WALTARI: Interview mit Kärtsy Hatakka
20.11.2006 | 15:44Von wegen, alle Rocker bedienen sich in Interviews und Gesprächen an abgedroschenen Sprüchen und Floskeln, um den derzeitigen Stand der Szene zu beschreiben. Kärtsy Hatakka, Sänger der finnischen Crossoverband WALTARI, die Ende April mit "Blood Sample" ihr neuestes Album auf den Markt geworfen haben, redet im POWERMETAL.de-Interview Klartext, erörtert seine Stellung zum heutigen Musikempfinden und darüber hinaus. Lest selbst...
Christian:
Hallo Kärtsy, als erstes möchte ich euch zu eurem neuen Album "Blood Sample" gratulieren, das für mich persönlich das beste eurer langen Karriere und eines der bisherigen Highlights des Jahres darstellt. Wie hat sich die Arbeitsweise, mit der ihr Songs für neue Platten kreiert in 17 Jahren WALTARI verändert?
Kärtsy Hatakka:
Danke! Dieses Mal haben wir uns dafür entschieden, beides - Produzenten und Studio - ins Nosturi zu holen, dem Ort, an dem sich viele finnische Bands (HIM, THE RASMUS, 69 EYES etc.) - wie auch wir - tummeln. Wir machten die Aufnahmen zusammen mit unserem neuen Produzenten Sami Koivisto und dessen Studiozubehör - dadurch hatten wir fast so viel Zeit wie wir brauchten. Die Aufnahmen liefen den ganzen Frühling des letzten Jahres, Stück für Stück bekamen die Songs ihre Identität. Es war einfach dort aufzunehmen, da es der Ort war, an dem wir die Stücke geprobt hatten - sehr familiär dort zum arbeiten, mit all den Verstärkern und anderem Elektronikgemüffel. Eigentlich nutzen wir für die Aufnahmen meistens andere Orte anstelle von Studios - wir mögen die Atmosphäre einer kalten Studioumgebung nicht wirklich. Irgendwo in einer netten Umgebung oder in sonstigem gemütlichen Ambiente aufzunehmen, versetzt uns in eine bessere Stimmung. Ich empfinde es nicht wirklich als prunkvoll in einem sauberen, piekfeinen Studio aufzunehmen.
Christian:
Neun von zehn Alben kommen mit einer Spielzeit von 40 bis 50 Minuten aus, "Blood Sample" bringt es hingegen auf exakt 79 Minuten und 17 starke Songs. Wann und warum habt ihr euch entschieden die neue CD randvoll zu packen?
Kärtsy Hatakka:
Ursprünglich dachten wir über eine Doppel-CD nach, da wir zu viele Songs für ein Album hatten (das ist der Grund, warum wir das Album in zwei Teile aufspalteten wie die alten Doppelschallplatten!). Wir mögen eigentlich keine all zu langen CDs, aber dieses Mal konnten wir uns einfach nicht damit abfinden Songs fallen zu lassen (grinst)... Jeder von ihnen gehört irgendwie zu dem Konzept, einen von ihnen herauszuschmeißen, hätte das ganze Konzept über den Haufen geworfen. Wir haben uns ernsthaft Gedanken über eine Doppel-CD gemacht, aber aufgrund der grausamen Tatsache, dass wir gerade das Label gewechselt hatten, waren die Verantwortlichen dort nicht so begeistert von der Idee die Zusammenarbeit mit einer Doppel-CD zu starten.
Christian:
Gehen wie mal ein wenig ins Detail, was "Blood Sample" betrifft. An Nummer eins der Trackliste habt ihr mit 'Helsinki' den vielleicht genialsten Track der letzten Rock- und Metaljahre abgeliefert. An diesem abwechslungsreichen und intensiven Song kann man sich einfach nicht satt hören. Was waren die Beweggründe für die "finnische Liebeserklärung" und stellt das Stück für euch auch einen der Höhepunkte der Platte dar?
Kärtsy Hatakka:
Danke! "Blood Sample" ist unsere erste Art von Konzeptwerk (abgesehen von der "Yeah! Yeah! Die! Die!"-Symphonie), welches den geistigen Zustand der unterschiedlichsten Ecken des heutigen Europas beschreibt... eine Art Bestandsaufnahme der mentalen Situation hier. Es gab zuletzt eine Menge Diskussionen (vor allem in den Medien) über die Vor- und Nachteile der Europäischen Union. Ist sie wirklich oder nur eine vorgetäuschte Union zwischen Wirtschaftsbossen.
Während der ganzen Karriere von WALTARI (15 Jahre seit dem ersten Album!) fühlen wir uns persönlich als ein Teil von ihr, besonders seit wir 1991 zum ersten Mal nach Berlin zogen, um uns den ersten internationalen Plattenvertrag unter den Nagel zu reißen. Als Kosmopoliten alljährlich durch Europa zu reisen, dabei für die Europäer zu spielen, es zu genießen und Spaß mit den Europäern zu haben; sie stellt eine enorme Spielweise für unsere Karriere dar. Du musst wissen, dass die ganze Umgebung immer sehr nett zu uns war.
Auf der CD gibt es Lieder über verschiedene Ecken Europas... und, nun gut, 'Helsinki' ist eines über unsere Heimatstadt. Es erzählt von einem Kerl, der sich immer nach etwas zu sehnen scheint, ein sehr typischer, wenn auch auf eine etwas romantische Art, Zustand der Depression in finnischen Köpfen. An einem Tisch sitzend mit der Flasche als Freund, sich nach seiner Freundin sehnend, die ihn verließ, sich nach seinen Bandkollegen sehnend, die gerade weit weg durch Europa reisen, sich immer nach etwas sehnend... und sich elend fühlend.
