WYATT E.: Interview mit Gitarrist Sébastien von Landau
11.02.2025 | 22:16WYATT E. aus Lüttich in Belgien steht musikalisch auch auf dem dritten Album "Zamāru Ultu Qereb Ziqquratu Part 1" erneut zwischen sämtlichen Stühlen. Es ist fast unmöglich, die Musik halbwegs zu labeln oder thematisch in irgendeine Schublade zu stecken. Ein bisschen Ambient, Oriental und Psychedelic hier, ein wenig Post Rock, Doom und Drone da. Ich hatte eines schönen Freitagabends die Gelegenheit, mit dem sehr sympathischen und auskunftsfreudigen Sébastien von Landau via Zoom über Soundtracks, Yogalehrer, alte Hochkulturen, Twin Drums und Bands mit außergewöhnlichen Namen und vieles mehr zu plaudern.
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu eurem neuen Album, welches ich für euer bisher bestes und reifstes Werk halte. Das liegt jetzt nicht nur an der Kollaboration mit den zwei Gastsängerinnen, sondern auch daran, dass ich das Album, trotz aller improvisatorischen Momente, für wesentlich komprimierter halte als die ersten Werke, die für mich doch noch freier, großflächiger und "wilder" angelegt gewesen sind. Gerade, was das Riffing betrifft, habt ihr hier doch nochmals eine gehörige Schippe draufgelegt.
Danke schön. Wir sind sehr zufrieden mit all dem Feedback, das wir bisher bekommen haben. Es ist nicht so, als hätten wir bei den vorangegangenen Alben schlechtes Feedback bekommen, aber dieses Mal vergeht kaum ein Tag, ohne dass ich eine E-Mail bekomme oder eine Nachricht von Freunden oder Magazinen oder was auch immer, die mir zu dem Album gratulieren. Es ist also ein schönes Gefühl und wir sind sehr stolz auf das Album. Ich denke, der Unterschied zu den früheren Platten ist gar nicht so gewaltig groß. Ich verstehe, was du meinst, aber für mich ist es alles nur ein Teil eines großen Prozesses. Also meiner Meinung nach es ist nicht so, als ob es furchtbar viele Änderungen gegeben hätte. Natürlich hat es Änderungen gegeben, weil wir dieses Mal nicht mehr so etwas wie diese beiden typischen Songmonolithen wie auf den letzten beiden Platten haben. Aber im Moment ist es tatsächlich so, dass ich es nicht wirklich genießen kann, weil wir viel mit Promo-Arbeit und so beschäftigt sind, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Wir sind eine DIY-Band, also machen wir immer noch viele Dinge selbst und sind derzeit auch viel mit Proben beschäftigt, um uns auf kommende Gigs vorzubereiten.
Erstmals Notiz genommen habe ich von euch, als ihr vor einigen Jahren MESSA auf deren Europa-Tour begleitet habt. Bis dahin hatte ich noch nie von euch gehört, was verwunderlich ist, da ich eigentlich sehr auf orientalisch-metallische Sounds stehe. Das besagte Konzert fand seinerzeit in der Jugendkirche Braunschweig statt. Kannst du dich an das Konzert bzw. die sehr außergewöhnliche Location dort noch erinnern? Wir haben uns damals erst gedacht: Was sind denn das für verrückte Typen da mit ihren seltsamen schwarzen Gewändern auf der Bühne. Nach ein paar Momenten hattet ihr uns (und viele Besucher um uns herum) dann aber tatsächlich mit eurer Musik im Nu gefesselt.
Ja, ich erinnere mich noch an diesen Gig, weil es nach Paris und dem "Roadburn"-Auftritt eines der ersten Konzerte der Tour gewesen ist. Es war ein besonderer Eindruck und atemberaubend, dort zu spielen. Es ist immer ein großartiges Gefühl, an solch besonderen Orten zu spielen, weil solche Locations etwas ganz Magisches an sich haben.
