songs zusammen arbeiten könnten. Kie und Jonne mochten die Songs und so sind sie für ein paar Wochen nach Indien gekommen und wir hatten eine gute Zeit. Tagsüber am Strand, gutes Essen, dann ein bisschen an den Songs gearbeitet. Das war so eine Art Pre-Production, die uns viel Spaß gemacht hat." Kie und Jonne nehmen die Aufnahmen mit nach Finnland und spielen sie einem Freund vor, der ein Label hat und dem "Experience" so gut gefällt, dass er das Album veröffentlichen möchte. "Das Label unseres Freundes hat dann plötzlich mit Sony fusioniert und so wurde "Experience" auf einmal ein Major-Release. Wir spielten drei Gigs mit Sami am Schlagzeug und zumindest der letzte hinterließ bei uns das Gefühl, dass das schon eine gute Sache ist und dass es funktioniert. Dennoch haben wir eigentlich nicht damit gerechnet, dass wir noch mal etwas in der Art machen und ich bin schließlich zurück nach Indien gezogen."
In meinen Ohren zeigen sich die Brüder hier noch etwas auf der Suche nach dem eigenen Sound. Alles, was die Herren in späteren Jahren ausmachen wird, ist hier schon vorhanden, aber die Songs sind längst noch nicht so ausgereift, was aber nach Mikkos Ausführungen auch logisch ist. Dass der erste Song 'Brother' heißt, ist sicher kein Zufall und einige Glanzstücke sind dann auch hier schon vorhanden. Gerade das treibende 'Devil Of A Girl', das eingängige 'Immortal Life' oder das sehnsüchtige 'Time And You' sind schon wirklich starke Nummern. Ausführlich habe ich dies ja bereits in der Rezension zu "Experience" beleuchtet.
Nach der Vorgeschichte ist es wohl wenig überraschend, dass es fünf Jahre dauert bis "Approach" erscheint. Der Grundstock wird in einem Familienurlaub in Ägypten im Jahr 2004 gelegt, wie Mikko berichtet: "Ja, wir trafen uns in Ägypten und wollten dort tauchen und uns erholen. Ich hatte meinen Midi-Player dabei, auf dem ich ein paar Songs wie 'River' oder 'Disciples Of The Sun' hatte und wollte, dass meine Brüder sich die Nummern mal anhören. In den ersten Tagen haben beide abgewunken. Sie wollten sich erst einmal erholen, doch zum Ende des Urlaubs hat sich Kie dann die Kopfhörer aufgesetzt und sich die Songs angehört und Jonne tat es ihm später gleich. Schnell waren wir alle der Meinung, dass das wirklich gute Songs sind und wir entschlossen uns ernsthaft an dem Material zu arbeiten. Erst einmal jeder für sich, um dann Ideen auszutauschen und zu sehen, wohin die Reise führt. Jonne und Kie waren zu Hause in Finnland, ich habe in der Zeit noch in Indien gewohnt und bin immer wieder nach Finnland geflogen. Und so haben wir an dem Album gearbeitet. Mit unserem eigenen Geld, in unserer eigenen Zeit. Wir haben Sami gefragt, ob er ein wenig Zeit hatte, um die Songs im Studio einzutrommeln und er sagte gleich zu, machte aber auch klar, dass er für ein Tour nicht zur Verfügung stehen könnte. Da wir da aber auch noch nicht viel geplant hatten, war das nicht weiter schlimm. Irgendwann war das Album fertig, wir hatten alles selbst bezahlt und sind dann zu Plattenfirmen gegangen, um zu schauen, was da geht."
Es kam wie es kommen musste: "Niemand war interessiert. Alle Label habe abgewunken, weil die Musik zwar gut sei, aber es keinen Markt dafür gebe. Dann haben die Jungs von THE RASMUS das Album zu hören bekommen, die gerade ihr eigenes Label gegründet hatten und Sänger Lauri Ylönen wollte das Album unbedingt veröffentlichen. Wir sagten: 'Ja, super. Gib uns 12.500 EUR und du kannst das machen.' Das war das Geld, das wir in die Platte investiert hatten und wir hatten nicht vor, sie zu verschenken. Das konnte Lauri nicht, aber er und auch der damalige Manager der Band waren so überzeugt von dem Album, dass sie den CEO von Universal Finnland überzeugen, das Album zu veröffentlichen und dass man es gemeinsam mit THE RASMUS vermarkten könnte." Mein aufrichtiger Dank an dieser Stelle an Lauri, denn wer weiß, wie die Story der Brüder sonst fortgeschrieben worden wäre. Und ob überhaupt. ""Approach" hat dann in Finnland wirklich eingeschlagen. Zwei Radiosender spielten 'Let Thy Will Be Done' rauf und runter, wir gewannen den finnischen Emma [so etwas wie die finnsiche Version des Grammy - PK] und waren plötzlich Stars in Finnland. Es dürfte viel damit zu tun haben, dass wir eben ganz anders klangen als alles, was sonst so im finnischen Radio lief. Es hatte nichts mit HIM und dem ganzen Goth-Kram zu tun, der gerade populär war und war insgesamt positiver und damit eben anders."