Christian:
Bei der "Begutachtung" der Songs 'Exterminator Warheads' und 'Never' fällt einem auf Anhieb das ungewöhnliche Klangambiente aus Klingelton bzw. Küchengeschirr, -geräten auf. Wie kommt man auf solche Ideen? Und wollt ihr in diese Richtung weitergehen? Songs mit Rasenmähern, Staubsaugern?
Kärtsy Hatakka:
Hey, wir haben in Finnland bereits eine Band, die Staubsauger verwendet, wirklich! Sie nennen sich CLEANING WOMEN und sind großartig, du musst sie dir mal zu Gemüte führen! Nun gut, wir hatten gerade mal etwas Zeit uns während den Aufnahmen damit zu befassen und wir liebten es schon immer Elemente einzubauen, die normalerweise nicht so typisch für Rockmusik sind... das macht die Sache viel spaßiger!
Christian:
Die Stärke WALTARIs liegt meiner Auffassung nach in der Vielseitigkeit. 'All Roads Will Lead To Rome' geht als Punk Rock durch, während sich 'Digging Inside' mit BLACK SABBATH-Nuancen schmückt oder 'Aching Eyes' sogar in die Gothic-Richtung geht. So macht sich auf "Blood Sample" zu keiner Zeit Langeweile breit. Wie wichtig ist diese stilübergreifende Abwechslung für den WALTARI-Sound und was für einen breiten Musikgeschmack braucht man, um so etwas zu komponieren?
Kärtsy Hatakka:
Wir reden über Vielseitigkeit, Offenheit, Vorurteilsfreiheit in der Musik (genauso wie im Leben generell!), darum geht es uns bei WALTARI, Ehrlichkeit! Wir möchten den Leuten zeigen, dass es möglich ist, ein wirklich glaubwürdiger Rockmusiker zu sein (das ist keine langweilige Kunst, du verstehst schon - nur offene und ehrliche Rockmusik, das ist alles!) und doch die Musik weiterzuentwickeln.
Heutzutage ist die Rockmusik einfach mehr oder weniger voll von egoistischen Retortenunterhaltern mit nicht mehr im Kopf als einem Haufen Klischees - WIR hingegen wollen noch immer die Welt verändern! Wir wollen nicht aufhören darüber nachzudenken, wie wir Leute auf ermutigende Art und Weise mit einem guten Hörerlebnis in sehr guter Qualität beeinflussen können. Die Leute empfinden Musik das als nicht mehr so wichtig, da sie für die meisten Leute nur ein nettes Hintergrundgeräusch, das aus ihren Radiolautsprechern kommt, darstellt.
Nein, nein, Musik ist sehr viel mehr, wahre Rockmusik ist sehr viel mehr, ein endloses Abenteuer, wie es das Leben an sich sein sollte. Rockmusik kann noch immer WICHTIG für die Menschen sein, viele neue Türen im Leben aufstoßen, nicht nur sichere, schon hundert mal gehörte Unterhaltung sein (und zuvor meist sogar spannender gemacht).
Versteh mich nicht falsch, die Welt ist heutzutage voll von großartiger innovativer Musik mit einer Vielzahl von großen Talenten. Es ist vielmehr eine Ansichtssache, ein Problem unter den Musikern, vielleicht durch die Illusion vom allgemeinen Musikgeschmack und Hörgewohnheiten, die dumme, von den Plattenfirmen ausgesandte Markteinschätzer, den armen jungen Musikern anbieten, wenn diese zum ersten Mal ihre Demos zu verschiedenen Labels schicken. WALTARI hat sie alle der Lüge überführt!
Christian:
Einige Magazine propagierten in den letzten Jahren, dass das Genre "Crossover" seinen Zenit überschritten hätte. Ihr seid jedoch immer noch voll dabei, veröffentlicht Album um Album und werdet hoffentlich auch in der nahen Zukunft die Instrumente nicht an den Nagel hängen. Wie kommt man sich eigentlich vor, wenn man als einzige hochkarätiges und allseits bekanntes Flagschiff ein ganzes Genre repräsentiert?
Kärtsy Hatakka:
Es ist uns wirklich wichtig! Tatsächlich ist es heutzutage großartig etwas wirklich Einzigartiges zu sein. Wir sind wirklich stolz auf das, was wir sind.
Christian:
Bühnenperformances. Was ist von eurer Seite geplant, welche Länder können sich auf euer Kommen freuen und welchen Part nehmen die "Blood Sample"-Stücke auf der Tournee ein?
Kärtsy Hatakka:
Wir bereiten gerade die Tour für Herbst vor. Wir wollen in so vielen europäischen Ländern wie möglich auftreten! Wir sind sehr begierig, herzukommen, um euch diese Songs auf der Bühne vorzuspielen, im übrigen funktioniert das Material sehr gut live. Eine Menge des neuen Materials wurde in die Setliste aufgenommen.
Christian:
Die berühmten letzten Worte gehören dem Befragten! Jetzt kannst du noch einmal Werbung in eigener Sache machen!
Kärtsy Hatakka:
Wenn sich jemand fragt, wie er unseren eigenartigen Stil beschreiben soll, können wir ihm nun sagen: Er nennt sich Mental Metal! Wir hoffen, die Leute erkennen noch immer, dass in Wahrheit die Rock-Revolution nicht gestorben ist, sondern nur schläft!
Grüße von Kärtsy an die Leserinnen und Leser... die wahnsinnigen finnischen Rocker kommen!!
- Redakteur:
- Christian Falk