Auf Promofotos sieht man euch mal zu zweit, mal zu dritt, aber auch mal zu fünft. Geh ich recht in der Annahme, dass der künstlerische Stamm der Band aus dir und Stéphane Rondia besteht und Jonas Sanders und Gil Chevigné keine dauerhafte Bandmitglieder sind?
Gil war unser erster Schlagzeuger und wurde, nachdem er beruflich für ca. zwei Jahre in die USA zog, durch Jonas ersetzt. Nachdem er aus den Staaten zurückgekehrt war, nahm er seinen Platz kurzzeitig wieder ein, weil Jonas zu der Zeit auch mit einem anderen musikalischen Projekt ausgelastet war. Aufgrund beruflicher Veränderungen ist Jonas nun aber wieder der etatmäßige Drummer und ist eigentlich zu einhundert Prozent in den künstlerischen und kreativen Prozess involviert, während Gil mittlerweile eher als Sessiondrummer fungiert, auf den wir aber immer zurückgreifen, wenn wir etwas sehr Spezielles benötigen, da er diese filigrane Art von Schlagzeugspiel eben ganz gut beherrscht. Außerdem arbeitet er als Filmproduzent und ist da zeitlich natürlich einigermaßen eingespannt und daher eben nicht mehr rund um die Uhr für uns verfügbar.
Wer ist denn bei euch für das Songwriting verantwortlich, und kannst du generell etwas zur Entstehung der Songs sagen?
Ich würde sagen, ich komme zunächst oft mit diversen Riffs, einigen rhythmischen Ideen, einer Basslinie oder sowas in den Proberaum und dann jammen wir alle dazu. Das ist im Großen und Ganzen erstmal der Prozess. Wir haben das Studio zumeist für sieben bis acht Tage gebucht und dann spielen und probieren wir erstmal so für uns hin und verwenden dabei alle Ideen, die ich in den letzten zwei, drei Jahren so auf meinem Handy gesammelt habe. Der erste Schritt des kreativen Prozesses sind also diese Jams, die sehr lang werden können. Für dieses Album hatten wir anfänglich zum Beispiel vierzig Stunden Musik, die wir uns erstmal in Ruhe anhören und dann strukturieren mussten. Die Musik verwandelt sich dann im ersten Schritt in kleine Interludien, woraufhin wir auf diese aufgenommenen Stücke dann ein wenig weiter jammen und im weiteren kreativen Verlauf weitere Schichten Musik freilegen. Wenn es sich dann irgendwann wie ein richtiges WYATT E.-Stück anfühlt, beginnt erst der eigentliche Arrangement-Prozess, an dem wir in unterschiedlichen Konstellationen, zwischendurch vielleicht auch nur mal zu zweit, arbeiten. Ich war bzw. bin immer noch in vielen anderen Bands involviert, denke aber, dass der Entstehungsprozess bei WYATT E. doch sehr einzigartig ist, da es im Gegensatz zu den meisten anderen Bands wohl verdammt lange dauert, bis wir alle irgendwie glücklich mit dem endgültigen Resultat sind.
Die Gitarristen von IRON MAIDEN sind die Erfinder der Twin Guitars. Ihr seid ein wenig die Erfinder der "Twin Drums". Einverstanden mit dieser These? Ihr arbeitet auf dem Album nämlich mit zwei verschiedenen Drummern, die jetzt beide auch eher kontrapunktisch und asynchron im musikalischen Sinne als synchron miteinander agieren.
