YYRKOON: Interview mit Stéphane Souteyrand

28.04.2006 | 16:36

In Frankreich tut sich was. Momentan gibt es in unserem westlichen Nachbarland ein paar interessante Bands von internationalem Format, die lautstark um die Gunst des Publikums buhlen. Eine Band, die man unbedingt diesem erlauchten Kreis zurechnen muss, sind die Death-Metaller YYRKOON. Im Jahr 2005 machte der Vierer erstmalig auf breiterer Ebene auf sich aufmerksam, als er mit "Occult Medicine" ein feines Todesmörtel-Album auf die Bangerschaft losließ, das neben Nackenbrecher-Riffs en masse auch eine tolle Atmosphäre versprühte. Knapp 13 Monate später steht nun bereits der Nachfolger "Unhealthy Opera" auf der Matte, der den eingeschlagenen Kurs konsequent fortsetzt.
Sänger, Songwriter, Gitarrist und Die-hard-KING DIAMOND-Fan Stéphane Souteyrand berichtete auskunftsfreudig über die vergangenen zwei Jahre.


Oliver:
Stéphane, wo siehst du die Hauptunterschiede zwischen "Occult Medicine" und "Unhealthy Opera"?

Stéphane:
Wir haben eigentlich genauso komponiert wie bei "Occult Medicine", aber wir wollten einen stärkeren Kontrast zwischen den schnellen, brutalen und den atmosphärischen Parts schaffen, um die Farbenpracht der Songs zu erhöhen. Wir haben außerdem hier und da einige Samples hinzugefügt, damit alles etwas Bedrückendes bekommt. Aber die Zutaten, die der Hörer in der Musik von "Occult Medicine" finden konnte, sind immer noch vorhanden.

Oliver:
Vor den Aufnahmen zu "Occult Medicine" verließ euer Drummer Laurent die Band. Auf eurer Homepage war zu lesen, dass er Motivationsprobleme hatte. Jetzt ist er wieder mit an Bord. Was ist passiert?

Stéphane:
Sein Vater war sehr krank und deshalb war es Laurent unmöglich, mit uns ins Studio zu gehen. Aus diesem Grund fragten wir Dirk Verbeuren (SOILWORK, SCARVE – Anm. d. Verf.), ob er das Album mit uns aufnehmen könnte. Kurz nach dem Studioaufenthalt verstarb Laurents Vater, und wir fühlten uns alle sehr niedergeschlagen. Laurent brauchte einfach eine Auszeit und deshalb nahm er sich eine sechsmonatige Pause. Jetzt fühlt er sich stärker und ist wieder bereit, die Reise mit uns fortzusetzen.

Oliver:
Das ist schön zu hören. Was sich von "Occult Medicine" zu "Unhealthy Opera" indes nicht geändert hat, ist der Produzent. Ihr habt erneut mit Jacob Hansen (u.a. HATESPHERE, RAUNCHY) aufgenommen. Nachdem ihr ihn und seine Arbeitsweise kanntet: Habt ihr zusammen eine Art Masterplan ausgearbeitet, um die Scheibe noch besser und vor allem brutaler klingen zu lassen als den Vorgänger?

Stéphane:
Da hast du Recht. Jacob ist ein toller Typ. Wir waren sehr zufrieden mit der ersten Zusammenarbeit. Sein Studio ist wirklich nett und absolut professionell. Man hat dort die Möglichkeit, in zwei verschiedenen Studios gleichzeitig zu arbeiten. Wenn der Schlagzeuger seine Parts einspielt, steht ein zweiter Kontrollraum zur Verfügung, wo die Gitarristen Ideen ausprobieren und sogar aufnehmen können. Das ist eine erhebliche Zeitersparnis. Mit dieser Vorgehensweise hatten wir viel zusätzliche Zeit, um neue Sachen und Strukturen auszutesten. Während des Mixens macht Jakob eine Menge. Er ist exzellent. Er kennt seine Sachen sehr gut und arbeitet verdammt schnell. Ich kann sagen, dass er heute noch besser ist als vor zwei Jahren. Die Produktion von "Unhealthy Opera" ist für mich besser als die von "Occult Medicine", weil sie klarer und direkter ist.

Oliver:
In eurer Musik verbindet sich ein hoher technischer Anspruch mit absoluten Kopfknacker-Parts. Mit anderen Worten: Ihr lasst das Komplexe einfach erscheinen. Wie würdest du die Formel beschreiben, mit der ihr das erreicht?

