Vorab-Gruppentherapie - METALLICA - "Hardwired ... To Self-Destruct"

19.10.2016 | 23:50

Liebe Leserschaft,

heute wollen wir die am 18.11.2016 bevorstehende Veröffentlichung des neuen METALLICA-Albums "Hardwired... To Self-Destruct" zum Anlass nehmen, euch erstmals eine etwas andere Art der Gruppentherapie zu präsentieren. Dieses Mal haben wir nämlich die Köpfe bereits einige Wochen vor dem Eintreffen der Promos - allerdings nach Erscheinen der ersten beiden Online-Singles - zusammengesteckt, und uns darüber unterhalten, was wir denn heute, ein Vierteljahrhundert nach dem letzten unstreitigen Klassiker der Band, und dreizehn Jahre nach dem die Fanbasis massiv spaltenden "St. Anger" noch von METALLICA erwarten. Wird die Platte ein Flop oder eine Offenbarung? Kreativ oder kalkuliert? Ein Megaseller sicher ohnehin, doch worauf freuen wir uns, wovor fürchten wir uns, wenn die kommerziell erfolgreichste Metalband der Welt ihr zehntes Studioalbum an den Start bringt? Oder ist es dem einen oder anderen im Hause gar egal?

Dass da in Anbetracht der doch sehr unterschiedlichen musikalischen Neigungen, Biographien und Erfahrungen eine ganz ordentliche Bandbreite an Prognosen, Befürchtungen und Hoffnungen zusammen kommt, wird kaum jemanden überraschen, doch lest selbst, was die Kollegen zu sagen haben!

Rüdiger Stehle
- Stellv. Chefredakteur -

Was für ein Medien-Hype das doch war, als METALLICA vor wenigen Wochen endlich und praktisch aus dem Nichts den neuen Langspieler "Hardwired... To Selft-Destruct" ankündigte, und auch ich muss gestehen, dass ich im ersten Moment versucht war, mich dem Rummel anzuschließen. Ähnlich erging es mir bei den beiden Vorgängern "St. Anger" und "Death Magnetic", die beide kurz nach dem Release dauerhaft in meinem CD-Spieler rotierten. Einige Jahre später ist von der anfänglichen Euphorie jedoch nicht viel geblieben und so verstauben die beiden Alben im Regal, während ich lieber weiterhin zu den Klassikern des Backkatalogs greife. Gleiches gilt auch für die erste Single des neuen Albums 'Hardwired', die mir nach anfänglicher Begeisterung inzwischen nur ein müdes Gähnen entlockt. Sind wir doch mal ehrlich, in Sachen Riff-Abrissbirne gab es in diesem Jahr schon deutlich eindrucksvoller Tracks vom Nachwuchs zu hören, gegen die 'Hardwired' doch eher wie ideenloser Altherren-Thrash wirkt. Ganz anders ist es da schon um die zweite Nummer 'Moth Into Flame' bestellt, die mit kompaktem Neunziger-METALLICA-Riffing und einem überraschend modernen Chorus inklusive toller Hookline auf ganzer Linie überzeugen kann. Gleichzeitig ist dies wohl der stärkste Track, den die Bay-Area-Jungs in den vergangenen 16 Jahren veröffentlicht haben. Ein guter Song macht aber noch lange kein gutes Album und so können die beiden Vorboten für die Doppel-CD eigentlich alles bedeuten. Entweder wir bekommen schnelles Thrash-Metal-Fast-Food im Stile von "Death Magnetic", dessen Halbwertszeit wieder bei einigen Wochen liegen wird, oder Lars und Co. veröffentlichen erstmals seit gut 20 Jahren wieder ein Album mit starken Songs, das nicht nur eine Anbiederung an moderne Trends oder eine laue Selbstkopie ist. Als METALLICA-Fan hoffe ich natürlich auf Zweiteres, auch wenn ich angesichts der letzten beiden Alben und dem grausigen "Lulu"-Projekt doch eher glaube, dass der Vierer inzwischen sein künstlerisches Potential zu großen Teilen veschossen hat.