Wir haben das Glück, mit Jonas und Gil zwei sehr talentierte Drummer in unseren Reihen zu haben, die beide sehr genau wissen, was zu tun ist bzw. was man eher nicht machen sollte. Wenn man mit zwei Schlagzeugern arbeitet, kann das auf der einen Seite sehr gut werden, aber auf der anderen Seite auch schwer in die Hose gehen, wenn man da nicht aufeinander eingespielt ist und hier nicht synchron spielt. Denn es besteht natürlich ein Unterschied zwischen synchron spielen und exakt das Gleiche spielen. Aber man kann eben auch synchron spielen und dabei trotzdem unterschiedliche Bandbreiten aufweisen. Einer fokussiert sich auf die Becken, währenddessen sich der andere auf den eigentlichen Rhythmus konzentriert. Wir haben das Ganze also auf vier Hände und vier Füße verteilt. Auch wenn die beiden wirklich gut sind, ändert das natürlich nichts an der Tatsache, dass man mit zwei Drummern immer dieses natürliche Echo hat, welches daher rührt, dass selbst bei maschinensynchronem Spiel nicht jeder gemeinsame Trommelschlag auf die gleiche Millisekunde fällt. Das erzeugt aber wiederum eine Vibration, die wir bei der Aufnahme sehr interessant fanden, weil wir Musik haben wollten, die nicht nur Musik zum Zuhören ist, sondern gleichzeitig auch eine Klanglandschaft und eine Geschichte erzeugt, in die man eintauchen kann. Ein bisschen halt, wie es bei einem Buch oder Hörspiel eben auch der Fall ist.
Ja, es ist definitiv keine Musik, die man nebenher beim Abwaschen oder bei der Hausarbeit hören sollte. Es ist eher eines dieser Alben für Kopfhörer bei einem guten Glas Tee oder Wein, bei dem man mit jedem Durchlauf immer wieder neue Details entdecken kann.
Ja, manchmal entdecke selbst ich noch Sachen, die mir zuvor noch gar nicht besonders aufgefallen sind und ich frage mich manchmal: "Wie zum Teufel haben wir das gemacht?" oder "Ja, die Aufnahme klingt einfach fantastisch, aber das klingt ja wie ein echtes Horn, obwohl wir solche Instrumente hier doch gar nicht verwendet haben." Das ist auch unserem Produzenten Tim De Gieter (u.a. AMENRA, DOODSESKADER) geschuldet, der auch für das Mixing verantwortlich zeichnet und somit auch den kreativen Prozess maßgeblich mit beeinflusst hat. Ich bin mir sicher, dass er einige der Sachen so bearbeitet hat, dass sie wie ein echtes Instrument klingen, aber letzten Endes ist es nur eine Gitarre, wo er lediglich einige Effekte draufgelegt hat, ohne uns vielleicht jedes Mal explizit darüber in Kenntnis zu setzen. Mittlerweile haben wir auch viel an Erfahrung dazu gewonnen, was den Aufnahmeprozess betrifft. Wenn man unser Projekt ATONIA dazuzählt, mit denen wir auch bereits beim "Roadburn" aufgetreten sind und den Soundtrack für einen Film dazu nimmt, den wir 2022 komponiert haben ("Bowling Saturne"), ist die aktuelle Platte bereits unser fünftes Album. Stéphane und ich wissen mittlerweile also ziemlich gut, was wir tun müssen, um das zu erreichen, was wir wollen. Wenn wir uns heute das erste Album oder die erste EP anhören, denken Stéphane und ich manchmal: "Warum zum Teufel haben wir das so gemacht?" Aber das war eben vor zehn Jahren. Wir hatten keinerlei Erfahrung, haben mit nichts angefangen. Wir hatten im Proberaum zwei Mikrofone und haben halt versucht, daraus etwas zu machen. Aber auch in zehn Jahren werden wir nicht mehr dieselben sein und dann vielleicht auch das neue Album wieder ganz anders bewerten, wer weiß? Aber ich denke, ich kann damit leben. Lass uns also in fünf oder zehn Jahren noch einmal über das Album sprechen (lacht).