Stéphane:
Die Strukturen der Songs sind sehr wichtig. Das hört sich vielleicht sehr nahe liegend an, aber für mich und die Band ist die Strukturierung der Musik das vielleicht Schwerste am ganzen Kompositionsprozess. Es gibt hunderte von Wegen, einen Song zu strukturieren. Aber der eine gute, der den Track zu hundert Prozent optimiert, ist alles andere als nahe liegend.
Heutzutage haben wir die Möglichkeit, mit Computern zu arbeiten und die Aufnahmen vorzubereiten. Bevor ich die Sachen mit der gesamten Band probe, kann ich an meinem PC die verschiedensten Dinge im Hinblick auf die Arrangements ausprobieren. Wir hatten auch schon gute Ideen beim Jammen, die aus dem Gefühl des Moments heraus zu etwas Großartigem führten. Das passiert. Aber die meisten Parts entstehen zu Hause oder im Studio (lacht). Hauptsächlich arbeiten wir an mehreren Songs gleichzeitig. Wir warten nicht, bis ein Song vollendet ist und beginnen dann mit einem neuen. Wir lassen die Ideen sich entwickeln und nach einer kurzen Pause und mehreren Bewertungen, ändern wir einige Teile, um das Ergebnis Stück für Stück zu verfeinern. Ich für meinen Teil tauche in das Albumkonzept oder das Themas des Songs ein und versuche, der Musik in meinem Kopf einen sehr persönlichen, gefühlvollen Charakter zu verleihen. Anders ausgedrückt: Ich versuche, Bilder der Seele in Klänge umzuwandeln.

Oliver:
Ihr arbeitet durchgehend mit düsteren Stimmungen, die meist durch die vielen Details innerhalb der Tracks erzeugt werden, wie die Samples, die du bereits angesprochen hast. Auf der aktuellen Platte habt ihr auch zwei tolle Akustikgitarren-Songs. Würdest du mir zustimmen, wenn ich sage, dass etwas Entscheidendes fehlen würde, wenn all das in eurem Sound nicht vorhanden wäre?

Stéphane:
Es würde auf jeden Fall anders sein. Wir mögen Akustikgitarren. Und die Tatasche, dass wir sie nur zweimal auf dem Album verwendet haben, gibt der Musik einen anderen Charakter, hat aber die gleiche Absicht wie der Rest. Es ist eine andere Art, dem Hörer unser Konzept und Universum zu öffnen. Diese beiden kleinen Gitarren-Parts sind für das Gleichgewicht von "Unhealthy Opera" unglaublich wichtig. Sie sind so etwas wie die unerlässlichen Säulen, die dem übrigen Material Halt geben.

Oliver:
Zusätzlich zu den regulären Songs gibt es mit 'Signs' auch einen Bonustrack auf der Digipack-Version von "Unhealthy Opera", der sehr nach einem Überbleibsel der "Occult Medicine"-Sessions klingt. Wenn dem so ist, warum zur Hölle steht er nicht auf jenem Album? Schlechter ist er keinesfalls.

Stéphane:
Da liegst du in der Tat richtig. Wir haben diesen Song während der "Occult Medicine"-Sessions aufgenommen. Die Idee war, einen Song zu komponieren, der zwischen diesem Album und dem Heavy/Thrash-lastigen Vorgänger "Dying World" angesiedelt ist. Ein Hybrid könnte man sagen. Aus diesem Grund gibt es auch Clean-Vocals im Chorus und Thrash-Parts während des Songs. Eigentlich sollte er auf einer limitierten Vinyl-Version von "Occult Medicine" erscheinen, aber als Osmose Productions die LP nicht realisierten, entschieden wir uns, den Song als Bonustrack für "Unhealthy Opera" zu verwenden anstatt gar nicht.

Oliver:
Einer meiner vielen Favoriten auf der aktuellen Platte ist 'Horror From The Sea'. Der Song schreit mit seinen Schädelspalter-Riffs geradezu nach einer Live-Aufführung. Sag mir, dass ihr den im Programm habt.

Stéphane:
Nein, leider nicht, vielleicht später. Im Moment haben wir uns auf andere Songs von "Unhealthy Opera" festgelegt (lacht). Aber da wir unser Live-Set gerne ändern, werden wir es irgendwann spielen. Hab Geduld.

Oliver:
Okay. Eine weitere Auffälligkeit dieses Tracks ist der Gast-Auftritt von Andy La Rocque. Da ihr alle große KING DIAMOND-Fans seid, muss das 'ne tolle Sache für euch sein. Wie seid ihr mit ihm in Kontakt getreten?

Stéphane:
(lacht) Wir sind riesige KING DIAMOND-Fans. Andy La Rocque ist ein unglaublich großer Einfluss. Er ist wahrscheinlich der erste Gitarrist, den ich gehört habe, als ich anfing, Metal zu hören. Ein Gast-Solo von ihm auf der Platte zu haben, ist wie ein Traum für mich. Ich kontaktierte ihn und erklärte ihm, was für eine Idee ich hatte. Er war sofort einverstanden, und ich schickte ihm den Song. Ich habe gerade diesen Song ausgewählt, weil die Atmosphäre mit seiner Art des Gitarrespielens harmoniert. Er nahm sich Zeit und lieferte ein wunderbares Solo ab. Wir sind sehr stolz. Bis heute habe ich es immer noch nicht ganz realisiert. Dieser Typ ist 'ne Legende.