Erwartung: 5,0/10
Hoffnung: 8,0/10

[Tobias Dahs]

Nach dem aus meiner Sicht peinlichen und schnell verpufften Wegwerf-Kotau vor verlorenen Fans, "Death Magnetic", dessen bester Part das Artwork war, und das bis heute das langweiligste Werk der Bandkarriere darstellt, war METALLICA für mich erledigt. Auch auf dem sperrigen Album "Lulu", das wegen des ihm zugrundeliegenden Konzepts kurzzeitig noch einmal mein Interesse wecken konnte, kam die Gruppe kaum aus der Ecke "Neue Backing Band von LOU REED" heraus. Der erste als eigenständiges Werk und Namensgeber des "Death Magnetic"-Nachfolgers fungierende Vorab-Track neulich klang für mich wieder schwer nach lauwarmer Selbstkopie: Halbgar gen Selbstdemontage. Einzig vor dem Hintergrund, dass die Band anno dunnemal im letzten Jahrtausend einmal richtungsweisend gewesen ist, in den letzten 16 Jahren jedoch kein einziges überzeugendes Album mehr abliefern konnte, lässt mich das okay knackige Riffschema von 'Moth Into Flame' nun noch mal aufhorchen. Doch ganz ehrlich: Auf einem wirklich guten Album würde auch dieser Song bloß als Aufatmer und Brückenschlag zwischen zwei richtigen Krachern fungieren.

Erwartung: 4,5/10
Hoffnung: 6,5/10

[Eike Schmitz]

Die Herren Kollegen erwarten beide wenig von dem Album, doch wo Tobias wenigstens Hoffnung auf eine richtig gute Scheibe zu haben scheint, da geht Eike auch selbige ab. Was mich angeht, muss ich sagen, dass ich an das kommende Album recht unbefangen heran gehen kann, denn METALLICA war nie so wirklich meine Band. Selbst die unbestrittenen Klassiker schätze ich zwar sehr, doch einen engen emotionalen Bezug habe ich auch dazu nicht. "Load" und "Reload" hatten dann ihre Momente, waren aber stilistisch nicht mehr Teil meines Beuteschemas, und "St. Anger" - die vermeintliche Rückkehr zum Stahl - ist eine Rostbeule erster Ordnung. Auch die "Death Magnetic" bot danach in meinen Ohren kaum Besserung, denn sie blieb in keiner Weise hängen. Was erwartet also einer, der noch nie den größten Draht zu METALLICA hatte, von dem bevorstehenden zehnten Werk? Nun, erst einmal gar nichts, denn das abgrundtief grauslige Artwork verheißt gar nichts Gutes, und auch das Titelstück als erste Auskoppelung ließ mich zunächst mal eher zögernd zurück. Wie die meisten METALLICA-Songs neueren Datums darf auch dieser nicht klingen und atmen, und er lässt so die einstige Größe der Band nicht mal mehr erahnen. Alles klingt furztrocken, reduziert, komprimiert, und wirkt auf mich all der Atmosphäre und des Glanzes beraubt, welche die Band früher mal ausmachten. Einst hatte METALLICA bei aller Härte eine epische Größe in den Kompositionen, im Sound, im Gesang, in den Refrains, und man hatte als Hörer stets das Gefühl, es mit einer Band zu tun zu haben, die mächtig und triumphal ihre Musik zelebrierte, und die wusste zu herrschen. Am Anfang eh, aber auch noch auf der Schwarzen, die bei aller Mainstreamigkeit und Massenkompatibilität dieses Element noch voll und ganz hatte. Auch einige Songs auf "Load" und "Reload" hatten das noch: Große Melodien, große Hooks, ein Gespür für Eindringlichkeit. Für mich ist das auf den letzten drei Alben komplett verpufft und auch "Hardwired... To Self-Destruct" schlägt in diese Kerbe. Abgehakt? Nächstes Thema? Nein, denn jetzt kommt da mit 'Moth Into Flame' die zweite Single ums Eck, Kollege Holg hebt die Augenbraue und meint, dass man da mal hinein hören sollte, und ja, auch mich reißt's gleich mal. Nicht so, dass ich gleich im Staub liegen würde, aber doch, die Motte weiß mit einigen Elementen zu überzeugen, die ich in Bezug aufs METALLICA-Universum längst abgehakt hatte. Hier gibt's wieder melodische, leidenschaftliche, charismatische Vocals von James Hetfield, die nicht nur stumpf auf aggressiv gebürstet sind, hier darf ein Hammett-Solo mal wieder schnaufen und hier gibt's einige richtig gute Leads und Gesangshooks. Noch kann ich zwar nicht ganz glauben, dass Songs dieses Kalibers die Mehrheit der zwölf Stücke des Albums ausmachen werden, denn es dräut das Titelstück. Sollte die Scheibe jedoch ernsthaft die Motten kriegen, dann halte ich es tatsächlich für möglich, dass METALLICA nach 25 Jahren erstmals wieder ein richtig gutes Album abliefert. Daher prognostiziere ich ein solides Werk, erhoffe mir aber doch deutlich mehr.