'Im Lelya' ist ja bereits die zweite Zusammenarbeit mit der Sängerin Tomer Damsky nach der Split-Single 'Kol Badai' im Jahr 2021. Wie kam denn seinerzeit der Kontakt mit der Komponistin, Performerin und Klangkünstlerin zustande?
Unser erstes Album "Exile To Beyn Neharot" erschien 2017 bei einem israelischen Label. Dadurch ergab sich ein Jahr später die Möglichkeit, dort zu touren. In Jerusalem haben wir Tomer dann mit ihrer Band live spielen sehen, bevor sie kurze Zeit später Israel verließ, um in Europa zu leben. Das war wirklich eine coole Band mit dem ulkigen Namen WACKELKONTAKT, und in dem Moment, wo sie anfing zu singen, dachten Stéphane und ich sofort, dass wir mit ihr etwas machen müssten. Sie ist diese Art Naturtalent und bringt enorme musikalische und technische Fähigkeiten mit. Also hatten wir die Idee, mit ihr zusammenzuarbeiten. Und als wir nach Belgien zurückkamen, schickten wir ihr eine Nachricht und sagten: "Okay, vielleicht sollten wir in der nächsten Zeit etwas zusammen machen". Da sie mittlerweile an der Universität von Antwerpen promovierte, ergab sich dadurch auch die Möglichkeit, zusammen immer für ein paar Tage zusammen zu arbeiten und zu proben. Eines Abends kam sie mich besuchen und ich spielte ihr einen unserer unfertigen Songs vor, mit dem wir zu der Zeit noch nicht wirklich zufrieden waren. Ich erzählte ihr grob von dem Konzept des Albums und von diesem Song im speziellen. Wir suchten also nach einer Art textlichem Material und Tomer begann gleich zu schreiben und sich in das Thema einzuarbeiten. Am nächsten Morgen hatte sie einen fertigen Text in aramäischer Sprache parat und wir nahmen daraufhin einfach einen Take auf. Sie hat zwar noch einen zweiten Take gemacht, mit dem sie selbst viel zufriedener gewesen ist, aber den wir leider nicht richtig sichern konnten und dann verloren haben. Also haben wir einfach den ersten Take, den wir selbst für den besseren hielten, behalten und ihn so auf das Album gepackt, wie er dort jetzt zu finden ist. Es macht einfach einen Riesenspaß, mit Tomer zusammen zu arbeiten. Und obwohl ich keine musikalische Ausbildung genossen habe und der Einzige in der Band bin, der keine Noten lesen kann, kann ich als kreative Kraft talentierte Musiker notfalls auch mal von einer anfänglich vielleicht vermeintlich dummen Idee überzeugen.
Und wie verhielt sich das im Falle von Nina Saeidi von LOWEN? Sie hat ja auf dem Song 'The Seed That Dreamed Of Its Own Creation' eine schier unglaubliche und atemberaubende Performance hingelegt und reißt den Song dadurch natürlich unweigerlich sehr an sich.