Oliver:
Was würdest du sagen, ist euer Hauptantrieb, diese Art von Death/Thrash Metal zu spielen, die ihr mittlerweile kultiviert habt?

Stéphane:
Schlicht und einfach die Leidenschaft für Musik. Wir müssen üben und unsere Instrumente spielen genauso wie wir atmen müssen, um zu leben. Ohne die Möglichkeit, zu komponieren und die Musik miteinander zu teilen, könnte ich nicht leben, denke ich. Es ist vielleicht eine Art von Therapie (lacht). Vielleicht sind wir vier tief im Inneren massiv gestört und müssen dieses ganze Zeug machen, damit wir nicht wahnsinnig werden. Ich werde meinen Psychiater nächste Woche fragen. Im Ernst: Ich kann mir ein Leben ohne Kunst im Allgemeinen und die Möglichkeit, meine Gefühle durch Musik auszudrücken, nicht vorstellen. So ein Leben wäre armselig und flach.

Oliver:
Textlich befasst du dich auf der aktuellen Platte erneut mit der literarischen Welt des H. P. Lovecraft. Was ist das Faszinierendste an seinen Werken?

Stéphane:
Seit ich "The Call Of Cthulhu", ein Rollenspiel, das auf seinen Romanen basiert, ausprobiert habe, bin ich wirklich fasziniert von den Geschichten und dem ganzen Universum des H. P. Lovecraft. Ich war damals 15 und sehr angetan von der Atmosphäre – sehr fantastisch und realistisch zugleich: der Hauptteil um die alten Götter, welche die Welt regieren, und die menschlichen Seelen, die bei Lovecraft in den Tiefen des Meeres leben. Seit ich ein kleiner Junge war, hatte ich Angst vor diesem tiefen, blauen Abgrund.
Ich entschied mich, diese Thematik für "Unhealthy Opera" weiterzuspinnen. Das Konzept befasst sich mit dem Meer und dem Grauen, das dort lebt. Es gibt auch viele Filme, die sich damit befassen. Eigentlich fasziniert mich alles an Lovecraft. Er erzählt in seinen Romanen auch oft von der Medizin, von Ärzten, die geisteskrank wurden und mit verbotenen Formeln experimentierten. All das lässt er in seinen Horror mit einfließen, wie in "Herbert West: Reanimator", was das Thema unseres vorherigen Albums "Occult Medicine" war. Seine Arbeit ist unerschöpflich für mich.
Die Songs von "Unhealthy Opera" beschreiben verschiedene Szenen, z.B. sind die Lyrics einmal narrativ und handeln von Wahnsinn und ein anderes Mal befassen sie sich mit Horrorvisionen wie einer Opfergabe oder fantastischen Orte. Die Stimmung konzentriert sich dabei nicht nur auf Horror, sondern auch auf fantastische Dimensionen, die sich damit vermischen und ein Gefühl von Bedrückung und Besorgnis erzeugen. In der Hauptsache befasst sich das Konzept mit anderen Lebensformen, Existenzen und gesundheitsschädlichen Entdeckungen, die unsere Vorstellungskraft übersteigen.

Oliver:
Lass uns zurück in die Wirklichkeit kommen. Ihr begleitet NILE auf deren Europa-Abstecher (die Tour läuft seit dem 20.04. – Anm. d. Verf.). Was sind eure Erwartungen an die Gigs?

Stéphane:
Das ist das erste Mal, dass wird die Möglichkeit bekommen, so eine Tour zu fahren. Wir hatten zwar schon ein paar Konzerte im Ausland, aber nichts von dieser Größenordnung. Dank Osmose Productions und Metallysée (belgische Booking-Agentur – Anm. d. Verf.) bekommen wir die Gelegenheit, auf dieser Europatour die Bühne mit NILE zu teilen. Die professionelle Promotion-Arbeit von Osmose hat es uns ermöglicht, ein paar neue Fans hinzuzugewinnen. Und mit dieser Tour wollen wir uns selbst beweisen, dass wir eine gute Band innerhalb der Metalszene sind. Konzerte sind die beste Alternative, sich aufzudrängen und zu etablieren. Wir sind ultramotiviert, bei den Shows mit NILE unser Bestes zu geben.

Oliver:
Eine letzte Sache, die mich interessiert: Euer Gitarrist Geoffrey arbeitet als Lehrer. Was sagen seine Schüler zu YYRKOON, dieser brutalen Death-Metal-Band, in der er spielt?

Stéphane:
(lacht) Das weiß ich gar nicht so genau. So etwas diskutieren wir normalerweise nicht. Aber ich kann mich erinnern, dass er einmal erzählt hat, seine Schüler würden sich sehr für seine Musik interessieren und wären sehr neugierig darauf, zu entdecken, was er mit seiner Band ausdrücken möchte. Das ist ein guter Ansatz. Aber ich kenne ihre Reaktion auf den Test nicht. So schlecht wird sie aber nicht gewesen sein, denn er hat noch Schüler.

Redakteur:
Oliver Schneider

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