Erwartung: 6,5/10
Hoffnung: 8,0/10

[Rüdiger Stehle]

Ich gehöre zu der Fraktion der Starrköpfigen, für die das metalhistorische Phänomen METALLICA von "Kill 'em All" bis "...And Justice For All" geht - was danach kam, war gefühlt eine andere Band. Und bei dieser Band standen Selbstbewusstsein und musikalische Realität in einem eher ungünstigen Verhältnis, um es mal vorsichtig auszudrücken. Einige wenig sympathische, weil ziemlich arrogante Auftritte der Herren Hetfield und Ulrich machten die Sache nicht eben besser. Am unterhaltsamsten wurde es, wenn die kalifornischen Stahl-Schuster, wie zuletzt auf "Death Magnetic", wenigstens bei ihren Leisten blieben und versuchten wieder wie METALLICA zu klingen. Experimente hingehen gingen meist übelst ins Beinkleid, wie das gruselige "Schatz-am-Silbersee-Klassik"-Geschwurbel auf "S & M", oder diese unterirdische Grütze namens "Lulu"; ich sage nur: "I am the table". Was darf man also von einem neuen Album erwarten? Letzte Woche hätte ich noch gesagt: Bestenfalls ein Werk, das irgendwie nach Alt-METALLICA klingt, wie der erste neue Song 'Hardwired', und nicht nach Bunt-METALLICA, so dass man sich wenigstens nicht allzu sehr ärgern muss, aber den Geldbeutel stecken lassen kann. Dann hörte ich 'Moth Into Flame' und plötzlich keimte eine bescheidene Hoffnung auf, dass so etwas wie "METALLICA 3.0" tatsächlich möglich ist. Sollte diese Band tatsächlich noch einmal einen kräftigen Schluck aus einem Jungbrunnen namens Kreativität genommen haben? Dynamisches Intro, schön treibender Songaufbau, anmutig-melodische Leadgitarren, markante, flüssige Tempowechsel, Ohrwurm-Bridge/Chorus - ja, da passt erstaunlich viel zusammen, der Song macht richtig Spaß und klingt NICHT nach satten, selbstgerechten alten Männern. Kurzum: Man darf also wirklich gespannt sein auf das neue METALLICA-Opus.

Erwartung: 6,0/10 ('Hardwired')
Hoffnung: 8,5/10 ('Moth Into Flame')

[Martin van der Laan]

Jetzt bin ich sogar "Schuld", dass Kollege Rüdiger mal wieder in einen neuen METALLICA-Song hinein gehört hat ... und dann auch noch davon angetan ist. Aber mir geht es ja nicht anders: 'Moth Into Flame' hat es geschafft bei mir ein kleines METALLICA-Revival herbei zu führen, an welches ich selbst nicht mehr geglaubt hätte. Das letzte Album der einstigen Helden, dem ich entgegen gefiebert habe, ist 20 Jahre alt und heißt "Load". Ein Album, auf welchem ich einige sehr gute Songs finde, die ich bis zum heutigen Tag mag. Auch wenn das natürlich wenig mit der Band gemeinsam hatte, die ich davor abgefeiert habe. Danach kam aus meiner Sicht nur noch wenig Material, welches mir gefiel. "Reload" war für mich der B-Seiten Aufguss des Vorgängers, auf der "S & M" spielen Orchester und Band oftmals gegeneinander und alle nachfolgenden Veröffentlichungen haben mich kaum noch interessiert. Die Songs auf "Death Magnetic" waren zwar wieder etwas besser, allerdings klingen sie bis heute für mich wie Patchwork-Arbeiten alter Songfragmente. Meine Vorahnung wird durch 'Hardwired' bestätigt: Back zum Wurzelgemüse, ziemlich hart, aber nicht zwingend. Als ich dann beinahe gelangweilt besagtes 'Moth Into Flame' anklickte, war ich bereits beim ersten Riff elektrisiert. Da war sie wieder: die Diamantenkopf-Energie! Ein Hetfield mit Biss und dann ein ganz großartiger Chorus gefolgt von einer coolen Gitarrenmelodie machen die Nummer zu einem echten Erlebnis. Da verschmerzt man den gruseligen Drumsound und das Wah-Wah-Solo von Kirk. Schauen wir nun auf die blanken Fakten, dann machen mir 12 Songs auf einem Doppelalbum ein bisschen Angst. Das Konzept der langen Songs hat schon auf der "...And Justice For All" für mich nicht wirklich funktioniert. Immerhin hat man jetzt einen hörbaren Bassisten an Bord. Ich bin ein bisschen gespannt.