Nina macht ja auch diesen Youtube-Podcast names "The Serpent Temple", in welchem sie einmal unser erstes Album rezensiert hatte und am Ende der Folge einige Fragen in den Raum stellte. Ihr gefiel unsere Platte sehr gut. Und da ich diese Folge gesehen hatte, habe ich sie einfach angeschrieben, so dass wir uns im weiteren Verlauf näher kennengelernt haben. Sie erzählte mir von ihrer Band LOWEN, die sie zusammen mit ihrem Mann Shem Lucas betreibt. Ich hörte mir dann ihr erstes Album "A Crypt In The Stars" an und war sofort von ihrer Stimme begeistert. Eigentlich war es zuerst nur als eine Kollaboration gedacht, deren Ergebnis vielleicht in einer Single gipfeln würde, wie wir es bei dem Song 'Kol Badai' mit Tomer Damsky 2021 ja auch schon gehandhabt hatten. Wir fingen also mit dem Songwriting an und merkten schnell, dass wir Ninas Stimme sehr viel Raum würden geben müssen, deshalb ist es tatsächlich weniger instrumentiert als der Rest der Platte. Außerdem wollten wir sie auch ein wenig aus ihrer Komfortzone herauslocken, die eher in Richtung Heavy-Musik geht. Ich dachte, es wäre interessant, sie bei einem Folksong singen zu lassen, denn es ist letztlich ja gar nicht weit weg vom Folk. Es ist nur eine Frage der Interpretation. Denn wenn du einmal die elektrische Gitarre dazu nimmst, klingt es schon gleich metallisch. Aber wenn du all diese Art von Zeug entfernst und das Lied ein wenig anders arrangierst, mit verschiedenen Instrumenten oder einfach nur einer akustischen Gitarre, klingt es mehr wie Folk-Musik. Sie hat uns ein Demo geschickt, so wie wir ihr im Gegenzug ein Instrumental-Demo geschickt haben, und sie hat uns daraufhin ein Demo mit ihrer Stimme und dem Text geschickt, und es war einfach diese eine Geschichte, die sie darin erzählt hat. Wir haben dann im Nachgang noch eine Art Refrain in den Song integriert, von dem wir dachten, dass er gut mit dem vorhandenen Text harmonieren würde. Von ihrem ursprünglichen Text haben wir allerdings alles drin gelassen, so dass ein für uns ziemlich untypischer und klassischer Strophe-Refrain-Strophe-Song daraus geworden ist, den wir dann eines schönen Tages irgendwann zusammen in Brüssel im Studio aufgenommen haben. Und was soll ich sagen? Sie ist eine andere Persönlichkeit als Tomer und es ist daher auch eine andere Art, mit ihr zu arbeiten. Aber unterm Strich war es sehr schön und uns eine große Ehre, mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen.
Ihr steht musikalisch zwischen sämtlichen Stühlen. Da stell ich mir schon die Frage, welches Publikum ihr eigentlich erreicht, bzw. welches das typische WYATT E.-Publikum ist, wenn es solch ein Publikum denn überhaupt gibt?
Ich weiß gar nicht, wer unser Publikum ist. Ich denke, es sind generell Leute mit einem weiten und offenen Horizont aus allen Sparten, die sich allgemein für Musik interessieren. Ich habe gerade zu dieser Frage kürzlich ein Meme erstellt, welches ich vielleicht irgendwann noch einmal teilen werde. Ich glaube, wir decken von Magic-Karten-Nerds, Yogalehrern und Black Metallern so ziemlich die gesamte Palette da draußen ab (lacht). Wir haben seinerzeit als Post Rock-Band angefangen. Wir selbst hatten uns diesen Stempel gar nicht aufgedrückt, aber damals waren dann eben nur Post Rock-Fans an unserer Musik interessiert, so dass wir vielleicht wirklich irgendwie Post Rock waren. Aber wir haben auch psychedelische Elemente in der Musik und ich habe gehört, dass wir auf dem neuen Album auch progressiver sein sollen, was immer das auch bedeuten mag. Es gibt ja diese Atmospheric-Black-Metal-Szene, die wirklich sehr interessant ist, und wir haben dann ja auch noch Drone- und Sludge-Elemente mit drin. Ich nenne unseren Stil gern 'Ancient Doom' oder 'Antiquity Doom'. Das Doom-Publikum ist sicherlich ein oder vielleicht sogar das größte Spartenpublikum in unserem Fall. Es ist aber wirklich nicht so einfach, uns bzw. unsere Musik in irgendeine Schublade zu packen. Egal, ob wir auf einem Black-Metal-Festival oder auf einem Post-Rock-Festival spielen, wir sind dort auf jeden Fall immer irgendwie die, die nicht so richtig ins Billing reinpassen. Wir passen also nie wirklich hundertprozentig auf ein Festival (lacht).