Meiner Meinung nach legen die VON HERTZEN BROTHERS mit "Approach" ein echtes Meisterwerk vor. Hier trifft LED ZEPPELIN auf QUEEN auf etwas Psychedelik und eine leichte Prog-Note, gepackt in direkte, aufregende, detailreiche Songs, die ganz und gar zeitgemäß klingen. Mehr erfahrt ihr in der vollständigen Rezension zum Album.
Zwei Jahre vergehen bis zum dritten Album "Love Remains The Same". "Für uns stand das Album unter ganz neuen Vorzeichen. Die ersten Alben konnten wir frei von jedem Druck und jeder Erwartungshaltung machen, in der Zeit, in der wie es eben machen wollten. Dieses Mal hatten wir über 100 Gigs in Finnland mit "Approach" gespielt und waren ein bisschen müde davon und so haben wir während und zwischen den Tourneen Songs geschrieben und wollten einfach im Fluss bleiben. Ich finde auch, dass die Songs wirklich gut sind, aber die Produktion gefällt mir heute nicht mehr so gut. Sie ist etwas dünn, etwas flach, das würde ich heute anders haben wollen. Aber das Album hat uns in Finnland noch größer gemacht, wir haben auf großen Bühnen und großen Festivals als Headliner gespielt. Ich sehe heute "Love Remeains The Same" im Grunde als Fortsetzung von "Approach" an mit einer etwas stärkeren Prog-Note."
Eine Einschätzung, die ich absolut teile. Songs wie 'Freedom Fighter' oder 'Spanish 411' sind ganz fantastisch, während der Opener 'Bring Out The Sun (So Alive)', vielleicht etwas zu lang geraten ist. Auch hier gibt es natürlich wieder eine vollständige Rezension zum Album.
Bis zum nächsten Album "Stars Aligned" vergehen dann sogar fast drei Jahre. "Es ist komisch, aber mit den Aufnahmen zu "Stars Aligned" verbinde ich gar nicht so viel. Wir haben das erste Mal mit einem Produzenten zusammengearbeitet und nicht alles selbst gemacht. Wir hatten ein bisschen das Gefühl, wieder etwas mehr experimentieren zu wollen, so dass Songs wie das sehr schräge 'Bring Out The Snakes' oder das sehr orientalisch anghauchte 'Angel's Eyes' entstanden sind, aber wir wollten halt die Frische, die "Approach" und auch "Love Remains The Same" ausgemacht hat, nicht verlieren. Außerdem haben wir das erste Mal auch außerhalb von Finnland versucht uns als Band zu positionieren und hier in England und in Skandinavien hatten wir dann erste kleinere Erfolge mit 'Gloria' und 'Miracle'. Das hat dann auch dazu geführt, dass Bands wie PAIN OF SALVATION oder OPETH auf uns aufmerksam geworden sind und uns mit auf Tour genommen haben." Leider nie in Deutschland. "Ich mag das Album auch immer noch sehr gerne und es gibt einige Songs, die wir noch regelmäßig auf Tour spielen."
Kollege Björn Backes hat in seiner Rezension alles wesentliche zu "Stars Aligned" zusammengefasst, aber auch hier möchte ich betonen, dass das Album bärenstark ist und mit dem bereits genannten 'Angel's Eyes', 'Always Been Right' oder 'Voices In Our Head' einige ganz fantastische Songs bietet.
Es vergehen einmal mehr zwei Jahre bis zun nächsten Release "Nine Lives". "Für mich ist "Nine Lives" durchaus ein besonderes Album. Wir haben es zusammen mit James Spectrum in unserem eigenen Studio produziert, das wir uns über die Jahre aufgebaut hatten. Wir hatten einen guten Vorschuss von Universal Finnland bekommen und dachten uns, dass wir uns das Geld für ein Studio sparen könnten und das stattdessen lieber fürs Touring investieren sollten. Und so ist auch "Nine Lives" teilweise auf Tour entstanden. Ich kann mich erinnern wie ich auf Tour mit OPETH an Ideen gearbeitet habe. Es war am Ende dann doch recht stressig, denn wir waren viel unterwegs und gleichzeitig musste das Album fertig werden. Es sollte im März erscheinen und wir mussten es um Weihnachten herum mixen lassen, was dazu geführt hat, dass wir mit vier verschiedenen Leuten dafür gearbeitet haben, weil niemand so viel Zeit am Stück hatte. Ich finde aber, dass man das dem Album nicht anhört und es ist dann auch sehr erfolgreich geworden. Gerade hier in UK [das Interview findet vor einem Konzert in Wolverhampton statt - PK] waren erst 'Insomniac' und später 'Flowers And Rust' durchaus kleine Hits und 'Flowers And Rust' hat dann sogar einen Preis als "Prog-Hymne des Jahres" beim "Prog"-Magazin gewonnen. Es ist auch immer noch mein liebstes Album neben "Approach" und "War Is Over"."