Erwartung: 7,0/10
Hoffnung: 9,0/10

[Holger Andrae]

Meine Mutter sagte immer: "Jung, wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann sage gar nichts". Recht hatte sie auf jeden Fall und im Falle von METALLICA gibt es einfach seit über zwanzig Jahren nichts Nettes zu sagen. Versteht mich nicht falsch, METALLICA hat Geschichte und Musik für die Ewigkeit geschrieben, darüber dürften wir uns alle klar sein. Doch kaum eine andere Band hat in den vergangenen Jahren so deutlich den Stempel "überbewertet" auf der Stirn getragen, wie Hetfield und Co. Ich schaue auf andere Bands, die alle zwei, drei Jahre Alben an den Mann bringen und im Underground herumdümpeln. Ich schaue auf 3/4 der Big Four, die zumindest in den letzten Jahren gute bis sehr gute Qualitätsware abgeliefert haben. Ich schaue auf METALLICA und bin seit einschließlich "Load" einfach nur enttäuscht. Die Gründe dürften auf der Hand liegen. Ja, wir sprechen hier von den Machern von "Ride The Lightning" und "Master Of Puppets", aber auf wie vielen Lorbeeren darf sich eine Musikgruppe eigentlich ausruhen, bis der ganze "Wir setzen uns in zwei Jahren an ein neues Album"-Kauderwelsch auch die letzten Die-Hard-Fans vergrault? Und urplötzlich kommen die beiden ausgekoppelten Songs und METALLICA bekommt wieder jene Aufmerksamkeit, die das Millionenimperium eigentlich gar nicht (mehr, MEHR!!!) verdient. Oder etwa doch? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht und bin hin und hergerissen, inwieweit die 80er-Göttergaben noch in Betracht zu ziehen sind. Denn abkapseln kann man die bisher gehörten Songs vom kommenden Album nicht, dafür ist der Name METALLICA zu präsent. Trennt man die Songs jedoch vom Interpreten, höre ich guten bis wirklich richtig guten Metal, der ins Ohr geht, munter drauf los rockt und viel Potential hat. Weiß man, dass wir es mit METALLICA zu tun haben, machen die Stücke große Hoffnung. Ich denke, wir sind Ende des Jahres schlauer, wenn das Album veröffentlicht und sich gelegt hat. Vorher versuche ich 'For Whom The Bell Tolls' und "Hardwired... To Self Destruct" unterschiedlichen Interpreten zuzuordnen, damit erstens meine Erwartungen nicht erneut zerschlagen, meine Lieblinge, die mir immer noch die Freudentränen in die Augen treiben, jedoch davon unangetastet bleiben.

Erwartung: 6,0/10
Hoffnung: 8,0/10

[Marcel Rapp]

 

Ich muss zugeben, bei mir löst jeder neuer Song von METALLICA ein Revival aus. Immer wenn ich Hetfields charismatische Stimme höre, bekomme ich Bock auf - klar - "Ride The Lightning" oder "Master Of Puppets". Doch Lust auf neue Musik des Vierers habe ich wohl das letzte Mal ernsthaft bei der Veröffentlichung von "Load" gespürt. Wenn ich anno 1996 gewusst hätte, dass in der Folge nichts wirklich Besseres mehr kommt, wäre ich da wohl weniger enttäuscht gewesen. Von daher ist meine Erwartung an "Hardwired... To Self Destruct" trotz der beiden ordentlichen neuen Stücke eher niedrig. Ja, 'Moth Into Flame' ist der bessere Song, aber er schafft es jetzt auch nicht in die Dauerrotation, sondern wird eher mit einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis genommen. Der Quasi-Titeltrack bekommt mit seiner lyrischen Plattheit nicht mal das hin. Im Grunde finde ich beide Songs solide, nett, wenig aufregend, aber schon gut hörbar. Also die typischen Sechs-Punkte-Werke. Aber gut, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und von daher hoffe ich natürlich, dass das Album im Schnitt besser als 'Moth Into Flame' wird und auch mal ernsthaft zum Headbangen anregt. Doch der Glaube daran ist sehr, sehr klein.

Erwartung: 6,0/10
Hoffnung: 8,0/10

[Peter Kubaschk]

Ihr seht, es herrscht große Einigkeit in der Redaktion. Die Hoffnung auf eine starkes Album ist durchaus vorhanden, insbesondere dank der zweiten Single 'Moth Into Flame', doch nach den letzten Jahren überwiegt bei den meisten meiner Kollegen immernoch die Skepsis. Passend zum Release werden wir dann an dieser Stelle in einer weiteren Gruppentherapie beleuchten, wie gut das Endergebnis schlussendlich zu den hier geäußerten Erwartungen passt. Es bleibt also spannend!

Redakteur:
Tobias Dahs

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