Ja, das kann ich so nachvollziehen. Ich habe im Vorfeld unseres Gesprächs mit einem guten Freund telefoniert und ihm von unserem Interview erzählt. Da er WYATT E. nicht kannte, fragte er mich, wo man euch denn grob so einordnen könnte. Und da ist mir erst aufgefallen, wie schwer es tatsächlich ist, die richtigen Worte bzw. Vergleiche zu finden.
Wir leben nun einmal in Zeiten, in denen man Dinge in Kategorien einordnen muss, was auch ok ist. Wenn ich also eine E-Mail über die Band verfasse, stelle ich immer so etwas wie "Für Fans von…" voran, damit die Leute eine ungefähre Ahnung bekommen von dem, was sie bei unserer Musik erwartet. Also z.B. für Fans von MASTER MUSICIANS OF BUKKAKE…
Wie? MASTER MUSICIANS OF BUKKAKE? Verdammt interessanter Name, aber noch nie von gehört…
Nein? Die Band war in den letzten zwölf Jahren definitiv der größte musikalische Einfluss für mich, würde ich sagen. Die Band existiert leider nicht mehr, aber immer, wenn ich das Gefühl habe, dass ich meinen Geist erfrischen muss und Musik hören möchte, die ich nicht kenne, obwohl ich die Alben in- und auswendig kenne, höre ich deren Musik und entdecke dabei immer wieder Neues.
Ihr habt bisher jede Veröffentlichung bei einem anderen Plattenlabel herausgebracht und seid inzwischen bei dem italienischen Label Heavy Psych Sounds untergekommen, das ja generell eher auch auf Psychedelic, Doom und Sludge spezialisiert ist. Seid ihr bislang zufrieden mit der Arbeit von Heavy Psych Sounds und könnt ihr euch daher vorstellen, auch das nächste Album dort zu veröffentlichen?
Nun ja, der Zweck einer Band ist meiner Meinung nach immer, einen größeren Partner zu finden, um die Musik zu fördern und besser zu vermarkten. Wir waren nie primär an Geld interessiert außer in dem Mittel zum Zweck-Sinn, dass wir mit Geld wie alle anderen Menschen auch unsere Rechnungen, Lebensmittel und andere Sachen bezahlen. Aber was die Frage nach dem Label betrifft, waren wir für dieses Album auf der Suche nach einem guten Partner, der das Album weltweit vertreiben kann und uns eine größere Hörerschaft vermittelt. Entweder entscheidest du dich für ein anspruchsvolles, hochrangiges und kenntnisreiches Label mit großem Namen und dicken Telefonbüchern in der Schublade oder du arbeitest mit Menschen, die am besten oder effizientesten arbeiten und dich tatsächlich voranbringen. Und wir haben uns für die letzte Option entschieden, weil dort Musikliebhaber tätig sind, die wirklich alles daransetzen, dass die Bands, mit denen sie arbeiten, auch wirklich wachsen. Daher sind wir zuversichtlich, dass wir auch das nächste Album mit ihnen zusammen machen werden. Und wenn es weiterhin gut läuft, kann die gemeinsame Reise eben auch durchaus zusammen weiter gehen.
Auf eurer Bandcamp-Seite beschreibt Ihr eure Musik selbst als "Musik für die Götter", was vermutlich eher auf die antiken Gottheiten bezogen ist wie die Götter aus den alten neubabylonischen Epochen. Wie hältst du es selbst mit dem Götterglauben? Bist du religiös oder auf andere Art und Weise irgendwie spirituell veranlagt?