Das kann man so sehen, denn neben den genannten Nummern sind vor allem das treibend-flotte 'Coming Home' und das einfach schöne 'A World Without' ganz fantastische Songs. Auch hier gibt es natürlich eine vollständige Rezension, die euch alle Details zum Album gibt.
Mit "New Day Rising" kommt dann erneut zwei Jahre später das Album, welches mich persönlich zu den Brüdern führt, zudem die Band aber ein eher gespaltenes Verhältnis hat. "Ja, nach all den Jahren und den kleinen Schritten, die wir gemacht hatten, dachten wir bei "New Day Rising", dass wir es jetzt einfach wissen wollen. Wir haben mit GGGarth einen Top-Produzenten engagiert [u. a. auch RISE AGAINST, RAGE AGAINST THE MACHINE und BIFFY CYLRO - PK], der mit Ted Jensen für das Mastering arbeiten wollte. Alles hat das Dreifache gekostet und wir wollten halt sehen, wohin uns das führt. Es führte uns nirgednwo hin. Der Song 'New Day Rising' lief in unserer Heimat und auch hier in England wirklich gut, aber darüberhinaus gab es nicht den erhofften Schub. Wir hatten mit 'Hold Me Up' eine zweite Single, etwas poppiger und balladesker und alle um uns herum waren überzeugt, dass dies eine große Nummer wird. Und es passierte auch hier absolut nichts. Wir waren dann auch etwas enttäuscht vom Management und von unserer Plattenfirma, weil wir dachten, sie würden das wirklich gute Album mehr zu schätzen wissen und entsprechend dafür arbeiten, aber sie hatten keine Vision, keine Vorstellung davon, was sie damit tun sollten. Und auch als Band haben wir uns viele Fragen gestellt. Kie war zum Beispiel nicht so glücklich mit dem Album, weil er mehr Kompromisse eingehen musste, als er es bisher gewohnt war. Viele seiner Soli wurden von GGGarth aus den Songs wieder herausgenommen und das konnte es alles irgendwie nicht sein. So sind wir an einen Punkt angelangt, wo wir uns gefragt haben, wie es weitergehen soll. Wir hatten zehn Jahre mit Mikko Kaakkuriniemi [drums - PK] und Juha Kuoppala [kb. - PK] gearbeitet und hatten das Gefühl, dass das zu Ende geht, unser Plattenvertrag war ausgelaufen, von unserem Management waren wir wie gesagt enttäuscht und dann kamen die enttäuschenden Vorverkaufszahlen von der Deutschlandtour, wo die Ticketverkäufe in Städten wie Berlin und Köln einstellig geblieben sind, so dass wir die Tour abgesagt haben. Da haben wir gewusst, dass wir noch die Tour zum 10. Geburtstag von "Approach" im Somme 2016 spielen würden und dann erst einmal Pause einlegen. Wir wussten nicht wie lange sie sein würde und ob wir überhaupt weitermachen sollten. Doch dann haben Kie, Jonne und ich uns eines Tages zusammengesetzt und uns gefragt, was die VON HERTZEN BROTHERS wirklich ausmacht. Und das sind nun einmal wir, das sind unsere Songs und uns wurde bewusst, dass es für uns am besten läuft, wenn wir alles selbst machen. So sind wir an "War Is Over" herangegangen und jetzt sitzen wir hier."
Persönlich war "New Day Rising" der Start in eine tolle Entdeckungsreise. Heute weiß ich auch, dass das Album schon etwas ungewöhnlich in der Geschichte der Band ist, geradliniger, kompakter, noch Hit-lastiger. Aber es ist vor allem einfach ein tolles Album mit hervorragenden Songs wie 'Love Burns', 'Sunday Child', 'Dreams' oder 'New Day Rising'. Das war seit der Rezension so und hat sich bis heute nicht geändert.
Unterm Strich kann ich nur zum wiederholten Male sagen, wenn ihr Hard Rock, Progressive Rock oder Psychedelic Rock mögt, wenn ihr Musik mögt, die zwar deutlich von den Siebzigern beeinflusst und doch eindeutig zeitgemäß und modern ist, wenn ihr Abwechslung groß geschrieben sehen wollt, dann müsst ihr mehr Brüdermusik hören. Sie wird euch nicht enttäuschen.
Alles zum neuen Album "War Is Over" findet ihr dann im großen Interview mit Mikko von Hertzen. Demnächst hier auf POWERMETAL.de
- Redakteur:
- Peter Kubaschk