Ich kann hier natürlich nur für mich selbst sprechen. Ich entstamme einer aschkenasisch-jüdischen Familie aus Leipzig. Erst im 19. Jahrhundert zogen sie dann nach Belgien. Soweit ich weiß, hatten es meine Urahnen aber alle nicht besonders mit religiösen Überzeugungen und so. Sie verstanden sich als moderne Menschen der damaligen Epoche eher als Künstler und Kommunisten. Und auch meine Eltern sehen sich als Atheisten und kümmern sich nicht besonders viel um religiöse Dinge. Ich trenne aber das religiöse Erbe und Dinge, die Menschen heute damit verquicken. Ich spreche in dem Zusammenhang auch von der israelischen Politik dieser Tage. Das ist natürlich ein völlig anderes Thema und es macht mich nicht glücklich, was ich im Fernsehen sehe und was gerade in der Welt passiert. Also möchte ich darüber auch nicht wirklich sprechen. Was aber jenes angesprochene Erbe betrifft, befand ich mich einst in einem Prozess der Suche nach meinen Wurzeln. Und so integrierte ich diese Forschung über meine Vergangenheit oder die Vergangenheit meiner Familie in die Musik. Stéphane ist weder Jude, noch Katholik noch sonst irgendwas. Für ihn ist es nur Musik. Für mich aber ist es die Suche nach meinen Wurzeln und ich betrachte es schon als eine Art Verlust, weil nicht viele Informationen darüber existieren und ich unseren Stammbaum nur nach Deutschland zurückverfolgen konnte. Und ich habe diese Episode des Exils in Babylon als Leitmotiv genommen, damit mehr Menschen eine Verbindung zu dieser Sache herstellen können. Ich weiß nicht, ob du diese Geschichte kennst, aber im sechsten Jahrhundert v. Chr. lehnten sich die Juden gegen den babylonischen Kaiser auf, der diese daraufhin ins Exil nach Babylon geschickt hat. Und diese Reise bzw. dieser Trip ist letzten Endes zum eigentlichen lyrischen Kern, der Essenz der Band geworden. Die Musik ist also nur dazu da, den Exodus des jüdischen Volkes nach Babylon zu begleiten und gleichzeitig den Übergang in die babylonische Kultur zu zeigen. Es gibt also ein bisschen alte jüdische Liturgie. Letzten Endes soll es aber natürlich zu einem gewissen Grad Unterhaltung bleiben, denn ich gebe nicht vor, Geschichtslehrer oder ähnliches zu sein. Mein Ding ist die Musik und ich versuche, das zu tun, was ich kann. Es ist also nicht so, dass die Geschichte, die ich erzähle, hundertprozentig akkurat ist. Aber aus der Perspektive der Juden benutzen wir diese Geschichte und diesen Verlust dieser Menschen, die ihren Heimatort verlassen und sich an einem anderen Ort niederlassen mussten, um dort irgendwie ein neues Leben zu beginnen. Aber auf diese Weise existiert ja, wie auf den ersten beiden Alben, lediglich nur ein Blickwinkel. Das ist der Grund, warum ich denke, dass es interessant war, Nina und Tomer für diese Platte mit einzubeziehen. Denn Tomer hat ihren Text in Aramäisch (der damaligen Sprache der Juden) und Nina ihre Lyrics auf Akkadisch (die damalige Sprache der Babylonier) vorgetragen. Ich identifiziere mich schon mit all diesen Dingen, ohne mich da jetzt aber auch zu sehr hineinzusteigern. Es ist jetzt nicht so, dass ich an Ishtar oder Jahve glaube, aber unser Ziel ist es, Menschen mit oder ohne Spiritualität zu verbinden. Ich würde sagen, dass einige Menschen sehr spirituell sind. Manchmal kommen Leute nach der Show zu mir und sagen: "Ja, ich habe mich mit dir verbunden gefühlt." Das spirituelle Gefühl kommt nicht vom Glauben, sondern von der Verbindung, die wir zwischen den Menschen schaffen, die sich um diese Musik versammeln und irgendwie mit ihr verbunden sind.
Ihr habt ja 2022 auch einen Filmsoundtrack für einen französisch-belgischen Thriller namens "Bowling Saturne" geschrieben. Sind diesbezüglich noch weitere Projekte dieser Art geplant?
Es gibt hier tatsächlich noch die einen oder anderen Projekte dieser Art für die Zukunft. Wir haben gerade einen Song für den Soundtrack eines französischen Rollenspiels geschrieben und aufgenommen, welcher vermutlich aber erst 2026 veröffentlicht werden wird. Es ist zwar eine komplett andere Herangehensweise, was das Songwriting betrifft, aber ich habe die Arbeit daran sehr genossen. Ich möchte sowas nun nicht unbedingt jeden Tag machen, aber wenn sich alle zwei bis drei Jahre solche Möglichkeiten ergeben, dann soll mir das sehr recht sein. Denn sind wir ehrlich: Solche Auftragsarbeiten werden in der Regel auch nicht allzu schlecht bezahlt.
In einem früheren Interview habe ich gelesen, dass Ihr insgesamt sechs Alben aufnehmen wollt. Hat sich an diesen Plänen in der Zwischenzeit etwas geändert?
Das muss noch aus der Zeit sein, als wir lediglich ein Album veröffentlicht hatten. Die Dinge haben sich nun ein wenig geändert, und wenn man unser Projekt ATONIA und den Filmsoundtrack zugrunde legt, haben wir ja nun schon bald die sechs Alben voll. Stéphane und ich sind da sehr relaxt und lassen die Dinge einfach auf uns zukommen. Ich liebe das, was ich tue, einfach zu sehr und mag es, unterwegs zu sein, Leute zu treffen und mit ihnen über meine Arbeit zu sprechen. Das ist ein Privileg und ich bin sehr froh, das alles tun zu können. Ich möchte meine Erfahrungen gerne mit jungen Menschen hier in Lüttich teilen. Ich arbeite nebenher ein bisschen für ein Label, wo ich versuche, jungen Menschen und Musikern, die nicht so sehr mit dem ganzen Business-Kram vertraut sind, unter die Arme zu greifen.
Ich finde ja, dass das Package MESSA/WYATT E. seinerzeit extrem gut harmoniert hat. Wie sieht es denn hinsichtlich zukünftiger Live-Aktivitäten bei euch aus?
Da ist schon etwas geplant in naher Zukunft, was sowohl Gigs als auch Festivals betrifft. Spruchreif ist da allerdings noch nichts, daher kann ich dir hierzu leider auch nicht allzu viel erzählen. Wir werden aber zunächst einige Konzerte im südlichen Balkan spielen, darüber hinaus sind wir noch in Griechenland und Bulgarien unterwegs. In Frankreich und Deutschland werden aller Voraussicht nach wohl auch noch Termine dazukommen.
Sébastien, vielen herzlichen Dank für deine Zeit und die Beantwortung meiner Fragen. Die letzten Worte gebühren selbstverständlich dir.
"Letzte Worte", darin bin ich nun leider wirklich schlecht, weißt du? Es gibt diese supersupergroßen Künstler, die einfach etwas total Dämliches sagen, was sich dann so anhören soll: "Oh ja, das ist aber so furchtbar geheimnisvoll."
Ich denke, die Leute sollten einander mehr zuhören, vor allem gerade in diesen Zeiten. Das würde viele Probleme lösen, wenn man vorurteilsfrei mit jemandem in einem Raum sitzen kann, der eine andere Meinung hat. Gut, wenn man mit einem Extremisten zusammensitzt, der einem nicht zuhört, macht das natürlich wenig Sinn.
Dem kann ich mich vollends anschließen. Vielen lieben Dank für deine Zeit und das tolle Gespräch, Sébastien, wir sehen uns…
Fotocredits: Stuart Garneys
The Diviner's Prayer To The Gods Of The Night
https://www.youtube.com/watch?v=-88vjY4X6Wc
Astral Session (Full Performance)
https://www.youtube.com/watch?v=J1GAHNhTsBw
- Redakteur:
- Stephan Lenze